Sloterdijk macht den Westerwelle

In unregelmäßigen Abständen übermannt er deutsche Professoren – der unheimliche Drang nach „Revolution“. 2002 wurde der Historiker Arnulf Baring davon gepackt. Er rief in der FAZ vom 19. November auf zum letzten Gefecht: „Bürger, auf die Barrikaden!“

Im Unterschied zu den unregelmäßigen Abständen, in denen für eine „Revolution“ getrommelt wird, gleichen sich die Gründe für den Alarm wie ein Ei dem anderen. Baring trommelte für „mehr Wettbewerb“ und „die Wiederbelebung der Selbstständigkeit und Eigenverantwortung“, für den „massenhaften Steuerboykott“ und natürlich gegen die Gewerkschaften und den Sozialstaat. Neu ist das marktradikal grundierte Kampfprogramm beileibe nicht. Seit Mitte der 70er Jahre tobt, wie der katholische Theologe Friedhelm Hengsbach feststellte, „ein dreißigjähriger Feldzug gegen den Sozialstaat.“

Und jetzt kommt der mediale Zampano Peter Sloterdijk mit seinem Aufruf zur „Revolution der gebenden Hand“, genauer: zum „fiskalischen Bürgerkrieg“ (FAZ vom 10.6.2009). Er leitet seine These von Rousseau her. Der erklärte 1755 die Entstehung von Eigentum und Staat damit, dass jemand Land einzäune und für sich allein beanspruche. Eigentum entsteht also nach Rousseau durch Diebstahl. Den Diebstahl der vielen legitimieren später staatliche Rechtstitel, und der Staat lässt sich diesen Schutz mit Steuern entgelten.

Wie immer bei Rousseau ist das Ganze nicht ganz falsch, aber viel zu holzschnittartig. Anders als der Lautsprecher Sloterdijk behauptet, haben sich aufgeklärte Linke diese primitive Legosteinchentheorie über den Zusammenhang von Gewalt, Eigentum und Staat nie zu eigen gemacht. Marx hat die Entstehung von adligem Großgrundbesitz in England in seinem Kapitel über die „ursprüngliche Akkumulation“ als Akt der Enteignung von kollektivem Landbesitz („Allmenden“) im Detail dargestellt. Der Historiker Charles Tilly entdeckte in seinen Studien zur Entstehung der frühneuzeitlichen Staatlichkeit aus den mittelalterlichen Personenstandsverbänden als Kern die Entwaffnung der Bürger und die schrittweise Monopolisierung der Gewalt durch den Adel oder eine andere Oligarchie. Die Entstehung des modernen Privateigentums wie jene der modernen Staaten beruht auf komplizierten wirtschaftlichen, sozialen und politischen Prozessen. An deren Ende steht nach etwa drei Jahrhunderten die moderne Staatlichkeit – mit Gewaltmonopol, Steuereinziehung, Militär, Polizei, Verwaltung und ein paar Bildungsinstitutionen zum allgemeinen Trost.

Sloterdijk vergröbert diese komplexen historischen Prozesse, indem er Staatsmacht auf „Steuermacht“ reduziert. Das ist die Perspektive des liberalen Spießbürgertums, das auf Steuerersparnis aus ist und sonst gar nichts. Der intellektuell ernst zu nehmende politische Liberalismus folgte dagegen dem Grundsatz „no taxation without representation“, das heißt: Steuern nur gegen politische Mitspracherechte. Die Reduktion von Staatsmacht auf „Steuermacht“ ist, historisch gesehen, eine schnellfingerige Improvisation, von der sich allenfalls Ignoranten und Schirrmachers intellektueller Boulevard beeindrucken lassen. Obendrein ist es eine Verharmlosung von Staatsmacht. Hätten Staaten nur die Steuermacht usurpiert und nicht Verbrechen in ganz anderen Dimensionen zu verantworten, könnte man Staaten schuldlose Kinder nennen. Sloterdijk simplifiziert Staatsmacht als „Steuermacht“, weil er die Einkommensteuer in neoliberaler Manier als Zwillingsschwester von Enteignung betrachtet und als professoraler Steuerzahler gegen den „steuerstaatlich zugreifenden Semi-Sozialismus“ und die „Staats-Kleptokratie“ poltern will – wie seine Brüder Guido Westerwelle, Meinhard Miegel, Hans-Olaf Henkel, Hans-Werner Sinn e tutti quanti. Sloterdijk sieht sich als Mitglied „einer Handvoll von Leistungsträgern“, die „die Hälfte des nationalen Einkommensteuerbudgets bestreitet“, und übersieht mit der ihm eigenen Oberflächlichkeit, dass es noch ein paar andere Steuern gibt – insbesondere die Mehrwertsteuer, die die niedrigeren Einkommen stärker belastet als die höheren. Mit der rigorosen Blickverengung, wie sie der Partei der Besserverdienenden zur zweiten Natur geworden ist, erklärt Sloterdijk die „Handvoll Leistungsträger“ zu den „Produktiven“ und den großen Rest zu „Unproduktiven“, die „mittelbar auf Kosten der Produktiven“ leben.

Mit seiner Forderung nach „Abschaffung der Zwangssteuern“ gelangt Sloterdijk an einen Punkt, an dem es interessant wird. Der Ausdruck „Zwangssteuern“ übersetzt ja nur den ADAC-FDP-Staubürgerslogan „Freie Fahrt für freie Bürger“ in die Steuerpolitik. Als Rektor der „Staatlichen Hochschule für Gestaltung“ in Karlsruhe wird Sloterdijk staatlich alimentiert. Das Lustigste an den professoralen Steuerrevoluzzern ist, dass sie von dem leben, was sie abschaffen wollen – von Steuergeldern. Und zwar ohne je in eine Rentenkasse einzahlen zu müssen wie die „Unproduktiven“. Sloterdijk will „Zwangssteuern“ umwandeln in „Geschenke an die Allgemeinheit“. Diesem Wunsch des „Revolutionärs“ sollte sich der baden-württembergische Finanzminister nicht verschließen, Sloterdijk sofort seine Steuern schenken und ihn ab nächstem Monat auf „Geschenke“ der FDP-Wählerschaft warten lassen, am Karlsruher Hauptbahnhof. Oder sollte man Sloterdijk gleich eine Wette auf „die Revolution der gebenden Hand“ der Besserverdienenden anbieten?

 

Kommentare und Berichte - Ausgabe 07/2009 - Seite 22 bis 23