Lenin-Werft

Ausgangs des Sommers erlebte Polens Öffentlichkeit dann doch noch ein Schauspiel besonderer Art. Denn immerhin ging es um Lenin, dessen Name erst abgeschraubt, dann wieder beschlagnahmt wurde. Ort des Geschehens war Gdansk, genauer die frühere Lenin-Werft und der Sitz der „Solidarnosc“-Gewerkschaft. Im Frühjahr dieses Jahres hatten die Stadtvertreter mehrheitlich beschlossen, am Tor mit der Nummer 2 aus erinnerungspädagogischen Gründen den Namenszug Lenin-Werft erscheinen zu lassen. Mitnichten ging es um eine Rückbenennung, vielmehr sollte dem heutigen Besucher das Einfühlen in den Sommer 1980 erleichtert werden. Deshalb also der Beschluss, an diesem und für die betrieblichen Abläufe ohnehin unwichtig gewordenen Tor den einstigen Namenszug anzubringen.
Das traf nicht überall auf Verständnis und Gegenliebe. Insbesondere nicht bei den Gewerkschaftern von „Solidarnosc“, die Ende August zur Tat rüsteten. Lenin gehöre auf den Müllhaufen der Geschichte und nicht ans Werktor – so Gewerkschaftschef Piotr Duda. Wenige Tage später bekam er Besuch. Die Polizei verlangte, die Lenin-Buchstaben herauszurücken. Sie wurden anschließend dem rechtmäßigen Eigentümer, der Stadtverwaltung in Gdansk, zurückgegeben. Für den Fall, dass diese sich nun entschließen sollte, sie neuerlich ans Tor zu schrauben, kündigte Duda Wiederholung an.
Freilich geht es nicht um Lenin, denn der wird hierzulande längst wie ein toter Hund behandelt. Wahrscheinlich hätten die „Solidarnosc“-Kollegen auch eingegriffen, wenn in Szczecin oder Gdynia an die Adolf-Warski-Werft oder die Werft der Pariser Kommune in entsprechender Weise erinnert worden wäre. Dass Adolf Warski unter Lenins Nachfolger Stalin hingerichtet worden ist, hätte dabei keine Rolle gespielt. Denn getroffen werden soll nicht die Vergangenheit, vielmehr der politische Gegner. Der personifiziert sich in Regierungschef Donald Tusk, dessen Partei in Gdansk bei Wahlen seit Jahren Rekordwerte verbuchen kann.
Als Duda vor fast einem Jahr das „Solidarnosc“-Ruder in die Hand bekam, kündigte er einen politischen Kurswechsel an. Die Gewerkschaft wolle heraus aus der bedenklich gewordenen Nähe zur nationalkonservativen PiS. Das traf sich gut, denn just zu diesem Zeitpunkt erhielt Ministerpräsident Tusk das Mandat zu seiner zweiten Amtszeit. Um mehr Druck auf die wirtschaftsliberal geführte Regierung ausüben zu können, sollte der immer im Raume stehende Verdacht verschwinden, die Gewerkschafter betrieben vordergründig das politische Geschäft von Jaroslaw Kaczynski.
Dieser gute Vorsatz hielt bis zum Frühjahr. Die Rentenreform der Regierung, mit der das Einstiegsalter für Frauen und Männer auf einheitlich 67 Jahre hochgesetzt wurde, stellte die alte Frontstellung wieder her. „Solidarnosc“ suchte und bekam die volle Unterstützung durch PiS. Bei der Entfernung der Lenin-Buchstaben waren PiS-Parlamentarier demonstrativ dabei. Der Tusk-Partei wurde unterstellt, sie wolle mit dem absurden Lenin-Manöver vor allem von ihrer miserablen Sozialpolitik ablenken. Tatsächlich hat sich in der Öffentlichkeit ein deutlicher Stimmungsumschwung ergeben. Waren die Meinungen zur Rentenreform im Frühjahr noch geteilt, ist nunmehr eine deutliche Mehrheit dagegen.
Parallel zur neuen Verschwisterung mit Polens größter Gewerkschaft präsentierte Jaroslaw Kaczynski dann Anfang September umfassende wirtschafts- und sozialpolitische Vorschläge. Die sollen das Regierungsprogramm Lügen strafen. Tusks Finanzminister rechnete nun fleißig nach und präsentierte ein tiefrotes, auf dem Kopf stehendes Dreieck: leere Versprechungen, die nicht finanzierbar seien. Zum Kurs strikter Haushaltsdisziplin gebe es keine Alternative. Kaczynskis Hoffnung ist, wieder die Meinungsführerschaft auf sozialpolitischem Gebiet zu erlangen. In drei Jahren möchte er bei den Parlamentswahlen doch noch einmal den Kopf vorne haben. Das Thema der Smolensker Flugzeugkatastrophe, so ahnt er, wird dann bei den Wählern keine Rolle mehr spielen. Sollte Duda gegen Lenin noch einmal ins Feld ziehen, wäre Jaroslaw Kaczynski an seiner Seite.