Sieg des Klimarealismus

Warum die UN-Klimaverhandlungen so festgefahren sind

Die Wirtschafts- und Finanzmarktkrise zwingt die Regierungen zur schonenden Regulierung des kapitalistischen Weltwirtschaftssystems, das von eben diesen Regierungen über Jahrzehnte und politisch gewollt den reinen Marktkräften überlassen wurde.Die Funktionsfähigkeit des Systems soll wiederhergestellt, stabilisiert und nachhaltig gestaltet, sprich wieder auf Wachstumskurs gebracht werden. Klimaschutz besitzt in diesem Wiederaufbauprogramm, dessen realwirtschaftliche Kosten erst in der Zukunft ihre dramatischen sozialen Folgen offenbaren werden, einen nur geringen Stellenwert. Ein Beitrag zur Klärung der Frage, warum die UN-Klimaverhandlungen so festgefahren sind. (1)

In der aktuellen Situation werden die jeweiligen nationalen Sachzwänge durch Konjunkturprogramme und Stabilisierungspakete die Konkurrenz auf den Weltmärkten weiter verschärfen. In dieser Situation treten die nationalen Interessenlagen, die schon immer die internationale Klimapolitik bestimmt haben, deutlicher denn je in den Vordergrund. Sie wurden zuvor von der "Symbolpolitik Klimaschutz" nur besser kaschiert.

Es ist einmalig in ihrer Geschichte, dass ein UN-Generalsekretär bereits im Vorfeld einer internationalen Konferenz deren Scheitern erwartet. Ban Ki Moon wäre schon zufrieden, wenn die Regierungen in eine "konstruktive Diskussion" eintreten würden, die den Weg für Nach-Kopenhagen-Verhandlungen freimachen und zu einem rechtlich bindenden Abkommen führen könnten. Vor allem die nationalen Eigeninteressen der Industrie- und Schwellenländer sind verantwortlich dafür, dass das globale öffentlichen Gut "Atmosphäre", das die Staatengemeinschaft für die ganze Menschheit schützen will, so vernachlässigt wird.

Dagegen demonstrierten 52 afrikanische Staaten beim Vorbereitungstreffen für den Kopenhagener Gipfel im November in Barcelona. Sie verständigten sich - ein Novum in den Klimaverhandlungen - auf einen gemeinsamen Forderungskatalog und die Entsendung einer gemeinsamen Delegation nach Kopenhagen. 67 Milliarden US-Doller, so ihre Forderung, sollen die Industrieländer jährlich für Klimaschäden in Afrika zahlen und niedrige Reduktionsziele festlegen.

Auf Kooperation zielender Politikansatz

Es deutete sich aber schon vor der Wirtschafts- und Finanzmarktkrise an. Die Regierungen vor allem der westlichen sowie der Schwellenländer haben sich erstens weit vom multinationalen, auf Kooperation zielenden Politikansatz entfernt. Nationalstaatliche Interessenpolitik in der globalen Konkurrenz obsiegt über weltgesellschaftliche, ökologische Notwendigkeiten. Der Rückfall der einstigen angeblichen "Klima-Kanzlerin" Angela Merkel zur Auto- und Industriekanzlerin à la Schröder, ist ein Beispiel dafür. Die Atompolitik Frankreichs, die Kohlepolitik Indiens und Chinas oder die verhärteten Positionen in den USA sind weitere Beispiele dafür, dass Klimaschutz vor allem Symbolpolitik ist und konkrete Strategien zur Reduktion der klimaschädlichen Emissionen noch immer fehlen.

Mit ihrer Rede Anfang November vor dem amerikanischen Kongress konnte Bundeskanzlerin Angela Merkel zwar "Klima-Punkte" sammeln. Die US-Demokraten applaudierten. Der republikanische Senator James Inhofe aber sagte: Die Rede werde die Debatte in den USA "in keiner Weise" verändern. Hoffnungsträger Barack Obama kann auf Grund der innerstaatlichen Kräfteverhältnisse der Klimadiplomatie auch in schweren Zeiten nicht unter die Arme greifen. Dafür kann allerdings nicht nur der Kongress verantwortlich gemacht werden, der anspruchsvolle Klimagesetze verhindert. Denn nachdem die Obama-Regierung den Klimakiller CO2 zu einem Schadstoff erklärt hat, könnte das Umweltministerium auch unabhängig vom Kongress strengere Richtlinien erlassen.

Schließlich sind auch die geplanten Laufzeitverlängerungen der deutschen Atomkraftwerke das Gegenteil von dem, was die CDU/FDP-Regierung so gerne verkündet: Nicht Klimaschutz wird betrieben, sondern die Konservierung der herrschenden Energiepolitik und die Verhinderung des Ausbaus erneuerbarer Energien.

Aber nicht nur Deutschland, auch die Europäische Union hat sich längst von ihrer einstmaligen Vorreiterrolle in Sachen Klimaschutz verabschiedet. Sie bremst, indem sie - und ihre Mitgliedsstaaten - über die Lastenverteilung streitet und nicht bereit ist, verbindlich Finanzmittel für den Klimaschutz in den Entwicklungsländern zur Verfügung zu stellen.

Die Schwellenländer aber machen Zusagen über eigene Klimaschutzmaßnahmen von eben diesen Finanzzusagen abhängig. Aber vor allem proklamieren sie erheblichen wirtschaftlichen Nachholbedarf. Indien und China wollen auf die Verbrennung ihrer Kohlevorräte nicht verzichten. Sie benötigen die billige Energie, um auch weiterhin im globalen Standortwettbewerb konkurrenzfähig zu sein. China pocht vehement auf sein Recht, den CO2-Ausstoß noch mindestens zwei Jahrzehnte weiter zu erhöhen. Schließlich liege der Pro-Kopf-Ausstoß noch weit unter dem Niveau westlicher Industrieländer, die die historische Hauptverantwortung für den Klimawandel tragen würden, so Chinas Klimasonderbeauftragter Yu Qingtai. Die Industrieländer sollen erst mit gutem Beispiel voran gehen.

Doch davon kann zweitens keine Rede sein. Ein Plus des CO2-Ausstoßes von 50 Prozent von 1990 bis 2007 in Spanien, plus 40 Prozent in Portugal, plus 22 Prozent in Kanada, plus 16 Prozent in den USA - und auch plus sechs Prozent in dem Land, dem das Protokoll seinen Namen verdankt: Japan. Deutschland hat seinen CO2-Ausstoß um 20 Prozent reduziert und steht damit zusammen mit Großbritannien (minus 18 Prozent) relativ gut dar.

Bilanztricks mit Clean Development-Mechanismen

Insgesamt aber ist das Kyoto-Protokoll dennoch den Beleg schuldig geblieben, einen wirksamen Beitrag zur Lösung des Klimaproblems leisten zu können. Das ständige Gefeilsche um neue Reduktionsziele bis zum Jahr 2050 wirkt vor diesem Hintergrund wie ein Scheingefecht, das von den eigentlichen Problemen ablenkt und das Problem - symbolisch zumindest - in die Zukunft verlagert. Weltweit sind die Emissionen zwischen 1990 und dem Jahr 2007 um mehr als ein Drittel angestiegen.

Die ernüchternde Bilanz in der Emissionsentwicklung führt drittens zur Infragestellung der Wirksamkeit der marktwirtschaftlichen Instrumente. Eine Wirkanalyse der Implementierung zeigt, wie eine kreative Kohlenstoffbuchführung die Reduktion der klimaschädlichen Gase gar nicht erforderlich macht. Da vor allem Transformationsländer wie etwa Polen über viele zugewiesene, aber nicht genutzte Emissionen verfügen, drohen die Kyoto-Ziele ausgehöhlt zu werden.

Spanien etwa, das hohe Emissionszuwächse hat, ist an einem billigen Zukauf an Emissionsrechten aus Polen interessiert. Dann stimmt die Bilanz. Der Emissionshandel kann aber im Sinne einer Emissionsreduktion nur funktionieren, wenn die Zertifikate knapp und nicht wie derzeit im Überschuss vorhanden und die Preise hoch sind. Auch der EU-Emissionshandel erfüllte dies nicht. Die kostenlose Ausgabe der Zertifikate, die Überallokation in der 1. Handelsperiode - der reale Bedarf der Industrie im Jahr 2005 wurde um satte 44 Mio. Tonnen überschritten - stellen nicht nur die Kinderkrankheiten dar, die es nur mal eben zu beseitigen gilt. Sie sind in die Kyoto-Struktur eingeschrieben. Das Vertragswerk ist das kristallisierte Produkt nationaler Interessen, die verhindert haben, dass mit ihm notwendige Einschnitte in die fossilistisch gespeiste Wirtschaftskraft verbunden werden.

Dieses Argument wird vor allem plausibel, wenn ein weiteres Instrument des Kyoto-Protokolls, der Clean Development Mechanism (CDM), betrachtet wird. Mittels dieses Instruments können ebenfalls die erforderlichen Emissionsreduktionen im Ausland generiert und in das europäische Emissionshandelssystem eingespeist werden. Die ursprüngliche Logik des Instruments besteht darin, die Kosten von Klimaschutzmaßnahmen zu senken, in dem sie dort umgesetzt werden, wo die Realisierungskosten am niedrigsten ausfallen und möglicherweise noch profitable Gewinne abwerfen.

Bei einem hohen Anteil an registrierten CDM-Projekten wird jedoch deren Nutzen im Sinne einer zusätzlichen Reduktion von CO2-Emissionen angezweifelt. Auf diesem Weg gelangen auch "faule Zertifikate" in die EU, was dann global betrachtet einen Mehrausstoß von C02-Emissionen zur Folge hat. Die bisherige Bilanz des CDM zeigt schließlich, dass vor allem die Möglichkeit verbessert wird, die Emissionen rechnerisch in den Industrieländern bzw. in Unternehmen nicht unbedingt senken zu müssen. So werden auch die meisten EU-Staaten ihre Kyoto-Ziele nicht durch inländische Reduktionen, sondern nur durch den Zukauf von Zertifikaten erfüllen können. Die Bilanz stimmt wieder.

Ein anspruchsvoller Klimaschutz ist aber nur zu haben, wenn die Reduzierung der Verbrennung fossiler Energieträger gelingt. Damit ist die vierte Beobachtung angesprochen, weshalb die internationale Klimapolitik vor einem Scherbenhaufen steht. Energiesicherheit, vor dem Hintergrund der Endlichkeit fossiler Ressourcen, rückt immer stärker in den Fokus nationaler Politik. Eine günstige Energieversorgung ist zwingend erforderlich, wenn im internationalen Standortwettbewerb mitgehalten und eine neuerliche Wachstumsphase eingeleitet werden soll. Alleine auf erneuerbaren Energien kann eine solche Politik des Wachstums nicht basieren. Gerade auch deshalb sind die Vorverhandlungen von Kopenhagen festgefahren. Es wird alles vermieden, was die Energiepreise verteuern oder falsche Marktsignale setzen könnte.

Vor dem Hintergrund der Misserfolge, von denen die UN-Klimapolitik geprägt ist, formiert sich im Widerstreit mit der offiziellen Politik eine neue Generation global vernetzter, ziviler Protestkampagnen. Diese kritisieren auch das bisherige, zu sehr auf die Regierungen hoffende und angepasste Verhalten zahlreicher NGOs. Dem Climate Action Network (CAN) aus über 350 Organisationen, das die Verhandlungen nunmehr zwanzig Jahre kooperativ und mittels Lobbying begleitet, wird vorgeworfen, die zentralen Klimaprobleme wie das ungerechte Nord-Süd-Gefälle und die ungerechten Weltwirtschaftsbeziehungen vernachlässigt zu haben. Stattdessen sei beim klein-klein der marktwirtschaftlichen Ausgestaltung der Klimainstrumente fleißig mitgearbeitet worden. Viele NGOs wiederum warnen vor einer allzu radikalen Kritik: Die fragilen Verhandlungen sollten nicht noch von außen unnötig gestört werden. Das aber scheint gar nicht möglich bzw. nötig zu sein. Die so genannte Weltgemeinschaft legt sich selbst die Steine in den Weg, weil sie heillos zerstritten ist.

Warum die Verhandlungen nicht radikal kritisieren?

Das wirft die Frage auf, ob die internationale Klimapolitik überhaupt die richtige Arena darstellt, in der um den richtigen Weg zum Klimawandel gerungen werden soll. Zwölf Jahre nach Unterzeichnung des Kyoto-Abkommens und 17 Jahre nach Unterzeichnung der Klimarahmenkonvention sollte jedenfalls deutlich geworden sein, dass die internationalen Maßnahmen langwierig und bisher auch wenig zielführend sind. Viele Industrieländer haben ihre Minderungsziele zum Teil weit verfehlt, zu groß sind die Schlupflöcher, die Ausweichmöglichkeiten und die Interessen bedingten Spielräume in der Buchführung. Wer redet überhaupt noch, bei allen Forderungen nach neuen finanziellen Zusagen, über die bestehenden Finanztöpfe (entsprechend der Marrakesh Accords aus dem Jahr 2001), in die lange schon viel zu wenig eingezahlt wird. Große Erwartungen können mit Kopenhagen nicht verbunden werden; und zwar auch dann nicht, wenn ein Abkommen - was unwahrscheinlich ist - vorgelegt und Finanzmittel zugesagt werden.

Die Logik der marktbasierten Instrumente, die schließlich auch in einem Folgeabkommen zentral wären, würde auch in Zukunft der nationalen Wettbewerbsfähigkeit nicht zuwider sein: In Zeiten der Finanz- und Wirtschaftskrise, eines Wirtschaftsabschwungs und in eines in den kommenden Jahren erhöhten Finanzbedarfs der Länder für ihre Krisenbewältigungsmaßnahmen, sind niedrige Energiepreise, der Erhalt von Arbeitsplätzen und nationale Wettbewerbsfähigkeit - und zwar in den Industrie-, Schwellen- und Entwicklungsländern - wichtiger als die Reduktion von produktions- und konsumbedingten Emissionen. Die weiteren Verhandlungen und zu erwartenden Ergebnisse auch der Klimakonferenzen nach Kopenhagen werden diesem ökonomischen Primat nicht widersprechen.

Achim Brunnengräber

Anmerkung:

Vgl. meinen Beitrag: "Prima Klima mit dem Markt? Der Handel mit dem Recht, die Luft zu verschmutzen". In: Prokla, Zeitschrift für kritische Sozialwissenschaft, Heft 3, 156, Sept. 2009, S. 407-424 und mein Buch "Die politische Ökonomie des Klimawandels", München 2009: oekom.

aus: ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis/ Nr. 544/20.11.2009