Moskaus nützliches Instrument?

Russland und die Shanghai-Gruppe

Russland sieht in der Shanghai-Gruppe ein wichtiges außen- und sicherheitspolitisches Instrument. Damit sollen sowohl das internationale Profil verbessert als auch militärische Interessen (Waffenexporte) umgesetzt werden. Obwohl sich das Verhältnis zu China deutlich verbesserte, ist es russisches Interesse, mittels der SCO Chinas Einfluss in Zentralasien zu begrenzen. Angesichts der strategischen Differenzen zwischen Moskau und Peking stellt sich
das Problem des möglichen Bruchs der Shanghai-Gruppe.
In der Präsidentschaft Wladimir Putins stieg die Shanghaier
Organisation für Zusammenarbeit (SCO) zur international
anerkannten Gruppierung auf und wurde für Russlands Außenpolitik
interessant. Allerdings verging einige Zeit, bis sich dies
in sicherheitspolitischen Konzepten des Kreml niederschlug.
In keinem der sicherheitspolitischen Dokumente Putins aus
dem Jahr 2000, also weder im Nationalen Sicherheitskonzept
noch in der Militärdoktrin, war die SCO (damals noch die
„Shanghai-Fünf“) ernsthaft präsent. Nur im außenpolitischen
Konzept wurde sie als eine der kooperierenden Organisationen
in Asien erwähnt. Jedoch veränderte sich schrittweise
unter Putin sowie seinem Nachfolger Dimitri Medwedjew der
Schwerpunkt der außenpolitischen Orientierung von West
nach Ost. Östliche internationale Gremien, wie die SCO,
erhielten deutlich mehr Aufmerksamkeit. Dies schlug sich auch
in Medwedjews Außen- und Sicherheitsdokumenten nieder. In
seinem außenpolitischen Konzept von 2008 stellte Medwedjew
heraus, dass die SCO konsequente Anstrengungen unternehmen
werde, um den Export von Terrorismus und Drogen aus
Afghanistan zu verhindern und eine gerechte und dauerhafte
politische Lösung für die Probleme dieses Landes zu finden. In
diesem außenpolitischen Konzept befürwortete die russische
Spitze auch eine weitere Stärkung der SCO und trieb die Initiative
voran, ein Netzwerk partnerschaftlicher Beziehungen
unter all den Interessengruppen im asiatisch-pazifischen Raum
einzurichten. In der Nationalen Sicherheitsstrategie von 2009
wird gefordert, das politische Potenzial der SCO auszubauen
und das gegenseitige Vertrauen und die Partnerschaft in der
zentralasiatischen Region zu fördern. Und schließlich legte
die Militärdoktrin von 2010 fest, dass es bei der politischmilitärischen
Zusammenarbeit mit den SCO-Staaten darum
gehe, die gemeinsamen Anstrengungen zu koordinieren, um
den neuen militärischen Gefahren und militärischen Bedrohungen
im gemeinsamen Raum entgegenzutreten.1 Auf dem
Gipfeltreffen der Shanghai-Gruppe vom 10. bis 11. Juni 2010
in Taschkent, Usbekistan, formulierte Präsident Medwedjew
Russlands Prioritäten für die Shanghai-Gruppe. In seiner Rede
betonte er den gemeinsamen Kampf gegen die „drei Kräfte des
Bösen“, den Terrorismus, den Extremismus und den Separatismus.
Dies solle das Hauptanliegen der SCO sein. Eine weitere
wichtige Aufgabe sei der Kampf gegen den Drogenhandel, der
eine ernste Bedrohung für die Sicherheit der SCO-Staaten
darstelle, weil der Drogenhandel mit dem internationalen Terrorismus
verbunden sei. Medwedjew nannte auch Afghanistan
als ein Sicherheitsproblem der Shanghai-Gruppe. Die SCO
solle dazu beitragen, aus Afghanistan ein unabhängiges, friedliches,
neutrales und prosperierendes Land zu machen. Zum
Abschluss – und damit bestätigte Moskau sein verstärktes Interesse
an dem Raum generell – unterstrich Russlands Präsident,
dass die Asien-Pazifik Region zu einem der wichtigsten politischen
und ökonomischen Zentren der Welt geworden sei.
Für Russland ist die Shanghai-Gruppe ein Mittel, um
verschiedene politische Ziele zusammenzubringen. Zum
einen nutzt Moskau die Organisation als ein Instrument
seiner Sicherheitspolitik. Die SCO dient als eine Plattform
für Allianzen. Nicht nur der Mitgliedstaat China, sondern
auch Indien und Iran – beide mit Beobachterstatus der SCO
– bewahren eine spezielle Beziehung mit Russland. Alle
drei Staaten sind wichtige Akteure für Russlands Waffenexporte.
Zusätzlich haben China und Indien eine enge Beziehung
mit Russland im Feld der gemeinsamen, bilateralen
Militärübungen. Und gemeinsam mit dem Iran kontrolliert
Russland das Gros der globalen Gasreserven. Zudem fördert
die SCO Russlands internationale Position als Militärmacht.
Mit China und den SCO-Beobachtern Indien und Pakistan
ist Russland eines der vier Länder mit Nuklearwaffen in der
Organisation. Darüber hinaus gehört Russlands Militär,
gemeinsam mit jenem Chinas, zu den größten militärischen
Streitkräften der Welt. In der SCO demonstriert Moskau
regelmäßig sein militärisches Gewicht, indem es die führende
Rolle bei militärischen Exerzierübungen dieser Organisation
einnimmt. Zusätzlich zu Moskaus primärem Ziel, die SCO
als ein Instrument zur Unterstützung seiner Sicherheits- und
Verteidigungspolitik einzusetzen, nimmt der Kreml die SCO
auch als ein Werkzeug an, China zu prüfen und zu kontrollieren;
insbesondere hinsichtlich des wachsenden Einflusses
Pekings im früheren sowjetischen Raum Zentralasiens.
Der Beitrag erklärt diese beiden Ziele russischer Politik und
schließt mit einer Einschätzung und einem Ausblick auf
Moskaus voraussichtliche Haltung gegenüber der Organisation
in der Zukunft.
Instrument der russischen Sicherheitspolitik
Moskau weist beständig und ausdrücklich zurück, dass es die
SCO als Sicherheitsorganisation betrachtet. So bestritt der stellvertretende
russische Verteidigungsminister Sergei Razov die
Behauptungen, dass die militärische Zusammenarbeit unter
den SCO-Mitgliedern Priorität hätte. Für ihn seien ökonomische
Kooperation und generelle Sicherheitsfragen die russischen
Hauptinteressen. Ähnlich bestritt Präsident Putin, dass
sich die Shanghai-Gruppe zu einer Sicherheitsorganisation wie
die NATO entwickeln würde. Trotz der zahlreichen Dementi
über die militärische Natur der Gruppe und der Unterschiede
zwischen den Mitgliedern bei Militär- und Sicherheitskooperationen
gibt es jedoch Entwicklungen, die genau in diese
Richtung weisen: die schrittweise Entwicklung der SCO hin zu
einer ausgewachsenen Sicherheitsorganisation.
Erstens wurden die militärischen und politischen Aktivitäten
miteinander verknüpft. 2007 wurde der jährliche politische
Gipfel mit Manövern verbunden. Das Manöver „Friedensmission
2007“ ging von einem Szenario aus, in dem die militärische
Hilfestellung eine zentrale Rolle spielte. Überdies regte
Moskau eine intensivere Beziehung zwischen der SCO und der
Organisation des Vertrags über kollektive Sicherheit (CSTO)
an. Außerdem vereinbarte man innerhalb der Shanghai-Gruppe
ein Abkommen über gemeinsame Übungen. Schließlich wurde
innerhalb der SCO ein Mechanismus für Maßnahmen entwickelt,
mit dem auf regionale Gefahren reagiert werden kann und
Konflikte vorbeugend verhindert werden können.
Auf dem SCO-Gipfel in Jekaterinburg (15. bis 16. Juni
2009) war Medwedjew erstmalig Gastgeber. Das Treffen der
Shanghai-Gruppe wurde dabei mit jenem der aufstrebenden
BRIC – Brasilien, Russland, Indien und China – verknüpft,
die beabsichtigten, ihre wachsende ökonomische Macht auf das
Gebiet der Politik und jenes der Sicherheit anzuwenden.
Die darauffolgenden Treffen der Shanghai-Gruppe und der
BRIC-Staaten zeigten Moskaus Interesse an diesen beiden Organisationen,
seinen außenpolitischen Spielraum zu vergrößern.
Militärübungen und Waffenverkäufe sind wichtige Größen
in der russischen Position gegenüber der Shanghai-Gruppe.
In den Jahren 2005 und 2007 führte die SCO große Militärübungen,
„Friedensmission“ genannt, durch. Diese dienten
nicht nur dem Schwerpunkt Terrorismusabwehr, sondern waren
auch Demonstration der Macht. Damit wurde (beispielsweise
„dem Westen“) gezeigt, wer in diesen Regionen, vor allem
Zentralasien, die Kontrolle hat. Diese Übungen wurden von
Russland und China, den führenden Akteuren der Organisation,
dominiert. In mehrerer Hinsicht benutzte Russland die
„Friedensmission 2007“ als Chance, um seine nationale Sicherheitspolitik
zu profilieren. Zum Beispiel behauptete General
Yuri Baluyevsky, Chef der russischen Generalstabsarmee, auf
einem Gespräch in Ürümqi, China, dass die ökonomischen
Entwicklungen der Mitgliedstaaten auch stärkere regionale
Sicherheit mit sich bringen. Und Präsident Putin verkündete
bei der „Friedensmission 2007“ vor zirka 500 Journalisten
und Militärbeobachtern, dass Russland wieder Langstreckenflüge
von strategischen Bombern aufnehmen würde. Sicherlich
gehörte die Vorstellung von neuen Waffen auch zu den Zielen
der Manöver von 2005 und 2007, nicht zuletzt, um die anderen
Mitglieder der SCO zu beeindrucken. Zum Beispiel stammen
40 Prozent der indischen Waffenimporte aus Russland und der
Iran ist ein wachsender Markt für russische Waffen. Obwohl der
Waffenhandel vornehmlich eine von Russland geführte bilaterale
Angelegenheit war, diente die Shanghai-Gruppe als ein
komfortabler Marktplatz, um solche Verträge abzuschließen.
Shanghai-Gruppe als Energiemarktplatz
Die Frage der Energie ist ein weiterer wichtiger Aspekt der russischen
Sicherheitspolitik und steht in enger Verbindung zur
Shanghai-Gruppe. Die Tatsache, dass in der SCO sowohl bedeutende
Energieexporteure – Russland, Kasachstan, Usbekistan
und Iran – als auch signifikante Energieimporteure – China und
Indien – versammelt sind, macht Energie zu einem zentralen
Thema dieser Organisation. Energieabkommen werden eher
auf bilateraler und weniger auf einer gemeinschaftlichen Basis
gemacht. Dennoch dient die SCO als Plattform, um Energieverträge
abzuschließen, auch auf der bilateralen Ebene. Auf dem
Shanghai-Gipfel im Juni 2006 wurde zum ersten Mal das Thema
Energie auf die politische Agenda gesetzt. Putin kündigte auf
diesem Gipfel die Absicht an, einen „Energie-Club“ innerhalb
der Gruppe zu gründen. Am 3. Juli 2007 wurde daraufhin der
„SCO-Energie-Club“ eingerichtet. Dieser verbindet Energieproduzenten,
Konsumenten und Transitländer mit dem Ziel der
zunehmenden Energiesicherheit. Russland war sehr aktiv beim
Abschluss von Energieverträgen mit den Partnern in der SCO.
Auf dem Gipfel 2006 gab der Iran – erfolglos – an, dass er die
Gaspreise gemeinsam mit Russland, als die zwei weltgrößten
Gasproduzenten, bestimmen wollte. Gleichzeitig zeigte Putin die
Bereitschaft des russischen Gazprom-Konzerns, eine Gaspipeline
zu bauen, die die drei SCO-Beobachter Iran, Pakistan und
Indien miteinander verbindet. Darüber hinaus unternahm
Russland Schritte, um die Stromerzeugung in Zentralasien zu
forcieren. Es unterschrieb z. B. Verträge mit Tadschikistan und
Kirgisistan über den Bau von Wasserkraftwerken. Ein weiterer
wichtiger Punkt ist ein Energieversorgungsnetz, mit dem die
überschüssige Elektrizität, die durch tadschikische und kirgisische
Kraftwerke erzeugt wird, nach Zentral- und Südasien
transportiert wird. Insgesamt kann man festhalten: Durch die
Energiezusammenarbeit innerhalb der Shanghai-Gruppe wird
Moskaus internationale Position gestärkt.
Russland und China in Spannung
Im letzten Jahrzehnt verbesserten sich die bilateralen Beziehungen
zwischen China und Russland ganz erheblich. Zum
Beispiel wurden in Verträgen von 2005 die lang anhaltenden
Grenzstreitigkeiten zwischen beiden Staaten beigelegt.
Russland hat China neben Waffen auch Öl und Gas geliefert.
Noch wichtiger ist, dass beide Länder sich in einer strategischen
Partnerschaft zusammengefunden haben, die darauf
abzielt, dem westlichen, konkret der US-amerikanischen
„Hegemonie in den internationalen Beziehungen“ entgegenzutreten,
wie dies in einer gemeinsamen Erklärung der
chinesischen und russischen Präsidenten im Juli 2005 klargemacht
wurde. Medwedjew hat den Beziehungen mit China,
wie sie durch Putin begründet wurden, eine hohe Priorität
eingeräumt. Eine gemeinsame Erklärung des damals neuen
russischen Präsidenten Dimitri Medwedjew und seines chinesischen
Amtskollegen Hu Jintao im Mai 2008 beinhaltete
viele gemeinsame Positionen über internationale Politik, wie
z. B. die die Ablehnung der US-amerikanischen Raketenabwehrsysteme.
Neben diesen gemeinsamen politischen
Äußerungen war die russisch-chinesische Zusammenarbeit
vor allem durch gemeinsame Manöver, Waffenlieferungen
und Energielieferungen geprägt.
Dennoch gibt es auch eine andere Tendenz in diesem Verhältnis.
Der Kreml beobachtet mit Sorge Chinas wachsenden
Einfluss in dem Raum, besonders im eigenen „Hinterhof“, das
heißt in den ehemaligen Sowjetrepubliken in Zentralasien.
In diesem Kontext stellt die Shanghai-Gruppe eine gute Möglichkeit
für Moskau dar, um Chinas Politik gegenüber den zentralasiatischen
Staaten und Russlands anderen Verbündeten, wie z. B.
gegenüber Indien und Iran, zu kontrollieren.
Eine der Kontroversen zwischen Russland und China ist,
dass sie unterschiedlicher Meinung bezüglich der Beziehung
zwischen der CSTO und der Shanghai-Gruppe sind. Die CSTO
besitzt einen militärischen Beistandsmechanismus als auch eine
schnelle Eingreiftruppe. Demnach würde eine engere Beziehung
zwischen CSTO und Shanghai-Gruppe der Welt den Eindruck
vermitteln, dass die Gruppe bestrebt ist, zu einer „NATO des
Ostens“ zu werden. China sieht solch eine Entwicklung eher
als kontraproduktiv sowohl hinsichtlich seiner ökonomischen
als auch seiner politischen Interessen an. Nichtsdestoweniger
stimmte im Oktober 2007 China der Unterzeichnung
eines Memorandums zu, in dem offiziell die Zusammenarbeit
zwischen CSTO und SCO festgelegt wurde. Vermutlich hat
Peking Moskaus politisches Begehren zugunsten eigener politischer
Anliegen als eine Gegenleistung eingelöst.
Energie ist eine weitere Quelle von Kontroversen.
China schaut bei der Suche nach Energielieferanten auch nach Usbekistan und Kasachstan.
Am Vorabend des Shanghai-Gipfels von 2006 schloss China mit
Usbekistan ein Energieabkommen über Öl und Gaserforschungen ab. Im Dezember 2005
wurde mit Kasachstan die Atasu-AlashankouÖlpipeline zwischen den beiden Ländern
eröffnet. Über diese sinokasachische Pipeline
sollen künftig zirka 15 Prozent der chinesischen Erdölimporte fließen.
Darüber hinaus gaben beide Länder den Bau einer Gaspipeline
bekannt, mit der turkmenisches Gas nach China via Kasachstan
transportiert werden soll. Weiterhin investiert China in
der iranischen Gas- und Ölindustrie und Teheran liefert Öl
nach Peking. So verfolgt China offenbar einen Kurs, der es in
der Energiefrage von Russland unabhängiger macht.
Auch die Waffenproblematik verursacht Kontroversen
zwischen Moskau und Peking. Indem China eigene Waffen
herstellt, oft von russischen Modellen kopiert, versucht es,
die Abhängigkeit von Moskau auf dem Gebiet der Waffenlieferungen
zu verringern. Russland ist sich sehr wohl
bewusst, dass China hoch entwickelte Militärtechnologie
erhalten möchte. Jedoch könnte sich diese im Falle erneuter
Gipfel der Shanghai-Gruppe
in Duschanbe/Tadschikistan, 2008
Spannungen auch gegen Russland selbst richten. Aus diesem
Grund ist Russland nicht gewillt, China mit seinen technisch
neuesten Produkten zu beliefern.
Separatismus ist auch zu einem kontroversen Punkt geworden.
Der SCO-Gipfel, der 2008 in Duschanbe, Tadschikistan,
stattfand, wurde vom russisch-georgischen Konflikt überschattet.
Die russische Anerkennung der Unabhängigkeit von
Abchasien und Süd-Ossetien erhielt auf diesem Gipfel keine
Unterstützung. Es ist die offizielle Politik der Organisation, den
Separatismus zu bekämpfen. Viele der Mitglieder und Beobachter
haben mit separatistischen Bewegungen zu tun, so auch
China mit den Problemen Tibet und Xinjiang. China äußerte
seine Besorgnis über diese Entwicklungen in diesen aus georgischer
Sicht separatistischen Regionen und kritisierte auf diese
Weise indirekt Moskau.
Demografische Entwicklungen in Russlands Fernem Osten
sind ebenso besorgniserregend für Moskau. In dieser Region
wird Russland mit einer dynamisch steigenden Immigration
aus China konfrontiert. Die Zahl der chinesischen Immigranten
ist zwar nicht genau, sie variiert zwischen Hunderttausenden
bis zu einigen Millionen, jedoch ist sie deutlich
steigend. Russland sieht die Gefahr, dass Peking damit sowohl
seine Probleme der Überbevölkerung lösen als auch damit in
diesem Raum Fuß fassen will, d. h. in einer Region, die reich
an Rohstoffen und Energiequellen ist.
Moskau und die SCO: Was ist zu erwarten?
Trotz des offiziellen Optimismus mangelt es der Shanghai-
Gruppe an konstruktiven, gemeinsamen Zielsetzungen. Während
China sich auf Märkte und Energie orientiert, konzentriert sich
Russland auf Sicherheit und internationales Prestige; darauf, als
militärische Supermacht wahrgenommen zu werden. Und für
die zentralasiatischen Regime stellt die Shanghai-Gruppe eine
Art „Lebensversicherung“ dar. Dies ist ein Gemisch aus denkbar
gegensätzlichen Interessen. Folgt man den russischen und
chinesischen Äußerungen, könnten in den folgenden Jahren die
Beziehungen zwischen den beiden Staaten gestärkt werden. Dies
würde auch die Zusammenarbeit innerhalb der SCO fördern.
Nichtsdestoweniger könnte sich Russlands „strategische Partnerschaft“
mit China aufgrund wachsender Interessenskonflikte
auch als kurzfristig entpuppen. Wenn China seine derzeitigen
Bestrebungen nach militärtechnologischer Unabhängigkeit
erreicht hat und sich genügend alternative Wege geschaffen
hat, um Energie zu bekommen, wird es Russland vielleicht
„abstoßen“ wollen. Russland scheint sich darüber im Klaren zu
sein, dass sich Chinas wachsende ökonomische und militärische
Bedeutung zu einer Gefahr entwickeln könnte. Ein Indiz dieser
Erkenntnis waren Moskaus Militärmanöver „Vostok 2010“ im
Juni/Juli 2010 im Fernen Osten, die die größten militärischen
Manöver seit dem Ende des Kalten Krieges waren. Obwohl man
im Szenario des Manövers China sorgfältig nicht erwähnte, war
es offensichtlich, dass dies ein Signal für Peking war.
Neben den Kontroversen zwischen China und Russland gibt
es in der Shanghai-Gruppe auch unter den anderen Partnern
viele unterschiedliche Interessen. Diese verhindern, dass die
Gruppierung zu einer dominierenden politischen, ökonomischen
und/oder militärischen Allianz wird. Es ist sogar denkbar,
dass die SCO im Ergebnis interner Differenzen oder durch den
Mangel an einer gemeinsamen Zielrichtung oder Bedrohung
auseinanderbrechen wird.
Sicher ist: In den nächsten Jahren wird Moskau seine starke
Orientierung auf diese Organisation beibehalten, weil es seine
außen- und sicherheitspolitischen Interessen befördert, indem
es eine Plattform für Waffen- und Energieabkommen bietet
und seinen Einfluss im ehemaligen Sowjetgebiet Zentralasiens
erhöht. Und nicht zuletzt wird der Kreml weiterhin die Shanghai-
Gruppe dazu benutzen, Peking im Umgang mit der GUS
und anderen SCO-Partnern Russlands zu beobachten. Deshalb
wird die Shanghai-Gruppe für Russland eine wichtige Dimension
seiner Außen- und Sicherheitspolitik bleiben.