No time for Tea Parties!

 

Wie feministisch sind die Occupy-Bewegungen in den USA? Berichte von den Besetzungen in Los Angeles, Oakland, Berkeley und San Francisco.

 

So vielfältig die Forderungen und Positionen, die auf den Schildern und Transparenten formuliert werden, auch sind, so sorgfältig muss man suchen, um welche mit queer-feministischen Inhalten zu finden. Doch auf dem Schild der Studentin Meghan steht: „Women unite! Solidarity with women’s struggles all over the world.“

Occupy Los Angeles hat den Rasen vor und hinter der City Hall (Rathaus) von Los Angeles offiziell seit 1. Oktober besetzt. Zum internationalen Aktionstag am 15. Oktober wird auch hier zu einer Demonstration aufgerufen. Treffpunkt ist der Pershing Square mitten im Financial District in Downtown Los Angeles, unweit der City Hall.

 

„We are the 99%.“ Seit September gibt es die Protestbewegung „Occupy Wall Street“ (OWS). Binnen weniger Wochen wurden in vielen Städten Solidaritätsbewegungen gegründet und öffentliche Plätze besetzt. Unter dem Motto „We are the 99%“ richtet sich die Kritik besonders gegen die steigende ökonomische Ungleichheit, die geringe Besteuerung von Konzernen und Reichen sowie deren Einfluss auf die Politik.

Ein Merkmal, oder vielleicht besser Nicht-Merkmal der Bewegung ist, dass es schwierig ist, sie zu definieren und einzuordnen oder klar zu benennen, was ihre konkreten Forderungen sind. Ist das für viele ein Grund, die 99%-Bewegung nicht ernst zu nehmen, geht für andere gerade davon die Faszination aus: Dies sei eine neue Form der Politik, die nicht mit klassischen Vokabeln wie Interessensgruppen, Forderungen oder Ideologie zu beschreiben sei. Durch die diffuse Form der Bewegungen, die Weigerung, eine_n Sprecher_in zu benennen, sich einer konkreten Politik oder Strategie, einer Richtung oder Ideologie unterzuordnen, sei es unmöglich, die Proteste mit halbherzigen Reformvorschlägen abzuspeisen. Diese Politik des Chaos oder der radikalen Anarchie heißt allerdings nicht, dass die Bewegung überhaupt keinen bekannten politischen Mustern folgt: In Grundzügen basisdemokratisch organisiert, werden beispielsweise Entscheidungen in einer „General Assembly“ – einem täglichen Plenum – getroffen. Eine solch offene Form ermöglicht zwar prinzipiell, dass viele verschiedene Positionen artikuliert werden können.1

Gleichzeitig haben jedoch die Erfahrungen des „Arabischen Frühlings“ – auf den sich die Occupy-Aktivist_innen zumindest rhetorisch teilweise beziehen – oder der spanischen Indignad@s im Sommer 2011 gezeigt, dass Raum für feministische und queere Forderungen immer erst erkämpft werden muss.

 

Occupy Los Angeles. Die Studentin Meghan aus Los Angeles sagt, es sei wichtig, intersektionelle Unterdrückung zu thematisieren, also den Umstand, dass Menschen entlang mehrerer Ungleichheitsdimensionen benachteiligt werden. Sie versucht, so viel Zeit wie möglich bei Occupy LA zu verbringen. Das beinhaltet neben dem Campen vor der City Hall auch die Organisation von Workshops, die über Intersektionalität informieren.

Eine zentrale Frage für Meghan ist, wer innerhalb der Protestbewegung überhaupt sprechen bzw. sich erfolgreich Gehör verschaffen kann. Und hier zeige sich ein ambivalentes Bild: Einerseits würden die meisten Teilnehmenden sehr offen aufeinander zugehen, was es ermögliche, voneinander zu lernen. Andererseits seien die Kämpfe trotzdem eher klassisch männlich dominiert, und einige Gruppen schafften es oft nicht, ihre Sichtweisen zu artikulieren.

Diese Einschätzung bestätigt auch ein Aktivist der LGBT-Organisation Get Equal. Er trägt eine Regenbogenfahne als Symbol dafür, dass queers in die Proteste involviert sind. Allerdings kann es in dieser Position auch ganz schön einsam sein, erzählt er. Zum 11. Oktober, dem National Coming Out Day (der so heißt, obwohl er in vielen Ländern begangen wird), veranstaltete Get Equal eine Pressekonferenz, die ebenfalls zum Ziel hatte, die Sichtbarkeit von queers zu erhöhen und generell Bewusstsein für den Ausschluss von Minderheiten zu schaffen.

Ein Bewusstsein für die verschiedenen Unterdrückungsfaktoren und -mechanismen zu schaffen und ein Zeichen der Solidarität und Unterstützung zu setzen, ist auch die Motivation für die Teilnahme von Queeruption (www.queeruption.org) LA, einer Gruppe von Anarcho-Feminist_innen, die extra aus den Suburbs von Los Angeles angereist sind.

 

Occupy San Francisco & Berkeley. Etwas weiter nördlich entlang der Westküste finden weitere Besetzungen statt. Zeitgleich mit der New Yorker Wall Street, also am 17. September, wurde auch das Gebiet vor dem Federal Reserve Building im Financial District von San Francisco besetzt. Seit 8. Oktober belagern Protestierende den Gehsteig vor der Bank of America in Berkeley. Zwei Tage später wurde dann auch der Platz vor der lokalen Stadtverwaltung in Oakland besetzt. Obwohl alle drei Bewegungen unisono zu einer radikalen Opposition zum herrschenden System auffordern, oder anders gesagt, sie nicht weniger fordern als den Umsturz des neoliberalen Kapitalismus, sind die drei doch sehr unterschiedlich. Erstaunlicherweise konnten sich weder in San Francisco noch in Berkeley queer-feministische Diskurse merkbar in den Bewegungen niederschlagen. Theorien und Politiken, für die die beiden Städte doch eigentlich bekannt und berüchtigt sind.

Konnte die Besetzung in San Francisco zu Anfang noch eine beachtliche Menge an Menschen anziehen, so hat sie mittlerweile, wie es scheint, deutlich an Energie verloren. Von Beginn an stark von Polizeigewalt und -repression betroffen, wurden auch queer-feminis-tische Positionen und Personen schnell vertrieben. Im linksliberalen Berkeley, langjährige akademische Heimat von Judith Butler und wichtiger Schauplatz der Friedensund Bürger_innenrechtsbewegung der 1960er und 70er, konnte die Besetzung seit ihrem Bestehen nie mehr als 80 Personen zur täglich stattfindenden Generalversammlung zusammenbringen, wie die Studierendenzeitung „The Daily Californian“ Ende Oktober resümierte. Die Message der Besetzer_innen schließt sich der landesweiten „We are the 99%“ an, geht darüber allerdings auch nicht hinaus: von queer-feministischer Kritik keine Spur.

Völlig anders gestaltet sich die Situation in Oakland.

 

Occupy Oakland. Von 10. bis 25. Oktober belagerten dutzende Zelte den Vorplatz der lokalen Stadtverwaltung, den nahe gelegenen Snow Park und die Grasflächen um den angrenzenden Lake Merritt. Nachdem die Besetzung in der Nacht des 25. Oktober auf brutalste Weise geräumt wurde, finden sich nun täglich Hunderte zur abendlichen Generalversammlung ein, um weiterhin ihren Protest kundzutun.

Zahlreiche sozial-politische Kulturinitiativen wie die queere Danceparty Hella Gay unterstützen Occupy Oakland. Darüber hinaus ist Oakland auch deutlich stärker durch queer-feministische, anti-kapitalistische, antirassistische und dekolonialisierende Politik geprägt. Die Besetzungen bieten einen Safe Space für Transgender und Frauen, ebenso wie für People of Color. Am 18. Oktober fand der Occupy Oakland Queer March statt. Die Homepage der Bewegung problematisierte auch den Begriff „Besetzung“, Flyer wurden verteilt, die die Wortwahl Occupation im Kontext der US-amerikanischen Kolonialgeschichte thematisierten, und zahlreiche Plakate und Banner forderten das Ende der Kolonialherrschaft. Die Besetzer_innen verweisen auf die brutale Aneignung des Landes durch europäische Einwander_innen und auf die anhaltende Diskriminierung und Unterdrückung von Native Americans. Darüber hinaus erinnert die Bewegung auch an die Civil-Rights-Movement-Geschichte und beleuchtet die andauernden Rassismen und Diskriminierungen gegenüber African Americans und Latinos und Latinas. Warum ausgerechnet Oakland eine derart präsente, gut organisierte, vielfältige queer-feministische und antirassistische Bewegung hat, ist schwer zu beurteilen. Ein relevanter Faktor ist sicher, dass in Oakland soziale Unterschiede und Privilegien härter aufeinandertreffen als in den stark segregierten Städten Berkeley und San Francisco. Dazu kommt, dass in den letzten Jahren die steigenden Wohnungspreise in San Francisco und Berkeley dazu geführt haben, dass die queer-feministische Linke nach Oakland abgewandert ist, wo Wohnen billiger und die Infrastruktur dennoch urban ist.

Occupy Oakland fokussiert auf die ökonomischen und sozialpolitischen Ungleichheiten und Ungerechtigkeiten in den USA und thematisiert gleichzeitig auch soziale Unterschiede und Privilegien innerhalb der Protest-Community. Wenn eine neue Form von Community und Solidarität ein Ergebnis der Occupy-Bewegung sein kann, wie Judith Jack Halberstam im Zuge eines Vortrags an der UCLA am 14. Oktober proklamierte, dann wird diese Chance in Oakland am sichtbarsten. 

 

Susanne Kimm ist Dissertantin im GenderInitiativkolleg der Universität Wien.

Katharina Wiedlack ist Mitarbeiterin des Referats Genderforschung der Uni Wien, Dissertantin am Institut für Anglistik und Amerikanistik und derzeit Visiting Researcher an der University of California, Berkeley.

 

Anmerkung:

 

1 Das bedeutet leider auch, dass teilweise antisemitische Parolen Platz hatten. Allerdings sind diese nicht repräsentativ für die ganze Bewegung.