Sarkozys «Krieg» gegen das Nichtfranzösische, und besonders gegen Roma

Inländische und internationale Kritik nimmt massiv zu

in (04.01.2011)

Frankreichs «nationaler Krieg gegen die Kriminalität», den Präsident Nicolas Sarkozy im Juli 2010 ausrief und zu dessen Hauptbestandteilen eine massive Abschiebewelle für Roma aus südosteuropäischen Ländern gehört, eskaliert seit dem Hochsommer. Zugleich nahm die inländische und internationale Kritik daran massiv zu. In Frankreich demonstrierten Anfang September diesen Jahres rund 150.000 Menschen gegen diese Politik; vom Papst bis zu Fidel Castro kamen kritische bis negative Reaktionen. Die EU-Kommission in Brüssel drohte Frankreich mit der Einleitung eines Verfahrens wegen Verletzung der EU-Verträge - sie versprechen den Angehörigen von Mitgliedsstaaten Freizügigkeit -, auch wenn der Konflikt nach dem stürmisch verlaufenen EU-Gipfel vom 16. September inzwischen herunter gekocht wurde. 

Am Ende sollte es der Papst richten. Ihn besuchte das französische Staatsoberhaupt Nicolas Sarkozy am 08. Oktober '10, mit dem unverhüllten Hintergedanken, von ihm eine Art indirekter oder faktischer Absolution nach den im August (auch aus kirchlichen Kreisen) geäußerten Kritiken an seiner Politik zu erfahren.

Damals blieb Benedikt XVI. zwar noch ausgesprochen kryptisch, trug seine Mahnungen durch die Blume hindurch vor und forderte Frankreich zur „An- und Aufnahme der Menschheit in ihrer legitimen Diversität" auf. Andere politische oder klerikale Persönlichkeiten hielten sich da weniger vornehm zurück: Der frühere kubanische Staatschef und „Revolutionsführer" Fidel Castro warf Frankreich etwa (mit zweifellos verfehlter Wortwahl) einen „neuen rassischen Holocaust" vor, den es an den Roma begehe. Auch Kirchenleute sprachen in der Sache teilweise erhebliche schärfere Kritiken aus, als Benedikt XVI. sie in den Mund nahm. Der Erzbischof von Toulouse etwa las am 27. August '10 im Wallfahrtsort Lourdes vor 4.000 Pilgern einen Brief seines Amtsvorgängers Saliège aus dem Jahr 1942 vor, und betonte darin die Passage: „auch sie gehören zur Menschheit". Im Original ging es damals um die verfolgten Juden; der aktuelle Erzbischof Robert Le Gall bezog diesen Satz jedoch auf die heute lebenden Roma. Drei Tage später präzisierte er infolge von Vorwürfen aus dem Regierungslager, er habe nicht das Mordprogramm der Nazis an den Juden mit dem Vorgehen gegen die Roma verglichen. Aber er wolle zur Solidarität mit den jeweils am stärksten Bedrängten aufrufen.

Durch seinen Besuch beim obersten katholischen Kirchenchef in Rom versuchte Nicolas Sarkozy nun, den massiven Terrainverlust unter christlichen Wählern infolge dieses Zerwürfnisses mit Teilen der Kirche wieder wettzumachen. Seit 2008 hat Präsident Sarkozy bereits massiv an Sympathie unter denjenigen Französinnen und Franzosen, die „christliche Werte" betonen, verloren. Dazu trug eine Mischung aus verschiedenen Faktoren bei: Die rassistischen Züge der Regierungspolitik spielen dabei ebenso eine Rolle wie das oft vulgäre, neureiche Schicki-Micki-Gebaren (französisch „bling-bling" genannt), das Sarkozy oft an den Tag legt. Der Streit über die Abschiebepolitik gegen Roma hat nun endgültig einen Teil der gläubigen Katholiken in Frankreich empört gegen Sarkozy aufgebracht.

Umso dicker trug der Präsident nun beim Papst auf, was wiederum neue Kritik hervorrief, da Sarkozy - nicht zum ersten Mal - zu „vergessen" schien, dass Frankreich eine laizistische Republik ist, Religion und Staat also gesetzlich getrennt sind. Anders als seine Amtsvorgänger ließ Sarkozy sich dabei beobachten, wie er Kreuzzeichen schlug, und sich vom Papst einen Rosenkranz schenken ließ. Auch nahm er als erster Präsident der Fünften Republik öffentlich an einem „Gebet für Frankreich" teil. Vielleicht kann er dadurch nun wieder Boden unter dem konservativsten oder reaktionärsten Teil der französischen Katholiken, deren Glauben sich am stärksten an den kirchlichen Institutionen festmacht, gewinnen.

Die Kritiken vom Sommer sind damit aber keinesfalls aus der Welt geschafft. Ebenso wenig jene aus den europäischen Institutionen in Brüssel, auch wenn die Einleitung eines Verfahrens gegen Frankreich wegen Verletzung der EU-Verträge vorläufig aufgeschoben worden ist. Einen solchen Prozess vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) hatte Mitte September die aus Luxemburg stammende europäische Kommissarin „für Justizwesen und Bürgerrechte", Viviane Reding, angekündigt. Voller Empörung hielt sie am 14. September '10 eine Pressekonferenz ab, auf der sie mit Hinblick auf die jüngste massive Abschiebepolitik Frankreichs ausrief: „Enough is enough!" Viviane Reding erklärte ferner, erstmals seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs müsse sie Szenen beiwohnen, bei denen Menschen in Europa nur aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten Bevölkerungsgruppe verhaftet und deportiert (freilich nicht ermordet) würden. Der zwei Tage später stattfindende EU-Gipfel in Brüssel war dann auch von heftigen Spannungen geprägt.

Allerdings wurde die Eskalation in den Tagen nach dem Gipfel vom 16. September '10 nun wieder herunter gekocht. Die Europäische Kommission möchte Frankreichs Politik nun vor dem EuGH nicht mehr wegen „Rassendiskriminierung" verfolgen, sondern nur noch aufgrund „mangelhafter Umsetzung der Richtlinien von 2004 zur Freizügigkeit für die Bürger der neuen EU-Mitgliedsländer". Aus dem schweren politischen Vorwurf wird so eine eher technisch klingende Kritik, zumal einem Dutzend Mitgliedsländer Mängel bei der Durchsetzung der fraglichen Richtlinien vorgeworfen werden. Ferner wurde Frankreich Anfang Oktober noch eine Frist zur Prüfung seiner Politik eingeräumt, und am 20. Oktober '10 dieses Jahres soll definitiv über die Einleitung eines Verfahrens entschieden werden.

Neue Enthüllungen über Praktiken der französischen Politik, unter anderem gegenüber den Roma, werden der Kritik aus den europäischen Institutionen jedoch in Bälde zusätzliche Nahrung verleihen: Am 13. September '10 hatte Paris in Windeseile ein Rundschreiben aus dem französischen Innenministerium vom 05. August diesen Jahres zurückgezogen - denn darin wurden die Polizeidienststellen offen aufgefordert, gezielt gegen Roma als solche vorzugehen und ihre „illegalen" Baracken- oder Wohnwagensiedlungen zu räumen. Da unverhüllt auf eine „Volksgruppenzugehörigkeit" abgehoben wurde, wird der Tatbestand der Diskriminierung im Sinne des Anti-Diskriminierungs-Rechts der EU dadurch ohne Zweifel erfüllt. Wenige Stunden nach Bekanntwerden des ministeriellen Schreibens wurde es darum auch zurückgezogen und durch ein neues, unverfänglich formuliertes ersetzt.

Doch am 07. Oktober '10 enthüllten die liberale Pariser Abendzeitung 'Le Monde' und mehrere antirassistische Vereinigungen, dass im Pariser Innenministerium eine illegale Datei zu „wandernder Kriminalität" existiere, in welcher gezielt und systematisch Roma aufgrund ihrer „ethnischen" Zugehörigkeit eingespeichert wurden - sortiert nach Herkunftsländern und tatsächlich oder vermeintlich bestehenden „Verwandtschaftsstrukturen".

Am 08. Oktober '10 enthüllte zudem die Liga für Menschenrechte (LDH), dass an Teilen der sich in Frankreich aufhaltenden Romabevölkerung zudem systematische DNA-Tests durchgeführt worden seien. Diese Gentests sollten einer gesicherten Identitätsfeststellung dienen - und waren selbstverständlich total illegal. Gentests (durch Untersuchung von Speichelproben) sind gesetzlich allein bei Verdacht auf bestimmte, meistens „erhebliche", Straftaten zulässig. Ein juristisches Vorgehen gegen die französische Politik hätte also offenkundig solide Grundlagen.

Auch innerhalb Frankreichs gibt es jedoch massive Kritik an der rassistischen und repressiven Regierungskampagne, welche Nicolas Sarkozy seit einer Tagung im Elysée-Palast am 28. Juli '10 sowie seiner Brandrede in Grenoble vom 30. Juli '10 losgetreten hatte. Beispielsweise demonstrierten am 04. September diesen Jahres über 150.000 Menschen in rund 150 französischen Städten gegen „die staatliche Xenophobie" unter dem Motto: „Gegen eine Politik des Prangers". Und am 12. September '10 protestierten dann auch Hobby-Bergsteiger und professionelle Alpenführer gegen dieselbe Politik. Auf einem Gletscher am Bergmassiv des Mont-Blanc führten sie ein Spektakel - unter der Jakobinermütze - dazu auf, und auf drei Gipfeln der Alpen sowie der Pyrenäen wurden Transparente gehisst, die u.a. dazu aufforderten, den Slogan „Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit" ernst zu nehmen und universell auszulegen.

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