Für eine progressive Hegemonie!

Thesen der Redaktion zu Crossover

1. Crossover und Regierungsbeteiligung keine Synonyme

Für die einen ist Crossover eine Mixtur aus Hip-Hop und Heavy Metal, für die anderen ein politischer Prozess, der jenseits der üblichen Parteihackordnungen gesellschaftspolitische Veränderungen einleiten soll. Der im „Institut Solidarische Moderne“ und anderen Kreisen begonnene Crossover-Prozess darf sich nicht als vorweggenommene Koalitionsverhandlungen verstehen. Crossover und Regierungsbeteiligung sind keine Synonyme. Sie bezeichnen eigenständige Vorgänge: Crossover zielt auf die grundlegende Veränderung der Machtverhältnisse und lotet mögliche Wege dahin aus. Zwischen Vorbereitungsrunden für Regierungsbeteiligungen und Crossover kann es zu Überschneidungen kommen, wenn eine Koalition mit dem Ziel vorbereitet wird, die Machtverhältnisse grundlegend zu verändern. Aber es gibt keinen Automatismus. Eine Regierungsbeteiligung kann ein Instrument zur Veränderung der Machtverhältnisse sein, sie kann aber auch das Gegenteil bewirken. Dass neue parlamentarische Mehrheiten zu einer neuen Politik führen, ist keineswegs ausgemacht. Die rot-grüne Regierung Schröder ist hierfür das beste Beispiel. Statt sozial-ökologische Reformpolitik durchzusetzen, hat sie neoliberale Politik – z. B. Hartz IV und Kriegseinsätze – in ihr Milieu vermittelt und diese damit überhaupt erst gesellschaftlich durchsetzbar gemacht.

2. Bisherige Bilanz ambivalent

Die Bilanz linker Reformpolitik im bürgerlichen Staat ist widersprüchlich: Zwar wurden einerseits progressive Veränderungen über die Einflussnahme auf die Exekutive verwirklicht (z.B. die Bildungsreform der 1970er Jahre), andererseits sind reformpolitische Bestrebungen regelmäßig an den Machtverhältnissen gescheitert. An dieser widersprüchlichen Bilanz wird deutlich: Entscheidend für die Durchsetzung linker Politik sind gesellschaftliche Hegemonien und die Bereitschaft, linke Politik auch gegen machtvolle Interessen zu verteidigen. Ohne Druck im Kessel, ohne soziale Kämpfe, ohne eine Abkehr von einer „allgemeinwohltümelnden“ Staatsillusion (auch bei den Funktionär/-innen der Parteipolitik) wird jede linke Reformpolitik scheitern. Diese Diagnose muss jedoch nicht dazu führen, sich nur noch auf propagandistische Staatskritik zurückzuziehen, man kann sich sehr wohl mit konkreten Perspektiven auseinanderzusetzen. Es gilt für einen solchen radikalen Anspruch Veränderungsmöglichkeiten in den bestehenden gesellschaftlichen Verhältnissen zu bestimmen.

3. Linker Vetoblock statt Mitte-Links

Eine zeitgemäße Aufnahme der Crossover-Idee, um einen Politikwechsel auf den Weg zu bringen, muss die alten Zöpfe der Mitte-Links-Regierungen der neunziger Jahre abschneiden. Die neue Mitte, ordoliberale „Balance“ zwischen Markt und Staat, Drangsalierung der Erwerbslosen, aktivierende Sozialpolitik – all das ist zu Recht diskreditiert und gescheitert. Heute sollte vielmehr im Mittelpunkt der Crossover-Diskussion die Frage stehen, wie eine explizite LINKSREGIERUNG möglich sein kann. Wie kann das linke Lager mit radikalen Reformperspektiven (Energiewende, demokratischer Sozialstaat, friedliche Außenpolitik) die Führung (also die Regierung) übernehmen? Bei diesem Projekt der Führungsübernahme kann die Übernahme von Verantwortung in der Exekutive, in Ländern, Kommunen oder im Bund eine Rolle spielen. Dafür ist jedoch die Konstituierung eines gesellschaftlichen Lagers notwendig, das auf die gesellschaftliche Entwicklung Einfluss nehmen will, um einem Postneoliberalismus den Weg zu bereiten. Insofern geht es in den nächsten Jahren um die Frage, wie ein linker Veto-Block entstehen kann, der die Politik der schwarz-gelben Bundesregierung erfolgreich blockiert. Ziel ist die ausdrückliche Re-Etablierung eines „Lagerdenkens“ und sozialer Konflikte entlang der „links-rechts“-Achse. Nur aus einer vitalen Opposition gegen die Fortsetzung der herrschenden Politik können Energien gewonnen werden, die eine linke Politik in Regierungsverantwortung durchsetzbar macht.

4. Verwaltungs- und Veränderungslinke

Bisher durchzieht sowohl die gesellschaftliche Linke als auch die Parteien der SPD, der GRÜNEN und der LINKEN ein Konflikt zwischen zwei Varianten der Reformpolitik: Die Verwaltungslinke setzt darauf, die bestehenden Problemlagen öffentlicher Institutionen – Haushaltsdefizite, enge Handlungsspielräume, schlechte Einnahmesituation – mit linken Akzenten zu verwalten. Sie nimmt dabei ein „moderierendes“ Verhältnis zur neoliberalen Politik ein. Sie will nicht alles anders, aber vieles besser machen. Im Gegensatz dazu hält die Veränderungslinke an der Idee einer Reformpolitik, also einer substantiellen politischen Veränderung fest. Sie sammelt sich um die Forderung nach einem Politikwechsel und ist auch dazu bereit, Sand ins Getriebe zu streuen.

5. DIE LINKE und Regierungsbeteiligungen

Das Verhältnis der LINKEN zu Regierungsbeteiligungen hat sich in den letzten Jahren massiv verändert: Ging es in der PDS noch um die Frage, ob sich die Partei überhaupt an Regierungen in Ländern und auf Bundesebene beteiligen soll, wurde im Rahmen der Parteivereinigung festgehalten, dass die LINKE die Regierungsfrage entlang konkreter Durchsetzungsmöglichkeiten beantwortet. Zusätzlich zu diesen Mindestbedingungen (siehe dazu Beiträge im Heft) geht es zunehmend darum, welche Veränderungen linke Regierungen einleiten können, die über die konkrete Verbesserung von Lebenslagen (Reform) hinaus gesellschaftliche Kräfteverhältnisse grundsätzlich verschieben (Transformation). Nur wenn es innerhalb der LINKEN gelingt, einen breit verankerten innerparteilichen Konsens über die Frage zu erzielen, kann sich DIE LINKE an einem Regierungsprojekt beteiligen. DIE LINKE muss dabei aufpassen, sich von den Medien und interessierten Kreisen keine Diskussion darüber aufdrängen zu lassen, welche Positionen sie für eine linke Regierung aufzugeben hat. Eine solche Diskussion führt dazu, dass die Partei schnell für überflüssig erachtet wird. Vorauseilender Gehorsam gegenüber einem möglichen Koalitionspartner befördert ein linkes Regierungsprojekt daher ausdrücklich nicht.

6. Für Widerstände wappnen

Ein Crossover-Prozess muss die Beteiligten gegen die zu erwartenden Widerstände wappnen. Sie dürfen nicht der naiven Vorstellung verfallen, der Staat sei ein Fahrrad, auf das man sich nur per Ministerposten zu setzen habe und schon lasse sich problemlos umlenken. Sie müssen in soziale Kämpfe eingebettet und von dem Wissen getragen sein, dass es gesellschaftlicher Mehrheiten und damit neuer Hegemonien bedarf, bevor eine parlamentarische Mehrheit alternative Entwicklungspfade einschlagen kann. Im Gegensatz zu Annahmen, dass eine linke Reformpolitik gegenwärtig mehrheitsfähig sei, gilt es festzuhalten, dass bspw. leistungschauvinistische Einstellungen zunehmend verbreitet sind. Mehrheit und Rückhalt für eine linke Politik müssen durch Aufklärungsarbeit und Aktion erst noch errungen werden. Die Anbiederung an gesellschaftliche Mehrheitsmeinungen zu Erwerbslosen, zu Migrant/-innen sowie zur Innenpolitik mag vielleicht wahlpolitisch vielversprechend sein. Linke gesellschaftliche Veränderung wird sie – das zeigt die Geschichte der SPD – nicht bewirken.

7. Akteure

Eines ist sicher: Ist eine linke Regierung nicht in der Lage, im Zweifelsfall für ihre entscheidenden Projekte eine Million Menschen auf die Straße zu bringen, wird sie inhaltlich scheitern. Crossover – also der Versuch ein gemeinsames gesellschaftspolitisches Projekt der Linken zu begründen – wird daher nur funktionieren, wenn dieser Dialog bewegungsförmig und partizipativ organisiert ist. Gleichzeitig dürfte sich das linke Lager nicht nur auf Gewerkschaften, Erwerbslosenverbände und soziale Bewegungen verengen. Ein Crossover-Prozess muss auch Teil des sozial-ökologisch orientieren Bürgertums mit einbeziehen. Er muss die Deutungshoheit über Begriffe wie wirtschaftliche Vernunft, leistungsgerechte Löhne, ökologisches Produzieren und Konsumieren sowie Krieg und Frieden gewinnen. Aus linker Sicht ist es daher nicht allein entscheidend, arithmetische parlamentarische Mehrheiten zu bilden, sondern gesellschaftliche Mehrheiten für eine andere Politik. Es geht hier jedoch nicht um „Vermittung“, sondern um „Linksverschiebung“: Überzeugungsarbeit dafür, dass ein grundsätzlicher Politikwechsel auch für Teile der bürgerlichen Klasse unterstützungswürdig ist. Eine Linksregierung braucht Unterstützung gegen die mächtigen Interessen der Lobbyverbände und der konservativen Presse. Auch deshalb ist ein Crossover zwischen Politik und Gesellschaft für eine sozial-ökologische und antimilitaristische Reformpolitik konstitutiv.