Regierungskriminalität

Als im Oktober 1857 die Krise von Frankreich auf die USA übersprang,
glaubte Marx, daß das Ende des Kapitalismus nahe sei. Er verstand die
Krise als Krisis: als den Anfang des Endes – im medizinischen Sinne.


Da störte ihn – anders als seine Frau Jenny – auch nicht so sehr, daß er
von der New York Tribune, für die er als Europakorrespondent arbeitete,
von zwei Artikeln in der Woche auf einen gesetzt und damit ins ökonomische
Desaster gestoßen wurde. Die freigewordene Zeit nutzte Marx für
seine Arbeit an der Kritik der politischen Ökonomie, die er der Arbeiterklasse
an die Hand zu geben gedachte. Dieser Text wurde nicht zuletzt zu
einer Selbstverständigung darüber, daß die ökonomische (Absatz-)Krise
keine Krisis im medizinischen Sinne ist. Als im Frühjahr 1858 die Wirtschaftskrise
zu Ende ging, hatte Marx auch in der Theorie die Differenz
zwischen ökonomischer Krise und medizinischer Krisis begriffen – eine
Leistung, die viele der sogenannten Marxisten bis heute nicht zu verstehen,
geschweige denn zu akzeptieren vermögen. Die Krise ist ein unvermeidliches
Regenerationsmoment der kapitalistischen Produktionsweise,
durch das ganze Gesellschaften ins Elend gestürzt werden. Deshalb gehört
diese Produktionsweise überwunden.


Geradezu erschütternd ist die Einfalt jener Linker, die auch heute noch
ins Krisisgeschwätz verfallen und das Totenglöcklein der kapitalistischen
Wirtschaftsweise zu hören vermeinen – statt ihre Arbeit zu tun und zu
analysieren, was im Moment wirklich geschieht: Die Form, in die die – an
sich schon perverse, weil Entfremdung zeugende – kapitalistische Produktionsweise
sich in den vergangenen Jahrzehnten ausbildete, der Kasinokapitalismus,
der stündlich Milliarden um den Globus jagte, war ein
Krieg gegen die sozialen Errungeschaften der vergangenen 130 Jahre.
Im Renditetempel des Neoliberalismus wurden die Menschenwürde und
die Existenz von Abermillionen Menschen geopfert, eine diese Opferhandlungen
hieß Hartz IV.


Eine immer irrwitzigere Spekulationsblase ward aufgebläht; jeder
halbwegs vernünftig denkende, also nicht der Profitgier erlegene Mensch
wußte, daß sie eines Tages aufgehen würde (siehe Aids im System, Blättchen
20/2008). Jetzt ist sie geplatzt und dieser Krieg gegen die Gesellschaft
vorerst ausgesetzt.


Nun geht es darum, diesen Krieg nachträglich zu finanzieren. Und das
geschieht mit einer neuen Blase: den Staatsverschuldungen von Washington
bis Berlin – nicht zur Rettung der Gesellschaft, sondern zur Rettung
der Banken. Denn wie eine solche Staatsverschuldung bezahlt wird, war
nach dem Ersten und dem Zweiten Weltkrieg zu erleben: mit einer Inflation und einem Währungsschnitt, also mit der Enteignung breiter Teile
der Gesellschaft – aller Sparer, heute nicht zuletzt jener, die sich jüngst
in eine zusätzliche Altersvorsorge hineingeschwätzt sahen. Der Sinn der
Aktion liegt auf der Hand: Die Katastrophe wird auf die nachfolgenden
Regierungen verschoben, und die wirklich Vermögenden erhalten die
Chance, mit ihren Geldanlagen in Sachwerte wie Immobilien und Gold
zu fliehen. Hier wird ein wunderbares Stück unverhüllter Regierungskriminalität
aufgeführt. Und alle klatschen mit, die Medien voran.