Nach dem 19. Parteitag der DKP - Interview mit Bettina Jürgensen, Vorsitzende der DKP

Marxistische Blätter: Parteitage reflektieren stets die voraufgegangene Entwicklung in der Partei. Die war, obwohl vor wenigen Jahren ein Parteiprogramm geschaffen worden war, von widerstreitenden Meinungen über aktuelle Prozesse im Kapitalismus gekennzeichnet. Hat der Parteitag die Diskussion darüber vorangebracht? Was besagen seine Ergebnisse über die Situation in der Partei?

 

Bettina Jürgensen: Das Parteiprogramm der DKP wurde 2006 beschlossen. Es ist richtig, dass bereits in der Erarbeitung des Programms unterschiedliche Einschätzungen z. B. zu der Frage Globalisierung, Neoliberalismus und Imperialismus diskutiert wurden. Das Programm ist selbstverständlich für unsere Partei und die Mitglieder die bindende Grundlage der politischen Arbeit. Doch Diskussionen um offene und nicht im Programm beantwortete Fragen, die wir offenbar nach dem Parteitag nicht ausreichend geführt haben, sollten intensiviert werden. Es gibt dazu durch die aktuelle ökonomische und politische Situation (Stichwort: Krise) meines Erachtens auch neue Fragen, auf die Kommunistinnen und Kommunisten Antworten geben müssen. Die Diskussion um die unterschiedlichen Positionen zeigt, dass es nicht immer gemeinsame Antworten und weiteren Klärungsbedarf gibt.

 

Wir machen es uns in der Partei nicht gerade leicht, gemeinsame inhaltliche Zielstellungen zu entwickeln. 

 

Doch mit der auf dem Parteitag mit großer Mehrheit beschlossenen „Politischen Resolution“ hat die DKP jetzt eine aktuelle Einschätzung der gesellschaftlichen Situation sowie eine Orientierung und mit dem „Aktionsorientierten Forderungsprogramm“ gewissermaßen das Handwerkszeug, um politisch aktiv zu bleiben, sich mit unseren Positionen in die Debatte, die in allen Bewegungen unseres Landes geführt wird, noch stärker als bisher einzubringen. Nicht nur das: wir haben die Möglichkeit unsere Alternativen darzustellen und Wege zu einem Politikwechsel aufzuzeigen. 

 

In der Partei gibt es Einigkeit darüber, dass es heute notwendig ist sich aktiv an den Kämpfen unserer Zeit zu beteiligen: Bewegungen gegen Sozialabbau insbesondere mit den Gewerkschaften, Anti-AKW-Proteste, antifaschistischer Kampf, Friedens- und Antikriegsbewegung, Aktionen gegen Demokratieabbau und Überwachungsstaat sind nur einige Beispiele von aktuellen Kämpfen, in denen KommunistInnen der DKP aktiv sind.

 

Marxistische Blätter: Die Einheit der Partei war stets ein wichtiges Kriterium, ein hochgeschätzter Wert für die Kommunisten – für ihre Gegner ein Beweis des Dogmatismus. Jetzt erleben wir eine kuriose Umkehrung: die durch die Krise des kapitalistischen Systems erschütterten bürgerlichen Parteien und auch die SPD beschwören eindringlich die Einheit und Geschlossenheit ihrer Reihen – die DKP konstatiert, dass man unterschiedliche Strömungen aushalten müsse. Wird das zum Dauerzustand? Wird sich je wieder eine Basis für die Einheit in der KP herstellen lassen? Wird das angestrebt?

 

Bettina Jürgensen: Das, was unsere Gegner als dogmatisch bezeichnen, war und ist doch nichts anderes als der Ausdruck des gemeinsamen Handelns von Kommunistinnen und Kommunisten. Insbesondere wird und wurde dieser Vorwurf immer dann erhoben, wenn es darum ging – möglicherweise sogar erfolgreichen – Widerstand gegen die Herrschenden mit zu organisieren. Da passt ihnen der Dogmatismusvorwurf gut in den Kram.

 

Doch die Einheit der Partei wurde in der Vergangenheit auch immer dadurch zu einem Wert, weil es vor allen Dingen um das einheitliche Handeln und das einheitliche Auftreten der GenossInnen in der Öffentlichkeit geht. Das gilt meiner Einschätzung nach, wenn es um die Frage der aktiven Teilnahme in Bündnissen und Bewegungen geht, auch heute noch. Wir leben heute in einer Welt, die dringender denn je die Geschlossenheit, einheitliches Handeln braucht, um dazu beizutragen, Veränderungen positiv im Interesse der Mehrheit der Bevölkerung durchzusetzen, oder auch den Kampf gegen die Herrschenden und die Abwälzung der Krisenlasten auf den Rücken der Menschen zu führen.

 

Doch wir können uns hier nicht von einem Wunschdenken leiten lassen, wir müssen momentan mit der Tatsache unterschiedlicher Positionen – das sind m. E. keine Strömungen – in der DKP umgehen. Und insgesamt ist es ja auch nichts Neues, dass es in kommunistischen Parteien Diskussionen um Weg und Ziel gibt. Das kann ja auch produktiv werden, denn letzten Endes sind es doch in der Geschichte der kommunistischen Bewegung die Debatten, die vor einem Stillstand und einem Beharren bewahren, die dazu dienen, nicht nur die politische Einschätzung der Gegenwart überhaupt zu ermöglichen, sondern, davon ausgehend, dann auch aktionsorientiertes Handeln zu entwickeln. 

 

Heute geht es bei uns um unterschiedliche inhaltliche Einschätzungen der politischen Situation, aber auch der Rolle der Partei u. a. in Bewegungen. Doch das kann kein Dauerzustand werden. Nach einem Diskussionsprozess werden wir hier wohl „über kurz oder lang“ zu gemeinsamen Einschätzungen in den wesentlichen Fragen kommen müssen. Und zur Frage der Basis für die Einheit: Diese ist nach wie vor das Programm der DKP – diese Basis gibt es also, von der ausgehend die Diskussionen geführt werden müssen.

 

Marxistische Blätter: Welche Erwartungen richten sich an die vom Parteitag beschlossene Theoretische Konferenz in 2011? Auf welcher Grundlage, nach welchen Prinzipien sollen die theoretischen Debatten geführt werden?

 

Bettina Jürgensen: Die Theoretische Konferenz wurde vom Parteitag beschlossen, auf der nächsten Tagung des Parteivorstands werden wir beraten, wie diese Konferenz vorbereitet und durchgeführt wird. Grundlage für die Diskussion ist laut dem Beschluss des Parteitags das Programm der DKP. Einfließen in die Debatte sollen verschiedene Positionspapiere, darunter die „Thesen“. Nach meiner Meinung sollte die Konferenz in den Gruppen, Kreisen und Bezirken vorbereitet, d. h. inhaltlich diskutiert werden. Aber da wird der Parteivorstand, wie erwähnt, ein Konzept erarbeiten und beschließen.

Marxistische Blätter:  Es geht wohl nicht nur um theoretische Übereinstimmung, sondern auch um Politikfähigkeit. Welchen Aufschluss darüber hat der Parteitag erbracht? Ein Streitpunkt war ein Fall von differenziertem Verhalten bei den Betriebsratswahlen. Eine Herausforderung der Haltung zu den Einheitsgewerkschaften. Wie ist aus dieser Sicht die Meinung zu den Herbstaktionen der Gewerkschaften?

 

Bettina Jürgensen: Die Herbstaktionen der Gewerkschaften finden die volle Unterstützung der DKP. Das Besondere an diesen Aktionen ist doch, ob und wie es gelingt in diese Kämpfe andere, also auch Kräfte außerhalb der Gewerkschaften, vor allen Dingen aber die Kolleginnen und Kollegen in den Betrieben einzubeziehen. Die ersten Aktivitäten, Demonstrationen und Kundgebungen zeigen, dass viele gewerkschaftlich, aber auch sonst politisch interessierte KollegInnen nicht bereit sind, die Abwälzung der Krisenlasten länger hinzunehmen und beginnen sich zu wehren. Das einigende Handeln der Gewerkschaften im DGB ist für diese Aktionen deshalb von Bedeutung, weil hier Kolleginnen und Kollegen aller Bereiche gemeinsam aktiv werden. Und letztlich kann nur die geballte Kraft gegen das Kapital und ihre Lobby in den Parlamenten wirken. Es bewegt sich viel in dieser Zeit, doch selbst das ist noch nicht ausreichend, um Veränderungen im Interesse der Menschen zu erzwingen. Trotzdem: die Herbstaktionen der Gewerkschaften finden unsere Unterstützung. Und das steht auch in unserem Programm: Die DKP „wirkt mit der Arbeiterklasse und in der Arbeiterklasse für die Zukunftsinteressen der Menschheit“.

 

Marxistische Blätter: Mit Blick auf die gesamte politische und soziale Entwicklung ist davon die Rede, dass sie sowohl Gefahren einer verschärften Rechtsentwicklung als auch Chancen für verstärkten antikapitalistischen Widerstand, auch für die Stärkung der DKP, erbringt. Letzteres lässt sich jedoch praktisch sehr schwer an – worin sieht man die Ansätze, damit es nicht zum Wunschdenken, sondern Realität wird?

 

Bettina Jürgensen: Ja, objektiv ist es so, dass wir gestärkt aus den aktuellen Kämpfen hervorgehen können. Möglich ist es, wenn wir in einer Situation, in der die Herrschenden nur den Ausweg sehen, mit rigiden Mitteln ihre Macht zu sichern und auszubauen, Alternativen zu dem bisherigen Gesellschaftssystem aufzuzeigen. Möglich ist es, wenn die Menschen nicht nur ihre Lage erkennen, sondern bereit sind dafür einzutreten, sie zu ändern. Umfragen z. B. von der Friedrich-Ebert-Stiftung zeigen, dass es immer mehr Menschen gibt, die sich ein anderes Gesellschaftssystem als den Kapitalismus vorstellen können. Zunehmend wird erkannt, dass wir in einer Klassengesellschaft leben und dass die aktuellen Probleme wie Hunger und Armut, aber auch Kriege in der Welt Probleme des Kapitalismus sind. Das kann neue Chancen für die kommunistische Idee bieten.

 

Damit meine ich nicht gleich, dass die Revolution vor der Tür steht, sondern dass ein Wechsel in der Richtung der Politik erfolgt. Das geht über einen Wechsel der Parteien an der Regierung weit hinaus.

 

Wenn sich aus den unterschiedlichsten Bewegungen gewissermaßen ein Netzwerk für Veränderung entwickelt und die DKP einen Beitrag dazu leistet und sich aktiv in die Bewegungen einbringt, wird eine Stärkung der DKP möglich sein. Wenn wir in den Bewegungen ein anerkannter und vorwärtsweisender Partner werden, dabei gleichzeitig die Diskussion um die sozialistische Alternative entwickeln, wird eine Stärkung möglich sein. 

 

Nur mit innerparteilichem Meinungsstreit werden wir sicher niemanden überzeugen, die Welt verändern zu müssen und damit auch nicht unsere eigene Partei stärken können.

 

Marxistische Blätter: Ein Hemmnis für die Voranentwicklung der DKP sind nicht nur die Nachwirkungen der Niederlage des Sozialismus, sondern die unausgesetzt aggressiven antikommunistischen Bemühungen, jede progressive Veränderung der Gesellschaft, den Sozialismus gar, zu unterdrücken. Welche Wirkung muss dem beigemessen werden? Ist dagegen ein Kraut gewachsen? Wo liegen die Grenzen des antikommunistischen Totalitarismus?

 

Bettina Jürgensen: Antikommunismus richtet sich ja nicht nur gegen uns. Wenn wir sagen, es gibt gewachsene Möglichkeiten einer progressiven Veränderung der Gesellschaft, so heißt das leider auch, es gibt auch die Möglichkeit einer reaktionären Entwicklung. Die Versuche der Herrschenden z. B. gegen den Willen der Mehrheit solche Wahnsinnsprojekte wie „Stuttgart 21“ mit Polizeigewalt nicht nur zu schützen, sondern durchzusetzen, zeigt, dass hier mit krassem Abbau von Demokratie auf die Forderungen der Menschen nach einem Baustopp reagiert wird. Das sehen wir auch in der Verlängerung der Laufzeiten für Atomkraftwerke, die einzig im Interesse der großen Energiekonzerne beschlossen wurde. Solche Beschlüsse und deren Schutz und Durchsetzung mit Polizeigewalt führen zu Zorn und Wut bei den betroffenen Menschen und in den Bewegungen. Das führt aber auch dazu, dass sich immer mehr Menschen mit der Frage befassen, ob und wie diesem Treiben des Kapitals und ihrer Regierungsvertretungen ein Ende bereitet werden kann. Hier die richtigen Antworten zu finden, die Aktionen zu entwickeln, an denen sich dann viele beteiligen können ist eine Herausforderung, vor die politische Bewegungen und selbstverständlich auch linke Parteien, erst Recht kommunistische, gestellt sind.

 

Die Grenzen des antikommunistischen Totalitarismus liegen da, wo die Menschen in der Mehrheit nicht mehr bereit sind, reaktionäre Entwicklungen hinzunehmen, wo rechtzeitig solche Entwicklungen erkannt und ihnen „ein Riegel vorgeschoben“ wird. Wir können jetzt schon versuchen, Stück für Stück vor Ort oder in einzelnen Politikfeldern erfolgreich im Interesse der Menschen etwas zu erreichen. Aber erst wenn wir  gemeinsame Forderungen entwickeln und gemeinsam um deren Durchsetzung ringen, wenn dabei der große Teil der Bewegungen und Menschen einbezogen wird, können wir wirklich einen Politikwechsel durchsetzen.

 

Dazu braucht es nicht nur das Wissen weshalb und wie wir uns wehren können, sondern auch den Mut dies zu tun. Das erfordert die geeigneten Aktionsformen, die von vielen getragen und durchgeführt werden.

 

(Die Fragen stellte Gerd Deumlich)