Geistige Kofferträger

Kommentar zum Thema Nachwuchspolitiker

Wo sind sie - die auffälligen, unkonventionellen, unangepassten Nachwuchspolitiker? Wo sind die jungen, engagierten – ich wage den Begriff, auch wenn er altmodisch klingt - Idealisten, die für ihre Inhalte kämpfen und anecken. Wer ist daran schuld, dass in allen Parteien kaum noch Nachwuchs vorhanden ist und die Jugendorganisationen implodieren? Zu Recht kennt man sie kaum, die jungen Politiker und Politikerinnen. Ich habe den Eindruck, dass die meisten, die sich heute engagieren, sich vorwiegend mit ihrer innerparteilichen Karriere beschäftigen, statt mit ihren Visionen. Sie sind angepasst, viele von ihnen sind geistige Kofferträger (auch physische). Viel zu früh konzentrieren sie sich auf Politik als Beruf, statt einen richtigen Beruf zu erlernen und auszuüben. Viel zu früh wird das existentielle Überleben gekoppelt mit der politischen Tätigkeit. Dadurch sind sie noch anfälliger für Maulkörbe und werden konsequent inhaltlich unauffällig.

Es stimmt zwar, dass die Domestizierung der Parteiapparate gewachsen ist. Es stimmt auch, dass die Entpolitisierung der Gesellschaft dazu geführt hat, dass intensive, intellektuelle und inhaltliche Debatten mit einem idealistischen Ziel keine Konjunktur haben – aber seit wann interessiert das die Jugend? Man kann zu den 68ern stehen wie man will. Man kann die außerparlamentarische Opposition der 70er Jahre kritisch beäugen. Aber sie waren ein Stachel im Pelz der Gesellschaft und der Parteien. Es ist keine nostalgische Verklärung, wenn man feststellt, dass die Jusos bei der SPD und die grüne Bewegung vor allen Dingen junge Menschen motiviert haben. Traurig ist, dass diese ehemaligen jungen, heute etablierten Politiker, anscheinend den nächsten Generationen genauso autoritär und spießig entgegentreten, wie man es mit ihnen gemacht hat.

Trotzdem: Seit langem sind die Herausforderungen und Umwälzungen nicht so grundsätzlich gewesen wie in der Gegenwart. Die Globalisierung, die Neujustierung der sozialen Marktwirtschaft, die Frage der Gerechtigkeit, der Umwelt, der Terrorismus, der Umgang mit Schuldenstaaten und Diktatoren und die Erweiterung der europäischen Idee sind nur wenige Stichworte. Neues Denken, unbequemes Denken, teilweise auch schräges und unerträgliches Denken ist gefragt. Auch eine Portion Naivität, gepaart mit Unerfahrenheit und der rosaroten Brille junger Seelen und Blickwinkel müssen das fest zementierte Denken der Älteren ergänzen und erschüttern. Über- und außerparteiliche „think tanks“ sind notwendig, Permeabilität statt sture Pragmatik. Wertedebatten außerhalb des Üblichen. Überraschendes. Aufregendes. Eigentlich paradiesische Umstände für junge politische Menschen, sich nach innen und außen darzustellen.

Eine demokratische Gesellschaft hat keine Zukunft, wenn sie dieses Entwicklungs- und Protestpotential nicht hat. Vielleicht ist das eines der Hauptgründe für die Lähmung Deutschlands. Eine dicke, klebrige Paste paralysiert die politische Kultur. Daran ist nicht nur die große Koalition schuld, sondern diejenigen, die es nicht nutzen, gerade in solch einer Phase durch seriöse, aber trotzdem unkonventionelle Gedanken aufzufallen.
Natürlich besteht die Gefahr, dass solches Denken schnell durch die vielen Etablierten und Ängstlichen mit harten Knüppeln weggerückt wird. Aber wem, wenn nicht den Jüngeren müsste das egal sein. Ich jedenfalls wünsche mir eine lebendige Generation von Nachwuchspolitikern, die weitaus mehr an ihren Idealen, als an ihrer Karriere arbeitet.