Der gespaltene Kosmopolitismus des transnationalen Hightech-Kapitalismus

Editorial - "Ringen um Weltbürgerrechte", Das Argument 282 (4/2009), S. 559-576

1.      Imperiales Weltbürgertum und Kosmopolitismus der Not

Die einen reisen auf dem Oberdeck, die andern sind unter Deck zusammengepfercht, heißt es sinngemäß bei Nazim Hikmet. Heute fliegen die einen »Business Class«, die andern drängen sich auf den Booten im Mittelmeer oder im Atlantik vor der nordafrikanischen Küste in der Hoffnung, den Fuß auf europäischen Boden zu setzen. Die einen sind die Emissäre, Agenten und mittleren Manager der transnationalen Konzerne. Die anderen gehören zu den Letzten der Letzten, gefährdete Anwärter, sich unter diejenigen einzureihen, die, in den Worten von Marx, ihre »eigne Haut zu Markt getragen und nun nichts andres zu erwarten [haben] als die – Gerberei« (MEW 23, 191). Sie sind vielfach nicht besser daran als die im 18. Jh. auf englischen Schiffen in die Sklaverei verschleppten Afrikaner, nur dass sie nicht durch Eisenketten, sondern einzig durch die Not und das Verlangen nach einem besseren Leben an dieses Schicksal geschmiedet sind. Was der junge Marx im übertragenen Sinn vom Lohnarbeiter schlechthin sagt, gilt für den Arbeitsmigranten im Wortsinn: »Zu Hause ist er, wenn er nicht arbeitet, und wenn er arbeitet, ist er nicht zu Haus.« (MEW 40, 514) Im Inland ohne Arbeit, geht er zur Arbeit außer Landes. Und wie, wiederum in marxscher Metaphorik, die Realisation des Werts der »Salto mortale der Ware« ist (MEW 23, 120), so ist dieser Übergang für ihn ein ganz unmetaphorischer Salto mortale, der bereits Tausenden seinesgleichen den Tod gebracht hat. Sie alle haben die Initiative ergriffen. Ihr Schicksal zeigt, was die neoliberale Nötigung, sich zum Unternehmer der eigenen Arbeitskraft zu machen, im Extrem bedeutet. Sie riskieren ihr Leben, um dort hinzugelangen, wo immer sich ihnen wenigstens die Hoffnung auf Lohnarbeit bietet. Sie sind das junge Weltproletariat des transnationalen Kapitalismus. Es ist ein Notkosmopolitismus, den sie sich auf eigene Faust herausnehmen wie jemand, der sich Überlebensmittel, die er nicht rechtmäßig zu erwerben vermag, als ›Mundraub‹ aneignet. Wenn sie den Lebensgefahren der räumlichen Zirkulationssphäre entronnen sind, warten Lager und Abschiebung auf sie, falls es ihnen nicht gelingt, dieser neuen Gefahr in die Daseinsweise der Illegalen und Ungemeldeten, die keine Papiere haben, zu entwischen. Für die Glücklichen, die dem Tod auf hoher See und der Abschiebung entkommen sind, ist das in ihrem ungastlichen Gastland geltende Recht, statt ihres zu sein, eine Drohung, mit der sie jederzeit von Arbeitgebern oder Vermietern erpresst werden können. Sie sind staatenlose Nichtbürger, Unterschicht der Welt-Arbeiterklasse.

Wenn am anderen Extrem des Kapitalverhältnisses, wo man einen Namen und ein Gesicht hat, ein George Soros, der nicht »Business«, sondern »First Class« fliegt, sich mit dem Titel eines »staatenlosen Staatsbürgers« schmückt, so spielt er in dieser souverän ungehörigen Zugehörigkeit den Trumpf eines monetären Weltbürgertums aus. Der Milliardär und seine Gaben sind in allen kapitalistisch zivilisierten oder sich nach solcher Zivilisierung drängenden Weltgegenden zuhause. Er genießt Rechte, die es als solche gar nicht gibt und von denen die rechtmäßigen Inhaber von Rechten, die jeweiligen Staatsbürger vor Ort, nicht einmal träumen können. Seine Wege in der Welt sind nicht nur durch Bares geebnet, sondern durch ein zunehmend dichter gesponnenes Netz teils zwischenstaatlicher, teils überstaatlicher Abkommen und Regelwerke. Für das transnationale Zuhausesein in diesem Netz des Weltmarkts bietet sich der Begriff des imperialen Kosmopolitismus an.

Dieses Netz ist nicht überall gleich dicht gewoben und reicht nicht überall hin. Wenn es unter Globalisierung oder Mundialisierung rangiert, so ist die Erdkugel oder Welt eher virtuell als räumlich zu verstehen. Die Globalisierung ist nicht grenzenlos, umgreift nicht lückenlos und schon gar nicht gleichförmig die Erdkugel, wie ihr Name sagt; sie ist Stückwerk, wenngleich gewaltiges, und ist fragmentiert und durchsät von weißen Flecken. An der normativen Durchdringung und -regelung dieser vielfach zerschnittenen und abgestuften Teilwelt arbeiten die einschlägigen staatlichen und überstaatlichen Institutionen und Juristen der politischen Träger und ökonomischen Akteure des transnationalen Kapitalismus. Ihnen redet ein anders heterogenes und gestuftes Feld von Nichtregierungs- und Nichtkapitalorganisationen mitsamt den diesen verbundenen Initiativen und Intellektuellen dazwischen. Beide Seiten erhalten konzeptive Beratung und gedankliche Entwürfe aus den Reihen der akademischen Normatiker, der Fachleute für moral- und rechtsphilosophische Normenbegründung. Aus ihrem Kreis kommen die meisten Stimmen der aktuellen Kosmopolitismusdebatte. Wie die juristischen Verkehrsrechtler den Realismus des Kapitals, verkörpern sie dessen Idealismus. Letzterer ist es, der auch auf eine rechtliche und moralische Mindestdaseinsform fürs Heer der staatenlosen Nichtbürger hinwirkt. Ihr Idealismus und jener Realismus sind Gegenseiten ein und derselben Medaille. Denn der transnationale Kapitalismus stellt eine systemische Anomie dar, solange bindendes und machtgeschütztes Recht sich auf die Beziehung der Nationalstaaten zu ihren Bürgern beschränkt. Wenn grenzüberschreitender Warenverkehr schon immer der grenzüberschreitenden Verkehrsformen bedurfte, so braucht transnationaler Kapitalismus transnationales Recht. Kant hat solches Recht als das Regelwerk eines künftigen Völkerbundes erwartet. Doch die mögliche Garantiemacht der in solchem Weltrecht verbrieften Rechte, heute etwa eine vom Sicherheitsrat der Vereinten Nationen eingesetzte Militär- oder Polizeimacht, hängt von den Nationalstaaten ab. Abgesehen von ihren partikularen Militärpakten sind einzig sie es, die diese Expeditionen mit ihren Gewaltapparaten bestücken können und sich dabei von ihren nationalen Interessen leiten lassen.

Wenn ein Gebiet geregelter Herrschaft mehrere Staaten umfasst und selbst kein Staat ist, so macht der territorial umgrenzte, gewaltbewehrte Imperativ von Gesetzen oder Regeln es zum Imperium. In dem Maße, in dem der transnationale Kapitalismus sich durchregelt, bildet sich das transnationale Imperium des Hightech- Kapitalismus. Es muss, um Imperium zu sein, nicht völlig homogen sein. Es kann Gebiete unterschiedlicher Regeldichte oder mehr oder weniger selektiver Teilregelungen umfassen, wie es neben solchem Konstitutionsgefälle auch Machtunterschiede enthält. Auf den diversen Ebenen kennt es spezielle Mitgliedschaften, welche die Bindung an komplexere Regelwerke voraussetzen. Soweit es durch die Anziehungskraft eines zivilisatorischen Projektes zusammengehalten wird und nicht durch gewaltsame Unterwerfung und Eingemeindung, basiert es auf Hegemonie. Dieses hegemoniale Feld des transnationalen Kapitalismus, sein Imperium also, ist es, was den überschießenden Idealisierungen des Kosmopolitismusdiskurses seine mögliche Realität gibt. So wie jede zur Herrschaft drängende Klasse »nicht als Klasse, sondern als Vertreterin der ganzen Gesellschaft« auftritt, wie es in der Deutschen Ideologie von Marx und Engels heißt (MEW 3, 47), so tritt die Machtelite des transnationalen Kapitalismus nicht als das auf, was sie ist, sondern als Vertreterin der ganzen Menschheit. Dies ideologiekritisch festzustellen, heißt keineswegs, den Kosmopolitismusdiskurs für dummes Zeug zu erklären. Sein idealistischer Überschuss tendiert über seine ideologische Funktion hinaus. Das Ringen darum, den ›Weltbürgerrechten‹ des globalen Proletariats Realität zuwachsen zu lassen und das Imperium zu zivilisieren, findet in diesem Überschuss Ansprüche, die das Imperium nicht negieren kann, ohne seine hegemoniale Bindekraft aufs Spiel zu setzen.

Angesichts der realen Verhältnisse ist der Gedanke einer Weltbürgerschaft, die tatsächlich ihrem Begriff entspräche, auf den Status des virtuellen Gegenstandes eines idealistischen Diskurses verwiesen. Als real praktizierte ist Weltbürgerschaft gespalten – hier der gut gepolsterte partikulare Kosmopolitismus des transnationalen Kapitals, dort der Notkosmopolitismus der migrierenden Arbeitskräfte und der politischen Flüchtlinge. Die ›illegalen‹ Migranten betreiben ihren Kosmopolitismus als eine Art arbeitsrechtlichen Mundraub. Aber nicht vor allem ihretwegen konnte die Frage des Kosmopolitismus zum ›Thema‹ werden, sondern weil transnationaler Kapitalismus transnationales Recht braucht und die durch Konkurrenz zerklüftete Verfassung des Gesamtkapitals dem konkurrenzübergreifenden Allgemeinheitsanspruch keinen Abbruch tut, während nationales Recht die Angehörigen seines Geltungsbereichs gegenüber denen fremden Nationalrechts privilegieren kann. Die weltbürgerliche Idee geht daher ein Stück weit mit einem epochal herrschenden Interesse, dem des transnationalen Kapitals, konform. Ihr Idealismus entgeht nicht dem Widerspruch, auf kapitalistischer Welle möglichem Wirklichkeitsgewinn entgegenzureiten, doch das muss ihn nicht desavouieren. Wie, wenn nicht über die Nationalstaaten, soll ein, sei es auch schwaches, Weltbürgerrecht vordringen? Und welche Macht soll den kosmopolitischen Idealismus auf ihrem Rücken tragen, wenn nicht das transnationale Kapital in dem Maße, in dem es sich systemisch festsetzt und politisch-juristisch einbettet? Kosmopolitismus oder Weltbürgertum ist die Idee, der fragmentierte Kosmopolitismus der partiellen Globalisierung die Realität. In der Wechselwirkung der beiden ungleichen Instanzen wirkt sie, bei aller Zweideutigkeit, weiter, »the great civilising influence of capital«, wie es bei Marx heißt, als hätte sein Blick in die Gegenwart gereicht, die »Produktion einer Gesellschaftsstufe, gegen die alle frühren nur als lokale Entwicklungen der Menschheit [...] erscheinen« (MEW 42, 323). Zivilisation kann sich dann daran erinnern, dass sie sich an der Civitas, dem Bürgerrecht bemisst.

Was dem Kosmopolitismusdiskurs seine prekäre Realität in der Gegenwart gibt, ist nun aber, von Ausnahmen abgesehen, zumeist abwesend in ihm. Um diese problematische Abwesenheit und zugleich Realitätsmöglichkeit soll es im Folgenden gehen. Hierbei greifen wir auf Gramscis Hegemonietheorie zurück. Ihr Gegenstand ist ja der Übergang von Ideen zu realer politischer Macht und die Wechselwirkung beider. Weltbürgertum ohne Weltstaat setzt eine weltweit wirksame hegemoniale Struktur voraus. Die Organisation der Vereinten Nationen, die Gestalt, in welcher der von Kant als Bedingung für ein Weltbürgerrecht begriffene Völkerbund nach einem gescheiterten ersten Anlauf sich dauerhaft institutionalisiert hat, ist das Medium, über das die Lösung gesucht wird, noch nicht die Lösung selbst. Ohne die zentripetalen Effekte eines hegemonialen Feldes gewinnen in einem Forum der Nationalstaaten wie der UNO fast jederzeit die zentrifugalen Impulse oder die der Lagerbildung die Oberhand. Im Weltmaßstab pflegt Hegemonie mit Blockbildungen einherzugehen. Imperium und Imperialismus sind die traditionellen Kategorien, auf die man, so fragend, stößt. Zu reden ist daher vom Herrschaftsbereich und Herrschaftsmodus des transnationalen Kapitals sowie davon, welche Verwandlung jene traditionellen Kategorien im Zuge von dessen Expansion durchgemacht haben und vermutlich weiter durchmachen werden.

  1. Imperialismus oder Imperium und die Hegemoniefrage

Die Transnationalisierung des Kapitals zusammen mit der – seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion – unipolaren Konzentration globaler Herrschaftsmacht auf Seiten der USA hat Lenins und Luxemburgs These vom aus der Kapitalkonkurrenz notwendig folgenden interimperialistischen Zusammenstoß fürs Erste überholt. In dem Maße nun, in dem Lenins Imperialismustheorie in den Hintergrund trat, stieg aus dem Vergessen Karl Kautskys prognostische These eines »Ultra-Imperialismus« auf, welcher dereinst »an die Stelle des Kampfes der nationalen Finanzkapitale untereinander die gemeinsame Ausbeutung der Welt durch das international verbündete Finanzkapital« setzen werde (Neue Zeit, 1915, 144). Karl Heinz Roth, einer der klarsichtigsten Intellektuellen der links-autonomen Szene im gegenwärtigen Deutschland, stellte auf dem Höhepunkt des US-Unilateralismus unter Bush fest: »Gegenwärtig dominieren [...] die Strukturen und Institutionen eines durch die militärische Dominanz der USA gesicherten kollektiven Herrschaftsausgleichs, eines gegen den globalen Süden gerichteten ›Ultra-Imperialismus‹« (2005, 32).[2] Hans-Jürgen Bieling hat im selben Jahr den Diskussionsstand dahingehend zusammengefasst, »dass die entwickelten kapitalistischen Staaten ihr breites Arsenal von Machtinstrumenten nicht mehr zur Errichtung ›formeller‹, sondern eher ›informeller‹ imperialer Strukturen mobilisieren« (2005, 248). Er schlug vor, »Imperialismus und Hegemonie als jeweils spezifische inter- bzw. transnationale Herrschaftsformen auf der gleichen Abstraktionsebene anzusiedeln; und zwar als zwei Varianten oder Pole, die ein unterschiedliches Mischungs- bzw. Artikulationsverhältnis von Zwangs- und Konsenselementen umschließen.« (250) Folgt man dem, lässt sich ein transnationaler Herrschaftsraum beschreiben, der nicht darin aufgeht, den korporatistisch bornierten Interessen nationalstaatlichen Kapitals zu dienen, sondern der, wie es bei Giovanni Arrighi und Jason W. Moore heißt, einen Block »kosmopolitischimperialer (oder korporativ-nationaler) Wirtschafts- und Regierungsorganisationen« bildet, der darüber hinaus den Effekt hat, auch für die Konkurrenten »den funktionalen und räumlichen Umfang des kapitalistischen Weltsystems auszuweiten und zu vertiefen« (2001, 53).[3] Die entscheidenden Machtzentren dieses funktionalen Raumes wären dann in denjenigen Staaten angesiedelt, die »das ›Hauptquartier‹ der führenden kapitalistischen Akteure beherbergen« (51).

Von diesem transnationalen Herrschaftsraum, innerhalb dessen es nicht zwangsläufig imperialistisch zugeht, lässt sich sagen, dass er sich mit einer »Sphäre kollektiv-imperialistischer Kolonialherrschaft« umgibt,

die in den Protektoratsgebieten Südosteuropas (Kosovo, Bosnien-Herzegowina und Makedonien) beginnt, sich in Zentralasien (Afghanistan, Tschetschenien) ausdehnt und inzwischen auch das historisch-politische Zentrum der ostarabischen Kultur und Entwicklungsdynamik im Griff hat (Roth 2005, 22),

wobei der »Griff« freilich brüchig ist und auf die »kollektiv-imperialistisch« Zugreifenden unkontrollierbar zurückzuwirken droht. Im Unterschied zum klassischen Kolonialismus und Imperialismus gilt auch hier zumeist entweder der Modus des Informellen oder des Schein- und Superformellen eines von der UNO legitimierten ›selbstlosen‹ Einsatzes. Beide lassen diese Herrschaftsformen als ihr Gegenteil erscheinen, als Mission von Demokratie und Menschenrechten. In der Mischung konsensbasierter und repressiver Elemente würden die ersteren im Innenverhältnis, die zweiten im Außenverhältnis eines solchen transnational-imperialen Blocks überwiegen. Imperium stünde dann fürs Übergewicht des Momentes der Hegemonie, Imperialismus für den Primat der Diktatur. Sinn und Einsatz des Ringens um die ›organische Zusammensetzung‹ von Zwangsgewalt und Konsensgewinnung ergeben sich aus der Struktur des Hightech-Kapitalismus. Seine dominanten ökonomischen Akteure sind die transnationalen Konzerne. Ihre Zentralen sind nationalstaatlich eingebettet, aber ihre Anlagen und Operationen sind mehr oder weniger in alle Welt verstreut. Aus dieser räumlichen Diaspora nimmt jeder dieser Akteure sich betriebswirtschaftlich zusammen zu quasi momentaner Einheitlichkeit und Handlungsfähigkeit auf Basis der integrierten Informations- und Kommunikationstechnologien unmittelbar globaler Reichweite. Multinational eingebettet, sind sie gut beraten, im Kontrast zur buntscheckigen politisch-kulturellen Umgebung ein möglichst homogenes Aktionsfeld mit einheitlichen Verkehrsverhältnissen, Eigentumsgarantien und Instanzen der Konfliktschlichtung anzustreben. Dieses Feld sollte sich nicht weniger in die Welt erstrecken als ihr eigenes Operationsfeld. Ökonomischer Druck – Zollschranken vs. Meistbegünstigungsklauseln – und politisch-militärische Absicherung halfen bei seiner Expansion und der Liberalisierung des Kapitalverkehrs zusammen. Damit waren die Bedingungen für die Ausfaltung grenzüberschreitender Produktionsketten gegeben, die über die Vertiefung der internationalen Arbeitsteilung den Weltmarkt neuen Typs mit der ihm adäquaten Produktionswelt unterbaute.

Das Imperium neuen Typs wäre demnach das gewaltgeschützte Operationsfeld des transnationalen Kapitalismus, ohne Gewaltpanzer so wenig aufrechtzuerhalten wie der Schiffsverkehr am Horn von Afrika angesichts der Piraterie. Für dieses Imperium kamen und kommen in absehbarer Zeit einzig die USA als der ›geborene‹ Hegemon in Frage. Gerade dieses exzeptionelle Privileg als zeitgenössische Determinante des »American Exceptionalism« bildete das Hindernis auf dem Wege seiner Realisierung. Einzig diese Macht, »die keinen Rivalen – oder eine Kombination von Rivalen – als Gegengewicht hatte, während sie überall auf dem Erdball Veränderungen betrieb« (Bové 2003, 511), konnte ja auf globaler Stufenleiter den Gewaltapparat stellen, ohne den die kapitalistische Globalisierung sich in rivalisierende Projekte auflösen würde, deren keines mehr sicher und mit Sicherheit keines global wäre. Die Weltpolizistenposition der USA war die Existenzbedingung jenes Imperiums, das unter Bush Senior als »Neue Weltordnung« angekündet worden ist, unter Clinton nie aufgehört hat, unerklärte Kriege ›niederer Intensität‹ zu führen und unter Bush Junior gleich als hundertjähriges Reich, American Century, proklamiert worden ist. Doch diese Existenzbedingung erwies sich zugleich als Existenzbedrohung. Durch sie war das globale Imperium des transnationalen Kapitals unweigerlich vom inneren Imperialismus heimgesucht. Um das Weltreich des Kapitals zu stabilisieren, schwang der Weltpolizist als faktischer Gewaltmonopolist, seinen Vorteil im Auge, sich zum Herren dieser Welt auf. Indem er das tat, destabilisierte er sein Herrschaftsgebiet bereits wieder. Übermacht strebt geradezu naturgemäß danach, die minderen Mächte zu übervorteilen. Jener eine Nationalstaat setzt – mit ungeheuren Kosten – diese seine Übermacht nur ein, um seine Position zu stärken und Abhängigkeiten der anderen Staaten zu erzeugen oder bestehende zu perpetuieren. Darin gründet sein spontaner Imperialismus. Doch wie die konkurrierenden transnationalen Konzerne ungeachtet ihrer Konkurrenz auf für alle geltende Normierungen drängen müssen, bleibt auch der Übermacht nichts anderes übrig, als dieser funktionalen Notwendigkeit in der Form allgemeiner Standardsetzung Genüge zu tun und den Globus einem gesicherten Verkehr transnationalen Kapitals und seines Personals zu erschließen. Le diable porte pierre, wie das französische Sprichwort sagt: Die Übermacht muss formal die Funktion einer bloßen Vormacht ausüben, wenn sie ihrem informellen Imperialismus frönen will.

Wenn das Kapital laut Marx »jedes Ding mit seinem Gegenteil« schwängert[4], so machte diese sonderbare historische Schwangerschaft auch vor den USA nicht halt. Als staatliches Konkurrenzorgan des nationalen Kapitals auf dem Weltmarkt und im internationalen Staatensystem bemächtigten sie sich der Rolle des transnationalen Gesamtkapitalisten. Gegenüber den Rivalen der von der US-Regierung repräsentierten nationalen Kapitalinteressen pochten sie auf ihre unvergleichliche Macht. Das war Hegemonie im bürgerlichen Sinn, einfache Präponderanz, erdrückende, zum Imperialismus tendierende Überlegenheit vor allem in Gewaltmitteln. Allerdings ließen sich die ökonomischen Aktivitäten des transnationalen US-Kapitals noch viel weniger national auseinanderrechnen als die Weltmarktaktivitäten zu Rosa Luxemburgs Zeiten. Bereits vor dem Ersten Weltkrieg verzeichnete sie, bei »fortschreitender Verelendung immer weiterer Kreise der Menschheit auf dem Erdrund und fortschreitender Unsicherheit ihrer Existenz«, eine

ungeheure Ausdehnung des Herrschaftsbereichs des Kapitals, eine Ausbildung des Weltmarkts und der Weltwirtschaft, in der sämtliche bewohnten Länder der Erdkugel gegenseitig füreinander Produzenten und Abnehmer von Produkten sind, einander in die Hand arbeiten, Beteiligte einer und derselben erdumspannenden Wirtschaft sind (Einführung in die Nationalökonomie, 1909/10, GW 5, 773f).

Hinzu kam, als Quelle des Imperialismus und des Krieges,

die widerspruchsvolle Erscheinung, dass die alten kapitalistischen Länder füreinander [einen] immer größeren Absatzmarkt darstellen, füreinander immer unentbehrlicher werden und zugleich einander immer eifersüchtiger als Konkurrenten in Beziehungen mit nichtkapitalistischen Ländern bekämpfen (Akkumulation des Kapitals, GW 5, 316).

Auch unter den neuen Bedingungen lebt nach Schätzungen der FAO mindestens eine Milliarde Menschen in absoluter Armut. Die Wertschöpfungsketten aber sind im Unterschied zu damals vor allem transnational, also grenzüberschreitend organisiert. Ihre Anordnung, bei der es darum geht, die Hand am profitablen Ende zu haben, ist noch wichtiger geworden als der Kampf um Rohstoffe und Absatzgebiete, der nicht mehr mit Kanonenbooten, sondern mit den Waffen der Preise, Konditionen und Patente ausgefochten wird. Auch wenn der US-Staat weiterhin der »Machtcontainer « blieb, der die Hauptquartiere des US-Kapitals beherbergt, spiegelten sich die Erfolge der in China niedergelassenen US-Konzerne, soweit sie sich den Exporten aus China in die USA verdankten, in US-Außenhandelsdefiziten wider – und das, obwohl die Wertschöpfungsketten so manipuliert waren, dass der Löwenanteil des in China produzierten Mehrwerts erst in den USA realisiert wurde. Dem transnationalen US-Kapital musste es daher, um diese seine doppelte Vorteilsposition aufrechtzuerhalten, eher um die Expansion von Verkehrsverhältnissen und -normen gehen, die im Rahmen der Welthandelsorganisation dann ja sogar eine Art von wirtschaftspolitischer Weltgerichtsbarkeit erhielten.

Sofern der US-Staat diese Vereinheitlichung vorantrieb und -treibt, diente und dient er dem transnationalen Kapital insgesamt. Wo immer dieser Dienst an der Gesamtheit des am Weltmarkt – also grenzüberschreitend und transnational – aktiven Kapitals leistungsfähigeren Konkurrenten des US-Kapitals Vorteile sichert, spaltet sich die US-Politik. Der Imperialstaat verlangt nach dem Privileg, die Entgrenzung des Kapitalismus in allen Fragen, die seine Interessen betreffen, in deren Grenzen zu halten. Freihandel soll bei den anderen, nicht für die anderen gelten. Von diesem Standpunkt konnte selbst die WTO, gerade noch ihr Instrument, den USA lästig werden.

Wieder ist es eine Frage der Gewichtung von Konsens und Zwang, den beiden Brennpunkten jener elliptischen Realität, die wir Hegemonie nennen, ob sich die Waage zur einen oder zur anderen Seite neigt. Im einen Fall können wir solche Antinomien als Widersprüche des Imperialismus begreifen, im anderen als Widersprüche des Herrschaftsgebiets des transnationalen Kapitals und das hieße dann: des Imperiums neuen Typs. Begonnen als Amerikanisierung der Welt, würde die Globalisierung kraft ihrer inneren Logik in Entamerikanisierung der Weltverhältnisse oder in eine andere ›Weltbürgerschaft‹ des US-Staates umschlagen und den Sinn der Rede von der »Weltpräsidentschaft« oder »der (von Arthur Schlesinger so genannten) imperialen Präsidentschaft« der USA (Saxe-Fernández 2006, 15) auf neue Weise unterfüttern.

  1. Das Imperium des transnationalen Kapitals

Fassen wir noch einmal zusammen: Wenn ein Imperium ein Herrschaftsgebiet mit gewaltbewehrten Regeln ist, so kann man das Terrain, auf dem die Global Players ihre Aktivitäten – und damit den Möglichkeitsraum des ›Kosmopolitismus‹ – ausdehnen, zumindest als werdendes Imperium begreifen. Global Governance erscheint als »Regulierung ohne Regierung« (Wahl 2006, 4), solange man Regierung eng, nämlich als Exekutive eines Nationalstaates fasst. Inkonsistent im Sinne des engen Begriffs von Regierung ist es, wenn derselbe Autor fortfährt:

Die Gestaltung und Steuerung der neu entstandenen transnationalen Räume der Globalisierung [...] wird dominiert von den USA und dies zunächst unabhängig von den G8 und anderen internationalen Institutionen. Insofern trägt dieses Governance-System imperiale Züge. (Ebd., 5)

Was aber soll Dominanz der Gestaltung und Steuerung der neu entstandenen transnationalen Räume durch die Exekutive eines Nationalstaates bedeuten, wenn nicht Regierung? Wenn unter Dominanz nur der prägende Einfluss auf die Regelsetzung gemeint sein sollte, dann wäre es wiederum inkohärent, den Begriff des Imperiums an nationalstaatliche Dominanz, sprich: an die direkte Herrschaft der USA zu binden. Das mit Gericht und Sanktionen bewehrte Regelwerk der WTO etwa absorbiert ein seinen konfliktiven Anwendungsbereichen entsprechendes Stück der nationalen Souveränität der WTO-Mitgliedsstaaten, auch der USA. Das reale Problem, auf das solche transnationalen Regierungsansätze antworten, beruht darin, dass eine

wirklich planetare kapitalistische Ökonomie [...] eine global wirksame rechtliche und politische Form benötigt, in der sich zugleich staatliche und private Herrschaftsverhältnisse und eine entsprechende Position und Funktion ihrer Repräsentanten im globalen Machtraum der Politik ausdrücken (Rilling 2008a).

Als Aktionsfeld müssen zumal die transnationalen Konzerne einen möglichst homogenen Herrschaftsbereich mit einheitlichen Verkehrsverhältnissen, Eigentumsgarantien und Instanzen der Konfliktschlichtung anstreben, der ebenso global ist wie ihr eigenes Operationsfeld. Ungeachtet ihrer Konkurrenz macht sich für alle früher oder später die Notwendigkeit geltend, das Operationsgebiet insgesamt zu sichern.

Das Ideal dieses betriebsnotwendigen Bestrebens ließe sich dann mit Hardt und Negri als »die neue globale Form der Souveränität« bezeichnen, der eine »Herrschaftslogik« zu eigen ist, die »eine Reihe nationaler und supranationaler Organismen verbindet« (Empire, 10). Das Herrschaftsgebiet dieser Logik kann als im Vergleich zum imperialistischen Nationalstaat »dezentriert und deterritorialisierend« beschrieben werden, auch kann man – immer noch mit Hardt und Negri – sagen, dass es »Schritt für Schritt den globalen Raum in seiner Gesamtheit aufnimmt« (11) und sich tendenziell »die gesamte ›zivilisierte‹ Welt« einverleibt (12f).[5] Ulrich Becks auf Länder wie Deutschland gemünzte Empfehlung einer »Politik der ›goldenen Handschellen‹« und der »Schaffung eines dichten Netzes transnationaler Abhängigkeiten und Allianzen zur Rückgewinnung postnationaler nationaler Souveränität und wirtschaftlicher Prosperität« (2008) gilt dann grundsätzlich auch für den Mächtigsten unter formal Gleichen, die USA.

Bis zum Ausbruch der Großen Krise 2007 mochte es im Zeichen der us-amerikanischen Unilateralität so scheinen, als sei die »wesentliche Form der Imperialität in der Gegenwart die [...] des informellen, pervasiven und expansiven Empires« der USA, also eines nationalen Beherrschers der Welt, der

imstande ist, temporär und selektiv in den Modus formeller territorialer Imperialität überzuwechseln, wo es [ihm] in der Regel aus geopolitischen, eher selten (wie im Falle des Irak) auch aus geoökonomischen Gründen zwingend notwendig erscheint (Rilling 2007, 207).

Die Große Krise hat seither an den Tag gebracht, dass diese Vision als »das alleinig amerikanische Projekt der Gegenwart« (ebd.) irreal ist. »Die USA können die einzige Supermacht sein, doch Präponderanz ist nicht Imperium« (Nye 2009). American Empire hieße US-Imperialismus; das einzig mögliche ›Imperium‹ hingegen ist dasjenige des transnationalen Kapitalismus. Letzteres wirft die aktuelle Frage der imperialen Hegemonie auf und damit die Frage nach dem Hegemon.

  1. Kann Obama eine neue US-Hegemonie erreichen?

Dass die Ära Bush mit einem Fiasko nicht nur für die USA, sondern für die gesamte Welt zu Ende gegangen ist, barg die geschichtliche Chance eines Neuanfangs. Eine denkwürdige passive Dialektik war hier am Werk. Gerade der Unilateralismus der Supermacht USA hatte die Tendenz zur »Multipolarität« unumkehrbar gemacht. Die Frage der Führung, also auch die der Hegemonie, war durch den mit dem Primat der Gewalt operierenden Führungsanspruch Bushs »mit null multipliziert« (Schirrmacher 2008). Als Barak Obama noch als Präsidentschaftskandidat im geschichtlichen Moment dieses hegemonialen Vakuums in Berlin auftrat, bekannte er sich dort nicht, wie einst John Kennedy, als »Berliner«, sondern als CITIZEN OF THE WORLD, als kosmopolitischer Weltpräsident in spe. Damit war die Frage der internationalen Hegemonie im Moment ihrer Abwesenheit neu gestellt.

Zunächst und vor allem steht jedoch seither jeder Versuch einer Rekonstruktion der US-Hegemonie vor der Frage, ob die USA sich selbst und die Welt aus der Wirtschaftskrise zu führen vermögen. Lässt sich der angepeilte Rettungsweg eines »Grünen New Deal« in der US-Politik durchsetzen und wird er funktionieren? Damit deutet sich die fast unleistbare Aufgabe an, vor der Obama und seine Regierung stehen. Das Neue Wallstreet Regime, das Peter Gowan beschrieben hat und das zuletzt für unglaubliche 40 Prozent der in den USA realisierten Konzerngewinne stand, liegt am Boden, auch wenn eine als Sieger aus dem Überlebenskampf hervorgegangene Großbank wie Goldman Sachs, die den von ihr ausgegebenen ›Giftpapieren‹ selbst am wenigsten getraut und sie rechtzeitig abgestoßen hatte, bereits im Frühjahr 2009 wieder »historische Quartalsgewinne« schrieb[6], während die USA »in prekärer Lage verharrten mit einem von sechs Arbeitern in Arbeitslosigkeit oder Kurzarbeit« (Krugman 2009b). Und noch lässt sich nicht sagen, ob die Maßnahmen Obamas zur Bremsung der Talfahrt und erst recht die zum Wiederaufstieg greifen, zumal sie durch die Konservativen verwässert und behindert werden, erst mittelfristig wirken können und überdies, glaubt man Paul Krugman und anderen Vordenkern eines neuen New Deal, unzureichend sind. Obama könnte an den us-nationalstaatlichen Hegemonieverhältnissen scheitern, bevor die Frage der Restrukturierung einer transnationalen Hegemonie wirksam angegangen werden kann. Wenn der Baron von Münchhausen einst geflunkert hat, er habe sich am eigenen Schopf aus dem Sumpf gezogen, so schien der US-Staat diesen Versuch in allem Ernst zu starten, als er das zur »Rettung« der Banken und zur Verlangsamung des konjunkturellen Niedergangs benötigte Geld nicht mehr am Kapitalmarkt aufnahm, sondern von sich selbst in Gestalt der Staatsbank zu borgen begann. »Sie finanziert die Verschuldung der taumelnden ökonomischen Supermacht, indem sie Anleihen kauft.« (Plickert 2009) Sogleich schwächten die dadurch genährten Inflationserwartungen den Dollarkurs. Der chinesische Zentralbankchef Zhou Xiaochuan bezweifelte öffentlich die »Akzeptanz einer kreditbasierten nationalen Währung als großer internationaler Reservewährung«. Dass der Dollar kreditbasiert sei, hieß in diesem Fall, dass sein Wechselkurs von den Dollarkäufen vor allem Chinas und anderer asiatischer Zentralbanken abhing, die damit ihre eigne Währung und so die Preise ihrer Exportgüter niedrig hielten und im Effekt dazu beitrugen, die Zinsen zu drücken und dadurch wiederum die US-Immobilienpreisblase aufzupumpen.

Das hegemoniale Projekt, für das Obama steht, muss sich also zunächst ökonomisch konkretisieren, und die USA müssen sich ökonomisch konsolidieren. In der realistisch-radikalen Sicht von Mike Davis stehen die Chancen dafür schlecht. Was die für eine wirtschaftliche Konsolidierungspolitik unabdingbare innenpolitischen Hegemonieverhältnisse betrifft, sieht er einzig die hochtechnologischen Industrien »mit ihren konzerneigenen Universitäten und weitläufigen Fan-Gemeinden« als soziale Kräfte, die »still retain enough public legitimacy (domestic and international) and internal self-confidence hypothetically to act as a constructive hegemonic bloc rather than as a mob of desperate lobbyists« (2009, 38). Doch seit Davis dies schrieb, ist nicht nur die US-Automobilindustrie, sondern ausgerechnet Kalifornien mit dem Silicon Valley in Depression versunken. Zudem waren die Ökonomen, die Obama ins Amt gebracht bzw. im Amt gehalten hat, bis gestern Deregulierer gewesen. Ihnen billigte Davis »etwa so viel Chancen, die Banken wiederzubeleben«, zu, »wie seine Generäle Chancen haben, den Krieg gegen die Paschtunen in Afghanistan zu gewinnen« (40). Billionen Dollar werden nötig sein, um die erforderliche »bad bank« oder die Verstaatlichung des Bankwesens zum Laufen zu bringen. Früher hätte der Staat einfach Geld gedruckt. Doch die monetäre Souveränität der USA ist ausgehöhlt. Denn »if Obama’s domestic spending fails to produce significant collateral benefits for America’s trading partners, they may think twice about buying Washington’s debt or decide to impose some conditionalities of their own«. Wenn die US-Hegemonie auf ökonomischer Ebene die informelle Weltwährungsfunktion des Dollars voraussetzt, so beißt sich die Katze in den Schwanz, denn diese Funktion ist nicht nur Ausgangspunkt, sondern ebenso Resultat der US-Hegemonie. So interagieren nicht nur die unterschiedlichen Systemebenen, sondern auch das nationale und internationale Geschehen.

  1. Imperiale transnationale Hegemonie

Wir müssen noch einmal neu ansetzen mit der Frage nach den globalen Hegemonieverhältnissen im Zeichen der durch die US-Hypothekenkrise eingeleiteten großen Krise des transnationalen Hightech-Kapitalismus. Dafür halten wir die Frage der Rekonstruktion der US-Hegemonie unter Obama einstweilen offen und versuchen, die tragenden Begriffe so zu flexibilisieren, dass es leichter fällt, sie dem gegenwartsgeschichtlichen Prozess »anzuschmiegen«, wie es bei Adorno einmal heißt. Die strategische Fragerichtung wird die nach der Hegemonie im transnationalen Hightech-Kapitalismus sein. Denn in ihrer zweiten, durch die Große Krise eingeleiteten Phase hat die Globalisierung weit über ein Exportland wie Deutschland hinaus einen neuen Typ transnationaler Hegemoniepolitik unabdingbar gemacht. Und zwar muss, in Ulrich Becks Worten,

die Maxime nationaler Realpolitik – nationale Interessen müssen national verfolgt werden – ersetzt werden durch die Maxime kosmopolitischer Realpolitik: Unsere Politik ist um so nationaler und erfolgreicher, je kosmopolitischer sie ist; und sie ist um so mehr zum Scheitern verurteilt, je nationaler sie ist. (Beck 2008)

Im Jahr der Invasion des Irak durch die USA ließ sich »das Ringen zweier Imperialprojekte « diagnostizieren: »Das eine will, dass die USA ihre Herrschaft primär über Führung, das andere, dass sie ihre Führung primär als Herrschaft ausüben.« (Haug 2003, 249) Wie bei Luigi Pirandello Sechs Personen einen Autor suchen, suchten die mit dem unverblümten Dominanzanspruch der Regierung Bush vor den Kopf gestoßenen Alliierten der USA einen neuen Hegemon, dessen baldige Ankunft Perry Anderson mit den spöttischen Worten vorhersagte, »Clintons Witwen« würden »Trost finden« (2002, 10). Der sexistisch getönte Spott verdeckte, dass es die ökonomische Struktur war, die es nicht so sehr nach Trost als nach einer hegemonial durchregelten Tätigkeitssphäre verlangte. Unterhalb der durch das divide et impera und die Bildung einer coalition of the willing, die nichts zu sagen hatten, verursachten Spaltung des Westens meldeten sich »gemeinsame Interessen des transnationalen Kapitals, die allerdings nicht immer zugleich im Interesse der einzelnen Nationalstaaten liegen« (Haug 2003, 244). Auch wenn den gemeinsamen Interessen wiederum die alten spaltenden Interessen der Konkurrenz entgegenstehen, spaltete sich Europa zwar in Befürworter und Gegner der US-Kriegspolitik, doch entgegen dem oberflächlichen Anschein keineswegs in Befürworter und Gegner der US-Hegemonie. Ein hegemonial von den USA geführtes »Imperium« im Sinne machtgesicherter Räume, Verkehrsformen und Eigentumsansprüche war es ja, wonach auch die gegen den Krieg optierenden Regierungen verlangten. Fast flehentlich tönte es zum Beispiel aus dem Munde des spanischen Staatssekretärs für Europafragen, die USA mögen unter Obama wieder die erste Geige spielen »in einem Konzert von Nationen, das fürs gemeinsame Interesse in der Epoche der Globalisierung arbeitet [...]. Können und wollen die Vereinigten Staaten auf diesen Appell zur euroatlantischen Konzertierung hören?« (López Garrido 2008) Es klingt wie »erhören«. Dabei weiß die politische Klasse oft nicht, was sie sagt. Zum Beispiel kleidete der zitierte spanische Staatssekretär den Wunsch, die USA möchten wieder hegemoniefähig handeln, in die Worte, sie sollten »nicht mehr die Hegemonie beanspruchen« (ebd.). Auch der spanische Politologe Ignacio Sotelo erklärte es zum »größten Irrtum [der USA] der vergangenen zwanzig Jahre [...], eine weltweite Hegemonie zu praktizieren, wo doch die einzige unbestreitbare Suprematie im militärischen Bereich angesiedelt ist« (2008). Abgesehen von der Macht der US-Massenkultur und -Lebensweise, das ökonomische Potenzial nicht zu vergessen, identifiziert auch Sotelo hier Suprematie mit Hegemonie. Wenn es auch wahr sein sollte, dass Hegemonie Suprematie impliziert, so impliziert Suprematie nicht notwendig Hegemonie. Ein Ende des Griffs nach Weltherrschaft bedeutet nicht das Ende der Hegemonie, sondern lässt sich eher als eine Bedingung der konkreten Möglichkeit der Hegemoniegewinnung begreifen.

Als der amerikanische Vizepräsident Joe Biden auf der Münchener Sicherheitskonferenz im Februar 2009 erklärte, künftig solle die Macht des Beispiels dem Beispiel der Macht gleichgewichtig zur Seite stehen, konnte man das Aufatmen der atlantischen Eliten förmlich hören. In der Tat hat Präsident Obama seither keine Gelegenheit vor übergehen lassen, ohne ähnliche Worte und diesen erste Taten folgen zu lassen, die einer erstaunt aufhorchenden Welt die Öffnung längst verschüttet geglaubter Möglichkeiten signalisierten. In Deutschland konstatierte die Frankfurter Allgemeine

ein nahezu globales Interesse, dass den Vereinigten Staaten diese Erneuerung gelingt, und zwar schnell. [...] Ein schwaches, in Depression verfallenes Amerika, eines gar, das zu den politischen Weltgeschäften auf Distanz ginge, wäre für die Welt wirtschaftlich wie politisch eine Katastrophe. (Frankenberger 2009)

Die Hegemoniefrage, konkret gestellt, lautet unter solchen Bedingungen, ob die USA im Umgang mit ihren im Gewicht höchst unterschiedlichen Alliierten sich mit der Position des primus inter pares bescheiden, einer Position, für die kein anderer Anwärter in Frage kommt. Aber ist das für die USA überhaupt noch möglich?

  1. Das hegemoniale Opfer

Obamas Projekt, US-Führungsfähigkeit wiederherzustellen, muss sich entfalten in der »tension between the vision of revived Kennedyesque American leadership in the world that he unfolds to his own country, and what the rest of the world [...] will now be ready to accept« (Ash 2009). Es ist die Spannung zwischen national-korporativer und inter/national-hegemonialer Politik. Sie muss die Führungsfähigkeit nicht lähmen, solange es gelingt, die beiden Pole zusammenzuhalten. Auch Wilson, Roosevelt und Kennedy taten nie etwas anderes, als nationale Interessen der USA zu vertreten, »doch sie besaßen den Geist und die Intelligenz, dasjenige, was den USA passte, mit dem, was der Welt oder zumindest großen Teilen derselben passte«, auf einen gemeinsamen Nenner zu bringen (Paul Kennedy 2008).

Mit Geist und Intelligenz allein ist es freilich nicht getan. Die Antagonismen haben massive Interessensfundamente, und die Intelligenz der jeweiligen Führungen kann nur die Austragungsformen beeinflussen, was freilich nicht wenig ist. List und Geschmeidigkeit und alle anderen ›weichen‹ Führungstugenden kommen nicht darum herum, die harten Stolpersteine aus dem Weg zu räumen.

Die härteste Bedingung der Hegemonie lässt sich als die des hegemonialen Opfers begreifen. Verlangt ist nach Gramscis Einsicht eine »Katharsis«, das heißt die Überwindung des Gruppenegoismus der Herrschenden, und das »Opfer«, mit dem sie den »Kompromiss« besiegeln müssen, um zu einem relativen »Gleichgewicht« zu gelangen. Zwar können

solche Opfer und ein solcher Kompromiss nicht das Wesentliche betreffen, denn auch wenn die Hegemonie politisch-ethisch ist, dann kann sie nicht umhin, [...] ihre materielle Grundlage in der entscheidenden Funktion zu haben, welche die führende Gruppe im entscheidenden Kernbereich der ökonomischen Aktivität ausübt (H. 13, §18, 1567).

Gleichwohl setzt Hegemonie »zweifellos voraus, dass den Interessen und Tendenzen der Gruppierungen, über welche die Hegemonie ausgeübt werden soll, Rechnung getragen wird, dass sich ein gewisses Gleichgewicht des Kompromisses herausbildet«; so mag es auf den ersten Blick »ungereimt« erscheinen, »das konkrete Stellen der Hegemoniefrage als etwas zu interpretieren, das die hegemoniale Gruppe unterordnet« (ebd.), erweist sich dann aber als elementar. Dies gilt mutatis mutandis nicht nur im Inneren des Nationalstaates, sondern in der Staatenwelt des transnationalen Kapitalismus insgesamt.

Das scheinbare Paradox, dass die Führungsmacht sich den Geführten in gewisser Hinsicht auch unterordnen muss, bezeichnet die Schwelle, an der die Wiederherstellung der US-Hegemonie in einer multipolaren Welt stockt. »Ist es wirklich möglich«, fragt der Direktor des Forschungszentrums von Global Impact, »die Führungsrolle in einer so globalisierten und interdependenten Welt wie der unseren zu bewahren, wenn der Führer unfähig ist, auf irgendein Stück seiner Entscheidungsmacht zugunsten globalerer Autoritäten zu verzichten?« (Escudero 2008) Das Hegemonialopfer nähme in diesem Fall die Form partieller Souveränitätsübertragung an. Die USA müssten darauf verzichten, ihren Verbündeten Regeln aufzuherrschen, die sie selbst nicht befolgen. Und sie dürften sich nicht länger der internationalen Jurisdiktion entziehen. Sie müssen sich integrieren in jene Ordnung, bei deren Integration sie eine führende Rolle spielen. Und als integrierter Integrator eines »informellen Imperiums« würden sie dann tatsächlich, wie Arthur Schlesinger es bereits für 2005 behauptete, zum »virtual prisoner of its client states« (2005, zit.n. Rilling 2007, 166).

Tatsächlich waltete im Verhältnis von Gewaltmacht und hegemonialem Opfer eine denkwürdige Dialektik der Gegensätze. Die Stärke der Supermacht wurde die Quelle ihrer Schwächung, und ihre Schwäche öffnet ihr die Chance zur Rückgewinnung »weicher Macht«. Nichts käme der Regenerierung der Führungsmacht der USA so entgegen wie der Zwang, aus schierer Schwäche die Schwelle des hegemonialen Opfers zu überwinden. Es könnte aber sein, dass dieses Projekt transnationaler Hegemonie an den Hegemonieverhältnissen im Lande des potenziellen Hegemons scheitert, weil dessen herrschende Klasse nicht bereit zum Kompromiss- Opfer gegenüber den eigenen beherrschten Klassen ist.

  1. Perspektiven

»Die Welt«, hört man jetzt oft, »befindet sich im Übergang vom amerikanischen Hegemon zu einer multipolaren Ordnung.« (Steltzner 2008) Aber soweit eine multipolare Ordnung eben dies wäre, was der Ausdruck besagt: Ordnung, würde sie es kraft einer Form von Hegemonie sein, die sich der strukturellen Hegemonie annähert. Sie muss aber nicht – und kann vielleicht auch nicht, anders, als ich früher angenommen habe – »Hegemonie ohne Hegemon« sein (1985, 174). Sondern der Hegemon besinnt sich darauf, dass er nur durch den Vorrang des Führens vor dem Kommandieren »seinem Begriff entspricht«, wie Hegel sagen würde. Seine relative Schwäche zwingt ihn dazu, durch Überzeugung zu führen, statt durch Dominanz zu überzeugen. Selbst dann braucht er noch immer zumindest Elemente der Dominanz, sofern er sich nicht darauf beschränken lassen will, dass er, wie der Kleine Prinz von Antoine Saint-Exupéry, der Sonne bei Sonnenaufgang aufzugehen befiehlt, und bei Sonnenuntergang, unterzugehen. In der wirklichen Welt endet solch gute Miene zum bösen Spiel wie bei Gorbatschow mit dem Untergang dessen, der nurmehr über die Fassade der Hegemonie verfügt.

Für Obama stellt sich die Frage der Rekuperation us-amerikanischer Hegemonie aufgrund der Hinterlassenschaft Bushs besonders hart, auch wenn er persönlich noch so vorteilhaft von diesem absticht und die USA gegenüber der Staatengemeinschaft – in den Worten von Carlos Fuentes (2009) – »›von Gleich zu Gleich‹, als ›Socius‹, nicht als ›Chef‹« repräsentieren zu wollen scheint.[7] Die Situation stellt ihn vor die Frage, ob und wie unter seiner Führung der Weltkapitalismus rekonstruiert werden kann. Der Weg des Grünen New Deal ist aus demselben Grund nicht ohne weiteres beschreitbar, der auch das Wiederaufleben der Weltkonjunktur lähmt. Denn die von der Krise jäh abgebrochene Epoche des kreditfinanzierten Überkonsums der US-Bürger und des US-Staates war die Bedingung zumal (aber bei weitem nicht nur) für China, seine Überakkumulation zu realisieren. Die USA und China bildeten eine paradoxe und dynamische Symbiose, »Chimerika« (Ferguson), die zum entscheidenden Motor der Weltkonjunktur wurde, dabei aber ihre Existenzbedingung zugleich mit der Ausstiegsmöglichkeit zu Ungunsten der USA untergrub. Paul Krugman diagnostizierte die Krise als »Rache des Überschusses« (2009a). China sparte, und die USA verschwendeten Chinas Überschuss. Solange die USA diesen Überschuss dank billiger Kredite absorbieren konnten, lief die Akkumulation auf Hochtouren. Als die Kreditkette zunächst in ihrem schwächsten Glied, den prekären Hypotheken von Millionen von US-Eigenheimbesitzern riss, brach die Konjunktur in rascher Folge wie ein Kartenhaus zusammen. Auch in den USA haben nun die »plötzlich verarmten Konsumenten die Tugenden der Sparsamkeit entdeckt« (ebd.). Hatte man bisher in der Welt die mangelnde Sparbereitschaft der US-Bürger beklagt, beklagte man nun das Gegenteil. Joseph Stiglitz geißelte es als »desaströs fürs ökonomische Wachstum«, dass die Sparquote der US-Privathaushalte nach oben ging (2009), und auch Paul A. Samuelson registrierte geradezu vorwurfsvoll, dass sie durch »ihre Wende zum Sparen das Investitionswachstum unmöglich machen« (2009). Nun litt die Welt unter einem »globalen Paradox des Sparens«, das in eine weltweite »Pleite« (bust) mündete: »around the world, desired saving exceeds the amount businesses are willing to invest« – mit dem Resultat eines »weltweiten Einbruchs« (global slump; Krugman 2009a). Das »Paradox des Sparens« ist eines der Pseudonyme, unter denen eine Ahnung von der Überakkumulation von Kapital ins Bewusstsein der Ökonomen tritt. Die Erklärung, mit der die G20 ihr Treffen in London am 2. April 2009 beendeten, nimmt davon nicht einmal unter diesem Pseudonym Kenntnis. Ihre nicht zuletzt unter deutschem Einfluss formulierte Diagnose der »fundamental causes of the crisis« beschränkt diese auf »major failures in the financial sector and in fi nancial regulation and supervision«. Diese Aspekte sind gewiss nicht vernachlässigbar. Doch die Frage, vor die sich die Weltwirtschaft in der Großen Krise zuletzt gestellt findet, ohne dass ihre Repräsentanten sich dessen bewusst sind, ist die, wie die Überakkumulationskrise des Hightech-Kapitalismus gelöst werden kann. Diese Basisdimension der Krise bleibt unterirdisch fürs offizielle Diskurswesen, das den Common Sense darin bestätigt, das Finanzkapital haftbar zu machen. Halbbewusst macht sich die Überakkumulationskrise bemerkbar in dem panischen Innovationseifer, der den moralischen Verschleiß einer ganzen noch funktionsfähigen Generation von Gütern und Produktionsanlagen betreibt. Teils kommt er als grüner Keynesianismus daher, teils als Projektierung eines weiteren Informatisierungsschubes in nächster Zukunft. Auf die Vernichtung fiktiven Kapitals, also nur virtuell vorhandenen Geldwerts, folgt die Ausrangierung des stofflich fixierten Kapitals, die innovative Gebrauchswertvernichtung. Vielleicht muss man den Widerspruch zwischen dem grenzenlosen Akkumulationstrieb des Kapitals und seinen begrenzten Realisationsbedingungen jenem anderen Widerspruch zur Seite stellen, der »im ununterbrochnen Opferfest der Arbeiterklasse, maßlosester Vergeudung der Arbeitskräfte und den Verheerungen gesellschaftlicher Anarchie sich austobt« (MEW 23, 511). Beides geht zu Lasten der Menschen und ihres Ökotops, der Erde. Daher ist es mit der Regulierung des Finanzwesens und der staatlichen Förderung technischer Innovationen nicht getan.

Die Welt steht an einem Scheideweg geschichtlicher Tendenzen. An dieser Weggabelung führt der eine, weniger gewollte als resultierende Weg in David Harveys (2009) wirtschaftsgeschichtlich informierter Sicht zum »Auseinanderbrechen der globalen Wirtschaft in regionale Hegemonialstrukturen, die genau so gut miteinander wild konkurrieren wie miteinander in der elenden Frage zusammenarbeiten könnten, wer die Hauptlast der lang anhaltenden Depression tragen muss«. Die mögliche US-Hegemonie würde auf eine dieser regionalen Strukturen begrenzt. Mit der Weltwirtschaft wäre auch der schwach kosmopolitisch zivilisierte »Weltinnenraum des Kapitals« (Sloterdijk) auseinandergebrochen. Dieser Weg würde folgen aus dem Versagen eines halbherzigen Keynesianismus in den USA, begleitet von »fading U.S. hegemony«. Derweilen greift ein autoritärer Keynesianismus in China, wo er mit einer Wende von der Exportdominanz hin zur Entwicklung des inneren Marktes einhergeht und dabei nach vorübergehender Abschwächung auf ›bloße‹ 6,5 Prozent wieder steigende Wachstumsraten erreicht, während die Wirtschaft in den westlichen Metropolen schrumpft. Die Begehbarkeit des in anderer Richtung abzweigenden Weges und damit die Möglichkeit tendenziell globaler US-Hegemonie bei der Anführung der anderen Nationen auf diesem Weg würde voraussetzen, dass die Politiker des Westens – noch einmal in Harveys Worten –

get down to doing what has to be done to rescue capitalism from the capitalists and their false neoliberal ideology. And if that means socialism, nationalizations, strong state direction, binding international collaborations, and a new and far more inclusive (dare I say ›democratic‹) international financial architecture, then so be it. (Ebd.)

Dass diese Zukunftsmöglichkeit wirklich werde, ist angesichts der Kräfteverhältnisse unwahrscheinlich. Käme sie zum Zuge, wäre sie Wasser auf die Mühlen des weltbürgerlichen Idealismus. Für die Bootsflüchtlinge aus den noch vor- oder erst halbkapitalistischen Erdzonen wäre zwar das »Opferfest der Arbeiterklasse« (MEW 23, 511), in die sie sich jetzt gefahrloser einreihen könnten, noch immer nicht zu Ende. Doch die »Altermundialisten«, die plural-universalistische kosmopolitische Bewegung der Bewegungen, die für eine andere, nämlich über den Kapitalismus hinausgehende Welt und damit zugleich für die Ausweis- und Rechtlosen aller Länder streitet, fänden günstigere Bedingungen dafür vor, in diesem Kampf Boden zu gewinnen.

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Aus den Vorarbeiten zu einem für Ende 2009 geplanten Buch Hightech-Kapitalismus in der Krise.

[2] Auch für Shalini Randeria und Andreas Eckert ist Imperialismus »das wohl bedeutendste [...] Konzept, um die Beziehungen zwischen dem Westen und dem Rest zu beschreiben und zu bewerten« (2008, 13); IWF und Weltbank gelten ihnen als »zentrale Institutionen des neuen post-kolonialen Imperialismus« (10).

[3] Arrighi und Moore zufolge basierte die Entwicklung des historischen Kapitalismus als Weltsystem immer auf der Bildung solcher Blöcke (ebd.).

[4] Karl Marx, Rede auf der Jahresfeier des »People’s Paper« am 14. April 1856 in London, MEW 12/3f.

[5] Fragwürdig wird es, wo Hardt/Negri im Geiste des Postkommunismus diese Sphäre transnationaler Herrschaft »am Ende der Geschichte« situieren (13).

[6] »Goldman’s role in the financialization of America was similar to that of other players, except for one thing: Goldman didn‘t believe its own hype. Other banks invested heavily in the same toxic waste they were selling to the public at large. Goldman, famously, made a lot of money selling securities backed by subprime mortgages — then made a lot more money by selling mortgage-backed securities short, just before their value crashed. All of this was perfectly legal, but the net effect was that Goldman made profits by playing the rest of us for suckers.« (Krugman 2009b)

[7] Für Ignacio Sotelo sind die Europäer »dabei, etwas zu bekommen, wonach es sie immer verlangt hat, nämlich treue Verbündete der Vereinigten Staaten zu sein [...] ohne zu bloßen Komparsen herabgewürdigt zu werden« (2009).