Globales Recht

Von der klassischen Konzeption zum transnationalen Verständnis

Die globalen Herausforderungen an das Recht sind unbestreitbar. Nicht nur für den reibungslosen Ablauf weltweiter Märkte bedarf es des Schmiermittels Recht; auch Umwelt und Gerechtigkeit verlangen für ihre Zwecke nach global verbindlichen Normen. Menschenrechte tragen schon dem Begriffe nach die Idee der Universalität in sich, der es widerstrebt, dass Grundrechte, wenn überhaupt, nur den eigenen Staatsbürger_innen zu Gute kommen sollen. Auch polit-ökologische Anforderungen an das Recht erschöpfen sich nicht in dem Begehren großflächige Nationalparks einzurichten. Doch gibt es angesichts dieser Weltfragen auch Ansätze eines globalen Rechts?

Das Völkerrecht wird nach seiner traditionellen Konzeption, die bis heute die vorherrschende ist, als ein reines Koordinationsmittel zwischen an sich souveränen Staaten gedacht. Souveränität bedeutet - zumindest als theoretischer Ausgangspunkt - zunächst nichts weniger als die unbeschränkte Befugnis jedes Staatsapparates zur Drangsalierung der sich auf seinem Staatsgebiet befindlichen Individuen und das bedingungslose Recht auf Bekriegung anderer Staatsgebilde. Doch paradoxerweise ermöglicht dieser laissez-faire-Ansatz überhaupt erst staatenübergreifende Rechtsetzung zu denken. Denn dem Souveränitäts-Postulat liegt im Kern die gegenseitige Anerkennung der Staaten als abstrakt-gleiche und -freie Rechtssubjekte zugrunde, die jedem Vertragsschluss vorausgesetzt ist. Ähnlich wie durch das Konstrukt der Willensfreiheit auf Ebene des Privatrechts, wird durch die Unterstellung der Omnipotenz eines jeden Staates die freiwillige Bindung an das Recht plausibilisiert. Denn soweit das Recht als eine selbstgesetzte Schranke konzipiert werden kann, erscheint es nicht als eine äußere Macht.

Es gehört allerdings zur Dialektik des Rechts, dass es den Willen seiner Autor_innen zum Ausdruck bringend, gleichzeitig auch das Potenzial in sich trägt, sich von den Intentionen seiner Verfasser_innen zu emanzipieren. Durch seine Allgemeinheit über das vermeintlich konkret Gemeinte hinausgehend, wirkt es spontanen Machtgelüsten entgegen. So beginnt die Vertragsurkunde, noch ehe die Unterschrift der Staats- und Regierungsoberhäupter getrocknet ist, ihre eigene kommunikative Wirklichkeit zu entfalten: Sie kann nicht mehr aus der Welt geredet, sondern nur noch unterschiedlich interpretiert werden. Im Bewusstsein dessen berufen sich viele Staaten auf den Grundsatz der Vertragsfreiheit auch nur in negativer Weise. Kein Staat der Welt könne gezwungen werden, völkerrechtliche Bindung gegen seinen Willen einzugehen oder sich gar der Jurisdiktionsgewalt eines unparteiischen Dritten zu unterwerfen. Und anders als in der bürgerlichen Gesellschaft ist Rechtssetzungsverweigerung auf Ebene der internationalen Beziehungen auch tatsächlich vielfach möglich, ohne allzu großen Schaden davon zu tragen.

Weltrumregieren oder globale Konstitutionalisierung?

Die Angst vor der Verbindlichkeit des Rechts erklärt zudem, warum oftmals „weiche Mechanismen" zur Lösung der weithin zugestandenen Weltprobleme präferiert werden. So läuft denn auch der Modebegriff der Global Governance Gefahr, rechtlich unverbindliche internationale Politikkoordinierung als angemessene Form des Globalisierungsmanagements gelten zu lassen. Doch die Beteiligung von nicht-staatlichen Akteuren wie NGOs und transnationalen Unternehmen nützt gar nichts, wenn Weltregieren allein auf glamourösen Gipfeln stattfindet, an deren Ende vage Absichtserklärungen stehen, die den konkreten Herausforderungen Hohn sprechen. Der sog. Kopenhagen-Accord anstelle eines verbindlichen Post-Kyoto-Abkommens, stellt derzeit das traurigste Beispiel dieser Entwicklung dar.

Eine Antwort auf die Defizite des reinen Koordinierungs-Modells wird in einer zunehmenden Konstitutionalisierung des Völkerrechts gesehen.[1] Wie auf nationaler Ebene die Verfassung staatliche Gewalt begrenze und lenke, so solle auch auf globaler Ebene eine Sammlung oberster Rechtssätze gefunden werden, welche die niederen Normen und noch besser das Verhalten der Staaten determinieren könne. Schon früh wurde der Charta der Vereinten Nationen der Charakter einer Weltverfassung zugeschrieben;[2] in den Regelungen der Wiener Vertragsrechtskonvention (WVK) formelles Verfassungsrecht erblickt.[3] Zudem kann es über die anerkannte Rechtfertigungsfigur des Gewohnheitsrechts zu einer Verfestigung des Rechts unabhängig vom späteren Willen der einzelnen Staaten kommen.[4] Denn ist eine völkergewohnheitsrechtliche Norm erst einmal aus ausreichender Staatenpraxis hervorgegangen und von einer opinio iuris getragen worden, sind spätere Abweichungen als Regelbruch und nicht als Indiz für die Nichtexistenz der Norm zu werten.[5] Auch der Begriff des zwingenden Völkerrechts (ius cogens) wird von den Konstitutionalist_innen ins Feld geführt, um eine Hierarchisierung der Völkerrechtsordnung zu befördern. Zu diesen nicht dispositiven Normen im Sinne des Art. 53 WVK werden neben dem Gewalt- und Interventionsverbot jedenfalls die elementaren Menschenrechte gezählt.[6]

Fragmente und Rechtsregime

Das Verlangen nach Verrechtlichung der internationalen Beziehungen sollte jedoch nicht dazu verleiten, schon auf Ebene des Nationalstaats fragliche Ideale zum Maßstab globalen Rechts zu erklären. Die Verwirklichung eines umfassenden und in sich widerspruchsfreien Stufenbaus des Rechts scheitert nicht allein am fehlenden politischen Willen der Staaten zur Vereinigung unter dem Dach eines Weltstaates. Dem zentralistischen Top-Down-Modell steht letztlich die Vielfalt der real-existierenden Regelungsmaterie (die Umwelt des Rechts) entgegen. Diese lässt sich schwerlich anhand einer „objektiven Wertordnung" strukturieren. Systemtheoretisch gesprochen, konstruieren sich außerhalb des Rechts die verschiedensten Logiken und Sinnsysteme ihre Eigenwelten, zu deren mächtigsten Vertreterinnen wirtschaftliche, technische und naturwissenschaftliche Diskurswelten gehören. Daneben stehen politische, religiöse, künstlerische, erzieherische und mediale Systeme, die ebenfalls danach trachten, die soziale Welt ihren Maßstäben zu unterwerfen.

Die UN-Charta als vermeintliche Weltverfassung enthält die fundamentalen Regelungen zur Prävention militärischer Konflikte zwischen den Staaten: Das Gewaltverbot in Art. 2 Ziff. 4, die Befugnissen des Sicherheitsrates nach Kapitel VII. und die Rechtsprechungskompetenz des Internationalen Gerichtshofs sollen dem Weltfrieden dienen. Für alle anderen Bereiche hat die UN-Charta, wenn überhaupt, nur allgemeine Zielvorgaben und keine Rechtsetzungskompetenzen vorzuweisen. Stattdessen finden sich unzählige (Teil-)Abkommen, die einander mit ihren universell anwendbaren Programmen gegenüberstehen: Universelle und regionale Menschenrechtsabkommen neben den Regelwerken der Welthandelsorganisation (WTO); das Recht der International Labour Organisation (ILO) und nicht zuletzt das Umweltrechtsregime (etwa die Biodiversitätskonvention und das Klima-Rahmenabkommen). Auch die Hoffnung auf einen für klare Hierarchien sorgenden Weltgerichtshof erscheint angesichts der derzeit 125 bestehenden internationalen Institutionen, in denen unabhängige Spruchkörper verfahrensabschließende Rechtsentscheidungen treffen, illusorisch.[7] Stattdessen ist die Annahme realistischer, dass die verschiedenen Rechtsregime in vielen Fällen kollidieren und die Aufgabe der Gerichte gerade darin besteht, die in die Rechtsprogramme eingeschriebenen Partiallogiken auszutarieren.

Transnationale Konstellation

Die Situation verkompliziert sich weiter, wenn neben der Vielfalt völkerrechtlicher Abkommen zusätzlich weltgesellschaftliche Rechtsentstehungsprozesse fernab der Staaten in den Blick genommen werden.[8] Als Paradebeispiel gilt hier die lex mercatoria, das Recht globaler Handelsgebräuche, welches vornehmlich von internationalen Schiedsgerichten  angewendet wird.[9] Aber auch die Internet Corporation for Assigned Names and Numbers (ICANN), eine 1998 in Kalifornien gegründete private gemeinnützige Organisation, die für die Vergabe der Domainnamen im Internet verantwortlich ist, steht für die zunehmende Wahrnehmung globaler Aufgaben durch private Netzwerke.[10] Als transnationale Rechtsschöpfungen können gleichzeitig auch soziale und ökologische Zertifizierungssysteme ausfindig gemacht werden, die von NGOs entwickelt und weltweit administriert werden. Zwar verfügen etwa der Forest Stewardship Council (FSC)[11] und die Fair Trade Labelling Organisation International (FLO)[12] über keine eigenen Schiedsgerichte, die Kriterien für die Vergabe von Gütesiegeln bilden jedoch wichtige Primärnormen; auch wenn deren Durchsetzung faktisch in erster Linie den Konsument_innen überlassen bleibt. Die neue Weltrechtsunordnung führt allerdings nicht zwangsläufig zu einem Bedeutungsverlust staatlichen Rechts, denn die Herausforderung besteht oftmals darin, private Regelungsnetzwerke an Grundrechte zu binden und dadurch auch Rechtsschutz vor nationalen Gerichten zu gewährleisten.

Steffen Kommer ist Referendar in Berlin und wissenschaftlicher Mitarbeiter am Zentrum für Europäische Rechtspolitik (ZERP) der Universität Bremen.

 

Weiterführende Literatur:

Andreas Fischer-Lescano / Gunther Teubner, Regime-Kollisionen, Zur Fragmentierung des globalen Rechts, 2006.

Regina Kreide / Andreas Niederberger (Hrsg.), Transnationale Verrechtlichung: Nationale Demokratien im Kontext globaler Politik, 2009.


[1] Vgl. nur Jürgen Habermas, Hat die Konstitutionalisierung des Völkerrechts noch eine Chance?, in: ebds., Der gespaltene Westen, 2004, 114-192.

[2] Alfred Verdross, The Charter of the United Nations and General International Law, in G.A. Lipsky (ed.), Law and Politics in the World Community, 1953, 153.

[3] Robert Uerpmann, Internationales Verfassungsrecht, JuristenZeitung, 2001, 565 ff.

[4] Vgl. Christian Tomuschat, Obligations arising for States without or against their Will, in: Recueil des Cours l´Académie de Droit International de la Haye, 1993 IV, 275-309.

[5] Vgl. IGH, Nicaragua-Fall, ICJ Rep. 1986, Rn. 186.

[6] Vgl. Stefan Kadelbach, Zwingendes Völkerrecht, 1992, 202, 314; Lauri Hannikainen, Peremtory Norms (jus cogens) in International Law, 1988.

[7] Vgl. Project on International Courts and Tribunals (PICT): www.pict-pcti.org (Stand: 28.2.2010).

[8] Vgl. Felix Hanschmann, Theorie transnationaler Rechtsprozesse, in: Sonja Buckel / Ralph Christensen / Andreas Fischer-Lescano (Hrsg.), Neue Theorien des Rechts, 2008, 375-398.

[9] Vgl. dazu z.B. Peer Zumbansen, Lex mercatoria, RabelsZ 67, 2003, 637 ff.

[10] Vgl. Lars Viellechner, Können Netzwerke die Demokratie ersetzen? in: Boysen u.a. (Hrsg.), Netzwerke, 47. Assistententagung Öffentliches Recht, 2007, 36-57.

[11] www.fsc.org.

[12] www.fairtrade.net.