Nach seiner Wahl vor drei Jahren wurden große Hoffnungen in Präsident Fernando Lugo gesetzt. Die meisten davon konnte er nicht erfüllen
Die Wahl von Lugo zum Präsidenten von Paraguay 2008 hat 61 Jahre Herrschaft der Colorado-Partei beendet. Viele Menschen erhofften sich eine Besserung in dem gebeutelten Land. Heute sind die meisten UnterstützerInnen tief enttäuscht – nicht immer ganz zu Recht.
Mit
dem Slogan „Cambio“ war der damalige Bischof Fernando Lugo Anfang 2008
an der Spitze der heterogenen Patriotischen Allianz für den Wechsel
(APC) in den Wahlkampf gezogen. Übersetzt man cambio mit „Wechsel“, ist
ihm das durchaus gelungen. Zum ersten Mal nach 61 Jahren Herrschaft –
darunter 33 Jahre Militärdiktatur – musste die rechtskonservative
Colorado-Partei das Zepter abgeben. Brasilianische
GroßgrundbesitzerInnen in Paraguay fürchteten ebenso wie viele andere
Profiteure des alten Regimes Enteignungen. In der Hauptstadt Asunción
und in vielen anderen Orten hingegen tanzten die Menschen auf der
Straße, sie hofften auf einen Neuanfang des Landes.
Aber die Sorgen und Hoffnungen stellten sich bald als voreilig heraus.
Ein „Wandel“, was das Wort cambio auch bedeutet, stellte sich nicht ein.
Die Colorado-Partei hält weiterhin die Mehrheit in beiden Kammern des
Parlaments und blockiert die Regierung Lugo nach Belieben. Zudem wurde
schnell klar, dass die Allianz, die Lugo ins Amt gehievt hatte, außer
dem gemeinsamen Kandidaten keine Berührungspunkte hat: Rechtsliberale
hatten und haben kein Interesse, die progressiven Ideen der Landlosen-
und Kleinbauernbewegungen mitzutragen. Kommunistische Plattformen ebenso
wie Indigenen-Verbändeversagten alsbald die Unterstützung.
Die Wahl des Befreiungstheologen Lugo, die international zunächst für
viel Aufsehen gesorgt hatte, wurde bald mit Spott bedacht. Lugo tiene
corazón („Lugo hat Herz“) war Titel und Refrain des bekanntesten
Wahlkampfliedes. Bald wurde es nur noch im Zusammenhang mit früheren
Affären des Bischofs gebraucht. Der Präsident musste Putschversuche
überstehen ebenso wie Intrigen im Parlament, wegen eines Krebs-Leidens
war er lange außer Gefecht gesetzt. Die Unerfahrenheit seiner Regierung
genauso wie der Staatsapparat, der seit Jahrzehnten von den Colorados
dominiert wird, taten ihr Übriges.
„Ich dachte, wir könnten Paraguay heilen“, sagt Cristina Álvarez aus
Asunción. Die Mutter von vier Kindern hat wie viele andere Lugo gewählt.
Nicht, weil sie links wäre, wie sie beteuert, sondern weil sie ein
Leben ohne Korruption und Vetternwirtschaft wollte. „Meine Kinder sollen
eine faire Chance haben“, wünscht sie sich. Doch Heute ist sie
enttäuscht, in ihren Augen hat sich nichts verändert: „Die
Arbeitslosigkeit ist hoch, die Schulen nicht besser, an eine Landreform
glaube ich nicht und Korruption und Klientelwirtschaft gibt es wie
früher“, ärgert sich die 52-Jährige.
Auch Indigenen-VertreterInnen sind mit dem Präsidenten unzufrieden. 2005
und 2006 wurde Paraguay vom Interamerikanischen Gerichtshof dazu
verurteilt, enteignetes Land der Kelyenmagategma zurückzugeben. Passiert
ist bis heute nichts. Auf eine Nachfrage von Amnesty International bei
seinem Besuch in Deutschland meinte Lugo lapidar, dass „bis Ende des
Jahres eine Lösung gefunden werden soll“. Ebenso wenig kam die Regierung
mit dem Versuch voran, bisher von der Zivilisation unberührte
Ayoreo-Stämme in der Chaco-Region samt der sie umgebenden Ländereien
unter Schutz zu stellen. Weiterhin leben zahlreiche Stämme wie die
Nivaclé in bitterer Armut in geschlossenen Reservaten, Zugang zu
sauberem Wasser ist dort selten. Die Aufwertung der indigenen Sprache
Guaraní zur Amtssprache ist da nur ein Tropfen auf den heißen Stein.
Das wichtigste Anliegen der neuen Regierung aber war die Landreform.
Durch ungeklärte Besitzverhältnisse, Korruption und Klientelwirtschaft
ist in fast keinem Land der Welt Bodenbesitz so ungerecht verteilt wie
in Paraguay. Rund 80 Prozent des Landes sind in den Händen von 2,5
Prozent der Bevölkerung. Während die meisten UnterstützerInnen Lugos
eine Agrarreform als ihr Hauptanliegen nennen, sperren sich die
politisch mächtigsten Verbündeten des Präsidenten, die Liberalen,
vehement gegen eine Reform. So war der erste Agrarminister, Cándido Vera
Bajarano, Großgrundbesitzer und Gentechnik-Befürworter. Mobilisierungen
der GroßgrundbesitzerInnen finden daher sowohl in der Regierung als
auch der Opposition bereitwillig Gehör.
„Wir arbeiten daran, ein Kataster zu erstellen, in dem jeder Landbesitz
verzeichnet ist, damit wir eine Reform angehen können“, sagte Präsident
Lugo dazu vor wenigen Wochen in Berlin. „Erst dann können wir mit einer
Umverteilung beginnen“, fügte er hinzu. Nach fast drei Jahren Regierung
ist das jedoch zu wenig, finden selbst seine wichtigsten
UnterstützerInnen. „Der Wandel stagniert. Trotz unserer Wünsche und
unseres Willens haben wir objektiv kaum etwas erreicht“, gibt Camilo
Soares im Interview mit den LN zu (siehe LN 439). Soares ist Minister im
Kabinett Lugo und wichtigster Repräsentant der Bewegung zum Sozialismus
(PMAS).
Auch Sixto Pereira, Vizepräsident des Senats, führendes Mitglied der
Campesino-Bewegung Tekojojá und derzeit einziger linker Senator, sieht
keine Fortschritte bei der Landreform: „Der große Fehler war, den
Rechten das Ministerium zu überlassen“. Beide Politiker sind enttäuscht
vom Präsidenten. Mit größerem politischen Mut hätte Lugo mehr bewegen
können, sind sie sicher, denn die Bevölkerung hatte er lange auf seiner
Seite.
Nicht so den klientelistischen Staatsapparat. Zwar konnte Lugo durch
Umbesetzungen in der Spitze des Militärs rechte Kräfte zurückdrängen und
Initiativen gegen Korruption umsetzen. Spürbar werden diese Reformen
bisher jedoch kaum. VertreterInnen von sozialen Bewegungen klagen weiter
über Repression. Auch hat der Präsident zwischenzeitig den
Ausnahmezustand ausgerufen, um mit aller Härte gegen Protestierende
vorzugehen. Geschuldet sei diese Aktion dem Kampf gegen den Terrorismus
gewesen, immer wieder gab es Berichte über eine paraguayische Guerilla,
die EPP.
Ähnlich sieht es bei der Bekämpfung der Korruption aus. Zwar gibt es
inzwischen verbesserte Mechanismen für öffentliche Ausschreibungen und
Entlassungen für Staatsbeamte, die nicht zur Arbeit erscheinen, doch
verfolgt die Justiz Vergehen kaum. Posten im Justizwesen sind
traditionell Metier der Colorados, daran hat sich bisher nichts
geändert.
Auch die erhofften Fortschritte in der Steuerpolitik sind bislang
ausgeblieben. Es gibt weiterhin keine Einkommensteuer, die Abgaben auf
Soja-Exporte liegen bei derzeit 3,5 Prozent. Zum Vergleich: Im
benachbarten Argentinien sind es 35 Prozent.
Um die Staatskassen zu füllen, bleibt nur der Rückgriff auf die Gelder
aus dem Itaipú-Staudammprojekt. Hier konnte die Regierung Lugo einen
ihrer wichtigsten Erfolge verbuchen. Der noch unter Strössner
unterzeichnete Vertrag mit dem Nachbarn Brasilien wurde nachverhandelt.
Dadurch erhält Paraguay mehr Stimmrechte im gemeinsamen Ausschuss und
mehr Einnahmen. Zudem wurde ein Streit aus der Welt geschafft, der seit
Jahren die Beziehungen zu dem einflussreichen Nachbarn belastete.
In den letzten Wochen kam heraus, dass ein Mitarbeiter des
Riesenstaudamms Itaipú Millionenbeträge veruntreut hat. Als Berater für
die Rentenkasse des binationalen Unternehmens hatte er die Möglichkeit
dazu – es passiert ihm jedoch nichts, da der zuständige Minister sein
Onkel und der Staatsanwalt mit ihm befreundet ist. Dennoch gelang es
Lugo, mit der Neuverhandlung des Itaipú-Vertrages, Paraguay
international etwas aus der Isolation zu führen und stärker an seine
lateinamerikanischen Nachbarn zu binden. Bleibt zu hoffen, dass damit in
Zukunft die viel zu enge Bindung an die USA gelockert werden kann.
Ein weiterer Punktsieg gelang der Regierung bei den Sozialausgaben.
Musste die Regierung zunächst mit ansehen, wie die von Colorados
dominierten Parlamente die Ausgaben zusammenstrichen, zeichnet sich
jetzt eine stückweise Besserung ab. Zu Befürchten steht allerdings, dass
viele Gelder ebenso wie der kürzlich erhöhte Mindestlohn in der Praxis
niemals ihre EmpfängerInnen erreichen.
Kaum mehr zu nehmen ist der Regierung die Errungenschaft eines
kostenlosen Bildungssystems und dessen stückweiter Ausbau, allerdings
auf sehr niedrigem Niveau. Paraguay hat immer noch eine hohe
Analphabetenrate, gerade unter der indigenen Bevölkerung. Viele Kinder
in ländlichen Gebieten sind Stunden unterwegs, um eine Schule zu
erreichen, LehrerInnen werden schlecht bezahlt, und Zugang zu
Universitäten hat nur die Oberschicht.
Ähnliches gilt für das Gesundheitssystem, das inzwischen für alle
ParaguayerInnen kostenlos ist. Behandlungen und Medikamente werden vom
Staat bezahlt. Allerdings sind die meisten öffentlichen Krankenhäuser in
einem erbärmlichen Zustand, MedizinerInnen haben an niedrigen Löhnen zu
knabbern. Eines der Hauptprobleme bleibt, dass viele auf dem Land
geborene Kinder niemals registriert werden. Somit haben sie keine
Papiere und dadurch keinen Zugang zu Sozialleistungen.
Und in den Augen der meisten VertreterInnen von sozialen Bewegungen, der
wichtigsten Stütze des Präsidenten, können diese kleinen Schritte nach
vorn das Versagen etwa bei der Agrarreform nicht aufwiegen. „Deswegen
haben wir in der Bewegung diskutiert und uns entschlossen, die
Machtfrage zu stellen und eine eigene politische Kraft mit den
unzufriedenen Sektoren aufzubauen. Das Ergebnis ist die Partido Popular
(Volkspartei, Anm. d. Red), deren Vorsitz ich habe“, sagt Sixto Pereira
und bringt sich damit als neuen Präsidentschaftskandidaten der Linken
für die Wahl 2013 ins Spiel.
Die Unzufriedenheit mit Lugo ist unter den Linken und AktivistInnen mit
Händen zu greifen. Den meisten stoßen die Kompromisse und die
Zurückhaltung gegenüber den alten Machteliten sauer auf. Politische
AnalystInnen sehen das Problem vor allem in der geringen politischen
Erfahrung des Präsidenten: „Lugo ist ein Mensch, der keine Konditionen
bietet, um ein Land zu regieren und viel weniger noch um Reformen und
Wechselstimmung anzuführen. Dieses Land benötigt tiefe, einschneidende
Veränderungen und dies geht nur mit einem unverwechselbaren Führungsstil
und mit vertrauenswürdigen Menschen an seiner Seite“, sagte etwa der
liberale politische Analyst Gonzalo Quintana der rechten Zeitung ABC
Color.
Es sieht im Moment nicht danach aus, dass Lugo in den verbleibenden
Jahren noch einmal die Massen bewegt und GroßgrundbesitzerInnen und
Colorados zu Zugeständnissen und Reformen zwingt. Dazu hat er inzwischen
zu wenig Rückhalt. Ihm Versagen auf der ganzen Linie vorzuwerfen,
greift allerdings auch zu kurz. Unter schwierigen Vorraussetzungen sind
bereits einige Projekte verwirklicht worden. Mit mehr Mut und Erfahrung
könnte jedoch noch vieles mehr erreicht werden. Die Zögerlichkeit des
ehemaligen Bischofs ist aber auch auf seinen Respekt vor den politischen
Institutionen zurückzuführen. Wohl kein Präsident vor ihm hat die
Verfassung und die politischen MitspielerInnen mit dem gleichen
gebotenen demokratischen Respekt behandelt.
Auch wenn der Wandel, den Lugo und seine Verbündeten versprochen hatten,
bis heute ausgeblieben ist, so hat es doch einen Wechsel gegeben. Zum
ersten Mal seit 60 Jahren konnte Paraguay erleben, dass Wahlen zumindest
ein bisschen etwas ändern. Jetzt liegt es wieder an den
Basisbewegungen, aus dem Wechsel einen tiefgreifenden Wandel zu machen.
Text: // Michael Stürzenhofecker
Ausgabe: Nummer 445/446 - Juli/August 2011
Weitere Artikel zum Thema Paraguay: