Mao Zedong und die globale Konjunktur der Gegenwart[1]

Folgt man der Logik von John Adams’ Oper Nixon in China von 1987, könnte man sagen, dass die Post-Mao-Ära in einem globalen Sinne im Februar 1972 begann, als Nixon nach Beijing kam, um Mao Zedong zu treffen. Lange als Medien- Ereignis verkündet, das den berühmten ›Küchendebatten‹ zwischen Nixon und Chruschtschow von 1959 an Bedeutung gleichkommt, wird die Nixon-Mao-Begegnung in der Oper zum Anlass für eine Entdeckungsreise in die Welt-Medien-Bühne als Ort einer ebenso persönlichen wie epischen Annäherung mächtiger und zugleich zerbrechlicher Persönlichkeiten. Als klassisch-dramatische Behandlung und Interpretation eines Medienereignisses beinhaltet Nixon in China aber auch eine eher abstrakte Aussage. Erst in der Umkehrung wird die maoistische Grundfrage angemessen vermittelt: »Wer sind unsere Feinde, und wer sind unsere Freunde?« Mao hatte diese Frage 1926 in einem Aufsatz formuliert, der das von Grund auf revolutionäre Wesen der chinesischen Gesellschaft ankündigte (»Über die Klassen der chinesischen Gesellschaft«, AW I, 9-19). In der Oper jedoch wird sie dem bei seiner Ankunft in China über sich selbst nachdenkenden Nixon in den Mund gelegt. Nixon wird damit dazu gebracht, von einem lebenslangen Antikommunismus abzurücken, indem er implizit zu verstehen gibt, dass die Chinesen seine (politischen) Freunde und die Amerikaner seine (politischen) Feinde sind. Während mithin die Freund-Feind-Unterscheidung im maoistischen (nicht Carl Schmittschen) Sinn ein mit fortwährender Verschiebung einhergehendes Prinzip revolutionärer Bündnisse ist, deutet diese binäre Unterscheidung in ihrer Verpflanzung in den angespannten amerikanischen Gesamtkontext der 1970er Jahre auf Nixons vorhergegangene Kriegserklärung ans eigene Volk (drei Monate nach seiner Rückkehr in die USA begann der Watergate-Skandal ruchbar zu werden). Ebenso und in spiegelbildlicher Umkehrung macht Maos triumphaler Händedruck mit Nixon von gleich zu gleich – als erster wirklich souveräner chinesischer Führer, der einem amerikanischen Präsidenten die Hände schüttelt – der Freund-Feind-Unterscheidung im Weltmaßstab ein Ende,2 obgleich doch deren Logik gerade erst in der politischen Gewalt der Kulturrevolution durchgekämpft wird. Das Wesen dieser Umkehrungen und folglich Verschiebungen wird vielleicht erst in der neoliberalen Welt der Gegenwart wirklich erkennbar, wo globalen Finanz-›Freundschaften‹ eine klare Priorität gegenüber einer Einigung mit politischen ›Feinden‹ im eigenen Land zugemessen wird (in den USA wie in China, wenngleich jeweils unterschiedlich). Dieser Handschlag also zwang zwei Welten zur Annäherung, indem er einen konjunkturellen Moment schuf, dessen Konsequenzen noch immer bestimmend sind.

Die globale Verflechtung der politischen Freund-Feind-Frage wird in Untersuchungen über Mao und die Welt des 20. Jahrhunderts oft überdeckt. Englischsprachige Mao-Darstellungen – zum Beispiele Jung Changs und Jon Hallidays Mao. Das Leben eines Mannes, das Schicksal eines Volkes (München 2005) und neuerdings Frank Dikötters Maos’s Great Famine: The History of China’s Most Devastating Catastrophe, 1958-1962 (Bloomsbury 2010) – folgen im Allgemeinen einer völlig anderen Richtung. Sie scheinen die endgültige raum-zeitliche Verschmelzung der chinesischen und der globalen Geschichte des 20. Jahrhunderts (statt einer konjunkturellen Beziehung zwischen ihnen) anzukündigen. In ihrem Verschmelzungsgestus bieten diese Werke keine historischen Analysen, sondern eher ahistorische Unschärfe, in der die Gesamtheit des revolutionären 20. Jahrhunderts mit Maos China zusammengeworfen und in Ablehnung ›staatlicher Planung‹ schlechthin umgeschlagen ist.3 In solcher Verschmelzung wird das ›Böse‹ des 20. Jahrhunderts auf komplizenhaften Wahnsinn reduziert und Chinas 20. Jahrhundert auf die Vorstellung von Mao als einem, der im modernen China die Fäden zog. Nur über die Zurückweisung wird hier das Prinzip der Revolution beschworen, und die Verneinung wird zum Grundzug einer Aneignung der Weltgeschichte des 20. Jahrhunderts mit dem Resultat der Unausweichlichkeit des Triumphs der neoliberalen Märkte und ihrer ideologischen Form, der Globalisierung. So wird die spannungsreiche Geschichte der Wechselwirkungen Chinas und der Welt mit dem triumphierenden Gestus der harmonischen Verschmelzung einfach hinweggewischt. Diesen Triumphalismus hebt der zeitgenössische Blick auf Nixon in China hervor.

Im vorliegenden Aufsatz werden gegen den normativen Strich einige Momente der Geschichte Chinas und des Maoismus im 20. Jahrhundert freigelegt, aus denen Schlüsse für heutige kulturelle und politische Entwicklungen gezogen werden können. Es geht mir darum, eine historische Begegnung zwischen dem 20. Jahrhundert und einem scheinbar postphilosophischen, posthistorischen China herbeizuführen und so, mit anderen Worten, China und dem 20. Jahrhundert die Geschichtszeiten wiederzugeben, indem darauf bestanden wird, dass jeder Anspruch auf Vergangenheit, Gegenwart oder Zukunft der Verschiebung der Politik durch die epistemologischen Idealismen widerstehen muss, wie die zeitlichen Verschmelzungen sie prägen. Geschichte muss – so formuliert es Alain Badiou – in der Politik gedacht werden (2005, 483). Unsere Ausgrabungen aus der Vergangenheit müssen historisch gebunden sein, sonst ebnen wir die Geschichtszeiten ein auf ahistorische Politik oder ersetzen die unterschiedlichen Geschichtszeiten durch Platitüden über das immer schon politische Wesen aller Geschichte. Es ist diese Art der Einebnung, gegen die sich die folgenden Bemerkungen richten.

Prämisse und Argument sind einfach: Wir müssen die Beziehung zwischen ›Politik‹ und ›Kultur‹ als eine der Hauptfragen der geschichtlichen Praxis und Philosophie im 20. Jahrhundert im Allgemeinen und in China im Besonderen untersuchen. Dafür ist es notwendig, historisch zu spezifizieren, wie diese beiden Tätigkeitssphären aufeinander bezogen sind, und zwar nicht nur chronologisch oder narrativ. Wenn ich als generelles Axiom auffasse, dass der Beziehung zwischen Politik und Kultur revolutionäres oder radikales Potenzial innewohnt, scheint klar zu sein, dass dieses Potenzial nur in konkretem Alltagshandeln, nur in konkreter Geschichte mobilisiert werden kann (und diese Beziehung kann eine viel weniger wünschenswerte Bedeutung annehmen, als unsere Gegenwart ahnen lässt).

 

Kultur und Politik

In dieser Sicht fasse ich das große Projekt des Maoismus – das zugleich sein großes Scheitern war – mit der Kulturrevolution als seiner Apotheose als den Versuch, die Asymmetrien zwischen Politik und Kultur – und innerhalb beider – in ihrer revolutionären Form als ins Alltagsleben der Individuen transformierte Massenaktivität miteinander zu versöhnen und kohärent zu machen. Die Asymmetrien haben ihren Grund in der offensichtlichen Inkommensurabilität dieser beiden Tätigkeitsbereiche als Alltagspraxis. Die Inkommensurabilität zeigt sich am deutlichsten in ihrer ungleichen Zeitlichkeit bei simultan gelebter Zeit. Wenn also ›Kultur‹ in die Sphäre spekulativer Dialektik verbannt werden könnte, wo die bestimmte Zeit aufgehoben ist, könnte umgekehrt Politik als zur Aktualisierungssphäre in der Realzeit der entfremdeten Universalität der Alltagsaktivität gehörend verstanden werden.4 Gegen die philosophische und gelebte Trennung dieser beiden Sphären können der Maoismus als Kulturpolitik und die Kulturrevolution als deren reinster Ausdruck als Versuch gesehen werden, die inkommensurablen Skalen gelebter Zeitlichkeit in eine konvergente Kommensurabilität zu bringen, und zwar weder durch Verschmelzung noch durch idealisierte Modernisierungsvorstellungen im Sinne einer durch ›Aufholen‹ erreichten ›Konvergenz‹, sondern durch die revolutionäre Neu-Verortung eines Vergangenseins und einer Zukünftigkeit in der Zeit des ›Jetzt‹. Im Maoismus und während der Kulturrevolution waren weder die Kultur noch die Politik so gesetzt, dass die eine darauf zu warten hätte, dass die andere ›aufhole‹. Vielmehr sollte die gesamte Vorstellung von einer solchen zeitlichen Kluft überschrieben werden durch den von Tag zu Tag gelebten geschichtlichen Moment, das ›Jetzt‹. Wenn das Projekt des ›Aufholens‹ als innergesellschaftliches (Land gegen Stadt), nationales oder globales Modernisierungsprinzip nach der Zurückweisung des maoistischen Versuchs schließlich wieder in Kraft gesetzt wurde, war dies weder das vorausbestimmte, teleologische Ergebnis aller revolutionären Momente des 20. Jahrhunderts im Allgemeinen – links oder rechts – noch des maoistischen Sozialismus im Besonderen. Vielmehr war es das Resultat der überdeterminierten Unmöglichkeit der eigenen Voraussetzungen jenes Versuchs. Was immer es an Irrwegen, Fehltritten und Exzessen, ausgelöst oder geduldet – und sie waren zahlreich und schädlich – gegeben hat: Das Projekt der Überwindung der zeitlichen Inkommensurabilität zwischen Kultur als einer ungleichzeitig gelebten Erfahrung eines historischen Moments und dem Jetzt der Politik als Forderung nach ins Werk gesetzter Umwälzung kann gedacht und unternommen werden nur um den Preis der Aufhebung der Komplexität des Alltags von Bevölkerung und Menschen, die ungleich in die politische Ökonomie von Gesellschaftlichkeit und Wert einbezogen sind. Das wäre demnach das unmöglich mögliche Projekt des Maoismus als eines geschichtlichen Experiments.

Um dieses Experiment in seiner eigenen Zeitgeschichtlichkeit zu denken, muss man so gut wie irgend möglich zu Zeit und Ort zurückkehren. 2006 hat das Museum of Modern Art in New York fünf zwischen 1972 und 1974 in China entstandene Dokumentarfilme des holländischen Filmemachers Joris Ivens und seiner Mitarbeiter gezeigt. Ich greife zwei heraus: The Drugstore, gedreht in Shanghais Drugstore Nr. 3 über einen Zeitraum von mehreren Monaten hinweg; und A Women, A Family, gedreht im Eisenbahnausbesserungswerk 7. Februar am Stadtrand von Beijing. Anders als die meisten zur Zeit oder retrospektiv gedrehten Spiel- oder Dokumentarfilme über die Kulturrevolution (etwa diejenigen, die sich am Schauspiel der auf dem Tian’anmen-Platz versammelten, unisono die Kleinen Roten Büchlein schwenkenden Rotgardisten erfreuen; oder solche, die sich mit der Isolation gebildeter Jugendlicher in abgelegenen Gebieten fern von den Stätten ihrer Geburt und Kindheit beschäftigen; selbst jene, die sich mit dem Blick aus Kinderaugen dem Wahnsinn der Erwachsenen und zerstörter Ideal-Kindheit nähern), konzentrieren sich Ivens’ Filme auf gewöhnliche Menschen, die unter den Bedingungen der kulturrevolutionären Politik der Zeit – der Politik in der Geschichte – ihr tägliches Leben leben. Als ob sie Walter Benjamins Diktum von der Rekonstruktion des Alltags für die Arbeiterklasse (1936/1974; vgl. Roberts 1998, Kap. 4) folgten, greifen diese Filme in den Bereich der Öffentlichkeit ein, freilich nicht auf Seiten kapitalistischer Mediatisierung. Es ist vielmehr das Fehlen jeglicher solcher Mediatisierung, das die Filme kraftvoll macht und heute zugleich unwahrscheinlich wirken lässt.

Ivens’ Filme dokumentieren den Moment, in dem die vom Historiker Wang Shaoguang gemeinten »neugeborenen Dinge« als Alltäglichkeitsprinzip gelebt werden.5.5 Als »neugeborene Dinge« werden jene Formen des Alltagslebens, der Gesellschaftlichkeit, der revolutionären Praxis bezeichnet, die während der Kulturrevolution ins Leben traten. Es wurde für sie ebenso leidenschaftlich gekämpft, wie sie doch nur kurzlebiger Teil der Alltagsexistenz waren. Politisch und kulturell im weitest möglichen Sinne, wurden diese »neugeborenen Dinge« bald als Zerrbilder eines natürlichen und normalen Lebens denunziert und verworfen. Unter dem Eindruck dieser Denunziationen wird das Anschauen dieser Filme heute zur Erfahrung eines wirklichen sinnlichen Bruchs, denn diese Zeit steht weder in Kontinuität noch in Diskontinuität zur heutigen, sondern scheint völlig von ihr abgetrennt. Die Erfahrung ist keine der Empathie oder Bewunderung, sondern eine der Entfremdung im Sinne der Verwunderung darüber, wie fremd und vollständig ausgelöscht und auslöschbar diese Alltagserfahrungen einer kulturell-politischen Zeit heute geworden sind.

So versuchen z.B. in A Woman, A Family alle Personen, den Wunsch nach einer Vermischung der Zeitlichkeit von Kultur und Politik in alltägliche soziale Praxis zu verwandeln, und zwar nicht als Massenspektakel, sondern als individuelle Aktivität im Rahmen eines kollektiven Projekts der radikalen sozialen Transformation. Diese Versuche erscheinen heute als Entdeckung einer politischen Möglichkeit, die fast gar nicht mehr gedacht werden kann. Indem der Film ziemlich detailliert den Aufstieg einer Bandarbeiterin zur stellvertretenden Gewerkschaftsvorsitzenden nachzeichnet – mit all dem Stress und den Möglichkeiten, die dieser Aufstieg für ihre Familie (Kinder, Ehemann, Eltern, Verwandte) bedeutet –, arbeitet er heraus, welches Verständnis die Frau selbst von ihrer Aufgabe, ihrer Vergangenheit sowie ihrem gegenwärtigen und sich neu herausbildenden sozialen Wert hat. In einer Sprache, die heute gemeinhin als ›Mao-Sprache‹ verworfen wird und deren politische Ziele und Vorstellungen als ideologisch vergiftet und unglaubwürdig gewertet werden, ist die Stimme des Films vermittelt durch ein dominant revolutionäres Verständnis dessen, was gesellschaftlich und individuell Wert hat. In der gängigen Fachliteratur über Maoismus und Frauen wird eine solche Stimme als durch Gehirnwäsche geprägte Bauchrednerei einer unterworfenen Frau verspottet, aber nicht als Stimme eines weiblichen Subjekts verstanden. Mit dieser oberflächlichen Geste der Zurückweisung wird die politisch-kulturelle Möglichkeit einer von naturalisierter Gegenwart unterschiedenen lebendigen Geschichte weggewischt, und dies zugunsten der Normalisierung einer Geschlechterhierarchie und eines Familienlebens, das auf mehr ›echte‹ emotionale Bindungen ausgerichtet ist. Wie immer man seine heutige Rezeption erklären mag, der Film A Woman, A Family legt ein ruhiges und kraftvolles Zeugnis davon ab, wie eine Frau in ihrer Familie sowie die Familie insgesamt revolutionäre Ideale zur gelebten Erfahrung des Alltags machen kann.

Der Film Drugstore behandelt das Leben und die Kämpfe der Angestellten in einer Apotheke in Shanghai. Den ganzen Film hindurch, bei dem die Kamera immer überall gleichzeitig zu sein scheint, spürt man die spannungsgeladenen Schwierigkeiten der Apotheker und Verkäufer bei ihrem Versuch, den raschen Rhythmus des medizinischen Geschäfts mit den entgegengesetzten Rhythmen der Stammkundschaft oder der zufälligen Käufer in Einklang zu bringen, deren Zeitmanagement gewöhnlich nicht durch die Zirkulation oder Produktion pharmazeutischer Produkte bestimmt ist. Die Bedürfnisse der Kunden stimmen nicht mit den regulativen Rhythmen der Waren- und Geschäftszeit überein. Indem die Apotheker und Verkäufer mit ihren Stamm- und Zufallskunden in ihrem Geschäft verhandeln, tragen sie zugleich zur Formierung einer kommunalen Gemeinschaft mit gegenseitigen Verpflichtungen bei, wie man sie eher in der Bevölkerung kleiner Städte vermutet als in einem so gewaltigen urbanen Konglomerat wie Shanghai.

Die Apotheke hat auch politische und soziale Verpflichtungen gegenüber einem Bauerndorf, das sie medizinisch versorgen muss. Damit wird die Bedeutung der medizinischen Ware und der Dienstleistungen der Apotheker auch hinsichtlich des dörflichen Zeitmanagements re-organisiert. Die Apotheker kommen ins Dorf nach einem städtischen Zeitplan, der den Bedürfnissen des ländlichen Lebens ganz und gar nicht entspricht. Die Bauern kommen und gehen, wie es ihre Arbeitsaufgaben zulassen, und die Apotheker müssen versuchen, ihre Dienstleistungen den veränderten Zeitmustern anzupassen. Es gibt offensichtlich keinen Weg, die so unterschiedlichen Zeiten zu überbrücken oder kompatibel zu machen. In vielen ausgedehnten Filmszenen erlebt man kontroverse Diskussionen zwischen Apothekenangestellten und Bauernkadern, die darum ringen, mit den unvereinbaren Verpflichtungen gegenüber ihren städtischen und ländlichen Kunden sowie den Widersprüchen zwischen Medizin als Geschäftsbeziehung und als gesellschaftlich transformative Praxis zurechtzukommen. Diese Konflikte zeigen sowohl ihr kulturelles und politisches Engagement als auch die Ratlosigkeit der Handelnden angesichts der Aufgabe, Politik in der Geschichte oder Geschichte in der Politik zu einem Prinzip der täglichen Praxis zu machen. Die Ernsthaftigkeit, mit der jeder der Kader und Akteure die Quadratur des Kreises versucht, führt uns an einen Zeit- Ort, dessen Logik und Offenheit für eine andere Art Zukunft heute fast unleserlich sind. Heute, wo das medizinische und das pharmazeutische Handeln vollständig kommodifiziert sind, erscheinen solche transformativen Experimente des gleichen Austauschs und der Schaffung sozialen Wertes nicht nur als ›unwissenschaftlich‹ und ›irrational‹, sondern auch als ›ineffizient‹. Diese Experimente sind dann verworfen und abgebrochen worden, mit dem Ergebnis, dass eine große Zahl von Bauern keinen Zugang mehr zu zuverlässiger medizinischer Hilfe oder Medikamentenlieferung hat.

Nicht zufällig wurde diese Abkehr durch die auf den Kalten Krieg folgende Behauptung begünstigt, dass die kapitalistische Wirtschaftsform das bestmögliche gesellschaftliche Gut darstellte. Dieses Selbstverständnis braucht notwendig die Verwerfung aller alternativen Wege des Denkens, die an dieser Norm rütteln könnten. Ein Blick auf die maoistischen Versuche, das Wertgesetz, sein Verhältnis zur Wirtschaft und seine Rolle für alternative Politik in der Geschichte zu überdenken, könnte uns helfen, unsere gegenwärtige Sackgasse besser zu verstehen.

 

Ökonomismus und Wertgesetz

Wie Susan Buck-Morss gezeigt hat, ging es in der Periode des scharfen Systemantagonismus zwischen Kommunismus und Kapitalismus wesentlich auch darum, »die Weltanschauung des Feindes für ungesetzlich zu erklären« (2002, 5). Die im Kalten Krieg am deutlichsten und konsequentesten für »ungesetzlich« erklärte Weltanschauung war in den USA wie auch in der UdSSR der Anti-Ökonomismus, d.h. eine Auffassung vom Primat der Produktion und Arbeit ohne die individuellen wirtschaftlichen Anreize, die als reines Prinzip eines atomisierten Arbeiterbewusstseins dienen. So gab es, wie Buck-Morss richtig feststellt, unter Stalin in der Sowjetunion eine Gleichsetzung von revolutionärer Zeit mit wirtschaftlicher Modernisierung, die exakt dem entsprach, wie in den Vereinigten Staaten und bei vielen ihrer europäischen Verbündeten die wirtschaftliche Entwicklung zum Maßstab der modernen Zivilisation gemacht wurde (39). Dies führte zu einem ideologisch ähnlichen Begriff von Modernität und Modernisierung als Äquivalent des Ökonomismus, bei dem jede alternative Idee von Entwicklung ausgeschlossen wurde (115).

Nur in China wurde dieser Ökonomismus zurückgewiesen – wenn auch nur für kurze Zeit und historisch weniger tiefgreifend, als es die Ablehnung des Maoismus in den 1980er und 90er Jahren vermuten lässt. Aber obwohl diese Zurückweisung des Ökonomismus nur von kurzer Dauer war, ist daran zu erinnern, dass im Zusammenhang dessen, was weltweit für »ungesetzlich« erklärt wurde, die 1950er bis 70er Jahre aus chinesischer Sicht einen ausgedehnten Moment markierten, in dem die Bedeutung des Ökonomischen selbst heftig in Frage gestellt wurde. Die Infragestellung erfolgte nicht nur militärisch (während des Korea-Krieges), nicht nur als Produktionswettbewerb, der sich sowohl gegen die zentralisierte bürokratische Sowjetwirtschaft als auch gegen die Wirtschaft des freien Marktes richtete, nicht nur durch eine Serie von heißen Stellvertreterkriegen um politische Bündnisse und Rohstoffquellen, sondern zusätzlich und vor allem als vehement geführte ideologische Debatte in der chinesischen Führung über die Idee der wirtschaftlichen Entwicklung selbst: Was zählt überhaupt, wie wird es gezählt, und – vielleicht am allerwichtigsten –: auf welche Weise kann das Ökonomische als Alltagsprinzip einer revolutionären Gesellschaft gelebt werden. Endgültig entschieden war der Streit Anfang der 1990er Jahre, als die Woge der globalisierten ökonomischen Normalisierung zusammen mit ihrer globalisierten Krise die Welt in der Utopie einer nun möglichen grenzenlosen kapitalistischen Entwicklung und entsprechender Konsumwünsche wiedervereinigte – wenngleich diese Wiedervereinigung die Welt doch zugleich auch auf völlig neue und, wahrscheinlich, noch antagonistischere Weise wieder aufspaltete. Um diese ideologische Wiedervereinigung und die erneute Spaltung in ihrer jeweiligen Durchschlagkraft zu verstehen, muss man sich die vorausgegangene Infragestellung der heute so weitgehend akzeptierten Hegemonie des Ökonomismus vor Augen führen.

Dazu muss man berücksichtigen, dass die Warenproduktion und damit das Wertgesetz im Sozialismus eine andere historische Rolle als im Kapitalismus spielten. Obwohl Stalin das Gegenteil in Aussicht gestellt hatte, erklärte Mao 1958, dass im Sozialismus weder Wertgesetz noch Warenform verschwinden würden. Vielmehr würden sich ihr Wesen und ihr Wirkungsgrad historisch ändern (statt wie bei Stalin durch Weisung beseitigt zu werden). Genau das wurde in den Debatten um die sozialistische Ökonomie in China von 1956 bis 1958, in denen viele zentrale Fragen von Entwicklung und Modernisierung aufgeworfen wurden, zwar nicht gelöst, aber doch versucht. Als Axiom galt, dass das Hauptziel in einer schnellen Industrialisierung und einer rasch wachsenden Produktivität bestand. Dennoch wurde Entwicklung nicht ausschließlich in den Kategorien des Ökonomismus betrachtet, den Samir Amin als ein »Handeln« definiert, »das sich ausschließlich an der angeblich notwendigen Anpassung an die Entwicklung der Produktivkräfte orientiert, deren spontanes Wachstum die Form einer natürlichen oder gar übernatürlichen, an die Stelle Gottes tretenden Kraft annimmt« (1994, 224). Eine solche Mystifizierung und Verdinglichung wurde damals verworfen (vgl. Riskin 1987, 164). In den Debatten Mitte der 1950er Jahre ging es um die Produktion als gesellschaftliches Verhältnis bzw. um die Beziehungen zwischen Kultur und Politik der Produktion im Sozialismus.

Auf der einen Seite konzentrierten sich die Diskussionen 1956-58 auf das Problem des Wertgesetzes. Stalins Sicht, wonach Staat und Wirtschaft zu einem einzigen Ganzen verschmelzen, wurde in Frage gestellt. Mao Zedongs Aufsatz »Über die zehn großen Beziehungen« aus dem Jahre 1956 (AW V, 320-46) ist in diesem Zusammenhang eine wichtige philosophische Stellungnahme in dem Versuch, das Verhältnis zwischen Ware und Wertgesetz als konstitutiv für die Neubestimmung der Produktionsbeziehungen zu überdenken. Für Mao war klar, dass, solange Arbeitsteilung und Warenproduktion existieren, das Wertgesetz wirken muss. Es ging ihm nicht um die Negation des Wertgesetzes oder der Warenform, sondern um das System der gesellschaftlichen Beziehungen, in dem das Gesetz wirkt und das die Regeln bestimmt, nach denen gesellschaftlicher Überschuss erzeugt und verteilt wird. Er sah das Wertgesetz grundsätzlich als eine Theorie und Methode, um sicherzustellen, dass die Gesellschaft die Warenbeziehungen meistert, von denen sie beherrscht ist.6 In Maos Theorie vom Wertgesetz waren Politik, Kultur und Ökonomie eng miteinander verquickt, und zwar sowohl als eine Frage des Prinzips als auch eine Frage der gesellschaftlichen Praxis. In diesem Sinne sollten sich alle gesellschaftlichen Beziehungen auf die Transparenz gleicher Warenbeziehungen gründen, die wiederum aus historischen sozio-politischen Formen und Verpflichtungen hervorgingen.

Entscheidend für Maos Theorie des sozialistischen Wertgesetzes war, dass alle ökonomischen, politischen und sozialen Verhältnisse, die das gesellschaftliche Ganze bilden, als historisch determinierte Widersprüche verstanden werden müssen. Wie alle guten Marxisten wusste Mao, dass ›Wert‹ eine gesellschaftliche und historische Kategorie ist, die nur dann verschwinden kann, wenn die sozio-historischen Bedingungen, deren Ausdruck sie ist (gesellschaftliche Arbeitsteilung und Warenproduktion), weltweit verschwunden sind. Aus Maos Sicht waren ›Befreiung der Produktivkräfte‹ und ›wirtschaftlicher Aufbau‹ ein integriertes politisches, ökonomisches und kulturell-ideologisches Konzept. Es war gerade diese Befreiung in Form einer Mobilisierung der Massen und ihrer Teilnahme am wirtschaftlichen, politischen und kulturellen Leben, die die Transformation der gesellschaftlichen Beziehungen, verstanden als Neugestaltung des zeitlich-räumlichen Verhältnisses zwischen Klassenkampf, revolutionärer Ideologie, wirtschaftlicher Aktivität und kultureller Produktion, sichern, vertiefen und vervollständigen sollte. Es war der Versuch, Entwicklung sowohl im chinesischen als auch globalen Kontext auf eine Weise neu zu definieren, dass das bisherige Entwicklungskonzept – sei es in Gestalt kapitalistischer Modernisierung oder eines stalinistischen Staatssozialismus – grundsätzlich in Frage gestellt wurde (wie dann in den späten 1960er und frühen 1970er Jahren z.B. durch die Weltsystem- und Dependenztheorien). Für China versuchte Mao, die inhärenten sektoralen und sozialen Ungleichgewichte eines ökonomistischen Entwicklungspfades dadurch zu verhindern, dass er der revolutionären oder kapitalistischen ›Dekadenz‹ eine Theorie der sozialistischen revolutionären Entwicklung entgegenstellte.

Um ›Kultur‹ und ›Politik‹ in einem Projekt der Überwindung ihrer zeitlichen Inkommensurabilität miteinander zu verbinden, war es notwendig, die radikale Offenheit des geschichtlichen Prozesses anzuerkennen und ins Alltagsleben zu übersetzen. Die groß angelegte Aufl ösung dieses zeitlich-räumlichen Projekts entspricht genau der Größe der mit ihm ins Auge gefassten Totalisierung. Heute, da die ›Zeiten der Geschichte‹ wieder als Hierarchien autonomer sozialer Bereiche re-artikuliert werden, wird die Unmöglichkeit einer Wiederholung der Kulturrevolution des 20. Jahrhunderts leichthin vereinnahmt für eine homogenisierende Zeitauffassung, die keinerlei Historizität mehr zulässt.

***

Die in den späten 1950er Jahren entwickelte Theorie des Wertgesetzes als eines Prinzips des gleichen lokalen und globalen Austausches und der in den späten 1960er Jahren unternommene Versuch, dieses revolutionäre Prinzip in den gesellschaftlichen Beziehungen des Alltagslebens zu realisieren, wurden in der Post-Mao-Ära schnell fallen gelassen und dem Spott preisgegeben. Das hat in der VRCh (wie überall) zu einer immer intensiveren Identifikation mit dem kapitalistischen Ökonomismus geführt. Erleichtert wurde damit die Verschmelzung von kapitalistischem Wertgesetz, Entwicklung und Modernisierung. Vermittelt über die spezifische Logik der supranationalen Technokratie und des Neoliberalismus ermöglichte sie den Übergang zu den Ideologien des globalen kapitalistischen Systems (vgl. Amin 1994, Kap. 6). Diese Verschmelzung hat unter anderem dazu geführt, dass die inneren Preise wieder an die des Weltmarktes gekoppelt wurden, woraus wiederum unausweichlich folgte, dass die bäuerliche Arbeit geringere Erträge erbrachte als die Arbeit in den Städten und so neue sozio-strukturelle und räumliche Ungleichheit entstand. Ebenso unausweichlich wurden nun jene Knotenpunkte der nationalen Wirtschaft in den fortgeschrittenen städtischen Bereichen und Küstenregionen als besonders wichtig definiert, die in der Weltwirtschaft am meisten konkurrenzfähig sind. Im Streben nach Kapitalakkumulation auf nationaler und transnationaler Stufe fungiert diese Verschmelzung sowohl als Ursache als auch als Folge der ökonomischen, sozialen, kulturellen und politischen Wieder-Unterordnung der Bauern und Arbeiter wie auch der ländlichen und Hauswirtschaft unter die städtische und Weltwirtschaft. Diese Akkumulation vollzieht sich sowohl in privaten als auch in staatseigenen Betrieben, die aber beide keine Umverteilung zulassen. Indem China seine Entwicklung wieder mit dem kapitalistischen Wertgesetz verbunden hat, wurden seine Entwicklungskonzepte immer stärker auf das neoliberale Konzept der Modernisierung zugeschnitten. Dieses wird nicht mehr als spezifisch nationales Projekt verfolgt, sondern auf der Grundlage desjenigen weltweit ungleichen Austauschs, der zuvor verdammt worden ist.

Dies bringt neue literarische Phänomene hervor: diceng wenxue (Literatur von unten), die von etablierten Autoren geschaffen wird, und laodong wenxue (Arbeiterliteratur), publiziert von Wanderarbeitern im Süden. Beide zeichnen sich dadurch aus, dass sie die klassenbasierte kulturelle Produktion von jeder allgemeinen Bedeutung für die chinesische Literatur ablösen und soziologisch marginalisieren. Mittlerweile bringen die Gedichte und Kurzgeschichten der Wanderarbeiter, die im Sweatshop-System des Südens gefangen sind, eher den ohnmächtigen Wunsch nach stärkerer Einbeziehung in die kapitalistische Entwicklung zum Ausdruck als das Bestreben, Herren über ihre sozialen Verhältnisse oder gar Vorreiter einer alternativen Alltags-Lebensweise zu sein. Diesbezüglich hat sich die kulturelle und ideologische Konstellation nahezu vollständig umgekehrt. Kultur ist wieder auf ihren ›angemessenen‹ historischen Platz verwiesen: die städtische Akademie und, noch treffender, den Markt, der von riesigen Media-Unternehmen beherrscht wird.

Im heutigen China wird die Kategorie ›Wert‹ vor allem dem Bereich des Kulturellen, des Verhaltens, der Haltung zugeordnet – dem, so heißt es ahistorisch, ›Chinesischen‹. Damit werden das Wertgesetz als sozio-ökonomischer Vorschlag sowie seine Strukturen des Ungleichgewichts wirksam unter der Mystifizierung dessen versteckt, das euphemistisch als ›Markt‹ bezeichnet wird.7 Das Bestreben, den durch die sozio-ökonomische Exemplifizierung des kapitalistischen ›Wertes‹ erzwungenen historischen Bruch vom Ökonomisch-Systemischen auf ein angeblich autonomes und kontinuierliches Kulturelles zu verschieben, ist mindestens so alt wie Hegel und Weber. Diese Verschiebung wurde im Zusammenhang mit den heutigen Neoliberalismus- und Globalisierungsdebatten kräftig re-artikuliert. Es ist diese ganze Serie von Verschiebungen – des Wertgesetzes auf die angebliche Neutralität des Marktes; der sozio-ökonomischen Ungleichgewichte auf die Kultur; einer geschlechtsspezifi schen Arbeitspolitik auf die naturalisierte Sphäre von Haushalt und Familie –, die die Entwicklung und Modernisierung in ihre heutige globale ideologische Form gegossen hat.

Die aktuellen Debatten drehen sich meist um die Bodenprivatisierung. Das Verhältnis zwischen Boden und Wertgesetz ist ein altes Problem. Kritische Intellektuelle machen besonders nachdrücklich darauf aufmerksam, denn der Druck in Richtung Privatisierungen nimmt ständig zu, die Enteignungen und Konfiszierungen rufen immer mehr ländliche und städtische Unruhen hervor, und das Tempo dieser primitiven Kapitalakkumulation wird immer höher. Angesichts des Bemühens, eine Form des Wertgesetz zu finden, das Chinas gegenwärtiger Transformation angemessen wäre und auch dem komplizierten Boden-Wert-Verhältnis gerecht werden könnte, werden viele der alten Debatten über Entwicklung und Modernisierung wieder durchforstet, um Hinweise für die Lösung der gegenwärtigen Krise zu finden. Der historische Moment der heutigen Debatten ist freilich in wirtschaftlicher, politischer und ideologischer Hinsicht ein extrem anderer. Jede theoretische Anstrengung muss Chinas Einbettung in eine Weltwirtschaft zur Kenntnis nehmen, in der nationale Gebundenheit und soziale Umverteilungsziele genau mit jener nationalen und globalen Dekadenz konfrontiert sind, der man sich in den 1950er und 60er Jahren zu entziehen versucht hatte. Was Mao uns heute zu sagen hat, ist, dass die Aufgabe eines kritischen Durchdenkens dieser Probleme noch nicht zu einem Ende gekommen ist.

 

Aus dem Englischen übersetzt von Wolfram Adolphi, Wolfgang Fritz Haug und Jan Rehmann

 

Literatur

Amir, Samin, Re-Reading the Postwar Period, New York 1994

Badiou, Alain, »The Cultural Revolution: The Last Revolution?«, in: positions 13:3, 2005, 481-514

Benjamin, Walter, Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit (1936), Schriften I.2, Frankfurt/M 1974

Buck-Morss, Susan, Dreamworlds & Catastrophes, Cambridge/MA 2002

Chang, Jung, u. Jon Halliday, Mao. Das Leben eines Mannes, das Schicksal eines Volkes, München 2005

Dikötter, Frank, Maos’s Great Famine: The History of China’s Most Devastating Catastrophe, 1958-1962, Bloomsbury 2010

Lin, Cyril, »The Reinstatement of Economics in China Today«, in: China Quarterly 85, März 1981, 1-42

Mao Zedong (Mao Tse-tung), Ausgewählte Werke (AW), Bd. I (Peking 1968) u. Bd. V (Peking 1978)

Osborne, Peter, Philosophy in Cultural Theory, London 2000

Roberts, Jon, The Art of Interruption. Realism, Photography and the Everyday, Manchester 1998

Riskin, Carl, China’s Political Economy, Oxford 1987

1 Teile dieses Aufsatzes wurden zuerst in China Quarterly Heft 187 (September 2006), 693-700, publiziert, andere Abschnitte bei zwei Gelegenheiten in London im November 2010 vorgestellt. Die hier gedruckte Fassung wurde für Das Argument überarbeitet und aktualisiert. Ausführlich habe ich mich mit dem Thema in meinem Buch Mao Zedong and China in the Twentieth-Century World (2010) auseinandergesetzt. (Siehe dazu die Rezension im vorliegenden Heft.)

2 Dieser Gedanke stützt sich auf eine ähnliche Ansicht, die Prof. Naoyuki Umemori in allerdings ganz anderem Zusammenhang in einem Vortrag vertritt, den er am 17.2.2011 im Japan-Seminar der Columbia Universität gehalten hat. In meinem Verständnis hat Chiang Kai-shek natürlich bei den verschiedenen Treffen im Zweiten Weltkrieg Roosevelts und Stalins Hände geschüttelt, aber China war in dieser Zeit von Japan okkupiert, und einige der ungleichen Verträge mit europäischen Staaten und Amerika waren noch in Kraft, sodass man China in dieser Zeit noch als halbkoloniales Land bezeichnen muss.

3 So meint Dikötter warnend, dass in einer Zeit, »da die moderne Welt um eine Balance zwischen Freiheit und Regulierung ringt, die damalige Katastrophe eindringlich daran erinnert, wie gänzlich unangebracht die Idee staatlicher Planung als Mittel gegen Chaos ist« (2010, xii).

4 Diese Konzeptualisierung stützt sich auf Osborne 2000, 5.

5 Wang Shaoguang in einer Diskussion auf der Konferenz zum Thema »Ist eine Geschichte der Kulturrevolution möglich?« im Februar 2006. Die Zeit der xinsheng shiwu, der neugeborenen Dinge, folgte laut Wangs detaillierter Analyse auf die Hauptereignisse, mit denen die Kulturrevolution 1966-69 eingeleitet wurde, und sollte daher auch gesondert behandelt werden.

6 Cyril Lin (1981) subsumiert das gesamte Problem unter der Frage des Ressourceneinsatzes. Das stand sicherlich zur Debatte, aber die theoretischen Postulate gingen über die Frage institutioneller Arrangements hinaus.

7 Der Bruch kam bereits 1981 mit Hu Qiaomu und anderen offiziellen Theoretikern der Reformperiode.

 

Dieser Artikel erschien in DAS ARGUMENT 296/2012, S. 217ff.