„Was wir brauchen, ist eine Landwirtschaft mit hoher Diversität und geringem Karbonat-Input“.

Ein Gespräch[1] mit Patrick Mulvany[2] über Hungerrevolten, Ernährungssouveränität und die Rolle der Wissenschaft

Angesichts
der weltweiten Lebensmittelkrise und der zahlreichen Hungerrevolten in Ländern
des Südens ist es durchaus legitim zu sagen, dass wir uns in einer dramatischen,
und gleichsam in einer historisch wichtigen und einzigartigen Situation
befinden.

Warum ist
das so und was passiert eigentlich gerade global rund um das Thema Nahrung?

Wir können
beobachten, dass sich unglaubliche Krisen im Bereich Lebensmittel,
Energieversorgung und Klima zusammengebraut haben, alles nahezu zur selben Zeit.
Nie zuvor hat es so etwas gegeben. Klar, 1974 gab es eine große Energiekrise,
die Preise sind nach dem Jom Kippur Krieg enorm gestiegen. Dazu kamen
Ernteausfälle in der Ukraine und in den USA. All das verursachte damals große
Probleme – die Bedrohung durch den Klimawandel war damals allerdings unbekannt
und die Leute waren sich dieser Gefahr nicht bewusst. Wenn sich also nun all
diese Krisen zusammenbrauen, könnte man sagen, dass niemand den Tsunami bemerkt,
der sich dahinter verbirgt: Ich spreche von den Technologien, die als Lösung
präsentiert werden und nun mit Gewalt zur Anwendung kommen sollen.

Es gibt wenig
Zweifel darüber, dass die Krise im Juli 2007 begann, als große Banken aufhörten,
einander Kredite zu vergeben. Diese Finanzkrise, ausgelöst durch die
Immobilienkrise in den USA, breitete sich im gesamten globalen Finanzsystem aus
und zwang große Summen an Geld in spekulative Geschäfte mit anderen Waren –
meist Grunderzeugnisse oder Rohstoffe. Es gab also u.a. einen enormen Anstieg an
Termingeschäften mit Lebensmitteln. Wenn ich mich richtig erinnere, überstieg zu
einem gewissen Zeitpunkt der Krise die Menge an Lebensmitteln, die gehandelt
wurde, die Menge an weltweit tatsächlich existierenden Lebensmitteln um das
30-fache! Das war also pure Spekulation und so wurde der Preis in die Höhe
getrieben. Ein Ergebnis dieser Entwicklung war, dass eine Menge existierender
Lebensmittel gehortet und somit zurückgehalten wurde – sogar Reis, eine Ware,
die international nicht in demselben Maßstab gehandelt wird wie beispielsweise
Mais, wurde in großen Mengen dem Markt vorenthalten. Eine Hortung dieser Waren
für einige Wochen konnte den Preis bereits verdoppelt. Das wiederum führte zu
einer Verknappung der Lebensmittel bei vielen lokalen Märkten und Anbietern. Ein
interessantes Ergebnis dieser Knappheit an Reis war, dass gewisse Regierungen
dazu übergingen, nationale Reserven anzulegen. Ich erinnere mich an ein
Interview, das der Landwirtschaftsminister der Philippinen gab: Er sagte, dass
es notwendig wäre, im eigenen Land und am internationalen Markt Reis
einzukaufen, um die philippinischen Reserven aufzufüllen. Natürlich trieben
diese Maßnahmen die Nachfrage und somit den Preis auch gewaltig in die Höhe. Wir
sehen also, es gab eine Menge von Maßnahmen und Entwicklungen – teils spekulativ
und teils opportunistisch, wie das Horten von Lebensmitteln – aber auch das
Auffüllen von Reserven einzelner Länder, die zu dieser Situation führten.

Gleichzeitig
ist diese Situation nicht vergleichbar mit einem unvorhersehbaren Erdrutsch:
Viele von  uns haben seit Jahren gesagt, dass das Schwinden der Getreidereserven
als Konsequenz der Politik der WTO zu einem Desaster führen würde. Und das hat
sich auch bewahrheitet. Nun haben die Regierungen und die internationalen
Institutionen keinerlei Handhabe, um die Bedrohung durch Spekulation abzuwenden.

Hat nicht
auch der enorme Boom von Agro- Treibstoffen wesentlich zu den Preissteigerungen
beigetragen? Sogar ein Bericht der Weltbank, aus dem letztens im „Guardian“
zitiert wurde, besagt, dass die Nachfragesteigerung in diesem Sektor mehr als
bisher angenommen die Lebensmittelkrise verursacht hat.

Selbstverständlich. Der Weltbank- Report gibt an, dass 100 Millionen Menschen
direkt von den Preissteigerungen betroffen sind, die durch die Nachfrage an
Agro- Treibstoffen verursacht wurden. Erst vor 9 Monaten hat Jean Ziegler, der
ehemalige Sonderberichterstatter der UNO für das Recht auf Ernährung, genau auf
diese Gefahr hingewiesen. Es ist aber wichtig, zu betonen, dass es das Ensemble
dieser Ereignisse war, das die Wucht der Krise bedingt: Die Krise kann nicht
durch Agro- Fuels per se erklärt werden, genauso wenig wie sie allein durch die
Ernteausfälle in Australien, den Hurrican in Burma oder den Anstieg des
Fleischkonsums in Indien und China erklärt werden kann. All diese Dinge sind
natürlich zutreffend. Ich persönlich bin der Auffassung, dass der Hauptauslöser
die Spekulationsgeschäfte waren.

In einer
ganzen Reihe von Ländern im globalen Süden ist es aufgrund der Lebensmittelkrise
zu Hungerrevolten gekommen. Wie schätzen sie diese Revolten ein? Gibt es eine
Chance, dass sich dabei emanzipatorische Entwicklungen abzeichnen?

Meiner
Information nach gab es in ca. 30 Ländern Aufstände, Revolten oder Kämpfe, die
unmittelbar damit zu tun hatten, dass die Leute hungrig sind. Diese Unruhen
können auch eskalieren und Regierungen gefährden oder zu Fall bringen, wie das
Beispiel Haiti zeigt. Es ist kein Geheimnis, dass dieses Thema beim G8- Gipfel
in Hokaido ganz oben auf der Agenda stand. Ich denke, diese acht Staaten sind
extrem besorgt über die Möglichkeit, dass sich diese Aufstände ausbreiten und
somit das gesamte politische System gefährden könnten. Oder, was gleichbedeutend
wäre: dass sie das Projekt der ökonomischen Globalisierung ins Wanken bringen.
Diese global Players suchen also nun nach Strategien, um die Ausweitung dieser
Revolten zu verhindern. Ich bin überzeugt, dass das Geld, das für diesen Zweck
von den G8- Staaten und der Weltbank zur Verfügung gestellt wird, dazu dienen
soll, den Ruf nach einer grundlegenden Änderung des politischen und ökonomischen
Systems zu unterdrücken. Es ist eine Maßnahme, um die Macht dort zu halten, wo
sie ist.

Dennoch, ich
denke dass die Leute mit den Revolten zum Teil ihre Eigenmacht demonstrieren
konnten – auch wenn diese Ereignisse nicht organisiert waren. Leider gibt es
einstweilen keine Allianzen zwischen Bäuerinnen und Bauern und KonsumentInnen –
die Motivation für die Aufstände war klarer Weise Verzweiflung und Not. Die
Krise hat allerdings dazu geführt, dass die Leute in einer Art über
Landwirtschaft reden, wie das früher nicht der Fall war.

Viele von uns
wiederholen schon seit Jahrzehnten, dass die Probleme in das System eingebaut
sind. Nun sollten wir die Gelegenheit nutzen und über Ernährung und
Landwirtschaft im Kontext von Klimawandel und den hohen Energiekosten reden, um
so die Öffentlichkeit wachzurütteln. Es ist an der Zeit, dass die Regierungen
zugeben, dass sie schuld sind an der aktuellen Krise. Wir leben in einer Welt,
die vom Agro- Business dominiert wird, in der fortlaufend Lebensmittel zu Waren
gemacht werden und in der natürliche Ressourcen systematisch schneller
verbraucht werden, als sie sich regenerieren können. Ernährungssouveränität
sowie der Zugang zu Produktionsmitteln für lokale Bevölkerungen wurden im
Interesse der multinationalen Unternehmen gezielt unterminiert. All das ist kein
Unfall, es ist keine Naturkatastrophe und es handelt sich nicht um einen
Meteoroiden, der den Planeten von außen trifft – nein, all das ist von Menschen
gemacht. Es wurde ein Regelwerk geschaffen, das es den Multis erlaubt, immer
mehr zu wachsen – also können wir auch ein Regelwerk schaffen, um das zu
stoppen. Dafür müssen wir – und darin besteht die große Herausforderung –
gemeinsam darüber nachdenken, wie aus dieser Krise nun langfristige Lösungen
gefunden werden können.

Oft wird
behauptet, dass die KritikerInnen der industrialisierten Landwirtschaft das Rad
der Zeit zurückdrehen wollen und dass sie neue wissenschaftliche Erkenntnisse
pauschal ablehnen. Welche  Rolle messen Sie Technik und Wissenschaft bei der
Kritik des Agrobusiness und für die Entwicklung von Alternativen bei?    

Um von vorne
anzufangen: Es ist zunächst sehr wichtig, zu verstehen, was Wissenschaft
überhaupt ist, und weiters, was als Technik und Fachwissen definiert wird. Wir
dürfen den Begriff Wissenschaft nicht gänzlich vereinnahmen lassen von der High-
Tech- Wissenschaft, die Mobiltelefone oder Chipkarten herstellt.

Wissenschaft
ist die Anwendung von fachlichem Wissen und kann somit von jedem Menschen zum
Einsatz gebracht werden. Das Wissen der indigenen bäuerlichen Bevölkerungen
beispielsweise ist in seinem Kontext äußerst hoch entwickelt.

Wissenschaft
und Technologie subsumiert also auch das Wissen und die Fähigkeit, Nahrung zu
produzieren und zu verstehen, wie komplexe ökologische Systeme funktionieren. Es
kann sich also um das Anbauen von Früchten handeln, um Viehzucht, um
Wasserversorgung, den Bau von Häusern usw. Es gibt also alle möglichen Arten von
Technologien, die nachhaltig sind und eine nachhaltige Versorgung von
communities gewährleisten. Das Wissen, das also von einer indigenen Bäuerin
stammt, die Kartoffeln anbaut und Samen selektiert, ist also genauso stichhaltig
wie das Wissen von jemandem, der in einem Labor arbeitet und irgendwelche neuen
Chemikalien erfindet.

Um mich klar
auszudrücken: Die Herausforderung besteht darin, die Produktivität pro
Flächeneinheit auf nachhaltige Weise zu erhöhen. Denn verfügbares Ackerland ist
in Relation zur Gesamtfläche der Erde sehr begrenzt; und es schwindet weiter:
durch Erosion, Versalzung, Versiegelung und Verstädterung. Angesichts steigender
Bevölkerungszahlen müssen wir also tatsächlich versuchen, die
landwirtschaftliche Produktivität zu erhöhen.

Zweifelsohne
sind massive Produktivitätssteigrungen durch den Einsatz von Agro-Cemie erreicht
worden – nun, in der Situation der Lebensmittelkrise versuchen all die Konzerne,
die aus dieser misslichen Lage Profit schlagen wollen, zu propagieren, dass „more
of the same“ getan werden soll – sprich mehr Chemie, mehr Düngemittel, mehr
Pestizide, mehr Herbizide, Insektizide usw. Dieses Konzept propagiert eine
Landwirtschaft, die immer weniger divers ist, immer weniger Sorten nutzt und
immer abhängiger von Carbonat- Input ist. Dazu werden immer mehr Samen
gentechnologisch verändert, damit sie unter solchen Umständen überhaupt wachsen.
Nun: das wird in den meisten Fällen auf die kurze Sicht tatsächlich die
Produktivität pro Flächeneinheit erhöhen – der Preis dafür ist allerdings hoch.
Außerdem: Auf lange Sicht wird die Produktivität nicht so hoch sein wie bei der
Anwendung von diversifizierten, nachhaltigen Agrarsystemen.

Die
politische Alternative ist also, genau in die andere Richtung zu gehen. Sprich:
Eine diversifizierte Landwirtschaft mit geringerem Carbonat- Input und kleineren
Flächeneinheiten. Die wissenschaftliche Herausforderung wird nun darin bestehen,
Wege zu finden, wie wir von einer Landwirtschaft mit hohem Input und geringer
Diversität zu einer Landwirtschaft mit geringem Input und hoher Diversität
kommen ohne einen dramatischen Rückgang in der Produktivität zu riskieren. Dazu
braucht es nicht nur Wissen über Biologie und Produktionssysteme, sondern auch
Wissen über soziale und politische Dynamiken.

Was die
Wissenschaft anbelangt, ist es völlig falsch zu sagen, dass diejenigen, die zum
Thema Ernährungssouveränität und produktiveren Agrarsystemen arbeiten,
NachzüglerInnen sind, dass wir gegen wissenschaftlichen Fortschritt sind und so
weiter. Das ist absoluter Unsinn. Natürlich sind wir der Meinung, dass die
Wissenschaft, die wir brauchen, eine ganz andere ist und dass die Kontrolle
dieser Wissenschaft anders sein muss. Es gibt ja einige sehr interessante
Debatten in Bezug auf die Demokratisierung von Wissenschaft, die Funktion von
Entscheidungsprozessen, die Frage, was  investiert wird, wer mitbestimmt, wer
davon profitiert und so weiter. Eine Frage, die sehr wichtig geworden ist, ist
die, in welchem Ausmaß Lehrende, ForscherInnen und Universitäten effektiv davor
geschützt werden können, dass Universitäten Gelder von der Privatwirtschaft
annehmen müssen. Welche Möglichkeiten gibt es, sich dagegen zu wehren und diese
Gelder abzulehnen oder, wenn sie denn gezahlt werden, sie wenigstens selbst
kontrollieren zu können. Es handelt sich also um eine Menge komplexer
Angelegenheiten; die Art von Wissenschaft, die für die Gesellschaft sinnvoll
ist, ist bei weitem nicht die gleiche, die der Privatwirtschaft dient. Und die,
die uns rückschrittlich nennen, sind meistens VertreterInnen der
Privatwirtschaft. Es ist wirklich erbärmlich mitanzusehen, wie sich dieses
Denken innerhalb der NGO-Landschaft ausweitet, und generell bei allen, die von
diesen Finanzierungen abhängig sind.

Was wir
brauchen, sind fundierte Wissenschaften, in dem Sinn, dass diese Wissenschaften
ein Verständnis von biologischen, biochemischen, physikalischen, ökologischen,
sozialen und politischen Systemen haben.

Was hat es
mit dem Konzept der Ernährungssouveränität auf sich und in welchem Stadium
befindet sich die Debatte?

Zuallererst
würde ich behaupten, dass Ernährungssouveränität kein Konzept mehr ist. Im
Englischen zumindest bedeutet Konzept etwas Vages, wie etwa eine Idee,
nach dem Motto: „Es könnte sein, es könnte aber auch nicht sein.“ Das Thema ist
jetzt seit 15 Jahren aktuell und hat sich von einem rein konzeptuellen Stadium
zu etwas sehr Realistischem gemaustert, etwas mit vielen Gedanken dahinter und
mit politischer Bedeutung. Ernährungssouveränität wird heute von sehr vielen
sozialen Bewegungen und zivilgesellschaftlichen Organisationen unterstützt, und
sogar von einigen Regierungen (Bolivien, Mali und Nepal zum Beispiel). Also ist
Ernährungssouveränität wirklich über einen konzeptuellen Zustand hinaus; sie ist
zu einer Art Rahmen für politische Prozesse geworden. Wir können uns nun die
Entwicklung ansehen, von dem Zeitpunkt, als Ernährungssouveränität in den 90er
Jahren erstmals benannt, dann am Welternährungskongress 2001 von Via Campesina
in der „Havanna Declaration“ zum erstem Mal festgeschrieben, und später 2002 in
Rom und 2007 in Nyeleni, dem Forum für Ernährungssouveränität, weiterentwickelt
wurde. Das Thema hat im Laufe der Zeit viele AkteurInnen sozialer Bewegungen
ergriffen – so wurde ein Verständnis über Inhalt und Wichtigkeit, wie auch ein
konzeptionelles Verständnis von Ernährungssouveränität entwickelt.

2002 gab es
einen sehr wichtigen Moment, als das leitende Komitee des Forums für
Ernährungssouveränität 155 gestellte Anträgen bearbeiten musste. Eine
Teilnehmerin sagte, wir können diese 155 Anträge auf vier herunterbrechen: 1.
Das Recht auf Nahrung, 2. Handel und lokale Märkte, 3. Zugang zu Ressourcen und
4. Agroökologische Produktion. Und diese vier Prinzipien sind wirklich eine gute
Beschreibung dafür, worum es bei Ernährungssouveräinität geht.

Um im
Klartext zu reden: Es geht bei Ernährungssouveränität nicht um Nationalstaaten.
Es geht darum, dass Menschen, Gemeinden und Länder ihre eigenen
Ernährungssysteme bestimmen können. Es geht um lokale Ernährungspolitiken. Und
um eine wachsende Demokratisierung in lokalen Ernährungssystemen. Das kann auf
allen möglichen Ebenen definiert werden: im Haushalt, in der Gemeinde, in der
Region, im Land. In der Erklärung von Nyeleni ist es sehr genau aufgeschrieben:
Ernährungssouveränität ist das Recht auf kulturell angemessene Nahrung, die mit
ökologisch verantwortlichen und nachhaltigen Methoden hergestellt wird, sowie
das Recht, das eigene Ernährungs- und Landwirtschaftssystem zu bestimmen. Die
Reflexionen im Nyeleni-Forum drehten sich auch um Themen wie Konfliktlösung bei
Konflikten über diesen Ressourcenzugang (zwischen ProduzentInnen, zum
Beispiel HirtInnen und BäuerInnen usw.). Außerdem wurde das Thema Migration
behandelt. Das war ein sehr interessantes Subthema im Forum von Nyeleni, und das
kommt auch im Schlussreport vor.

Wie sieht
es mit den Versuchen aus, Ernährungssouveränität auf verschiedenen Ebenen –
lokal und politisch- konstitutionell – umzusetzen?

Die Wahrheit
ist, dass das alles sehr aufgesplittert ist: Sogar in den Ländern, in denen
Ernährungssouveränität in der Verfassung steht oder als Gesetz vorgeschlagen
ist, was zum Beispiel in Nepal, Mali und Bolivien der Fall ist, sogar in diesen
Ländern wird das Konzept nur teilweise umgesetzt. Die bolivianische Regierung
ist von einer ganzen Reihe von despotisch regierten Ländern umgeben. Nun gibt es
in der Provinz von Santa Cruz die Bestrebung, unabhängig zu werden, da sie
nichts mit der nationalen Politik zu tun haben wollen: Die wollen
genmanipuliertes Soja anbauen, weil es für eine kurze Zeit sehr schnelle Erträge
bringt. Also gibt es große Konflikte in Bolivien.

Ernährungssouveränität ist also kein Konzept mehr, es ist definitiv ein Rahmen,
ein politischer Vorschlag. Das Recht auf Nahrung ist in der
Menschenrechtsdeklaration von 1945 festgelegt und doch sind wir erst in den
letzten Jahren so weit damit gekommen: wir sind bei einem Set an freiwilligen
Richtlinien. Diese sind nicht einmal soweit verbindlich, dass ein Staat das
Recht auf Nahrung innerhalb seines eigenen Territoriums und seiner
außerterritorialen Verpflichtungen umsetzten muss. Wir sehen also die
Entwicklung von sechzig Jahren und müssen feststellen,  dass es sich um sehr
langsame Prozesse handelt.

Wirklich
interessant ist, dass die Gier der Privatwirtschaft, die von Regierungen
unterstützt wird, aufgedeckt wurde. Denn eine Menge Leute haben genügend
Verständnis darüber gewonnen, was die Alternativen sein müssten: gutes Essen
ohne Pestizide und GMO. Den Leuten ist das bewusst, es ist in den Medien und die
Menschen beginnen sich irgendwo im Hinterkopf Sorgen zu machen. Es ist sehr
aussagekräftig, dass innerhalb der Europäischen Union das Essen mit den
wenigsten Rückständen die Babynahrung ist. Es wird ständig geprüft: keine
Pestizide, keine Spuren – die Standards sind unglaublich hoch. Denn die Leute
sagen, wir werden sicher nicht unsere
Babies
vergiften. Also wurde die Gier, mit der diese schnellen „Lösungen“ für die Krise
präsentiert wurden, zum Teil enthüllt.

Und dennoch –
es wird große Investitionen von einer agrarindustriellen Allianz für eine grüne
Revolution in Afrika geben: mehr Chemie, mehr Dünger, mehr Pestizide, neues
Saatgut. Sie müssen das allerdings in dem Wissen tun, dass es falsch ist, dass
es keine langfristige Lösung ist. Sie müssen das in dem Wissen tun, dass sie in
Wirklichkeit nur neue Marktzugänge schaffen wollen, dass sie das Projekt der
ökonomischen Globalisierung bis an die letzten Grenzen bringen wollen, und die
sind in Afrika - dem einzigen Ort der Welt, in den noch expandiert werden kann.
Sie machen das ungeniert, und sie wissen, dass es falsch ist, und dass es andere
Möglichkeiten gäbe.

Es ist höchst
interessant, dass die internationale Studie über landwirtschaftliches Wissen,
Wissenschaft und Technologien für Entwicklung, die im April von der UNO und der
Weltbank veröffentlicht wurde, zu genau denselben Ergebnissen kommt! Die Studie
besagt, dass wir mehr agro-ökologische Wissenschaft und Technologie und kleinere
landwirtschaftliche Produktionseinheiten brauchen, sie hebt die zentrale Rolle
der Frauen und die Notwendigkeit der politischen Veränderung in den großen
Institutionen hervor. Alles Dinge, über die wir seit langer Zeit geredet haben.
Und diese Ergebnisse sind, wenn’s um UN und Weltbank geht, ziemlich
revolutionär. Nichts Neues für uns, nichts Neues für irgendeine soziale
Bewegung, wir sagen das ja schon seit Jahren. Aber jetzt wurden diese
Zusammenhänge von 400 WissenschafterInnen evaluiert, und die sind zum gleichen
Ergebnis gekommen!

Bezeichnend
war, dass die Ergebnisse der Studie beim Ernährungsgipfel, der zwei Monate nach
deren Veröffentlichung stattfand und an dem 57 Regierungen teilnahmen, nur von
einer einzigen Regierung erwähnt wurde, und das nur ganz kurz. Denn die
Ergebnisse sind nicht angenehm. Sie sprechen nicht für die technologischen
Spielzeuge, die die Privatwirtschaft sich hat patentieren lassen. Sie sprechen
viel mehr für eine ganzheitliche und gemeinsame Position von Wissenschaft und
Technologie. Eine, die Sozialwissenschaften und Naturwissenschaften
zusammenführt. Eine, die sich auch Technologien anschaut, die nicht mehr
patentierbar sind: ökologische Landwirtschaft, Saatgutdiversität. Aus diesem
Grund sind die Ergebnisse nicht angenehm – sie unterstützen nicht das Projekt
der ökonomischen Globalisierung. Und aus dem gleichen Grund wurden sie nicht von
den Regierungen publiziert, die sich für die Konferenz angemeldet hatten. Ein
ziemlich interessantes Dokument, wert es zu lesen – 22 Hauptergebnisse und
insgesamt 2000 Seiten. Es beinhaltet auch Biotechnologie und andere moderne
Wissenschaften. Diese Dinge sind darin aber alles in allem sehr vorsichtig
formuliert. Es wird gesagt: ja, es gibt ein paar Möglichkeiten darin, die mensch
sich auch mal ansehen kann, aber wenn wir die Geschichte der gentechnologischen
Manipulation bis heute betrachten, hat sie nichts dazu beigetragen, den Hunger
zu vermindern. Und das Potential, dass es das in nächster Zukunft tun wird, ist
nicht außerordentlich groß. Gut, vielleicht irgendwann in der Zukunft. Aber in
der Zwischenzeit kennen wir ja die Dinge, die funktionieren, und das sind gute
ökologische landwirtschaftliche Praktiken.

Danke für
das Gespräch!

[1]
Das
Interview fand während der Sommeruniversität der ungarischen NGO „Védegylet“
(„Protect the Future“) statt.

Interview und Übersetzung aus dem Englischen: Lisa Bolyos und Dieter

[2]
Patrick
Mulvany arbeitet bei der UK food group und beschäftigt sich v.a. mit
Biodiversitätspolitik im landwirtschaftlichen Bereich, genetischen
Ressourcen und Ernährungssouveränität. Er ist außerdem im Beirat der „Intermediate
Technology Development Group“ (http://www.itdg.org/).