Die beratene Republik

Seit Wochen nun schon wird auf uns eingeplappert, wir befänden uns in einem
»Superwahljahr«. Allerdings wird sich erst zeigen müssen, ob die medial so
Malträtierten das auch so sehen, denn irgendwann werden sich die Parteien
nicht mehr hinter hinzugewonnenen Prozenten verstecken können, irgendwann
wird wohl auch in Deutschland ernsthafter über die stetig sinkende
Wahlbeteiligung gesprochen werden müssen. Superwahljahr hin, Superwahljahr
her. Da dürfte noch vieles unklar sein. Doch eine Spezies gehört schon
jetzt – egal, wie die Ergebnisse der diversen Wahlen ausfallen werden – zu
den Gewinnern: Es sind die Berater.


Mir fehlt der aussagekräftige Überblick, und ich kann aus diesem Grunde
auch nicht darüber befinden, ob in anderen europäischen Ländern das Beraterwesen
auch so floriert wie hierzulande. Aber sollte der Grund für das Florieren
nicht allein im ungebremsten Abzockerdrang von Beraterfirmen- und -agenturen
und ihrer Beschäftigten, sondern vorwiegend im intellektuellen Unvermögen
der Politiker liegen, ihre Angelegenheiten zu regeln und Ideen und dergleichen
zu produzieren – dann armes Deutschland.


Doch so einfach wird das wohl alles nicht sein. Wahrscheinlich haben wir
es eher mit einem für beide Seiten einträglichen Zusammenspiel zu tun, das
auf die einfache Formel zu bringen wäre: Ich helfe dir dabei, Minister – oder
Abgeordneter oder sonstwas … – zu werden –, und du hilfst mir dabei, daß
ich dir helfen darf.

Davon können dann alle gut leben, sehr gut. Beraterhonorare können immens
hoch ausfallen. Wobei nicht ausgeschlossen werden darf, daß gelegentlich auch
Beratungen stattfinden, die jene, die beraten werden, nichts kosten. Als Hans-
Olaf Henkel, früherer Chef des Bundesverbandes der Deutschen Industrie,
letztens in der Financial Times Deutschland das Gerücht dementierte, er träte
im Juni bei der Europawahl für die Freien Wähler an, ließ er durchblicken, er
sehe sich »eher als Berater denn als Teil eines Wahlkampfes«. Es ist mir – momentan
– nicht vorstellbar, daß Henkel den Freien Wählern einen Beratervertrag
über den Tisch schiebt, obwohl auch in seinen Kreisen ein kleines Zubrot
bekanntlich nicht verachtet wird, siehe Klaus Zumwinkel. Aber Henkels Beratung
dürfte sich wohl eher im Rahmen gönnerhafter oder jovialer oder gesinnungsverwandter
Hinweise, Ratschläge und Hilfestellung bewegen.


Anders liegt der Fall bei SPD-Kanzlerkandidat Frank-Walter Steinmeier.
Der muß jetzt als Kandidat Volksverbundenheit lernen und wird deshalb laufend
nach Brandenburg/Havel geschickt. Dort ist sein Wahlkreis. Und wenn
man sieht, was der arme Mann dort alles sagen und tun muß, mit wem er reden
und wessen Hände er schütteln muß, wozu er alles eine Meinung haben
soll – Peinlichkeit auf Peinlichkeit. Da ist für uns als Zuschauer eins um andere
mal »Fremdschämen« angesagt. Wenn ich Steinmeier auf Volkstour in
Brandenburg sehe, erinnere ich mich immer an meinen Philosophieprofessor
Heinnrich T., den wir aus den Vorlesungen nur mit Fliege kannten (die zu ihm
paßte!), und der sich ein kariertes Baumwollhemd antat, wenn er uns Studenten
in den Elekro Apparate Werken Berlin-Treptow besuchen kam, wo wir am
Fließband Arbeiterklasse auf Zeit lernen sollten. So ähnlich wie jetzt fortwährend
Frank-Walter Steinmeier in Brandenburg Brandenburg lernen soll.
Seine Berater sind offenbar ihr Geld wert, und sie fühlen sich verpflichtet,
sich ständig Neues auszudenken. Das steht vermutlich sogar im Vertrag. Jetzt
nun fiel ihnen ein, ihrem Kunden zu empfehlen, auf seinen Zweitvornamen zu
verzichten – ab sofort sollen wir es also nur noch mit Frank Steinmeier zu tun
haben. Dadurch soll er, schrieben Zeitungen, dem Wahlvolk zugänglicher gemacht
werden.


Das glauben mit Sicherheit nicht einmal die, die sich das ausdachten. Die
tun garantiert nur so. Und alle tun mit.
Zwar ist – entgegen sich immer mehr verbreitender Auffassung – das Internet
kein Beweis, aber als Indiz mag es durchaus taugen. Unter dem – zugegeben
groben – Stichwort »Politikberatung« gibt es immerhin 163 000 google-
Treffer. Hinter dieser Zahl stecken viele, viele »Einzelkämpfer«, deren auf
ihren Websites angebotenen Leistungen und die auf den Sites veröffentlichten
Lebensläufe und Berufsstationen darauf hindeuten, wie zahlreich sich studier-
te Kommunikations- und Medienleute beratend durchzuschlagen versuchen.
Es finden sich jedoch auch welche, die Erfolgsbiographien ahnen lassen.
Zu diesen Erfolgreichen gehören auch die, die in Ministerien und Parteivorständen
ein- und ausgehen. Wir erinnern uns an den Vorfall, der vor längerem
ein kurzzeitiges Skandälchen auslöste, als bekannt wurde, daß in manchen
Ministerien Lobbyisten sogar einen Schreibtisch hätten … Der Berufsverband
der Politikberater ist die Deutsche Gesellschaft für Politikberatung (degepol).
Sie besteht seit 2002. Da dem Wort »Lobbyist« in Deutschland ein
Hautgou´`t anhaftet, kommt diese Vokabel in Reden und Veröffentlichungen
der degepol-Vertretern relativ selten vor, und wenn, dann in etwas abgewandelter
Form. Es wird lieber von Interessen geredet; im Ergebnis kommt das
zwar auf das gleiche raus, hört sich aber – jedenfalls in Deutschland – besser
an. Dazu beispielhaft Dominik Meier, Vorsitzender der degepol: »Politiker
und Parteien öffnen sich zunehmend für externe Beratungskompetenz, aber
auch Unternehmen und Verbände sind an strategischer Politikberatung interessiert,
um sich und ihre Interessen besser vermitteln zu können. Politikberater
sind erst einmal Mittler zwischen Gesellschaft, Wirtschaft und Politik. Die
traditionelle Unterscheidung zwischen ›wissenschaftlicher‹ und ›praktischer
(lobbyistischer)‹ Politikberatung läßt sich nicht mehr halten. Politikberatung
ist letztlich Interessenvertretung. Politikberatung bezeichnet die Beratung von
Entscheidungsträgern, die politisch legitimierte Macht ausüben. Egal ob Wissenschaftler
oder politische Kampagnenexperten beraten, sie beraten, um zu beeinflussen.
« An anderer Stelle verlautbart die Beratervereinigung, es zeichne
sich »immer deutlicher eine Nachfrage nach einem individuellen Lobbying
ab, was die Nachfrage nach externer Politikberatung steigen« lasse. Diesem
Sog kann sich scheinbar keine politische Farbe entziehen, im Dezember vorigen
Jahres war beispielsweise Gregor Gysi zu Gast bei der degepol.


Und weil die Lage so ist, wie sie ist, muß Steinmeier jetzt Frank genannt
werden. Die beratene Republik eben.