Der Iran und die Gefahr eines neuen Krieges

Ein Interview mit dem Friedens- und Konfliktforscher Mohssen Massarrat

Droht ein neuer Krieg?

Die Verschärfung des Embargos gegen den Iran durch die Europäische Union und die enorme Konzentration von Kriegsschiffen der USA und Großbritanniens im Persischen Golf deuten darauf hin, dass ein Militärschlag gegen den Iran vorbereitet wird. Über die Kriegsgefahr, die Situation im Iran und mögliche Perspektiven der Friedensbewegungen sprachen GWR-Redakteur Bernd Drücke und die GWR-PraktikantInnen Monika und Jonathan mit dem emeritierten Osna­brücker Politikwissenschaftler Prof. Dr. Mohssen Massarrat (1). (GWR-Red.)

 

Bernd Drücke: Wie sind Sie im Iran aufgewachsen? Wie haben Sie später Ihr Leben in der Bundesrepublik gelebt?


Mohssen Massarrat: Aufgewachsen bin ich in Teheran, wo ich zur Schule gegangen bin und mein Abitur gemacht habe.

Während des ersten Ölkonflikts zwischen dem Westen und Iran war ich noch Schüler.

In dieser Zeit, den 1950er Jahren, hat sich im Iran eine nationale Bewegung entwickelt, die zwei Ziele hatte:

1. Die Demokratisierung des Landes, sprich freie Wahlen.

2. Die Durchsetzung nationaler Unabhängigkeit, durch Verstaatlichung des Ölsektors.

Damals beherrschte Großbritannien durch einen neokolonialis­tischen Vertrag den iranischen Ölsektor. Dieser sollte rückgängig gemacht werden.

Meine eigene Politisierung erfolgte somit während des ersten internationalen Konflikts in der Ölfrage zwischen dem Westen und dem Iran Anfang der 1950er Jahre. Sie hat mich bis heute stark geprägt. Ich verfolge den Konflikt zwischen dem Westen und Iran während meines Aufenthalts im Exil seit den 1980er Jahren und während der Golfkriege. Mich begleiten die  Konflikte des Mittleren und Nahen Ostens nicht zuletzt auch wegen meiner eigenen Biographie sehr intensiv. Ich begann mich zu engagieren, um zur Kriegsverhinderung einen Beitrag zu leisten und um frie­denspolitische Perspektiven für die Region zu entwickeln.

Ich fühle mich verpflichtet, mich wissenschaftlich und politisch mit einem folgen­rei­chen Konflikt zu beschäftigen, der sich zwischen dem Westen und Iran seit mehreren Dekaden abspielt.

 
Jonathan: Wie beurteilen Sie denn die momentane Situation im Iran?

 

Mohssen Massarrat: Momentan ist es so, dass die Regie­rungspolitik durch islamisti­sche Strömungen bestimmt wird. Es gibt zwei große Spektren, die miteinander um den Zugriff auf die Öleinnahmen wetteifern.

Das sind auf der einen Seite die religiösen Gruppen um Chame­nei, den „Revolutionsführer“.

Und auf der anderen Seite die Anhänger von Ahmadinedjad, die sich aus den Pasdaran, den „Revolutionsgarden“, rekrutieren. Der Staat lebt und existiert mehr durch die Öleinnahmen, als durch Steuern. Das ist ein großer Nachteil, da es bei den Machthabern bzw. politischen Gruppierungen, die um Macht konkurrieren, in erster Linie darum geht, die Öleinnahmen zu kontrollieren, um sie möglichst unter den eigenen Anhängern zu verteilen. Die Ölabhängigkeit schafft so ein Strukturproblem für Iran und für die Demo­kratisierung der Gesellschaft.

 

Jonathan: Regen sich in der Bevölkerung denn bereits neue Widerstände, oder existiert noch immer die Angst, dass die Regierung ähnlich hart durchgreift, wie bei den Oppositionsaufständen 2009?

 

Mohssen Massarrat: Es gibt nach wie vor eine Opposition im Iran, die massiv unterdrückt wird. Trotzdem fanden beispielsweise heute im ganzen Land Demonstrationen statt. Die zwei Füh­rungspersönlichkeiten der Oppositionsbewe­gung stehen beide mit ihren gesamten Familien unter Hausarrest. Ihnen wird jeder Kontakt nach außen untersagt. Aber es gibt unterhalb der öffentlichen Ebene Widerstand. Die Menschen sind unzufrieden und warten auf eine günstige Gelegenheit dies auch nach außen zu tragen. Dies wird z.B. bei den kommenden Parlamentswahlen so sein, wo die Opposition zum Wahlboykott aufgerufen hat.

 

Bernd Drücke: Im Moment ist ja die Situation so, dass im Persischen Golf britische und US-amerikanische Flugzeugträger und andere Kriegsschiffe aufgefahren sind. Es ist die größte Militärarmada seit dem letzten Golfkrieg. Zwar ist eine deutliche Mehrheit von 58 Prozent der Israelis nach einer aktuellen Umfrage gegen einen israelischen Militärschlag gegen die iranischen Atomanlagen. Der israelische Regierungschef Benjamin Netanjahu hat aber seine Absicht bekräftigt militärisch gegen das Nuklearprogramm des Mullahregimes vorgehen zu wollen. In vielen Medien wird spekuliert, dass in den nächsten Monaten möglicher Weise ein Militärschlag von Israel oder den USA gegen die Atomanlagen im Iran zu erwarten ist. Wie schätzen Sie die Situation ein?

 

Mohssen Massarrat: Die Gefahr ist sehr groß, dass ein weiterer Krieg im Mittleren Nahen Osten ausbricht. Sie ist in den letzten Wochen und Monaten größer geworden: Nachdem Israel immer wieder Drohungen ausspricht und der Westen (sowohl die USA als auch die EU) immer schärfere Sanktionen gegen Iran verhängen. Die iranische Regierung könnte sich dadurch zu Gegenmaßnahmen gezwungen sehen.

Aus dem Lager des Regimes im Iran sind als Reaktion auf die harten Sanktionen ja schon Drohungen ausgesprochen worden, die Straße von Hormus zu blockieren, um den Ölexport in die EU zu verhindern. Das wäre eine große Gefahr, weil die westlichen Staaten dann eine Rechtfertigung für einen möglichen Angriff mit ihrer Truppen­armada am Persischen Golf hätten, auf den sie möglicher Weise hinarbeiten.

Diese Situation wird nicht unbedingt von Oba­mas Regierung selbst vorangetrieben. Obama hat sich an vielen Stellen gegen einen Krieg ausgesprochen. Auch das Umfeld von ihm ist nicht unbedingt begeisterter Kriegstreiber, aber die Neokonservativen setzen Obama unter Hand­lungsdruck. Die Propaganda, die im Westen seit 2003 verbreitet wird, in der der Iran für den Atomkonflikt allein verantwortlich gemacht wird, in der es offensichtlich nur darum geht zu verhindern, dass Iran Zugriff auf Atomwaffen bekommt, führt dazu, dass Iran längst von allen Seiten als Feindbild betrachtet wird. Damit hätten die Kriegstreiber im Westen ein leichtes Spiel, Obama zum Handeln zu drängen.

Es kann durchaus passieren, dass er dadurch vor den Präsidentschaftswahlen, in die Situation kommt, dass Israel gegen die Atomanlagen Irans einen Angriffskrieg startet. Damit wären Obama und die USA sofort in eine Kriegseskalation hineingezogen, mit völlig offenem Ende.

Die israelische Regierung unter Netanjahu ist ein Unsicherheitsfaktor, genau so wie Ahmadinedjad bzw. radikale Kriegstreiber innerhalb der Islamischen Republik Iran. Die Kriegsgefahr besteht m.E. weiterhin.

 

Monika: Sie schreiben in der aktuellen Os­sietzky-Ausgabe unter dem Titel „Joschka Fischers Alternative – Krieg oder Nuklearmacht Iran“, dass „Israels Atomarsenal eindeutig die Hauptursache für das nukleare Wettrüsten in der Region“ ist. Wie kommen Sie zu dieser Einschätzung?

 

Mohssen Massarrat: Israel ist im Mittleren Nahen Osten bis jetzt die einzige Nuklearmacht. Es ist ein offenes Geheimnis, dass der israelische Staat seit etwa 30 Jahren Nuklearpotentiale aufgebaut hat. Man schätzt, dass es über circa 200 bis 300 Atombomben verfügt.

Inzwischen hat der Staat auch die entsprechenden Trägersysteme, die für einen Bombenabwurf im Iran nötig wären.

Israel hat dazu U-Boote, die aus Deutschland geliefert wurden, umgebaut. Sie könnten vom Indischen Ozean aus entsprechende Ziele im Iran erreichen. Israel hat sogar im Hinblick auf mögliche iranische Nuklearpotentiale eine sogenannte Zweitschlagskapazität aufgebaut, sodass es einen militärischen Vorsprung hätte, selbst wenn es Iran gelänge, Nuklearkapazitäten aufzubauen. Deshalb ist das gegenwärtige Monopol Israels an Atomwaffen eine Ursache des Wettrüstens in der Region, auch wenn Israel bis jetzt nicht zugibt, an diesem Wettrüsten mitzuwirken. Mit seiner Absicht, die eigene Sicherheit mit Atomwaffen zu untermauern, hat sich Israel offensichtlich ins eigene Fleisch geschnitten.

Iran versucht die eigenen Nuklearkapazitäten im Rahmen völkerrechtlicher Verträge aufzubauen, da er nach dem Atomwaffensperrvertrag keine eigenen Atomwaffen entwickeln darf.

Israel hat den Atomwaffensperrvertrag nicht unterschrieben. Es hat nie zugegeben, dass es eigene Atomwaffen besitzt.

Der Iran versucht nun, unter dem Vorwand eigener friedlicher Nutzung der Nuklearenergiepotentiale, ebenfalls ein Atomprogramm aufzubauen.

Man sieht, dass das Völkerrecht und der Atomwaffensperrvertrag keinen Staat daran hindern können, eigene Atomwaffen zu produzieren. Es gibt genug Möglichkeiten, den Atomwaffensperrvertrag zu umgehen. Israel hat damit schon vor 30 Jahren begonnen und Iran reagiert nun auf diesen atomaren Vorsprung. Die Aufrüstungseskalation in der gesamten Region ist damit vorprogrammiert.

 

Bernd Drücke: Welche sozialen Bewegungen sehen Sie denn, die sich gegen diese militaristische Politik, auf allen Seiten, aber vor allem auch auf der des Iran stemmen? Das autoritär-religiöse Regime tritt die Menschenrechte – vor allem von Frauen und Homosexuellen mit Füßen. Gibt es trotz der schwierigen Bedingungen im Iran z.B. in Ansätzen eine Anti-Atomkraft-Bewegung? Gibt es überhaupt Kritikerinnen und Kritiker von Atomwaffen und Atomkraft oder Möglichkeiten sich oppositionell zu engagieren?

 

Mohssen Massarrat: Leider Nein! Es gibt sowohl im Iran, wie auch in allen anderen Staaten des Mittleren Ostens – einschließlich Israels – keine öffentliche Debatte über Atomenergie, Atomwaffen, über deren ökologische Gefahren, und über deren Vernichtungspotentiale. Darüber wird nicht diskutiert. Auch in Israel ist das ein Tabuthema und erst Recht im Iran, wo nicht einmal Ansätze der Meinungsfreiheit existieren. Man merkt an­hand der innenpolitischen Konflikte, dass im Iran viele eine öffentliche Debatte darüber wünschen. Viele Iraner fühlen sich aber durch die einseitige Politik des Westens bedroht und unterstützen daher das Atomprogramm der Regierung. Sie sagen: „Israel hat Atomwaffen, warum sollen wir sie nicht haben?“ Gegen dieses Argument wird sich im Iran nur schwer eine zugkräftige Argumentation entwickeln können. Eine freie Diskussion im Mittleren Nahen Osten würde aber wahrscheinlich zu dem Ergebnis führen, dass die Region frei von nuklearen Waffen sein müsste.

 

Jonathan: Wenn Sie jetzt sagen, dass es nur wenige Proteste gegen Atomkraft gibt, ist dann Fukushima völlig spurlos an der Bevölkerung im Iran vorbeigegangen oder lässt die Regierung einfach nur keine Leute zu Wort kommen?

 

Mohssen Massarrat: Das Zweite stimmt. Die Menschen sind gerade wegen Fukushima sehr kritisch geworden. Sie sind über Internetpub­likationen zu Fukushima gut informiert, daher gibt es allgemein eine negative Stimmung gegen Atomkraft. Die Menschen haben das Problem begriffen. Aber es gibt keine Möglichkeit offen darüber zu diskutieren.

 

Bernd Drücke: Wo sehen Sie die Aufgaben der Friedensbewegung? Was können wir als Teil der Friedensbewegung tun, um einen Krieg zu verhindern und uns politisch nahestehende Op­posi­tionsbewegungen im Iran und in anderen Ländern zu unterstützen?

 

Mohssen Massarrat: Ein großer Teil der Oppositionsbewegung im Iran würde sich wahrscheinlich, wenn sich die Situation zuspitzt, hinter die Regierung stellen, weil es ihr äußerst schwer fällt, mit dem Westen im Einklang gegen das iranische Atomprogramm zu opponieren. Sie wird das nicht tun, um nicht als Verbündete des Westens desavouiert zu werden. Sie ist nicht davon überzeugt, dass Iran allein für den Konflikt verantwortlich zu machen ist. Dieses Dilemma ist das Ergebnis auch der einseitigen Politik des Westens. Die Opposition hat keine andere Möglichkeit, als entweder gegenüber der Atompolitik des iranischen Regimes zu schweigen, oder aber zu sagen: „Wenn der Westen uns so unter Druck setzt, und von uns verlangt, dass wir keine Atomwaffen besitzen dürfen, Israel aber außen vor lässt, dann müssen wir auf dem eigenen Atomprogramm bestehen.“

Die Haltung der Opposition im Iran ist Ergebnis westlicher Politik. Deswegen können wir nicht davon ausgehen, dass sie einen Weg gegen einen möglichen Krieg aufzeigen kann. Die Menschen sitzen zwischen den Stühlen: Auf der einen Seite ist da die westliche Politik und auf der anderen Seite die Unterdrückung durch das Regime, die sie zermürben.

Ich möchte damit sagen, dass deshalb der internationalen Friedensbewegung eine große Verantwortung auferlegt zukommt. Denn sie ist die einzige Kraft, die dazu in der Lage wäre, gegen die einseitige Politik des Westens Stellung zu beziehen, Alternativen aufzuzeigen und darauf aufmerksam zu machen, dass diese westliche Politik auf dem besten Wege ist, die Voraussetzungen für einen Krieg zu schaffen. Es war immer so, dass auf Embargos Krieg folgte, wie z.B. im Irak. Nach einem zehnjährigen Embargo argumentierten die amerikanische Neokonservativen, dass sie so einen Staat wie den Irak mit Saddam Hussein, der angeblich über Atomwaffen verfüge, mit nicht militärischen Mitteln nicht zur Abrüstung bewegen könnten und sie begannen mit dem Krieg, nachdem sie die Weltöffentlichkeit propagandistisch hinreichend manipulieret hatten. Eine ähnliche Gefahr besteht auch jetzt, da Israel wirkungsvoll verbreiten kann, dass eine Atommacht Iran nur durch einen Krieg zu verhindern ist.

Wir haben die Aufgabe diese psychologische Kriegsvorbereitung offen zu legen und auf die Gefahren aufmerksam zu machen, indem wir auch positiv konstruktive Perspektiven für eine friedliche Lösung aufzeigen.

 

Bernd Drücke: Welche Perspektiven sehen Sie denn?

 

Mohssen Massarrat: Es ist so, dass schon in 2010 die UN-Konferenz zur Verhinderung der Weiterverbreitung von Atomwaffen zum ersten Mal nach langem Ringen den Beschluss gefasst hat, eine Konferenz für eine massenvernich­tungswaffenfreie Zone im Mittleren Nahen Osten einzuberufen, die über mehrere Jahre stattfinden soll. Diese sollte 2012 beginnen. Ich persönlich sehe darin eine Perspektive. So eine Konferenz bietet den richtigen Rahmen, um den iranischen Atomkonflikt zu verhandeln. Denn dann geht es darum, die gesamten Hintergründe des Wettrüstens in der Region einzubeziehen. Ein solches völkerrechtliches Gremium, und nicht die NATO oder die USA, hätte die Legitimation, um das Problem aufzugreifen und eine Abrüstung in der gesamten Region einzuleiten. Selbst wenn Staaten wie Israel oder der Iran nicht sofort dabei wären und vielleicht versuchen könnten diese Konferenz zu blockieren, wäre es wichtig, dass die Konferenz beginnt und öffentlich über die Hintergründe des Konfliktes verhandelt. Darin sehe ich eine Perspektive für Abrüstung bzw. Verhinderung der Produktion von Atombomben und damit für gemeinsame Sicherheit und regionale Kooperation. Genau eine solche Entwicklung fand auch in den letzten 50 bzw. 60 Jahren in Europa statt und durchaus auch mit Erfolg.

 

Interview: Bernd Drücke, Jonathan und Monika

 

Anmerkungen:

1) Prof. Dr. Mohssen Massarrat (geb. 1942 in Teheran) ist Friedens- und Konfliktforscher. Er lebt seit 1961 in Deutschland und arbeitet u.a. zu den Forschungsschwerpunkten Mittlerer und Naher Osten, Energie und Nord-Süd-Konflikt.

Das Interview mit dem telefonisch aus Berlin zugeschalteten Mohssen Massarrat wurde am 13.2.2012 im Studio des Medienforum Münster geführt und als Teil einer 55minütigen Radio Graswurzelrevolution-Sendung am 19.2.2012 im Bürgerfunk auf Antenne Münster (95,4 Mhz., www.antenne-muenster.de) ausgestrahlt.

 

Interview aus: Graswurzelrevolution Nr. 367, Monatszeitung für eine gewaltfreie, herrschaftslose Gesellschaft, 41. Jahrgang, März 2012, www.graswurzel.net

 

Interview aus: Graswurzelrevolution Nr. 367, Monatszeitung für eine gewaltfreie, herrschaftslose Gesellschaft, 41. Jahrgang, März 2012, www.graswurzel.net