Verbotene Öffentlichkeit

in (30.03.2009)
»Erste Stadt-Tochter will öffentlich tagen« und »Der Transparenz-Durchbruch: Event-Aufsichtsrat rückt von den geheimen Sitzungen ab« titelte die Passauer Neue Presse am 11. März 2009 in ihrem Lokalteil. Eine hundertprozentige städtische Tochter, eine Veranstaltungsgesellschaft mit dem modischen Firmennamen »Event-GmbH«, war wegen jährlicher Millionenverluste in Mißkredit geraten. Die Geschäftsführer - zwei ehemalige städtische Beamte - bezogen das Drei- bis Vierfache ihrer früheren Besoldung, verschafften aber der Firma aus dem Betrieb einer Eishalle und aus der Organisation von Bällen und Messen in der Stadthalle nur niedrige Einnahmen. Ergebnis ist ein finanzielles Desaster. Aber der - ausschließlich mit Stadträten besetzte - Aufsichtsrat will zumindest künftig die Karten auf den Tisch legen und grundsätzlich öffentlich tagen.

Das ist eigentlich verboten. Denn dieses städtische Veranstaltungsbüro ist der Sache nach nichts anderes als eine kommunale Einrichtung. Für Gremiensitzungen müßte daher Kommunalrecht gelten, das die Öffentlichkeit von Sitzungen nicht nur zuläßt, sondern ausdrücklich vorschreibt. Sobald aber die Organisationsform der Gesellschaft mit beschränkter Haftpflicht (GmbH) gewählt wird, gilt Gesellschaftsrecht. Dort ist die Öffentlichkeit bei Gremiensitzungen ausdrücklich per Gesetz ausgeschlossen. Die Mitglieder der Aufsichtsgremien sind sogar zum Stillschweigen verpflichtet. Darüber setzen sich, wie neuerdings in Passau, immer mehr Städte im bewußten Gesetzesungehorsam einfach hinweg. Sie vertrauen auf das alte Sprichwort »Wo kein Kläger, da kein Richter« und gehen - vermutlich zutreffend - davon aus, daß sich schon niemand an der Öffentlichkeit der Aufsichtsratssitzungen stören wird. Unpopulär war ja verständlicherweise die bisherige Mauschelei.

Kleinkram aus der Provinz? Dahinter steckt mehr. Schon lange lief nämlich eine Debatte darüber, ob Kommunen aus Effizienz- und Kostenersparnisgründen Einrichtungen der Daseinsvorsorge privatisieren sollen, oder ob dies - insbesondere wegen des damit verbundenen Verlustes an demokratischer Einflußnahme - genau der falsche Weg sei. In Zeiten der Wirtschaftskrise scheint die Tendenz wieder dahin zu gehen, den Bezug von Strom, Gas und Wasser oder den öffentlichen Personennahverkehr lieber in öffentlicher als in privater Verantwortung zu belassen.

Unabhängig von dieser prinzipiellen Weichenstellung gab es seit langem reine »Organisationsprivatisierungen«, bei denen Betriebe der Daseinsvorsorge zwar in kommunaler Hand bleiben, aber in der Rechtsform einer Aktiengesellschaft oder GmbH geführt werden. Hier hat die Politik zwar weiterhin eine maßgebliche Mitsprache, denn die Aufsichtsgremien kommunaler Gesellschaften werden üblicherweise mit Kommunalpolitikern besetzt. Diese stehen dann allerdings in dem Zwiespalt, laut Gesellschaftsrecht den Geschäftsinteressen der GmbH verpflichtet zu sein, als Stadträte aber das Allgemeinwohl vertreten zu sollen. Dieses Spannungsverhältnis zeigt sich beispielsweise bei einer betriebswirtschaftlich vielleicht gebotenen, aber sozial- und verkehrspolitisch problematischen Erhöhung der Bus- und U-Bahn-Tarife.

Vor allem stößt die fehlende Transparenz der Entscheidungsfindung in den Aufsichtsgremien kommunaler Gesellschaften auf breite Kritik bei Bürgerinnen und Bürgern. Dieses Unbehagen hat der Bayerische Verfassungsgerichthof am 26. Juli 2006 in einer Grundsatzentscheidung aufgegriffen. Sie betraf unmittelbar das Fragerecht des Parlaments bezüglich der Vorgänge in privatisierten Unternehmen. Hierzu stellte der Bayerische Verfassungsgerichtshof den Leitsatz auf: »Die parlamentarische Kontrolle erfaßt nicht nur das Tätigwerden der Staatsverwaltung in den Formen des öffentlichen Rechts. Sie erstreckt sich auf jegliche Staatstätigkeit, auch soweit sie sich privatrechtlicher Unternehmensformen bedient.«

Diesen Rechtsgedanken des Vorrangs des Öffentlichkeitsprinzips hatte auch der Bayerische Verwaltungsgerichtshof in einer Entscheidung vom 16. Mai 2006 herangezogen. Dort wurde ausgeführt, daß es zumindest zulässig sei, Tagesordnungspunke der Aufsichtsratssitzungen kommunaler GmbHs vorweg bekannt zu geben.

Dennoch bleibt die Rechtsunsicherheit, daß nun einmal GmbH-Gesetz und Aktiengesetz keine Ausnahmen für kommunale Gesellschaften kennen und daher über jeder öffentlichen Gremiensitzung das Damoklesschwert der Rechtswidrigkeit schwebt. Daher hat sich der Bundestag am 5. März 2009 zum wiederholten Male mit der Frage befaßt, ob man nicht durch Bundesgesetz eine eindeutige Erlaubnis für die Öffentlichkeit von Sitzungen der Aufsichtsräte kommunaler AGs und GmbHs einführen müßte. Anlaß hierfür war ein Antrag der Grünen, nachdem CDU/CSU und SPD früher bereits ein ähnliches Anliegen der FDP als überflüssig abqualifiziert hatten.

In der Debatte stellte die Abgeordnete Katrin Kunert (Linkspartei) eine Unterstützung des grünen Antrags in Aussicht, betonte aber, daß ihrer Ansicht nach die Herstellung von Öffentlichkeit alleine keine hinreichende Voraussetzung sei, um öffentlichen Einfluß und öffentliche Kontrolle zu ermöglichen. »So sind wir der Auffassung, daß das GmbH-Gesetz auch dahingehend geändert werden müßte, daß bei Unternehmen in privater Rechtsform, die öffentliche Aufgaben der Daseinsvorsorge erfüllen, Gemeinwohlinteressen über Geschäftsinteressen stehen müssen«, erklärte Frau Kunert.

Das mag durchaus richtig sein. Doch viele Kommunen haben das GmbH-Recht als Organisationsform aus steuerrechtlichen Gründen genutzt. Solange dies so bleibt, gibt es auch ein Bedürfnis nach einer sauberen Lösung des Transparenzproblems. Dazu ist die große Koalition nicht bereit. Mit praxisfernen Argumenten verneinten CDU/CSU und SPD auch in der Debatte vom 5. März 2009 jeglichen Regelungsbedarf. Eine gewisse Abgehobenheit von Bundespolitikern, die sich zu gut dafür sind, sich mit popeligen kommunalen Problemen zu beschäftigen, schimmerte da durch.

Daher wird wohl den Grünen das übliche Schicksal der Opposition beschieden sein. Ihr Antrag wird von der großen Koalition abgelehnt werden. Das ist ein Versagen des Gesetzgebers. Den Kommunen bleibt anscheinend nichts anderes übrig, als sich in einem Anflug von zivilem Ungehorsam eigenes Recht zu schaffen.