Risiken und Nebenwirkungen

Die Pille ist seit fünfzig Jahren Vorreiterin der hormonellen Verhütungsmittel. Grund genug, die Normalität der Pilleneinnahme genauer zu beleuchten.

 

Ramona geht zu ihrem Gynäkologen. Sie will ein anderes hormonelles Verhütungsmittel, denn sie hat, so erzählt sie ihrem Arzt, seitdem sie die Pille nimmt, starke Gefühlsschwankungen: „Wenn mich jemand nur schief ansieht, muss ich gleich weinen.” Der Arzt zuckt mit den Schultern und meint: „Das liegt nicht an der Pille. Das werden schon Sie sein.”
Cordula hat einen neuen Freund. Er fragt sie, ob sie die Pille nimmt. Sie verneint und vermutet, dass er von ihr fordern könnte, dass sie die Verhütung übernimmt. Doch wider Erwarten sagt der Freund: „Gut so. Ich habe nämlich mit der Pille schlechte Erfahrungen gemacht. Meine letzte Freundin hat sie genommen, von da an hatte sie keine Lust mehr auf Sex.”
Felicitas Rohrer und Kathrin Weigele sprachen in diesem Frühjahr bei der Hauptversammlung des Pharmariesen Bayer vor und lösten unter den Aktionär_innen große Betroffenheit aus: Beide hatten aufgrund der Einnahme der Pille „Yasmin”, die mit dem Wirkstoff Drospirenon arbeitet, schwere Lungenembolien erlitten und tragen bleibende Gesundheitsschäden davon. Sie müssen ihr Leben lang blutverdünnende Medikamente nehmen und Kompressionsstrümpfe tragen. Und das, obwohl sie vor der Pilleneinnahme vollkommen gesund waren. (1)

Nicht sehr aufgeklärt.
Dies sind nur einige wenige Beispiele für die teils gravierenden gesundheitlichen Nebenwirkungen der Pille, mit denen in der Aufklärung allerdings recht unsensibel umgegangen wird. Und das, obwohl die Pille das am weitesten verbreitete Verhütungsmittel in der westlichen Welt ist. In Deutschland beispielsweise nehmen 6,6 Millionen Frauen im reproduktionsfähigen Alter (zwischen 14 und 44 Jahren) die Pille, das entspricht 38,5 Prozent der weiblichen Bevölkerung. (2) Besonders unter jungen heterosexuellen Frauen ist das Verhüten mit der Pille weit verbreitet und mittlerweile so selbstverständlich, dass es kaum mehr hinterfragt wird.
Sylvia Groth vom Frauengesundheitszentrum Graz (3) sieht darin ein Problem. Ihr begegnen täglich Frauen, „die sagen, ,Ich möchte und brauche ein Verhütungsmittel’. Über die möglichen Begleiterscheinungen sind sie oft nur schlecht informiert. Wenn sie Nebenwirkungen, wie z.B. depressive Verstimmungen, Lustlosigkeit oder Gewichtszunahme verspüren, assoziieren sie das nicht mit der Pille. Der Gedanke, dass sie verhüten müssen, ist stärker.” Für Groth wäre es daher wichtig, einen guten Sexualpädagogikunterricht anzubieten – für Buben und Mädchen. „Man sollte meinen, dass sich in puncto Information und Aufklärung in den letzten vierzig Jahren viel geändert hat, doch das ist nicht der Fall”, konstatiert sie.

Health Feminism. Die Frage der ausreichenden sexuellen Aufklärung von Frauen war schon in den 1970er-Jahren Thema für Feministinnen. Das Präparat wurde von Feministinnen zunächst enthusiastisch begrüßt. So meinte etwa Clare Booth Luce in der „Los Angeles Times”: „Modern woman is at last free, as a man is free, to dispose of her own body, to earn her living, to pursue the improvement of her mind, to try a successful career.” (4)
Mit der Zeit wurde die Pille allerdings zunehmend infrage gestellt, vor allem weil die Nebenwirkungen verschwiegen oder trivialisiert wurden. Radikale Feministinnen forderten eine umfassende Aufklärungspflicht, und zum ersten Mal trat der „health feminism” als bedeutende politische Kraft in Erscheinung. 1970 stürmten Alice Wolfson und ihr National Women’s Health Network die Hearings zur Pille im US-Senat: Sie klagten an, dass Frauen als Versuchskaninchen missbraucht werden, dass keine Patientinnen bei dem Hearing aussagten, und empörten sich darüber, dass es keine Pille für den Mann gab. Diese Proteste wurden über einen längeren Zeitraum – inklusive Sit-Ins – geführt. Das Ergebnis: In der Packungsbeilage der Pille wurde erstmals unter anderem vor Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Thrombosen gewarnt. Daraufhin sank tatsächlich die Zahl der Todesfälle im Zusammenhang mit der Pille, da gefährdete Frauen sie nicht mehr einnahmen.
Ein weiterer Effekt, den sich die Gesundheitsfeministinnen seit dieser Zeit auf die Fahnen schreiben können: Mediziner_innen zeigten sich offener im Umgang mit Frauen, es gab weniger Geheimnistuerei, Verschleierung oder Herablassung, wie sie Patientinnen seit jeher erfahren mussten.

Beständiges Schweigen. Dass sich das Problem der unter den Tisch gekehrten Nebenwirkungen seit den 1970ern nicht wesentlich gebessert hat, zeigt das eingangs beschriebene Beispiel von Felicitas Rohrer und Kathrin Weigele. Denn auch bei den Pillen der neuesten Generation, die wie „Yasmin” mit dem Wirkstoff Drospirenon arbeiten, wurde bisher am Beipackzettel nicht auf sämtliche mögliche Risiken und Nebenwirkungen hingewiesen. Dabei bergen gerade Pillen wie „Yasmin” ein besonders hohes Embolie-Risiko. Dennoch verweigerte der Pharmakonzern Bayer genaue Angaben zur Häufigkeit von schweren Nebenwirkungen und Todesfällen – angeblich, „um Kundinnen nicht zu verunsichern”. (5) Erst durch den öffentlichen Auftritt der beiden Frauen ist Bayer nun bereit, die Informationen auf dem Beipackzettel zu ändern.
Externe Untersuchungen, die ein erhöhtes Nebenwirkungsrisiko feststellten, werden vom Bayer-Konzern aber weiterhin nicht anerkannt. Im Gegensatz dazu wurde jene Studie, die die Sicherheit der Pille „Yasmin” bestätigt, von der Firma Schering durchgeführt, die Teil des Bayer-Konzerns ist. Hinzu kommt, dass Studien, die über Nebenwirkungen berichten, im Allgemeinen seltener veröffentlicht werden als solche, die die Sicherheit von Medizinprodukten bestätigen. Sylvia Groth dazu: „Eine Forderung wäre: Alle Studien müssen veröffentlicht werden! Außerdem können derzeit nur Ärzt_innen Nebenwirkungen melden – Patient_innen nicht. Auch das muss geändert werden. Und: Frauen brauchen Quellen, Zugang zu Websites, zu wissensbasierten Ergebnissen, die nicht von der Pharmaindustrie bezahlt werden. Sie müssen einschätzen können, welche Quellen seriös sind.”

Streit um Hormone. Welche Hormone welche Auswirkungen auf den Körper haben, wo und wie sie genau wirken, – darüber bekommt frau immer noch unterschiedliche Auskünfte. Christian Fiala, Gynäkologe und Leiter des Wiener Museums für Verhütung und Schwangerschaftsabbruch, meint, dass ein Hormon per se nicht schädlich und die Verteufelung aller Hormonpräparate daher nicht zielführend sei: „Hormone sind nichts anderes als Botenstoffe, die ohnehin im Körper vorkommen.” Er räumt jedoch ein, dass jedes Hormonpräparat auf jeden individuellen Körper unterschiedlich wirken kann: „Wenn eine Frau eine bestimmte Pille nicht verträgt, kann sie daraus nicht schließen, dass sie Hormone an sich nicht verträgt. Sie verträgt dann dieses eine spezielle Präparat nicht, ein anderes vermutlich schon. Sie muss ausprobieren, welches Präparat bei ihr am wenigsten Nebenwirkungen aufweist. Das perfekte Verhütungsmittel gibt es nicht. Man muss sich das suchen, das am wenigsten stört.”
Medizinsoziologin Sylvia Groth sieht bei der Einnahme von Hormonen über einen langen Zeitraum hingegen sehr wohl ein Problem: „Dass es keine Langzeitwirkungen gibt, kann man nicht sagen. Es gibt natürlich Auswirkungen auf den gesamten Körper, zum Beispiel die Möglichkeit einer Thrombose oder eines Schlaganfalls. Außerdem wirkt die Pille auf das Herz-Kreislauf-System. Bei welchen Krebsarten sich das Risiko durch die Pilleneinnahme erhöht, ist noch nicht geklärt. Und es gibt Studien, die belegen, dass Hormone langfristig lustbeeinflussend sind.” Das bedeutet, dass auch Jahre nach Absetzen der Pille die Libido – im Gegensatz zu vorher – vermindert sein kann. Groth: „Natürlich gilt das nicht für alle Frauen, bei manchen wirkt sich die Pille nicht negativ aus. Aber was nutzt mir im Einzelfall eine Wahrscheinlichkeit?”
Eben diese Nebenwirkung der Pille erscheint besonders paradox: einerseits, weil sie von den Frauen selbst, aber auch von Gynäkolog_innen nicht als ernst zu nehmende Folgeerscheinung angesehen wird. Andererseits, da die Pille doch insbesondere in ihren Anfängen als Mittel zur sexuellen Befreiung der Frau gefeiert wurde.

Befreiung der Sexualität. Vor der Erfindung der Pille lag die Verantwortung der Verhütung bei den Männern. Sylvia Groth erzählt: „Früher musste ein Mann eine Frau heiraten, wenn sie schwanger wurde. Das hat sich geändert – was per se nicht schlecht ist.” Mit der Freigabe der Pille lag die Verhütungskontrolle erstmals bei den Frauen. Auch Christian Fiala sieht das so: „Mit Einführung der Pille hatten erstmals Frauen die Kontrolle über ihren Körper, das heißt, ob sie schwanger werden wollten oder nicht. Bis heute haben sie durch die Pille die Kontrolle über die Verhütung. Prinzipiell muss man zur Pille sagen: Sie hat eine gute Verträglichkeit, wenige Nebenwirkungen und eine relativ hohe Sicherheit.”
Der theoretische Pearl-Index (6) bei fehlerfreiem Gebrauch beträgt bei der Pille nämlich 0,3 – der praktische Pearl-Index bei normalem Gebrauch liegt da schon höher, und zwar bei 8. Im Vergleich dazu liegt der theoretische Pearl-Index bei Verwendung von Kondomen bei 3, der praktische Pearl-Index schon bei 14 – also weit höher als bei der Pille.
So hat die Pille Frauen von der Last der dauernden Schwangerschaften bzw. der permanenten Angst davor befreit. Gleichzeitig hatten sie erstmals die Möglichkeit, bestimmte Abläufe in ihren Körpern mithilfe des Hormonpräparats zu kontrollieren und selbst zu bestimmen, ob und wann sie schwanger sein wollten.

Unabhängige Information. Das Potenzial der Pille, die Befreiung und Selbstbestimmung, die sie den Frauen in den letzten fünfzig Jahren ermöglicht hat, ist unbestreitbar. Und auch heute ist es für viele Frauen der einfachste Schritt, sich für diese relativ sichere und gleichzeitig einfach zu handhabende Form der Empfängnisverhütung zu entscheiden. Einziges Manko: das mangelnde Bewusstsein darüber, was mit dem Körper geschieht und ob frau das auch will.
Sylvia Groth betont, dass es einige Risiken und Nebenwirkungen gibt, über die Frauen Bescheid wissen müssen: „Wenn ich Hormone zu mir nehme, habe ich Wirkungen und Nebenwirkungen. Und ich muss schauen, was mir wichtig ist, auch im Kontext mit meinen Wertevorstellungen. Frauen müssen darüber informiert sein, was sie tun.” Daher fordert sie einen autonomen Sexualpädagogikunterricht für alle Jugendlichen, damit sie fundiertes Wissen über ihren Körper erhalten. „Man muss die Frauen stärken, sie ermutigen. Egal, was andere sagen: Frauen müssen sich selbst ernst nehmen. Was für die eine Frau passt, passt für eine andere nicht”, plädiert Groth.
Dazu braucht es frei zugängliche und unabhängige Information, denn nur so kann frau wissensbasierte Entscheidungen treffen. „Vor allem muss die Information auch der Zielgruppe entsprechen: Bildung, soziale Schicht etc. spielen hier eine Rolle”, sagt Groth. Christian Fiala ist ähnlicher Meinung: „Das Verhütungsmittel muss vor allem zu den Lebensgewohnheiten der Frau passen. Ich frage meine Patientinnen zum Beispiel, ob sie immer in derselben Wohnung schlafen. Verneinen sie dies, so rate ich ihnen von der Pille ab. Denn eine regelmäßige und pünktliche Einnahme ist wesentlich für die Wirksamkeit der Pille. Das kann schwierig werden, wenn eine Frau häufig woanders übernachtet und die Pille zu Hause vergisst.”
Viele Gynäkolog_innen klären aber die Lebensverhältnisse ihrer Patientinnen nicht ab, häufig sind sie in diesen und anderen Punkten der notwendigen Anamnese zu wenig sorgfältig. So ordnen etwa bei Weitem nicht alle einen Test auf APC-Resistenz (7) an, bevor sie einer Frau die Pille verschreiben.
Aber einmal angenommen, all dies wäre gegeben – gute Aufklärung seitens der Ärzt_innen, die Möglichkeit für Patient_innen, eine freie und informierte Entscheidung zu treffen, und passende Lebensumstände –, dann steht frau zu guter Letzt immer noch vor der Frage: Bin ich damit einverstanden, selbst die Kontrolle über die Schwangerschaftsverhütung (und damit den eigenen Körper) zu haben, oder finde ich es mühsam, alleine dafür verantwortlich zu sein?

Die Zukunft. Große Änderungen oder Neuerungen sind in den nächsten Jahren in Sachen Empfängnisverhütung nicht zu erwarten. Das Prinzip der hormonellen Verhütung – im Körper der Frau – hat sich etabliert, es sind nur neue Darreichungsformen (Pflaster, Spritze etc.) hinzugekommen. An nicht-hormonellen Alternativen wird derzeit nicht geforscht. Angeblich gibt es Bemühungen seitens der Pharmaindustrie, auch Männer in die Verhütungsverantwortung zu holen. Sylvia Groth meint dazu lakonisch: „Von der Pille für den Mann höre ich schon seit dreißig Jahren.” Außerdem glaubt sie, dass Männer Nebenwirkungen viel weniger tolerieren würden: Ihre Libido würden sie sich nicht nehmen lassen, das Produkt müsste wesentlich ausgereifter sein, bis ein Mann es nehmen würde.
Christian Fiala hingegen glaubt, dass die Männer mittlerweile sehr daran interessiert sind, wieder die Kontrolle darüber, „was mit den Spermien passiert”, zu übernehmen. Seiner Meinung nach wird sich in Zukunft ein hormonelles Implantat für den Mann gegenüber der Pille durchsetzen. Groth und Fiala sind aber beide skeptisch, was das Übergeben der Verantwortung an den Mann anlangt: „Würden Frauen den Männern vertrauen, wenn es letztlich die Frauen sind, die schwanger werden?”

Anmerkungen:

(1) Bayer-Presseinformation (30.4.2010): 50 Jahre „Pille”: Die andere Bilanz, www.cbgnetwork.org/3360.html

(2) Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe (DGGG), Leitlinie Empfängnisverhütung, www.uni-duesseldorf.de/AWMF/ll/015-015.htm

(3) www.fgz.co.at

(4) Zitiert nach Barbara Seaman u. Laura Eldridge: The Pill in Cheris Kramarae, Dale Spender: Routledge International Encyclopedia of Women: Identity politics to publishing. 2000

(5) Bayer-Presseinformation (30.4.2010): 50 Jahre „Pille”: Die andere Bilanz, www.cbgnetwork.org/3360.html

(6) Mit dem Pearl-Index kann die Zuverlässigkeit von Methoden der Empfängnisverhütung gemessen werden. Ein Pearl-Index von 15 zeigt an, dass von 100 Frauen, die mit einer bestimmten Methode ein Jahr (zwölf Zyklen) lang verhüten, etwa 15 schwanger werden, d.h. je niedriger der Pearl-Index ist, desto sicherer ist die Methode.

(7) Die APC-Resistenz ist eine Erbkrankheit, bei der das Thrombose-Risiko erhöht ist. Der Test würde damit einen der wichtigsten Risikofaktoren für die Frauen abklären.

Dieser Artikel erschien in: an.schläge, das feministische Magazin, www.anschlaege.at