streiks: wild und politisch

oder wirkungslos wie ein lauer Herbst

Das Streikrecht und dessen Wahrnehmung war schon immer eine Machtfrage. In Zeiten des Klassenkampfes von oben durch abnehmenden Bedarf an menschlicher Arbeitskraft stellen wir auch die abnehmende Bereitschaft des Kapitals zu Kompromissen fest. Anders ausgedrückt: Die Androhung von Streiks kann ein Kapital, das unter (selbst erzeugten) Überkapazitäten leidet, kaum schrecken, wodurch die Gewerkschaften, wenn sie nicht tatsächlich streiken wollen, immer mehr Konzessionen machen müssen.

Dies alles spielt sich vor dem Hintergrund einer extremen Verrechtlichung des Arbeitskampfes in Deutschland, eines quasi betonierten Klassenkompromisses ab. Die Akzeptanz des „Streiks als absolut letztes Mittel“ durch die Gewerkschaftsführungen – aus untertäniger Rechtsstaatlichkeit, aber auch aus Wettbewerbskorporatismus – führte dazu, dass Streiks in ihrer ritualisierten Form längst zu einer Parodie der Arbeiterbewegung verkommen sind. Während also die Lohnabhängigen die ganze Bäckerei fordern müssten, um auch nur einen Krümel der Torte zu erhaschen oder Schlimmeres zu verhindern, fordert das Kapital aktuell gar ein Streikverbot. Eigentlich unnötig, denn gerade liegt ein gemeinsamer Vorstoß von DGB und BDA für gesetzliche Regelungen gegen Spartengewerkschaften vor, wobei diese Sozialpartnerschaft in Sachen Tarifeinheit eindeutig auch das ohnehin rudimentäre Streikrecht einschränken wird. Während das Kapital hierbei das Gespenst der britischen Verhältnisse mit permanenten Streiks von Spartengewerkschaften an die Wand der nationalen Wettbewerbsfähigkeit malt, sind die Gewerkschaftsapparate zum Schutz vor kleinerer und kämpferischerer Konkurrenz bereit, (blutig) erkämpfte Errungenschaften der Arbeiterbewegung für den Erhalt des Klassenkompromisses aufzugeben.

Wer unter den Lohnabhängigen bereit ist, die nationale Wettbewerbsfähigkeit und notfalls auch den eigenen Arbeitsplatz zu gefährden, diskutiert seit längerem neue Formen des Arbeitskampfes: Wie „Französisch lernen“, wie mit Verängstigten kämpfen, wie die Solidarität der betroffenen Bevölkerung erhalten? In der Krise greifen Lohnabhängige weltweit zu spektakulären und oft verzweifelten Mitteln (von Betriebsbesetzungen bis zu Hungerstreiks, Geiselnahmen, Selbstverbrennungen), doch eben erst aus Verzweiflung, oft gegen die Gewerkschaften und wenn gewerkschaftlich initiiert, dann meist für Sozialpläne, nicht gegen die Betriebsschließung.

Es ist offensichtlich, dass legale Arbeitskampfmittel nur legal sind, weil sie nicht wirken. Dass Streiks außerhalb der Tarifrituale wirkungsvoll sein können und zudem sanktionsfrei bleiben, hat z.B. die Bochumer Opelbelegschaft 2004 gezeigt. Wenn sich eine Belegschaft selbstermächtigt widersetzt, hilft das zwar gegen allzu kompromissbereite Betriebsräte oder Gewerkschaftsapparate. Aber es bleibt wirkungslos gegen ökonomisch bedingte Entlassungen und Betriebsschließungen. Denn hier geht es um den Kampf um Lebensbedingungen, nicht mehr um den betrieblichen Arbeitsplatz. Wenn Hartz-Gesetze und Privatisierungen der Lebensvorsorge selbst prekäre Arbeitsplätze alternativlos machen, müssen die Lohnabhängigen (mit oder auch ohne die Gewerkschaftsapparate) ihre sonst zersplitterten einzelbetrieblichen Kämpfe zu gesellschaftlichen und politischen machen. Doch politische Streiks werden nicht bei der Regierung erbettelt, sie werden einfach geführt. Wild und politisch – oder wirkungslos.

Autorinneninfo:

Mag Wompel ist Industriesoziologin, verdi-Mitglied und Redakteurin bei LabourNet Germany, einer Internetplattform für Ungehorsame, mit und ohne Job.