Wohnen in Rosa



Alternative und veränderte Lebensentwürfe bringen auch eine Vielzahl an neuen Wohnformen hervor. Eine Auseinandersetzung mit (Wohn-)Raum, Macht und Geschlecht.

Herr B. fühlt sich diskriminiert. Er hatte bei der Wohnbauvereinigung der Gewerkschaft für Privatangestellte (GPA) für eine geförderte Wohnung in einer Anlage im 22. Wiener Gemeindebezirk angefragt. Und war laut eigener Aussage mit der Begründung abgewiesen worden, Mietverträge würden ausschließlich an Frauen vergeben. Bei der Wohnanlage in der Anton-Sattler-Gasse handelt es sich um das Frauenwohnprojekt [ro*sa] Donaustadt. Herr F. hat Beschwerde bei der Gleichbehandlungskomission eingelegt.(1)


Überkommene Raumhierarchien. ?Der Traum vom Einfamilienhaus als dem Wohnmodell für mittelständische, heterosexuelle Kleinfamilien in „Suburbia“ hat noch lange nicht ausgedient, sondern wird ständig medial reproduziert. Er hat aber seinen normativen Schrecken verloren. Die feministischen und linken WGs der 1970er Jahre sind zwar längst renoviert, haben aber dazu beigetragen, dass es nicht mehr nur einige wenige Möglichkeiten gibt, Wohnen und Leben zu gestalten.?
Durch die demografische Entwicklung wird es in den westlichen Industriestaaten zukünftig insgesamt weniger und ältere Menschen geben, die heterogene, individualistische Lebensstile pflegen. Immer mehr Haushalte sind sogenannte Woman-Headed-Households. Und als solche, gleich ob es sich um allein lebende, allein erziehende oder in Gemeinschaft lebende Frauen handelt, besonders armutsgefährdet.(2)
Mit dem Aufbrechen der traditionellen Kleinfamilien-Haushalte kommen auch noch weitere, nur vermeintlich banalere Probleme hinzu. Denn die verfügbaren Wohnungen orientieren sich an den Bedürfnissen herkömmlicher Familienkonstellationen. Sie sind immer noch zu einem großen Teil von Männern geplant, gebaut und gehen in den Besitz von Männern über. Den Frauen bleibt die Rolle der „Frau des Hauses“ – und das hat mehr mit Haus-Haltung als mit -Gestaltung zu tun. Den alternativen Wohnformen stehen kaum adäquate Wohnräume gegenüber: Sie sind zu groß, zu klein, zu teuer. Und wie selbst ein großes schwedisches Möbelhaus bereits erkannt hat: Wohnen bedeutet noch lange nicht leben. ?
Das Dekonstruieren von geschlechterspezifischer Hierarchisierung im Privaten war eines der Hauptanliegen der Zweiten Frauenbewegung und brachte auch innenarchitektonisch zahlreiche Veränderungen: Die oft kleine, abgeschiedene Küche hat sich in einen gemeinsamen Bereich von Küche, Flur und Wohnzimmer verwandelt und ist heute auch Ausdruck von gewandelten Beziehungen zwischen den Geschlechtern und zu Kindern. Das große Wohnzimmer wird weniger repräsentativ, sondern variabel genutzt, in ehemaligen engen Elternschlafzimmern und Kinderzimmern im hinteren Teil der Wohnung oder im Dachgeschoss wird heute auch meditiert oder gearbeitet. Wände verschwinden bei denen, die es sich leisten können.


Partizipative Planung. ?Diverse Frauenwohnprojekte bieten nicht nur Räume zum Wohnen, sondern eben auch zum Leben. Zwei davon sind die [ro*sa]-Projekte in Wien. Die Idee kam von der Architektin Sabine Pollak, die auch die Wohnanlage in der Donaustadt entworfen hat. Bereits in der Planungsphase wurde Wert darauf gelegt, dass die späteren Bewohnerinnen ihre Wünsche und Bedürfnisse einbringen konnten. Die Anlage Kalypso mit 41 Wohnungen und einem Büro liegt im Stadtteil Kabelwerk in Meidling und wird Mitte August bezugsfertig sein.(3) Die zweite Anlage in Donaustadt wird diesen Winter fertiggestellt und bietet 38 Mietwohnungen und ein Büro.(4)
„Es schafft Raum für Frauen, Frauen entscheiden und führen das Wort, die Macht- und Besitzverhältnisse liegen in Hand der Frauen, Frauen sollen die Planung mitbestimmen“, fasst Sabine Pollak die Ziele zusammen.(5) Gerade die Tatsache, dass Wohnraum traditionell in Männerhand ist – „Haus bauen, Baum pflanzen, Sohn zeugen“ ist für manche immer noch der biblische Leitfaden zur Mann-Werdung –, macht Frauen abhängig und schwächt ihre Stellung, etwa wenn es zu einer Trennung oder Scheidung kommt. In den beiden [ro*sa]-Anlagen werden die Wohnungen bevorzugt an Frauen vergeben, sie unterschreiben dann auch den Mietvertrag. Falls beide PartnerInnen einer heterosexuellen Partnerschaft darauf bestehen, wird der Mietvertrag mit beiden abgeschlossen.(6) In der Planungsphase können Männer ihre Wünsche durch ihre Partnerin einbringen, in den Hausversammlungen sind alle stimmberechtigt.

Multiple Lebensentwürfe?.
Baulich wurde den Bedürfnissen der Frauen auf vielfältige Weise Rechnung getragen. Barrierefreiheit und Kinderfreundlichkeit beziehungsweise Kindersicherheit sind in den Häusern das, was sie sein sollten: selbstverständlich. Eine durchgehende breite Galerie, eine Dachterrasse mit Gemeinschaftsgarten und Pergola, ein Garten mit Kleinkinderbereich und eine Werkstatt im Gartengeschoss ermöglichen Gemeinschaft und Austausch. Die Wege sind einsehbar, die Tiefgarage ist tageslichtbeleuchtet.?Die Wohnungen passen sich den verschiedensten Wohn- und Lebensentwürfen so flexibel wie möglich an: Es gibt Lofts ebenso wie Wohngemeinschaften, große Wohnungen sind teilbar und haben teilweise zwei Eingänge. Statt dem großen Kleinfamilien-Wohnzimmer und der kleinen Küche gibt es nun offene Wohn-Koch-Essräume. Erwachsenen- und Kinderzimmer sind neutral und gleich groß, statt überdimensionierte Wohnräume zu entwerfen wurden alle Zimmer möglichst geräumig gehalten. Die Anlage bietet darüber hinaus genügend Gemeinschaftsräume. Die Architektur unterstützt die Gemeinschaftsbildung, wie man sie sich – nicht ohne eine große Portion Nostalgie – bei früheren Bauern-Großfamilien vorstellt: Jede/r hilft jeder/jedem, um Kinder und Alte kümmert sich die Gemeinschaft.?
In Meidling und der Donaustadt gehört die Solidarität zum Konzept. Die Wohnungen sollen an Frauen mit oder ohne Kinder, mit oder ohne PartnerIn, mit Migrationshintergrund, mit Gewalt- erfahrung, mit besonderen Bedürfnissen oder mit Assistenzbedarf vergeben werden. Besonders auch ältere Frauen, die aufgrund geringerer Pensionen Schwierigkeiten haben, eine passende Wohnung zu finden, bekommen die Möglichkeit, selbstbestimmt und unter Gleichaltrigen ebenso wie unter Jüngeren und Kindern zu altern.


Wohnen im Alter. ?„Wie können wir ein würdiges Leben im Alter schaffen, ohne über Reichtümer zu verfügen und unsere Selbstständigkeit aufzugeben?“, haben sich auch die Frauen des Hamburger Projekts Arche Nora gefragt. In 34 Wohnungen in drei Wohnanlagen leben Frauen autonom, aber zugleich eingebunden in eine Gemeinschaft, die Unterstützung ebenso wie soziale Kontakte bietet. Weiblichen Singles in der Großstadt Hamburg wird so die Möglichkeit geboten, eigenständig zu leben, ohne deshalb zu vereinsamen. Besonderes Augenmerk wird auf das Älterwerden gelegt: Die Arche Nora bietet den Frauen einen Ort, an dem sie nach ihren Vorstellungen alt werden können.(7)
Zwischen 33 und 88 Jahren sind die Bewohnerinnen des Beginenhofes in Berlin, die Hälfte Rentnerinnen, die Hälfte berufstätig. Über Aufteilung und Ausstattung der Wohnungen entscheiden die Frauen hier selbst, unterschiedliche Größen tragen den verschiedenen finanziellen Möglichkeiten Rechnung. Achtsamkeit und nachbarschaftliche Hilfe untereinander sind von großer Bedeutung, neben ehrenamtlichen Tätigkeiten (Hospiz, Berliner Tafel, Lesepatinnen etc.) wollen die Frauen auch auf ihren Stadtteil Einfluss nehmen, indem sie ihr Haus für öffentliche Veranstaltungen öffnen. Das Interesse ist groß, in Berlin wie anderswo. Aufgrund zahlreicher Anfragen planen die Berlinerinnen ein zweites Projekt.(8)


Macht, Geschlecht, Raumordnung?. So unterschiedlich wie diese Projekte ist auch die Vielfalt feministischer Ansätze, den öffentlichen und privaten Raum zu besetzen. Gender-Aspekte haben, zumindest im universitären Rahmen, einen Platz in der Ausbildung von ArchitektInnen und RaumplanerInnen gefunden, neuer Wohnraum wird heute egalitärer geplant und vorhandener wird, auch innerhalb von Familien, flexibler gestaltet. Dennoch ist die Benennung neu entstandener Straßen mit Namen von Frauen ebenso wenig „normal“ wie eine egalitäre Mitwirkung weiblicher Arbeiterinnen, Planerinnen und Architektinnen bei Bauvorhaben.
Macht, Geschlecht und Raumordnung sind unmittelbar miteinander verwoben und selbstverständlicher Bestandteil der Umgebung, des Alltags, der Stadt. Die komplexen Machtbeziehungen haben viele Gesichter und zeigen sich u.a. auch an den kreditgebundenen Eigentumsverhältnissen. ?Parallel lassen sich durch den Einfluss von Gender-Mainstreaming-Ansätzen sowie die wachsende Zahl und zunehmende Akzeptanz neuer Familienformen verschiedenste frauenspezifische Wohn- und Bauprojekte erkennen. Was früher als speziell „frauenfreundliche“ und andere Zielgruppen-spezifische Maßnahme gedacht war, etwa die Renovierung dunkler Tiefgaragen oder Einrichtung zentraler Koch- und Wohnräume, kommt inzwischen unter dem Schlagwort „alltagsgerecht“ allen BewohnerInnen zugute: Gemeinschaftsplätze, Einbeziehung von Tageslicht, Verbesserung der Infrastruktur, Anbindung an öffentliche Verkehrsmittel und Carsharing, Grünflächen und barrierefreie Zugänge.


BewohnerInnenfreundliches Bauen. ?Auch ohne es explizit als „frauenfreundlich“ auszuweisen, versuchen ArchitektInnen heute verstärkt, benutzerInnenfreundlich zu bauen. Wer die nötigen finanziellen Mittel hat, kann sich das dann auch leisten. Neuere Wohnungen, die nicht das Label „für Frauen“ tragen, bieten Wohnküchen; Gemeinschaftsräume sind in entsprechenden Mehrparteienhäusern wenn schon nicht vorhanden, so zumindest erwünscht. ?Wohnanlagen „für Frauen“ reagieren auf jene differenzierten Bedürfnisse, die aus ungleichen Machtverhältnissen, wie sie sich auch räumlich ausdrücken, resultieren. Zugleich laufen sie jedoch Gefahr – wenngleich ungewollt –, traditionelle Geschlechterdifferenzen zu stützen. Denn Frauenwohnanlagen implizieren, dass Frauen gesonderte und vor allem geschützte Räume brauchen. Und die Deklaration einer Wohnküche als „frauenfreundlich“ weist den Frauen wieder einmal den angestammten Platz am Herd zu. Die Konzentration auf das Geschlecht unterschlägt, worum es eigentlich gehen sollte: individuelle Bedürfnisse und möglichst lebenswertes Wohnen. Für Alle. ?„BewohnerInnenfreundlich“ statt „frauengerecht“ sollte daher vielleicht die erweiterte Forderung sein, um – nicht nur – Frauen ein lebenswertes Wohnumfeld zu ermöglichen. Und auch ökonomisch oder sozial Schwächere einzuschließen. ?Eines sollte dabei dennoch nicht vergessen werden: Es waren Frauen, die die Initiative zu den diversen Wohnprojekten ergriffen haben.?Die Beschwerde von Herrn B. wird noch verhandelt. Eine [ro*sa]-Wohnung wurde mittlerweile an einen Mann vergeben: Das Wohnservice Wien entscheidet unabhängig von der Geschlechtszugehörigkeit über die Vergabe von einem Drittel der in der [ro*sa]-Anlage verfügbaren Wohnungen.

(1) Der Standard, 20.4.2009
(2) Ruth Becker: Lebens- und Wohnformen: Dynamische Entwicklung mit Auswirkungen auf das Geschlechterverhältnis. In: Handbuch Frauen- und Geschlechterforschung. Theorie, Methoden, Empirie. Hg. Von Ruth Becker und Beate Kortendiek. ?Wiebaden 2004.?
(3) www.frauenwohnprojekt.info
(4) www.frauenwohnprojekt.org; in beiden Projekten sind noch Wohnungen frei?
(5) Siehe an.schläge 04/2003?
(6) Stellungnahme des Vereins [ro*sa] Donaustadt zum Antrag auf Einleitung eines Verfahrens wegen Verletzung des Gleichbehandlungsgebotes GBK III/42/09
(7) www.archenora.de
(8) www.beginenwerk.de


Dieser Artikel erschien in: an.schläge, das feministische Magazin, www.anschlaege.at