Die Integration der Linkspartei im parlamentarischen System

Von nun an geht's bergab!

Sucht noch jemand einen ganz wichtigen Posten? Vielleicht gleich zwei? Oder gar drei? - Da sind Sie aber reichlich spät dran. Vor ein paar Monaten wäre das bei den Linken kein Problem gewesen.

Die suchten für die NRW-Kommunalwahl am 30. August 2009 noch händeringend KandidatInnen. - Aber keine Angst, nach der Wahl sind noch etwa 10 Ausschusssitze pro Stadt zu vergeben. Leider bei einer kleineren Partei in der Regel ohne Stimmrecht, aber reden darf man dort ohne Ende. Wie wäre es mit dem knallroten Feuerwehrausschuss? Oder dem Beschwerdeausschuss?

Die Linke hat in NRW etwa 8.200 Mitglieder. Bei einem Ergebnis von durchschnittlich fünf bis siebenProzent würden in den Bezirksvertretungen, Stadträten mit Ausschüssen und in den Kreisen bis zu 2.000 Mandate zu besetzen sein. Etwa jedes halbwegs aktive Mitglied hätte dann eine oder mehrere parlamentarische Funktionen einzunehmen. Diese kämen zu den zahlreichen auszuübenden Parteiämtern noch hinzu. Die meisten von den KandidatInnen wissen nicht einmal jetzt kurz vor der Wahl, worauf sie sich eingelassen haben, und durchlaufen gerade einen Schnellkurs in Staatsbürgerkunde. Viele wurden innerhalb weniger Wochen regelrecht überredet und gedrängt zu kandidieren. Enttäuschung und Ernüchterung sind für die nächsten Jahre vorprogrammiert. Sie hätten es aller­dings besser wissen können, wenn sie ein paar­mal als ZuschauerInnen an den Sitzungen teilgenommen und sich mit den beschränkten Kompetenzen des jeweiligen Gremiums vertraut gemacht hätten. Demnächst werden diese Kandida­tInnen also mit ChristdemokratInnen darüber diskutieren, ob der 5.000 Euro-Zuschuss für einen Schießstand des Schützenvereins hoch genug ausgefallen ist. Oder mit Erschrecken feststellen müssen, dass die von ihnen beantragte Fußgän­gerampel an einer Hauptverkehrsstraße gar nicht in ihren Entscheidungsbereich fällt. Eine ergebnisoffene landesweite parteiinterne Debatte, ob und unter welchen Bedingungen bestimmte Kandidaturen sinnvoll sein könnten, hat es nicht gegeben. Im Jahr 2009 ist Kommunalwahl und hierfür werden KandidatInnen aufgestellt, basta. In den Kommunalparlamenten werden die Anträge der Linken über einen längeren Zeitraum hinweg von der Mehrheit niedergestimmt. Das Medieninteresse konzentriert sich erfahrungsgemäß auf nicht ausgelassene Fettnäpfchen bei den ersten parlamentarischen Gehversuchen, interne Kompetenzstreitigkeiten und Koordinationsprobleme, persönliche Querelen oder sich danebenbenehmende Busengrabscher.

Das durchbürokratisierte parlamentarische Räderwerk verschlingt eine Unmasse an Zeit und Energie. Ratssitzungen dauern oft über sechs Stunden, Haushaltsplanberatungen noch viel länger. Die Vorbereitungen auf diese Sitzungen bestimmen den Arbeitsrhythmus der ParlamentarierInnen wie die Jahreszeiten denjenigen des Bauern. Für wichtige außerparlamentarische Mo­bilisierungen und Aktionen bleibt kaum noch Zeit, weil kiloweise Verwaltungsvorlagen, Stellungnahmen und Anträge durchgearbeitet werden müssen. Das Erkennen von Wichtigem und Unwichtigem verlangt viel Erfahrung und Ver­waltungsfachwissen. Nur wer fest in Bürgerinitiativen und Basisgruppen verankert ist, kann sich der Integration in den parlamentarischen Alltag und dem damit einhergehenden Konformitätsdruck erfolgreich widersetzen. Doch kaum jemand schafft es, über einen längeren Zeitraum hinweg auf zwei Hochzeiten gleichzeitig zu tanzen. Eine Seite kommt irgendwann zu kurz. Ein Teil der linken Kom­munalpolitikerInnen wird schon bald an dieser Situation verzweifeln und sich zurückziehen. Ein anderer Teil wird sich mit den herrschenden Verhältnissen arrangieren und nach ein paarJahren vielleicht eine Koalition mit der SPD eingehen. Das niederschmetternde Ergebnis dieser Anpassung ist bereits in den östlichen Bundesländern zu besichtigen. Mit Phasenverzug wird es auch im Westen so kommen. Die alte WASG musste sich gezwungenermaßen - einschließlich gewisser Unzulänglichkeiten - zunächst außerparlamentarisch und in Gewerk­schaftsnähe betätigen. Die kommende Kommunalwahl bewirkt jetzt einen grundlegenden Umbau dieser nur vorläufigen Struktur und Arbeitsweise. Aus dem anfänglich vielfältigen und lebendigen Protest gegen Hartz IV wird auf kommunaler Ebene in fast jeder Stadt eine Linksfraktion entstehen, die zuallererst in parlamentarischen Dimensionen denkt und agiert. Vieles davon wird nutzlos sein, während die Fähigkeit zur Massenmobilisierung und Aktion verkümmert. Letztere ist allerdings die Grundlage für einen Erfolg, wenn man auf parlamentarischer Ebene in der Minderheit ist. Diese Entwicklung kommt uns seltsam vertraut und bekannt vor. Vor 25 Jahren ist es in NRW mit der damaligen Protestpartei „Die Grünen" ähnlich gelaufen, als sie 1984 flächendeckend in fast alle Kommunalparlamente einzog. Und ebenfalls vor fast 90 Jahren mit der SPD, als diese in den 20er Jahren eine erhebliche Anzahl von kommunalen Parlamentssitzen erringen konnte. Auch damals war der Handlungsspielraum der Gemeinden innerhalb des zentralistischen Staatsaufbaus sehr gering. Die realen Machtkompetenzen lagen bei der Reichsregierung und teilweise bei den Ländern.

Eine deutliche Steigerung bei den Kommunalmandaten brachte der SPD einem „Gemeindesozialismus", wie er in verschiedenen Programmdiskussionen genannt wurde, nicht näher. Neben der mangelnden finanziellen Ausstattung torpedierte die Exekutive (Verwaltung) viele Versuche, ärmere Menschen durch kommunale Dienste zu unterstützen. Die Sozialdemokratie war die Verwalterin des Mangels auf Gemeindeebene. Fehler des gesamten Systems wurden ihr angelastet, je mehr Abgeordnete sie stellte. Die SPD trug also bereitwillig und unkritisch die Mitverantwortung für eine politische Ordnung, die sie in der Realität kaum noch mitgestalten geschweige denn umgestalten konnte. Auch heute ist die fehlende Ausstattung der Kommunen mit realen Kompetenzen einem größeren Teil der Bevölkerung nicht verborgen geblieben. Obwohl es bei einem Versagen der Parteien oder der Politik auf kommunaler Ebene zu ganz beachtlichen Mobilisierungen in Form von erkämpften „Volksentscheiden" und Protesten kommt, sind die Wahlberechtigten vom politischen Gewicht ihrer Stimme ausgerechnet auf dieser Ebene nicht sehr überzeugt. Die Wahlbeteiligung betrug 2004 in NRW nur 54,4 Prozent. Das ist ziemlich wenig für eine Politikebene, welche angeblich über das „unmittelbare Umfeld der Menschen" mitentscheidet. In Sachsen-Anhalt musste die Kommunalwahl am 7. Juni in sieben Gemeinden sogar ganz abgesagt werden, weil sich dort noch nicht einmal KandidatInnen haben aufstellen lassen.

Horst Blume

Kommentar aus: Graswurzelrevolution Nr. 340, Monatszeitung für eine gewaltfreie, herrschaftslose Gesellschaft, Sommer 2009, www.graswurzel.net