„Bildungisierung“ der Ökonomie und umgekehrt und überhaupt

„Ökonomisierung der Bildung“ war ein, wenn auch nicht neuer, so doch oft gebrauchter Slogan im Rahmen der Bildungsproteste im Herbst 2009. Mit dem Abebben der Bewegung ist das Schlagwort von der Straße und den besetzten Hörsälen wieder zurück in die Zeitschriften gewandert, als Titel- oder Zwischentitel in Artikeln, wenn es darum geht, die Veränderungen im Bildungssystem in Österreich, innerhalb der EU und des verordneten Bologna-Prozesses oder auch auf globaler Ebene zu beschreiben. Im Rahmen der Proteste ging es um die formelle wie inhaltliche Unterordnung der Bildungsinstitutionen und ihrer Angebote unter die Imperative des „Neoliberalismus“. Studentische Mitbestimmung und kritische Bildung, so der Tenor der Kritik, würden den Interessen „der Wirtschaft“ geopfert und auf „Ausbildung“ reduziert. Was aber ist das Neue an diesem Argument und wie weit trifft diese – zugegebenermaßen verkürzt dargestellte – Kritik tatsächlich die Veränderung der Bedingungen an den Hochschulen und Universitäten? Und, noch wichtiger: Was bedeutet eine derartige Ausrichtung für mögliche Strategien des Widerstands, der Bildung von Alternativen bzw. einer alternativen Bildung?

Ökonomisierung der Bildung meint also Folgendes: Anerkennung marktwirtschaftlicher Kriterien, an denen es sich zu orientieren gilt; „Effizienzsteigerungen“, Wettbewerb, Standardisierung (Vergleichbarkeit von Bildungsabschlüssen), Schaffung eines europäischen Bildungsmarktes und Anpassung der Bildungsinhalte an die Bedürfnisse des Arbeitsmarktes, andauernde Evaluierung von allem und jedem, Rankings u.v.a.m. So weit, so schlecht. Aber auch vor dem Einsetzen der neoliberalen Umstrukturierung der Bildungsinstitutionen war die Bildung – bzw. die staatlichen Institutionen zu deren Produktion – nicht losgelöst von, sondern ebenso Teil einer kapitalistischen Ökonomie. Die Veränderungen sind also keine Einbindung eines vormals von ökonomischen Kriterien unabhängigen Bildungssystems, sondern viel mehr eine Anpassung an geänderte ökonomische Rahmenbedingungen – jene einer postfordistischen Gesellschaft, in der Wissen als Produktivkraft ein zentraler Stellenwert zukommt. Struktur und Ausformung der Bildungssysteme sind immer auch an den Erfordernissen der gesellschaftlichen Arbeitsteilung orientiert. Zu Zeiten des fordistischen Klassenkompromisses musste die Reform der Universität zwar einen Umgang mit den massiven Protestbewegungen („1968“) finden, letztlich aber war die Transformation der Elitehochschule zur „Massenuniverstität“ den veränderten Anforderungen der kapitalistischen Ökonomie geschuldet. Um es verkürzt, aber nicht ganz unzutreffend zu formulieren: Massenhaft und relativ standardisiert ausgebildete Menschen zwecks effizienter Aufrechterhaltung von fordistischer Ökonomie und allgegenwärtigem Sozialstaat samt Kleinfamilie, Fabriksdisziplin usw. Dass jedenfalls selbst eine relativ egalitär strukturierte Massenuniversität wenig bis gar nichts an klassenbedingten Zugangsbeschränkungen ändern konnte, ist ein weiterer Grund, der dafür spricht, die Sehnsucht nach dem „Goldenen Zeitalter“ der 1970er-Jahre erst gar nicht aufkommen zu lassen ...

Mit der Transformation des Kapitalismus hin zum Postfordismus gewinnt die hauptsächlich an den Universitäten produzierte Ware namens „Wissen“ eine neue Qualität. Euphemistisch ausgedrückt heißt dies dann „Wissensgesellschaft“. Die postfordistische Transformation impliziert zum einen einen Zuwachs an menschlicher Autonomie und Selbstbestimmung im Arbeitsprozess (und auch darüber hinaus), andererseits – und gleichzeitig – bedeutet diese Transformation jedoch die zunehmende Unterwerfung des ganzen gesellschaftlichen Lebens unter den Verwertungsimperativ. Die Trennung zwischen Arbeit und Freizeit schwindet ebenso wie jene zwischen den Zeiten der (Aus)Bildung und deren Anwendung im Beruf. In diesem Prozess der Prekarisierung wird tendenziell das ganze Leben dem Kapitalverhältnis unterworfen – aber letzteres wird auch von jeder Position aus angreifbar. Der ehemals als zentral erklärte Ort des Widerstandes – die „männliche“ Fabrik – ist in seiner Zentralität verschwunden bzw. hat sich in die Gesellschaft aufgelöst.

Für eine Perspektive der Befreiung bietet Wissen aber noch weitere einschneidende Vorteile: Es ist immateriell und es verschwindet nicht beim Gebrauch, ganz im Gegenteil. Wenn wir von Bildung und den Kämpfen um Bildung sprechen, sollten wir diesen Aspekt nicht vergessen. In Umdrehung der ursprünglichen Formel könnte also ebenso von einer „Bildungisierung der Ökonomie“ gesprochen werden. Zusammenfassend kann gesagt werden, dass die Trennmauern zwischen den gesellschaftlichen Sphären „Bildung“ und „Ökonomie“ sich im Zusammenbrechen befinden und dass nicht die Aufstellung neuer Mauern, sondern nur eine Perspektive jenseits davon Ziel von Kritik und Widerstand sein kann. Ein erster Schritt in die richtige Richtung könnte dabei die Anerkennung von außeruniversitärem Wissen sein oder auch von jenem communen Wissen, welches in den mannigfaltigen selbstorganisierten Prozessen während der Protestbewegung generiert wurde – unter anderem in so zentralen ökonomischen Bereichen wie der Volxküche!

Anstatt den Widerstand auf die Kritik der Ökonomisierung der Bildung zu beschränken, gilt es, den Widerstand auch auf andere gesellschaftliche Bereiche auszuweiten und zu vernetzen, die Rolle der eigenen Subjektivität als WissensarbeiterIn im Rahmen der kapitalistischen Arbeitsteilung zu hinterfragen und letztlich an einer gesellschaftlichen Alternative zu arbeiten, in der der ideologische Hauptslogan der Wirtschaftskammer Wahrheit, und zwar auch die Wahrheit einer praxisorientierten und gleichzeitig verwertungsunabhängigen Bildung werden kann: Geht’s der postkapitalistischen solidarischen Wirtschaft gut, geht’s uns allen gut! Das wäre zur Abwechslung eine Ökonomisierung der Bildung ganz nach unserem Geschmack.

Dieser Text erscheint in Bildpunkt. Zeitschrift der IG Bildende Kunst, Wien, Herbst 2010, „umfunktionieren lernen“.