Piratenbekämpfung

Verfehlter Militäreinsatz am Horn von Afrika

in (13.01.2010)

Die Somalia-Sicherheitskonferenz brachte am 23. April 2009 VertreterInnen von 23 Staaten zusammen, um Maßnahmen zur Stabilisierung Somalias zu beraten. Zwischen den Zeilen ging es jedoch allein um die somalischen Piraten und deren Bekämpfung. Das Ergebnis der Konferenz fiel entsprechend aus: Keine einzige politische Initiative wurde beschlossen. Dafür ließen die teilnehmenden Staaten 200 Millionen Euro für die Auf- und Ausrüstung von Militär und Polizei springen, nichtmilitärische Lösungsansätze blieben hingegen auf der Strecke.

Im Vergleich zu den 43 Millionen Euro, die allein die Bundesregierung für die Beteiligung an der Europäischen Militärmission zur Piratenbekämpfung für 2009 in ihrem Haushaltsplan bereitgestellt hat, sind die 200 Millionen für Somalia kläglich. Das gesammelte Geld soll auch gar nicht in den dringend notwendigen Versöhnungsprozess zwischen den Konfliktparteien und in den wirtschaftlichen Wiederaufbau des Landes fließen. Es soll allein in die Aufstockung der Militärmission der Afrikanischen Union AMISOM investiert werden, die seit Februar 2007 völlig handlungsunfähig und von den Konfliktparteien nicht akzeptiert in der Hauptstadt Mogadishu vorwiegend mit ihrem Selbstschutz beschäftigt ist. Zusätzlich sollen die Gelder die kurzfristige Ausbildung und Bezahlung von 16.000 Sicherheitskräften finanzieren, deren Aufgabe nach den Vorstellungen der Konferenzteilnehmer vor allem in der Piratenbekämpfung an Land bestehen soll.

Das Ergebnis der Konferenz spiegelt die Ignoranz der Staaten gegenüber den Ursachen des Piraterieproblems wider. Es bildet darüber hinaus auch den vorläufigen Höhepunkt der Militarisierung eines Problems, dessen Lösung nur durch einen Friedensprozess und den Wiederaufbau staatlicher Strukturen in Somalia, nicht aber durch den Einsatz von Militär zu erreichen ist.

Problemursache „failed state"

Formuliertes Ziel der Somalia-Konferenz war es, Maßnahmen zu beschließen, die Somalia zu Stabilität und Sicherheit verhelfen. Tatsächlich sind es die Instabilität und das vollständige Fehlen von Sicherheit, was das Paradebeispiel des „failed state" Somalia auszeichnet. Die Piraterie vor Somalia konnte sich nur zu dem jetzigen Ausmaß entwickeln, weil Somalia ein gescheiterter Staat ist. Seit 1988 befindet sich das Land im Bürgerkrieg, seit dem Sturz des damaligen Präsidenten Siad Barre im Jahr 1991 verfügt es nicht mehr über staatliche Kontrolle oder Institutionen. Es existiert weder eine Küstenwache noch eine funktionierende Gerichtsbarkeit, die Piraterie ahnden könnte. Illegaler Fischfang, Überfischung und Müllverklappung haben den Fischereisektor geschwächt und den überwiegend vom Fischfang lebenden KüstenbewohnerInnen die Existenzgrundlage geraubt. Verarmung und Rechtlosigkeit haben maßgeblich dazu beigetragen, dass sich viele Somalis illegalen Erwerbsquellen zugewandt haben, wozu neben Piraterie auch Waffenschmuggel zählt. Die 2004 im Exil gebildete Übergangsregierung verfügt kaum über Macht. Sie konnte erst mit Unterstützung der äthiopischen Armee, die im Dezember 2006 in Somalia einmarschierte, die Kontrolle in Mogadishu übernehmen. Außerhalb der Hauptstadt kontrollieren lokale Regime, die sich oft aus Clanältesten zusammensetzen, weite Teile des Landes. Dazu zählen auch das autonome Somaliland und das halbautonome Puntland, die Hochburg der Piratengruppen. Zwischen Juni und Dezember 2006 erreichte die Union der Islamischen Gerichtshöfe (UIC), die kurzzeitig die Macht im Land übernommen hatte, eine weitgehende Eindämmung der Piraterie. Nachdem die äthiopische Armee mit Unterstützung der USA in Somalia einmarschierte und die UIC vertrieb, nahm die Piraterie wieder zu, die Kämpfe zwischen den Bürgerkriegsparteien weiteten sich aus und die Sicherheitslage im Land verschlechterte sich massiv.

Die Zukunft der Piraterie hängt maßgeblich von der Entwicklung in Somalia ab. Entsprechend ist eine Lösung des Piraterie-Problems nur erreichbar, wenn alle relevanten Akteure einbezogen werden und das Problem nicht losgelöst von der allgemeinen politischen, wirtschaftlichen und sozialen Situation betrachtet wird. Insofern hat die Somalia-Konferenz schon im Ansatz versagt. Außer dem Präsidenten der somalischen Übergangsregierung Sheik Sharif Sheik Ahmed war kein Vertreter der somalischen Machtgruppen vertreten. Damit wurde die Chance verpasst, alle Konfliktparteien an den Verhandlungstisch zu bringen und über eine gemeinsame Strategie zur Eindämmung der Piraterie auch Türen für Fortschritte im Versöhnungs- und Friedensprozess zu öffnen.

Völker- und verfassungsrechtlich heikel

Stattdessen konzentrieren sich die Staaten allein auf die militärische Strategie. Legitimiert wird sie durch den UN-Sicherheitsrat. Nach der wiederholten Entführung von Schiffen mit Hilfslieferungen für Somalia, verabschiedete der UN-Sicherheitsrat im Mai 2008 eine erste Resolution.[1] Bis zum Jahresende sollten im Abstand von zum Teil nur wenigen Wochen vier weitere folgen.[2] Während die erste Resolution noch reinen Appellcharakter hatte und sich auf die Bitte an die Staaten beschränkte, von Piratenangriffen betroffenen Schiffen Hilfe zu leisten, mandatierten die nachfolgenden Resolutionen die Staaten, die Sicherheit vor der Küste Somalias auch mit militärischen Mitteln zu gewährleisten. Mit den Resolutionen weiteten die Vereinten Nationen den Geltungsbereich des Seerechtsübereinkommens (SRÜ) von 1982 auf territoriale Gewässer aus und erteilten erstmals ein Mandat zur Pirateriebekämpfung. Die völkerrechtliche Legitimität eines solchen Mandats ist allerdings zweifelhaft, da es sich auf Kapitel VII der UN-Charta stützt. Voraussetzung hierfür wäre aber eine Friedensbedrohung bzw. ein Friedensbruch oder eine Angriffshandlung. Dies ist bei Piraterie nicht gegeben. Statt einer Bedrohung für den internationalen Frieden dürfte es sich hier eher um die Bedrohung der internationalen Schifffahrt durch Kriminalität[3] handeln. Die Behauptung des Sicherheitsrats, dass die Vorfälle von Seeräuberei in den Hoheitsgewässern Somalias die Situation im Land verschärfen, mag zutreffen, Piraterie für sich allein stellt jedoch keine Bedrohung des Weltfriedens dar und rechtfertigt ein Kampfmandat des UN-Sicherheitsrates nicht.

Für die Bundesregierung stellt die Pirateriebekämpfung darüber hinaus ein verfassungsrechtliches Problem dar. In Deutschland ist der Einsatz von Militär für polizeiliche Zwecke verfassungsrechtlich ausgeschlossen. Art. 87a Grundgesetz (GG) sieht eine strikte Trennung von polizeilichen und militärischen Aufgaben vor. Während die Pirateriebekämpfung in den Zuständigkeitsbereich der Polizei fällt, darf die Bundeswehr nur im Verteidigungsfall eingesetzt werden. Diese Trennung gilt, obwohl in Art. 87a GG nicht erwähnt, der ratio legis nach auch außerhalb des deutschen Territoriums, also auch bei Auslandseinsätzen.[4] Entgegen dieser verfassungsrechtlichen Beschränkung beschloss der Deutsche Bundestag am 19. Dezember 2008 mit großer Mehrheit die Beteiligung der Bundeswehr an der europäischen Militäroperation ATALANTA. 

Ankunft der Kriegsflotten

Bereits am 10. November beschloss der EU-Rat auf Grundlage der UN-Sicherheitsratsresolution 1816 die Militäroperation EU NAVFOR, bekannter unter dem Namen ATALANTA, und kündigte den Beginn der Mission für Dezember an. Während der EU-Rat noch an seinem Beschluss für die „Gemeinsame Aktion 2008/851/GASP des Rates" feilte, entsandte die NATO bereits im September mit der „Operation Allied Provider" eine Kriegsflotte, an der sich, trotz mangelnder rechtlicher Grundlage, auch Deutschland mit einer Fregatte und einem Versorgungsschiff beteiligte. Bis Ende des Jahres 2008 war kaum überschaubar, welche Nationen mit wie vielen Kriegschiffen und welchem genauen Auftrag am Horn von Afrika auf Piratenjagd waren. Obwohl sich das mit Beginn der europäischen Marine-Operation ändern sollte, existieren bis heute weder einheitliche verbindliche Regeln für die Piratenbekämpfung, noch gibt es eine koordinierte Strategie, wie mit verhafteten Piraten oder der Piraterie Verdächtigen umzugehen ist. Immerhin eindeutig liest sich der Auftrag der EU-Mission ATALANTA: Schutz von Schiffen des Welternährungsprogramms (WEP), die Hilfslieferungen nach Somalia transportieren durch Geleitschutz und/oder Präsenz von bewaffneten Streitkräften an Bord dieser Schiffe und „bei Bedarf" auch Schutz von Handelsschiffen, die vor der Küste Somalias fahren.[5] Ende April verkündete das Verteidigungsministerium stolz, dass im Rahmen der EU-Militärmission bereits 26 Schiffen des Welternährungsprogramms erfolgreich Geleitschutz gewährt wurde. Laut einer Pressemitteilung des Verteidigungsministeriums vom 23. April wurde darüber hinaus 124 Handelsschiffen Geleitschutz gewährt.[6] Auch wenn das Welternährungsprogramm nicht ansatzweise so viele Schiffe mit Hilfslieferungen für Somalia entsendet wie Handelsschiffe der Industrienationen das Horn von Afrika mit Rohstoffen und Gütern für den europäischen Markt queren, deutet schon das Verhältnis 26 zu 124 auf die Prioritätensetzung von ATALANTA hin. So stellt sich die Frage, ob nicht weniger Schiffe ausreichen würden, um den Schutz der Hilfslieferungen zu gewährleisten. Während dem Geleitschutz von Hilfslieferungen nur ein kleiner Teil der Operationskapazitäten zufällt, konzentriert sich der Großteil der EU-Flotte auf den Schutz der eigenen Handelsschiffe. Ende Mai waren mindestens 43 Kriegsschiffe auf Piratenjagd am Horn von Afrika. Neben der EU-Mission ATALANTA und der US-geführten Combined Task Force 151 ist die NATO mit der Mission „Allied Provider"  sowie Kriegsschiffe von mindestens acht Nationen unter nationalem Kommando vor Ort. Auch die im Rahmen der Anti-Terror-Mission „Operation Enduring Freedom" (OEF) in der Region stationierten Schiffe sind fest in die Piratenjagd eingebunden. Bei Bedarf werden sie umgeflaggt und der EU-Operation ATALANTA unterstellt.

Eskalation statt „schneller Erfolg"

Nach einigen schnellen Erfolgsmeldungen und einem kurzfristigen Rückgang der Vorfälle zum Jahresende nahmen die Angriffe rasch wieder zu. Die Piratengruppen haben sich schnell auf die neue Situation eingestellt, ihre Strategie angepasst und ihr „Einsatzgebiet" ausgedehnt. Das International Maritime Bureau (IMB) berichtete am 21. April, dass sich die Piratenangriffe im ersten Quartal dieses Jahres zum Vergleichszeitraum 2008 fast verdoppelt haben. Seit Beginn der EU- und NATO-Militärmissionen ist ein Anstieg von 20% zu verzeichnen. Von 102 registrierten Angriffen gingen 61 auf das Konto der vor Somalia und im Golf von Aden operierenden Piratengruppen. Zwar hat sich die „Erfolgsquote" bei den Angriffen verringert, insgesamt sind die in der Regel auf Lösegeld abzielenden Schiffsentführungen aber angestiegen. Die Präsenz der internationalen Kriegsflotten hat also keinen schnellen Erfolg gebracht. Im Gegenteil: Die Angriffe haben zahlenmäßig zugenommen und es hat erste Todesopfer gegeben. Schon im vergangenen November hatte ein indisches Kriegsschiff ein vermeintliches Piratenschiff und seine 14-köpfige Besatzung versenkt. Wie sich kurz darauf herausstellte, handelte es sich bei dem Schiff um einen thailändischen Fisch-Trawler. Im April dieses Jahres gingen Frankreich und die USA dazu über, von Piraten gefangene Geiseln zu befreien statt Lösegelder zu zahlen und sorgten damit unweigerlich für eine Eskalation, deren vorläufiger Höhepunkt die Befreiungsaktion des US-amerikanischen Kapitäns Richard Phillips durch Spezialeinheiten der US-Marine war. Bei der Aktion wurden drei Piraten erschossen, ein weiterer verhaftet. Dem vorausgegangen war die Befreiung einer französischen Seglergruppe, die nur zum Teil glückte. Eine Geisel wurde durch eine Kugel tödlich getroffen, abgefeuert von französischen Spezialeinheiten. Auch Deutschland zeigt sich bereit, eine „härtere Gangart" gegen die Piraten anzuschlagen und Geiseln zu befreien, anstatt sie freizukaufen. Eigens wurden im April 2009 GSG9-Kämpfer unter großem logistischem und finanziellem Aufwand und mit Unterstützung der USA nach Kenia verbracht, um von dort aus die auf der entführten „Hansa Stavanger" festgehaltene Besatzung zu befreien. Das Vorhaben scheiterte letztlich daran, dass eine Befreiungsaktion ein zu großes Risiko für die Geiseln bedeutet hätte.

Ausweitung der Kampfzone

Trotz der politischen Verfehltheit und des offensichtlichen Scheiterns wird an der militärischen Strategie festgehalten. Dabei wird ein Wettrüsten auf See und die damit verbundene weitere Eskalation nicht nur in Kauf genommen, sondern aktiv vorangetrieben. Während der Schwerpunkt der EU-Mission zu Beginn noch in der „Abschreckung, Verhütung und Beendigung" von Piratenüberfällen lag, hat sich das Einsatzspektrum mittlerweile stark erweitert. Geiseln befreien und gekidnappte Schiffe zurückerobern lautet die Devise. Dabei geraten zunehmend die so genannten Mutterschiffe, von denen aus die Piraten ihre Überfälle mit kleineren, schnellen Booten ausführen, und die Piratenhäfen, von denen aus sie operieren, ins Visier. Eine geographische Ausweitung des EU-Mandats auf die Seychellen wurde bereits im Mai beschlossen. In letzter Konsequenz ist auch eine Erweiterung des Mandats auf die Piratenverfolgung an Land zu befürchten. Bislang schrecken die internationalen Piratenjäger vor einem solchen Schritt zurück, da er unkalkulierbare Folgen hätte. Selbst den wenig zimperlichen Befürwortern militärischer Interventionen ist klar, dass ein Einsatz von Bodentruppen auf somalischem Territorium zwangsläufig zu einer weiteren Destabilisierung des Landes führen und den Bürgerkrieg um einen neuen Kriegsschauplatz erweitern würde. Den Ursachen, die der Piraterie zugrunde liegen, wurde bis heute kaum Aufmerksamkeit geschenkt. Außer Floskeln über den notwendigen Frieden für Somalia hat weder die Bundesregierung, noch die EU, geschweige denn die NATO Initiativen entwickelt, um die komplexen Probleme des vom Bürgerkrieg zerrütteten Landes nachhaltig lösen zu helfen. Solange sie an der militärischen Logik festhalten und sich politischen Lösungsansätzen hartnäckig verweigern, wird der Bürgerkrieg in Somalia auf absehbare Zeit kein Ende finden, internationale Fischfangflotten werden weiterhin ungehindert illegal die Fischgründe Somalias leeren und die Piraten werden eine Bedrohung für die Schifffahrt bleiben.

Maria Oshana ist Sozialökonomin und lebt in Berlin.

 

Weiterführende Literatur:

Fischer-Lescano, Andreas, Bundesmarine als Polizei der Weltmeere? Völker-, europa- und verfassungsrechtliche Grenzen der Pirateriebekämpfung, in: Zeitschrift für öffentliches Recht in Norddeutschland, 12. Jahrgang, Heft 2/2009.

Paech, Norman / Schäfer, Paul / Nescovic, Wolfgang, Piraterie als Herausforderung für die internationale Gemeinschaft - Alternativen zur militärischen Logik bei der Bekämpfung von Piraterie, http://www.norman-paech.de/somalia.html.


[1] Vgl. UNSR Res. 1814 vom 15.05.2008.

[2] Vgl. UNSR Res. 1816 vom 02.06.2008, 1838 vom 07.10.2008, 1846 vom 02.12.2008, 1851 vom 16.12.2008.

[3] Siehe hierzu Art. 101 SRÜ.

[4] Hierzu ausführlicher: Oshana, Maria, Krieg gegen Piraten, in: Blätter für deutsche und internationale Politik, Heft 12/2008.

[5] Vgl. Rat der Europäischen Union, Gemeinsame Aktion 2008/851/GASP des Rates vom 10. November 2008.

[6] Vgl. AFP- Meldung vom 23.04.2009, 09:16.