Obama – Jahr der geplatzten Hoffnungen

In seinem Text "Jahr der geplatzten Hoffnungen" zeigt Conrad Schuhler, dass Obamas Hauptfehler darin besteht, dass sich der US-Präsident auf alte recycelte Kräfte des neoliberalen Establishments stützt, anstatt seine große und begeisterungsfähige Anhängerschaft zu einer linken sozialen Bewegung auszubauen.

 

Die Euphorie, die Obamas Wahlsieg und Amtsantritt hervor riefen, war durchaus ein politisches Ereignis. Denn sie offenbarte, mit welcher Macht sich die Menschen nach einer anderen Politik sehnten, als sie Bush und der alte neokonservative Klüngel betrieben haben. Doch statt diese Massensehnsucht, die ihn ins Amt getragen hatte, zu nutzen und zu einer politischen Kraft zu formen, hat Obama vom ersten Tag an das Gegenteil versucht: nämlich den Geist von Demokratie und Wandel zurück in die Flasche zu stopfen, Begeisterung und Engagement der Obama-Bewegung zu dämpfen und auszulöschen. Dies ist ihm weithin gelungen. Naomi Klein, seit ihrem ersten Buch „No Logo“ eine der wichtigsten Sprecherinnen der Bewegung gegen die kapitalistische Globalisierung, urteilt: Obama, ein Präsident, dem keine Gelegenheit zu groß ist, um sie nicht zu vermasseln.

Die großen Präsidenten der USA hatten eine Volksbewegung hinter sich, die sie zu ihren Leistungen führte. Abraham Lincoln wäre ohne die gewaltige Bewegung gegen die Sklaverei – und auch nicht ohne die Macht der auf „freie Lohnarbeit“ angewiesenen Kapitalisten der Nordstaaten – nicht zum epochemachenden Sklavenbefreier geworden. Franklin Delano Rossevelt hätte seinen New Deal niemals durchsetzen können ohne die Unterstützung der damals kraftvollen Gewerkschaften. Obama hatte eine solche, schon gewachsene gesellschaftliche Bewegung nicht hinter sich. Seiner auf die Linke angesetzten Propagandatruppe ist denn nun auch die Devise vorgegeben, der Präsident müsse „Kompromisse“ eingehen, weil die „Gegenseite“ über die stärkeren Truppen verfüge. Doch Obama selbst hat dafür gesorgt, dass sich seine viele Millionen zählende entschlossene Anhängerschaft nicht einbringen sollte in die politische Auseinandersetzung.

Es fing schon mit der Auswahl seines Regierungsteams an. Statt Kräfte des vielbeschworenen „Wandels“ zu berufen, setzte Obama auf recycelte Typen der Clinton- und Bush-Ära. Zu seinem ersten Wirtschaftsberater machte er Lawrence Summers, der als Clintons Finanzminister die Deregulierung der Finanzmärkte federführend betrieben hatte. Zu seinem eigenen Finanzminister ernannte er Timothy Geithner, der bis dahin als Präsident der New York Federal Reserve die Verbindung zwischen Zentralbank und Wall Street organisiert hatte. Als Chef der Federal Reserve wurde Ben Bernanke bestätigt, der in der Nachfolge von Alan Greenspan die Finanzmärkte mit Billionen billigen Dollars für ihre Spekulationsgeschäfte versorgt hatte. Die Ergebnisse der „Bewältigung“ der Finanzkrise à la Obama sehen entsprechend aus. Die Finanzinstitute wurden mit Billionen-Aufwand an öffentlichen Geldern aus ihren Verlusten heraus geholt, die fünf größten Banken sind heute größer als vor einem Jahr, machen Spekulationsgeschäfte wie in alten Zeiten und zahlen Rekordboni an die Topmanager. Zum Jahresende strichen diese Führungskräfte der Wall Street 25 Milliarden Dollar ein. Ihre Wahlspenden für Obama haben sich gelohnt.

Ebenso verheerend hat sich die Politik des von Obama ausgewählten Teams für Außen- und Sicherheitspolitik ausgewirkt. Als Außenministerin wählte Obama Hillary Clinton, die als Senatorin für den Angriff auf den Irak gestimmt hatte. Verteidigungsminister wurde Robert Gates, der dieses Amt schon unter Bush innehatte. Zum Nationalen Sicherheitsberater ernannte der neue Präsident James Jones, General der Marines, ehemals oberster Kommandeur der Nato und der militärischen Operationen gegen Irak und Afghanistan. Nach seiner Verabschiedung als Militär wurde Jones Mitglied in den Aufsichtsräten von Boeing und Chevron, zwei Säulen des Öl-Militär-Komplexes.

So sieht die Militärpolitik denn auch aus. Obama hat Bush als Kriegspräsident längst ausgestochen. Im Irak stehen mehr als 100.000 US-Soldaten, so viel wie im Februar 2004, kurz nach der „Eroberung“ des Irak. Vom Wahlversprechen des Präsidenten, die Truppen aus dem Irak abzuziehen, ist nichts übrig geblieben. Wenn es die Sicherheitslage erlaubt, so die Formel heute, dann bis Ende 2011. Verteidigungsminister Gates hat jüngst erklärt, er könne sich die US-Präsenz auch länger vorstellen.

Für Afghanistan hat Obama eine 30.000 Mann und Frau starke Aufstockung angeordnet. Schnell und kräftig bauen die USA ihr Militär, insbesondere die CIA-Missionen für verdeckte Operationen einschließlich gezielter Tötungsaktionen, in Pakistan auf. Die Vorbereitungen für einen Angriff auf den Iran werden intensiviert. Dabei ist Israel ein williger und willkommener Helfer. Zum chinesischen Präsidenten sagte Obama unlängst, die USA wären nicht mehr imstande, Israel davon abzuhalten, die iranischen Atomanlagen militärisch anzugreifen. Dass die USA Israel als Kriegskompagnon gegen den Iran und andere, eventuell widerständige arabische Länder brauchen, lässt die USA, lässt Obama ruhig zusehen, wie Israel Gaza blockiert und aushungert und seine Siedlungen weiter im arabischen Gebiet ausbaut.

Nun errichten die USA mit dem Jemen auch offiziell eine weitere Kriegsfront. Inoffiziell sind US-Kräfte dort schon länger tätig. Special Forces bewegen sich im Land, ohne die die US-freundliche Regierung gar nicht ihres Amtes walten könnte. Regelmäßig werden Raketen auf angebliche Qaida-Stellungen abgefeuert und Luftangriffe durchgeführt. Der Jemen liegt am Golf von Aden, die Zufahrt vom Indischen Meer in Richtung Afrika und über den Suezkanal nach den Ölländern des Mittleren Ostens. Gegenüber liegt Somalia, das auch regelmäßig mit Luftangriffen der USA bedacht wird. Obama erweist sich als präsidialer Vollstrecker der US-Strategie der militärischen Kontrolle der globalen Ölproduktion und -transporte.

Über Obamas entscheidenden Beitrag zum Scheitern des Klimagipfels in Kopenhagen und die Kastrierung der Gesundheitsreform, wo es jetzt doch keine staatliche Krankenversicherung geben soll, haben wir noch gar nicht gesprochen. Sie reihen sich ein in die lange Liste zum Thema „Jahr der geplatzten Hoffnungen“. Die Mehrzahl der Obama-Anhänger ist enttäuscht, aber hält noch zu ihm: „Es gibt doch keine Alternative“. Die Alternative wären sie selbst. Es rettet uns kein höheres Wesen, schon gar kein Obama. Das müssen wir schon selber tun. In den USA, wie bei uns, wird sich ohne den Aufbau starker gesellschaftlicher Bewegungen außerhalb der Parlamente in diesen nichts bewegen lassen.