Vier spanische Filme

Über Moral, Geschichte und laufende Bilder

in (21.12.2011)

Der erste ist vor kurzem aus den Premierenkinos verschwunden: Balada triste de trompeta, »Traurige Trompetenballade«, des Regisseurs Álex de la Iglesia, der auch das Drehbuch verfasst hat. Er ist, weit vor Pedro Almodóvar und knapp hinter seinem ehemaligen Lieblingsschauspieler Santiago Segura, der erfolgreichste spanische Filmemacher, zumindest beim einheimischen Publikum und bei den Internauten, seit er sich von ihnen bekehren ließ, gegen das von der Kulturministerin Ángeles González-Sinde, einer Drehbuchautorin, mit seiner Unterstützung initiierte Gesetz gegen Internet-Piraterie aufzutreten.

Wie Almodóvar hat De la Iglesia einen Hang zum Melodram, dazu noch zur Groteske und zum derben Humor. Geschichte und Politik sind ihm nur Kulisse; aber das heißt nicht, dass sein Film unpolitisch wäre: Er ist von Anfang bis zum Schluss mit der spanischen Zeitgeschichte verwoben, beginnt mit einem Gemetzel im Bürgerkrieg und endet noch während der Diktatur mit dem Tod der beiden Kontrahenten im Valle de los Caídos, dem Mausoleum, das Franco für sich und seine Gefallenen von republikanischen Sklavenarbeitern errichten ließ. Die von De la Iglesia ersonnene Geschichte soll durch manipulierte Wochenschauaufnahmen und Fotoanimationen (wie beim Sprengstoffanschlag auf Francos designierten Nachfolger Carrero Blanco) einen Hauch Authentizität erhalten.

Es geht um zwei Clowns in einem schäbigen kleinen Wanderzirkus, die um die Liebe der Trapezkünstlerin Natalia streiten. Javier, der traurige, ist der gute, gefühlvolle Held; Sergio brutal, herrschsüchtig, egoistisch. Aber je länger der Film dauert, umso mehr gleichen sie sich – in der Wahl ihrer Mittel, in der Neigung zur Selbstzerstörung, darin, dass es ihnen nicht mehr nur um die Gunst der Frau, sondern um die Liquidierung des Nebenbuhlers geht. Sie stehen für die beiden politischen Lager, die Linke und die Rechte, die sich um das von Natalia verkörperte spanische Volk bemühen. Am Ende, durch den Todessturz in die Tiefe, auf dem der eine den andern mitnimmt, haben beide verloren. Genau das ist auch die herkömmliche Geschichtsdeutung: Man findet die Linke ein bisschen sympathischer (romantisch in ihren Idealen), aber in der Wahl ihrer Mittel und in der Rücksichtslosigkeit, mit der sie ihr Ziel verfolgt, im Grunde um nichts besser.

Offenbar hat die Botschaft dieses Films niemanden gestört. Es ist auch in Spanien unfein geworden, künstlerische Werke an politischen Kriterien zu messen. Für bedeutsamer als ihr Gehalt gilt die vermeintliche Provokation (eine Provokation der Magennerven, in diesem Fall). Und natürlich das Bild, das der Künstler von sich selbst entwirft: Álex de la Iglesia erscheint als ein unerschrockener Kämpfer für pure Unterhaltung, der an den Glamour des großen Kinos anschließen will und dafür eine Symbiose aus Comic und Melodram gefunden hat, die auf die Vergnügungssucht eines politikverdrossenen, von 40 Prozent Jugendarbeitslosigkeit zermürbten Publikums abgestimmt ist.

Icíar Bollaín hat als Regisseurin – sie war auch Schauspielerin; ihr frisches, sommersprossiges Gesicht wird einigen noch aus Ken Loachs Bürgerkriegsdrama Land and Freedom in Erinnerung sein – lauter wichtige, anständige Filme gedreht, u.a. über die Tendenz, die Landflucht durch Heiraten zwischen einheimischen Junggesellen und Ausländerinnen aus Lateinamerika oder Osteuropa aufzuhalten (Flores de otro mundo), und über die nach wie vor erschreckend hohe Gewalt an Frauen (Te doy mis ojos). Ihr neues Werk También la lluvia (»Auch der Regen«) handelt davon, in welche Gewissenskonflikte Filmemacher kommen, wenn sich am Drehort Vorfälle ereignen, die das Thema ihres Films aufnehmen: In Cochabamba, Bolivien, ist im Jahre 2000 eine spanische Crew mit Dreharbeiten zu einem Film über die Conquista Amerikas beschäftigt, als es zur Revolte der armen Stadtbewohner gegen massive Preiserhöhungen infolge der durch den Internationalen Währungsfonds erzwungenen Privatisierung der kommunalen Wasserversorgung kommt. Einer ihrer indigenen Laienschauspieler stellt sich an die Spitze des Aufstands, wird verletzt und eingesperrt. Ohne ihn aber kann der Film nicht fertiggestellt werden. Während sie darin die Verbrechen der spanischen Eroberer kritisieren, laufen die Filmemacher Gefahr, sich an den Indios heute schuldig zu machen, indem sie ihnen ihre Solidarität verweigern.

También la lluvia leidet nicht so sehr daran, dass die Geschichte – das Drehbuch hat Bollaíns Ehemann Paul Laverty geschrieben, der Stammautor von Ken Loach – allzu vorhersehbar ist; auch die Realität ist ja für gewöhnlich vorhersehbar und nicht deshalb kritikwürdig. Einzuwenden ist eher, dass der Film seiner radikalen Wirkungsabsicht nicht gerecht wird: Am Ende wird es der nur um das Projekt besorgte Produzent sein, der den Abbruch der Filmarbeiten riskiert, um ein Kind zu retten. Aber die Erfahrung von Gewalt und Unrecht macht aus ihm keinen politischen Menschen. Trotzdem stellt ihn Bollaín im gewaltigen Finale als Helden hin.

Im Gegensatz zur Balada triste ... war Pa negre (»Schwarzes Brot«) des Katalanen Agustí Villaronga nach seinem Start im Oktober des Vorjahres schon aus den Kinos verschwunden, als er bei der Goya-Filmgala im Februar mit Preisen überschüttet wurde. Seither läuft er wieder, und in vollen Sälen. Pa negre basiert auf dem gleichnamigen Roman Emili Teixidors, der vor acht Jahren erschienen ist. Angesiedelt in einer ländlichen Gegend Kataloniens, in der Nachkriegszeit, handelt er aus der Perspektive eines neun- oder zehnjährigen Jungen Schuld, Sühne und verlorene Illusionen ab. Andreu, dessen Vater auf Seiten der Republik gekämpft hat, findet im Wald die Leichen eines Nachbarn und dessen Sohnes. Die frankistischen Behörden machen Andreus Vater für den Tod der beiden verantwortlich, der Junge, der von seiner Unschuld überzeugt ist, will die wahren Täter finden. Im Netz aus Verfolgung, Angst und Abhängigkeit erschließt sich ihm die Wahrheit: dass sein Vater die beiden Toten tatsächlich getötet und damit auch die Ideale verraten hat, die er Andreu gepredigt hatte. Die doppelte Tragik der Geschichte besteht darin, dass der Junge zuletzt in ein katholisches Knabeninternat eintritt, das ihn seiner Herkunft entfremden wird.

Das wäre schon eine wichtige Geschichte, und Teixidor hat sie in seinem Roman glaubwürdig und mit großem Einfühlungsvermögen gestaltet: Immerhin zeigt sie die moralischen Verwüstungen, die Diktatur und Verfolgung unter den Besiegten anrichtet, wie sie diese entzweien und in der Entzweiung noch einmal demütigen. Das Problem ist, dass Villaronga der eigenen Faszination für Sexualität erliegt: nicht nur der erwachenden, kindlichen, sondern auch der ungehemmten erwachsenen, die er seinen Figuren oktroyiert. Seine Darstellung suggeriert, dass sich die Treue der Arbeiterfrauen zu ihren gefangenen Männern vor allem in ihrer Bereitschaft geäußert hat, den Faschisten sexuell zu Willen zu sein. Die Schriftstellerin Belén Gopegui hat schon vor Jahren diesen Topos des zeitgenössischen Kunstschaffens kritisiert, der fast komisch anmutet, als wären die Wäscherinnen oder Fabrikarbeiterinnen, herausgerissen aus ihren Verhältnissen, durch die schwüle Erotik des bürgerlichen Fin de siècle hindurchgegangen und dann wieder ins Proletariat katapultiert worden. Tatsächlich wäre ja zu vermuten, dass in ihrer Existenz bedrohte Menschen ihren Peinigern entsagen, aber Keuschheit ist im spanischen Filmschaffen, das mehr noch als die Literatur seine Plausibilität auf dem eigenen Genre begründet, und nicht auf der gesellschaftlichen Wirklichkeit, fast undenkbar.

Obwohl, züchtig geht es in 23-F zu, einem Film von Chema de la Peña, der am 30. Jahrestag der geschilderten Ereignisse in den Kinos angelaufen ist: Am 23. Februar 1981 besetzte ein Trupp der Guardia civil unter Oberstleutnant Antonio Tejero das Parlamentsgebäude und nahm die Abgeordneten in Geiselhaft. Der Überfall sollte einen Staatsstreich auslösen, um das Inkrafttreten der Autonomiebestimmungen zu verhindern, die für die konspirierenden Militärs den Zerfall Spaniens bedeuteten. Im Machtvakuum nach der Demission des Premierministers Adolfo Suárez und vor der Wahl seines Nachfolgers Leopoldo Calvo Sotelo hielten sie ihre Stunde für gekommen. Die einzige Autorität, die sie außerhalb der eigenen Hierarchien anerkannten, war die des Königs, der ja von Franco eingesetzt worden war. Tatsächlich dauerte es mehrere Stunden, bis Juan Carlos in einer Fernsehansprache den Putschversuch verurteilte, und es ist bis heute umstritten, ob er tatsächlich – wie im Film behauptet – von Beginn an die demokratische Verfassung schützte.

De la Peña verwendet Dokumentaraufnahmen, inszeniert die Geschichte dieser langen Nacht aber wie eines jener halbfiktiven Fernsehdramen, in denen die Großen die Geschichte unter sich ausmachen: auf der einen Seite der – in Auftreten wie Rhetorik sehr schmeichelhaft dargestellte – Monarch als Retter der jungen Demokratie, auf der anderen Tejero und die beiden Generale Armada und Milans del Bosch, die auf die Unterstützung des Königs bauen. Bis auf den feigen Armada, dessen Darsteller wie der bucklige Glöckner durch die Fassaden schlurft, gewinnt man alle lieb, selbst den unbedarften, das ranzige, schäbige, schulterklopfende Männerspanien, el país cutre, verkörpernden Tejero. Die Abgeordneten und Regierungsmitglieder müssen sich, dabei nicht unsympathisch gezeichnet, mit Statistenrollen begnügen, während das sogenannte Volk, auf das es letztlich, auch in jener Nacht, ankam, nur gelegentlich gezeigt wird, geduckt, verängstigt, in Panik. So endet der Film als Panegyrik auf die konstitutionelle Monarchie, einen Staat unter Ausschluss seiner Gesellschaft. Darin folgt 23-F der offiziösen wie offiziellen Geschichtsschreibung.

In Wahrheit endete am 23. Februar 1981 nicht das alte, autoritäre Spanien, sondern die Hoffnung auf ein neues, das nicht nur mit den poderes fácticos (Armee, Kirche, Banken) bricht, sondern auch mit der Klassenherrschaft. Der vereitelte Staatsstreich und die Massendemonstrationen in seinem Gefolge beförderten den Wahlsieg der Sozialistischen Partei im Jahr darauf, der wiederum die Regierung Felipe González legitimierte, das Land in ihrem Sinn zu modernisieren. Der Beitritt zur NATO – mit dem Argument, damit die ultrarechten Militärs zu neutralisieren – war nur der erste Schritt; der zweite, die gewonnene Hegemonie innerhalb der Linken zu nützen, um basisdemokratische Organisationen zu zerschlagen. Die Gewerkschaften verloren im selben Ausmaß an Bedeutung, als infolge des von der sozialistischen Regierung betriebenen industriellen Rückbaus der am meisten kämpferische Teil der Arbeiterschaft aus dem Erwerbsleben gerissen wurde.

Die ungemein aggressiven, in ihren Grobheiten an die unflätig-geschwollene Ausdrucksweise des Putschisten Tejero erinnernden Attacken der von Korruption zerfressenen Volkspartei, des Episkopats und der mit beiden verbündeten Medienkonzerne auf die gegenwärtige Regierung beweisen, dass die moderate Politik der Sozialisten nicht die Rechte befriedet, sondern die Linke wehrlos gemacht hat. Wie sehr diese die Deutungsoberheit über die eigene Geschichte verloren hat, das erweist sich an den besprochenen Filmen.

 

Die Printversion ist erschienen in:
Das Argument 293 (4/2011), »Was kann Kunst?«, S. 523-26