(Post-)koloniale Praxen des Aufzeichnens

Zehn Jahre nach Ende des 2. Weltkrieges und des NS-Regimes und vor dem Hintergrund der beginnenden Dekolonialisierung afrikanischer Staaten, kommt 1955 der österreichische Film Omaru – Eine afrikanische Liebesgeschichte (Regie: Albert Quendler), der 1954 während einer zehnmonatigen Expedition im kolonialen Kamerun gedreht wurde, in die österreichischen Kinos. In der zeitgenössischen medialen Rezeption wird Omaru als Film gepriesen, der „endlich“ Afrika zeige, „wie es ist“. Die positive Resonanz funktioniert in diesem Zusammenhang wesentlich über eine Abgrenzung zu Filmen anderer westlicher Länder und Kolonialmächte, denen mangelnde Wirklichkeitstreue vorgeworfen wird. Demgegenüber positioniert man den Film Omaru als antikoloniales Statement.
Zum Zeitpunkt der Dreharbeiten ist Kamerun, bis 1918 offiziell deutsche Kolonie, unter britischer und französischer Kolonialverwaltung. In der deutschsprachigen, kolonialrevisionistischen Propaganda nach 1918 diente Kamerun weiterhin als reale wie imaginative Landschaft für die Verhandlung von Verlust und Wunsch nach erneuter Inbesitznahme, so auch in diversen Veröffentlichungen des Leiters der österreichischen Filmexpedition 1954, Ernst A. Zwilling. Zwillings Auswahl der Drehorte und sein Wunsch nach filmischer Aufzeichnung muss im Zusammenhang mit dieser ideologischen Tradition gesehen werden.
Schauplatz der Filmhandlung sind das Dorf Tondolong und das Lamidat Rey Bouba im Norden und Extremen Norden Kameruns. Der Hauptdarsteller Omaru verlobt sich mit Jindaray, und geht, um den Brautpreis einzuhandeln, in die Stadt, wo er sich in Mairama verliebt. Jindaray beschließt, ihn zurückzuholen, am Ende des Filmes kehren die beiden auch als Paar wieder zurück in die Berge. Was als klassischer Heimatfilm-Plot der 1950er Jahre funktionieren würde, erlangt durch die (post-)kolonialen Diskurse über Kamerun und durch den historischen Kontext der Repräsentationen Schwarzer Menschen zusätzliche Bedeutungsebenen. Der Film bedient sich ethnographischer Aufzeichnungsmodi, die in engem Zusammenhang mit der Ausbreitung der europäischen Kolonialherrschaft im 19. Jahrhundert entwickelt wurden. Er steht in einer Tradition der Repräsentation „fremder“ Länder und Menschen, die unterschiedliche Darstellungsformate wie Entdeckungsromane, so genannte „Völkerschauen“, ethnographische Museen und ethnographische Filme hervorgebracht hat. Gemein ist vielen dieser Produktionen eine Fremdbestimmtheit der hergestellten Bilder in Verbindung mit einem Prozess des Othering, der die dargestellten Personen zu „den Anderen“ macht. Ein weiteres, wesentliches Charakteristikum ist die Inszenierung von Authentizität.

Die Spielfilmhandlung in Omaru wird immer wieder von in dokumentarischem Stil aufgenommenen Szenen unterbrochen. In diesen Szenen wird keine Handlung vorangetrieben, es sind den ZuschauerInnen unbekannte DarstellerInnen im Bild. Diese Aufnahmen, die Tanz-, Arbeit- oder Marktszenen zeigen, wurden laut Regisseur Albert Quendler oft mit versteckter Kamera gefilmt. Dieses Verfahren, durch das möglichst „authentische“ Aufnahmen erzeugt werden sollten, versucht besonders auffällig eine Position des „Sehens- und-nicht-gesehen-Werdens“ herzustellen, die Foucault als panoptische beschrieben hat, und die in Anlehnung an Stuart Hall als weiße beschrieben werden kann: „Das ‚weiße Auge’ befindet sich stets außerhalb des Rahmens – aber es sieht und ordnet alles, was darin ist.“ (Hall 2000: 159)
Das weiße deutsche koloniale Auge befand schon seit 1906/07, dass die Bevölkerung in den Bergen im Extremen Norden Kameruns sich nicht mit den in Städten wohnenden Fulbe „vermischen“ sollten (Vgl. Midel 1990: 217-229). Oder, wie es der das Filmteam begleitende Großwildjäger und „Afrikaforscher“, Ernst Zwilling in einer Fortsetzung dieser Diskurse 1940 ausdrückt: „Die Bergheiden haben sich aber in der kargen Wildnis vor Entartung und Verweichlichung gerettet, denen die Fulbe heute verfallen sind.“ (Zwilling 1940: 229).
Die Idee eines „authentischen Lebens“ im Dorf verfolgte auch das Filmprojekt. Das Authentische zu dokumentieren bedeutete in der Praxis der Filmaufnahmen für Omaru die aufwändige technische und diskursive Herstellung einer solchen Authentizität. Elemente dieser Herstellung sind der Einsatz von spezifischen Kleidungsstücken, die (teilweise) Nacktheit der Darsteller_innen, die Verwendung afrikanisch konnotierter Musik, die Ausblendung weißer Präsenzen in Kamerun und die Nachsynchronisation der Dialoge in Wien in Fulfulde unter der Leitung des Afrikanisten Hans Mukarovsky.

Der Wunsch nach authentischen Aufzeichnungen, nach der Konservierung von „verschwindenden“ Kulturen, ist so alt wie der Kolonialismus selbst. Es ist ein Begehren, das mit dem Begriff des Salvage Paradigma umschrieben wird und in enger Verbindung mit der Entwicklung der anthropologisch-ethnographischen Disziplin steht. Charakteristisch hierfür sind Aufzeichnungspraxen, die Kolonialisierte als unberüht von äußeren Einflüssen (wie etwa jenen des Kolonialismus) darstellen und sie mit den Attributen ursprünglich, edel und wild versehen. Die Figur des „Edlen Wilden“ sei, so Ruth Noack, letztlich eine „eurozentristische Erfindung“, die
„für ein von uns definiertes Anderes steht, über das zu reden wir vorgeben, während wir über uns selbst sprechen“ (Noack 1997: 187).
Über Österreich selbst sprechen auch die zeitgenössischen medialen Rezeptionen. Die Identifikation funktioniert hier wesentlich über Abgrenzungen: zum einen zu Afrika, als Gegenpol
entlang binär und hierarchisch organisierter Kategorien der Differenz; zum anderen zu westlichen Ländern, insbesondere jenen der noch im Land befindlichen Alliierten Administration. Letztlich dokumentiert die mediale Berichterstattung über Omaru den Versuch, Österreich vor dem Hintergrund der NS-Vergangenheit gegenüber den alliierten Mächten als weniger rassistisch und moralisch integer zu rehabilitieren.



Dieser Text erscheint in Bildpunkt. Zeitschrift der IG Bildende Kunst, Wien, Winter 2008/2009, „Die Macht des Faktischen“.

Literatur:

Hall, Stuart: Die Konstruktion von „Rasse“ in den Medien [1981], in: ders.: Ideologie Kultur Rassismus, Hamburg/Berlin 2000, S. 150-171.

Midel, Monika: Fulbe und Deutsche in Adamaua (Nord-Kamerun) 1809-1916. Auswirkungen afrikanischer und kolonialer Eroberung, Frankfurt a. M./Bern/New York/Paris 1990.

Noack, Ruth: Die unmögliche Agentin kolonialer Repräsentation. Leni Riefenstahl in Mike Sales „Nigga‘ Luvva‘", in: Annegret Friedrich et.al. (Hg.): Projektionen. Rassismus und Sexismus in der Visuellen Kultur, Marburg 1997, S. 183-192.

Zwilling, Ernst Alexander: Unvergessenes Kamerun. Zehn Jahre Wanderungen und Jagden 1928-1938, Berlin 1940.