Massenhaftes Schweigen und kämpferische Worte

Nach jahrelanger öffentlicher Zurückhaltung meldet sich die zapatistische Armee der nationalen Befreiungin großem Stil zurück

Am 21. Dezember 2012 haben sich die Zapatistas der mexikanischen Öffentlichkeit mit mehreren Schweigemärschen in Erinnerung gerufen. Mit Kommuniqués und zwei Briefen kurz vor Jahresende meldete sich die Zapatistische Armee der Nationalen Befreiung (EZLN) auch zu Wort, weitere Verlautbarungen sollen folgen. Die neuen Regierungen auf Bundes- und Landesebene reagieren zunächst beschwichtigend.      „Habt Ihr‘s gehört? Es ist der Klang Eurer Welt, die in sich zusammenfällt. Der der unseren, die aufersteht. Der Tag, der der Tag war, war Nacht. Und Nacht wird der Tag sein, der der Tag wird. Demokratie! Freiheit! Gerechtigkeit!“. Dies waren die knappen Worte des Kommuniqués der Generalkommandantur des Geheimen Revolutionären Indigenen Komitees (CCRI-CG) der EZLN am Nachmittag des 21. Dezember 2012. An jenem Tag endete der 13. Baktún und damit ein Zyklus des Maya-Kalenders. Um diesem Tag beizuwohnen, hatten sich deutlich mehr Tourist_innen als üblicherweise in Palenque, einem der Orte mit Maya-Ruinen, eingefunden. Sie staunten nicht schlecht als gegen mittag des als möglicher Weltuntergang fehlinterpretierten Tages ca. 6 000 vermummte Maya-Nachfahr_innen dort eintrafen. Die zivile Basis der EZLN aus der nördlichen Region des südmexikanischen Bundesstaats Chiapas nahm den zentralen Platz der Stadt für mehrere Stunden unbewaffnet, friedlich und schweigend ein. Bereits in den Morgenstunden „besetzten“ auf die gleiche Art eine ähnliche Anzahl an Zapatist_innen aus der Region des Lakandonischen Urwalds den nahe gelegenen Ort Ocosingo. Am frühen vormittag füllte die Basis der EZLN die Hauptplätze von San Cristóbal de Las Casas, Altamirano und Las Margaritas. Die Schweigemärsche von laut mexikanischer Presse 40 000 Zapatist_innen in die fünf Kreisstädte und das am selben Tag erschienene Kommuniqué rückten die EZLN schlagartig ins Licht der mexikanischen Öffentlichkeit. Die Bewegung, die in den letzten Jahren von vielen totgesagt worden war, hatte sich mit einem Mal massiv zurückgemeldet. Es war die größte Mobilisierung der EZLN seit dem bewaffneten Aufstand am 1. Januar 1994. Damals waren neben San Cristóbal, Ocosingo, Altamirano und Las Margaritas auch drei weitere kleinere Städte eingenommen worden. In der linken überregionalen Presse wurde das Ereignis vom 21. Dezember dann auch als Zeichen dafür gewertet, dass die Bewegung nicht an Stärke eingebüßt habe und die von ihr in den 1990er Jahren aufgeworfenen Themen, vor allem im Bereich indigene Rechte und Kultur, immer noch aktuell seien. Aufmerksamkeit erregte zudem die große Partizipation junger Zapatist_innen. Somit rückte für eine breitere Öffentlichkeit der Generationswechsel in den Blick, den lokale, in zapatistischen Gemeinden arbeitende Organisationen schon seit einiger Zeit konstatieren konnten. Ein Großteil der lokalen Presse hingegen, die seit langem im Ruf steht, von der jeweiligen amtierenden Regierung gekauft worden zu sein, reagierte mit Zurückhaltung bis Unverständnis über die Bedeutung der Schweigemärsche. Die Reaktionen der Regierung ließen nicht lange auf sich warten. Bereits am 22. Dezember erklärte der neue Gouverneur von Chiapas, Manuel Velasco Coello, die Mobilisierung sei friedlich abgelaufen und die Polizei sei an jenem Tag nicht auf den Straßen präsent gewesen, um einen störungsfreien Ablauf zu ermöglichen. Velasco Coello hatte die Bewegung bei seiner Amtsantrittsrede am 8. Dezember erwähnt und wenige Tage vor der Mobilisierung vom 21. Dezember die Freilassung von zwei inhaftierten Zapatist_innen angeordnet, was als Zeichen der Entspannung gewertet wurde. Dennoch betrachten Sympathisant_innen der EZLN den neuen Gouverneur, der einer Oligarchenfamilie entstammt, mit viel Skepsis. So koaliert seine Partei – die Grün-Ökologische Partei Mexikos – die ideologisch mit anderen Grünen Parteien kaum mehr als den Namen gemeinsam hat, in Chiapas mit der verhassten Revolutionären Institutionellen Partei (PRI). Am 24. Dezember reagierte der Innenminister Miguel Ángel Osorio Chong für die mexikanische Bundesregierung in einem Interview mit der Tageszeitung La Jornada auf die Ereignisse: „Ihr kennt uns noch nicht, seid nicht voreilig“, waren seine Worte an die EZLN. Die neue PRI-Regierung fühle sich den indigenen Gruppen Mexikos verpflichtet. „Präsident Peña Nieto weiß um die Probleme, deshalb wird er die indigene Bevölkerung unterstützen und sich speziell der von Chiapas annehmen“, so Osorio Chong. Des Weiteren verwies er auf den kürzlich zwischen den drei großen Parteien PRI, PAN (Partei der Nationalen Aktion) und PRD (Partei der Demokratischen Revolution) geschlossenen „Pakt für Mexiko“, in dem neben den großen politischen Projekten der neuen Regierung auch mehrere Vorhaben in Bezug auf die indigene Bevölkerung aufgelistet werden. Zwischen Weihnachten und Neujahr meldeten sich auch mehrere Kongressabgeordnete mit der Forderung, die 1995/96 für den Dialog mit der EZLN ins Leben gerufene interparlamentarische Kommission für Versöhnung und Befriedung (COCOPA) zu reaktivieren und auf die Forderungen der Aufständischen einzugehen. Die Umsetzung der damals ausgehandelten so genannten Verträge von San Andrés scheiterten 2001 an der parteiübergreifenden Ablehnung des mexikanischen Parlaments. Mit einem ausführlicheren Kommuniqué meldete sich EZLN am 30. Dezember zu Wort. Darin erklärt sie ihre Mobilisierung vom 21. Dezember als Reaktion auf die Rückkehr der PRI an die Regierungsmacht, wobei sie die Amtseinführung des neuen Präsidenten Peña Nieto als „medialen Staatsstreich“ bezeichnet: „Wir haben uns gezeigt, um sie wissen zu lassen, dass wir genau so wenig weg waren wie sie.“ Ebenso rechnet sie mit den Teilen der mexikanischen Linken ab, die die EZLN für die umstrittene Wahlniederlage der PRD im Jahr 2006 mitverantwortlich gemacht hatte machte, da die Zapatistas dem PRD-Kandidaten López Obrador die Unterstützung versagt hatten. In Anspielung auf die erneute Niederlage der PRD bei den Präsidentschaftswahlen 2012 stellt sie fest: „Sechs Jahre später sind zwei Dinge klar: Sie brauchen uns nicht, um zu versagen. Wir brauchen sie nicht, um zu überleben.“ Während die großen Medien sie in den letzten Jahren totgeschwiegen hätten, habe die EZLN ohne jegliche Regierungshilfe und trotz „Angriffe aller Art“ die Lebensbedingungen in ihren autonomen Gebieten deutlich verbessert, besonders die Ernährungssituation, die der Bildung und der Gesundheitsversorgung: „Die indigenen Priistas [Anhänger_innen der PRI; Anm. d. Red.] kommen in unsere Krankenhäuser, Kliniken und Labors, weil es in denen der Regierung weder Medizin, Apparate, Ärzte noch qualifiziertes Personal gibt“. Auch werden im Kommuniqué weitere Schritte angekündigt. So bestätigt die EZLN ihre Zugehörigkeit zum Nationalen Indigenen Kongress, einem Zusammenschluss indigener Organisationen, den sie 1996 im Rahmen der Abkommen von San Andrés mit der mexikanischen Bundesregierung ins Leben gerufen hatte. Zudem wolle sie wieder verstärkt Kontakt mit den Anhänger_innen der „Sechsten Erklärung aus dem Lakandonischen Urwald“ in Mexiko und weltweit aufnehmen. Viele von ihnen mobilisieren seit 2006 unter dem Namen „Die Andere Kampagne“ strikt außerparlamentarisch für ein antikapitalistisches Mexiko. Deutlich macht die EZLN vor allem, dass sie unabhängig von dem bisherigen feindlichen und auch künftigen Verhalten der parteipolitischen Klasse Mexikos sowie der Massenmedien existiert und existieren wird: „Wie sich am 21. Dezember 2012 gezeigt hat, sind alle gescheitert“. Gesprächsbereitschaft mit der neuen Regierung schließt die EZLN im Kommuniqué nicht explizit aus, verweist jedoch gleichzeitig auf deren Bringschuld: „Es bleibt daher der Bundesregierung (…) überlassen zu entscheiden, ob sie die Politik zur Aufstandsbekämpfung wieder aufgreifen möchte, (…) oder ob sie ihre Verpflichtungen anerkennt und erfüllt und die indigenen Rechte und Kultur auf eine konstitutionelle Ebene erhebt, wie in den so genannten Abkommen von San Andrés festgesetzt, die 1996 von der Bundesregierung unterzeichnet wurden“. Neben dem Kommuniqué wurden am 30. Dezember auch zwei Briefe des Sprechers der EZLN, Subcomandante Insurgente Marcos, veröffentlicht. Einer der Briefe, mit dem Titel „Wir kennen Euch nicht?“ und an „die Damen und Herren da oben“ adressiert, bezieht sich auf die Äußerungen des mexikanischen Innenministers vom 24. Dezember. In Form von rhetorischen Fragen („Ist das nicht der, der…?“) zeigt Marcos systematisch auf, wie die PRI-Regierungspolitiker_innen in den letzten Jahren für alle möglichen Formen von Repression und Korruption verantwortlich waren. Bei Innenminister Osorio Chong selbst erinnert Marcos daran, dass gegen diesen ein Ermittlungsverfahren wegen Verbindungen zum Drogenkartell Los Zetas geführt worden sei. Eine fast schon Tradition zu nennende Gewohnheit im Schreibstil von Marcos findet sich am Ende wieder: die Postskripte. Darin bietet er „den schlechten Regierungen ein Handbuch mit zehn Schritten“ an, „um einen Zapatisten zu identifizieren und wissen zu können, ob gesagt werden kann ‚Man hat Kontakt mit der EZLN‘ oder nicht“. Darin macht er klar, dass die Zapatist_innen die Regierung um nichts bitten werden, und sich weder kaufen noch einschüchtern lassen. Der zweite Brief des Subcomandante ist vor allem eine Abrechnung mit der Regierung von Ex-Präsident Felipe Calderón und dessen Partei PAN. So dürfte das „massenhafte Schweigen vom 21. Dezember“ diesen klargemacht haben, dass ihre Politik der Aufstandsbekämpfung gescheitert sei. Marcos bezeichnet Calderóns Regierung als „die kriminellste, unter der das Land seit Porfirio Díaz (mexikanischer Präsident, der bis zur Revolution 1911 jahrzehntelang diktatorisch regierte; Anm. d. Red.) gelitten habe “. Er erinnert zudem daran, dass es die PAN war, die im Januar 1994 für eine militärische Lösung in Chiapas plädiert hatte. Denn deren Ansicht nach „drohten wir damit, das Land in ein Blutbad zu tauchen. Nun stellt sich heraus, dass Ihr, an der Regierung, Terror, Angst, Zerstörung und Tod in alle Ecken unseres bereits übel zugerichteten Landes ausgeweitet habt.“ Sowohl das Kommuniqué als auch die beiden Briefe haben erneut verschiedene Reaktionen der politischen Klasse und einiger Intellektueller hervorgerufen, deren Tenor von Zustimmung zu einzelnen Aussagen bis hin zu Ablehnung seitens einiger Parlamentarier_innen der drei großen Parteien reichte. Der Gouverneur von Chiapas richtete einen Brief an die EZLN, in dem er sich für die Umsetzung der Abkommen von San Andrés aussprach. Zudem sicherte er der Bewegung unter anderem zu, ihre Ländereien zu respektieren, in Gemeinden mit zapatistischer Präsenz vorsichtig bei der Planung und Umsetzung von Regierungsprogrammen vorzugehen sowie sich für gerechte und dauerhafte Lösungen der Konflikte in den Gemeinden San Marcos Avilés und Comandante Abel einzusetzen. Die landesweite oppositionelle Friedensbewegung MPDJ äußerte Sympathie für die Anliegen der EZLN und zeigte Bereitschaft, mit ihr zusammenzuarbeiten. Die mexikanische Bundesregierung hat derweil die frühere Kommission für den Dialog und die Verhandlungen in Chiapas in Kommission für den Dialog mit den Indigenen Völkern umbenannt und das ehemalige Mitglied der COCOPA, Jaime Martínez Veloz von der PRD, zu deren Vorsitzenden ernannt. Präsident Peña Nieto selbst bereiste am 21. Januar zum ersten Mal seit seinem Amtsantritt Chiapas, um in Las Margaritas, einem der Landkreise mit zapatistischer Präsenz, das neue Regierungsprogramm „Nationaler Kreuzzug gegen den Hunger“ einzuweihen. Doch für wie wenig glaubwürdig die EZLN dessen Kampagne hält, verdeutlichte ein Plakat, das die Bewegung am Tag von Peña Nietos Ankunft in Chiapas auf ihrer Homepage veröffentlichte. Adressiert an „Ali Baba und seine 40 Räuber (Gouverneure, Minister und Speichellecker)“ heißt es: „Wir finden keine Worte, um unser Gefühl gegenüber Ihrem Kreuzzug gegen den Hunger auszudrücken. Daher ohne Worte“ und ein Bild eines ausgestreckten Mittelfingers. Bis Mitte Januar sind drei weitere Verlautbarungen der EZLN erschienen, weitere sind angekündigt. Die Regierungen in Mexiko-Stadt und Tuxtla Gutiérrez (Chiapas) richten gezwungenermaßen ihre Augen wieder auf die indigene Bevölkerung und die Zapatist_innen. Diese jedoch, auf Distanz zur politischen Klasse und den Institutionen, gehen nun – wie im Kommuniqué vom 30. Dezember angekündigt – erneut auf jene zu, „die unseren Weg begleitet haben und begleiten, ohne sich den medialen und politischen Moden zu ergeben.“