Robin Hood, Sozialbandit

Die politische Bedeutungs subversiver Stoffe im Mainstream

Die Geschichte von Robin Hood, der von den Reichen stiehlt, um den Armen zu geben, gehört mit ihrem subversiven Potential seit dem erstmaligen Erscheinen als Ballade im 13. Jahrhundert zum europäischen Kulturgut. Noch heute dient Robin Hood häufig als Symbol für unterschiedliche politische Bewegungen.

Robin Hoods Legende ist durch die Jahrhunderte Grundlage zahlreicher Bücher, Lieder und Opern gewesen, in den letzten Jahrzehnten auch von Comics und Computerspielen. Der ersten Verfilmung von 1908 folgten um die 60 weitere. Besonders bekannt sind die Versionen von Disney (1973), „Prince of Thieves“ mit Kevin Costner (1991) und die neuste große Hollywoodproduktion „Robin Hood“ von Ridley Scott (2010). Auch wenn die Geschichte in vielen Variationen erzählt wurde, so sind doch immer die Straftaten Robin Hoods und zugleich die positive Besetzung seiner Figur zentrale Bestandteile der Legende. Er verstößt gegen als ungerecht empfundene Gesetze, nicht aber gegen die Moralvorstellungen der Bevölkerung und wird deswegen zum Helden stilisiert. Damit birgt die Geschichte Robin Hoods ein nicht unbeträchtliches aufrührerisches Potential, obwohl sie keine eindeutige politische Botschaft hat. Indem sie die Legitimität von Herrschaft aktiv infrage stellt, widerspricht sie der gängigen Moral, der zufolge eine Straftat schon allein deswegen verwerflich ist, weil sie gegen ein Gesetz verstößt. Trotzdem benutzt die Mainstreamkultur den subversiven Stoff, allerdings nicht ohne seine Kanten zu schleifen.

Straftaten als politische Aktion?

Darüber, dass Robin Hood Gesetze bricht, besteht kein Zweifel: In allen drei Filmversionen beraubt er reiche Reisende und insbesondere auch den Transport, der eingetriebene Steuern zum König bringen soll. Die Frage, ob Robin Hoods räuberische Aktionen außerdem politisch motiviert sind, ist jedoch schwieriger zu beurteilen. Die Antwort wird von der Bedeutung des Begriffs „politisch“ abhängen und von der konkreten Version der Geschichte. So hat Robin Hood in den Verfilmungen von 1973 und 1991 zwar Vorstellungen von Gerechtigkeit, die sich gegen diejenigen der Herrschenden richtet, er erhebt aber keinen Anspruch auf gesellschaftlichen Wandel. Möchte man trotzdem eine politische Strategie in seine Raubzüge hineininterpretieren, könnte man darin am ehesten eine Direkte Aktion sehen: die unmittelbare Herstellung des gewünschten Zustands, in seinem Fall die faktische Umverteilung von Reichtum. John Lea nennt dies „protest crimes“.[1] Anders ist es in der Verfilmung von 2010: Hier kämpft Robin für die „Charter Of The Forest“, indem er versucht, den König dazu zu bewegen, sie zu unterzeichnen. Sie beinhaltet Eigentumsrechte an Wald und Ackerland für nichtadelige Männer. Von Direkter Aktion ist in dieser Version nicht viel übrig geblieben.
Der im Allgemeinen geringe politische Gehalt zeigt sich auch in Robin Hoods Position gegenüber dem König. In den Versionen von 1973 und 1991 spielt die Geschichte in Abwesenheit des Königs Richard Löwenherz, der sich auf einem Kreuzzug befindet. In der Zwischenzeit regiert sein brutaler Bruder John. Robin Hood ist loyal gegenüber Richard und kämpft gegen Johns Machenschaften, die auch nicht im Sinne Richards sind. Beide Filme enden mit dessen Rückkehr, also zwangsläufig auch mit dem Ende von Robin Hoods devianten Tätigkeiten. In der Verfilmung von 2010 ist König Richard bereits tot, doch Robin Hood wird erst zum Outlaw, als er keine Wahl mehr hat: John verstößt ihn. Niemals stellt er jedoch die Monarchie an sich in Frage.

Der Sozialbandit

Der britische Historiker Eric Hobsbawm prägte 1959 in seinem Buch „Sozialrebellen“ den Begriff des Sozialbanditen, in „Banditen“ (1969) entwickelt er den Gedanken weiter. Die Legende Robin Hoods ist der Prototyp eines solchen Sozialbanditen und schon in der Erklärung des Begriffs verweist Hobsbawm auf sie. Unter Sozialbanditentum versteht Hobsbawm die Praxis illegaler Tätigkeiten, in vielen Fällen Raub, Diebstahl und Wilderei, meist in einem ländlichen Umfeld, unter Unterstützung und Gutheißung der Bevölkerung. Dieses Sozialbanditentum stellt nach Hobsbawm unter bestimmten Umständen eine elementare Form des politischen Widerstands dar, jedoch ohne eine politische Ideologie, ohne den Wunsch nach Verbesserung, sondern meistens um negative Veränderungen abzuwehren, oft ohne politische Vorgänge überhaupt zu verstehen.[2] Das Sozialbanditentum kann nach Hobsbawm zum Beispiel auftreten, wenn es zu einem Konflikt zwischen einem offiziellen und einem inoffiziellen Regelsystem kommt, wenn der Gesetzesbruch ein ausgeprägtes Element von sozialem Protest hat oder wenn er eng mit sozialen oder politischen Unruhen verbunden ist.[3] Es scheint auch für Hobsbawm schwierig zu sein, ein abschließendes politisches oder moralisches Urteil über das Sozialbanditentum zu fällen. Durch das Bild, das er zeichnet, möchte er jedenfalls ein gewisses Verständnis für diese Art illegaler Tätigkeiten wecken und sie somit auch – ohne genaue Kriterien für eine Abgrenzung aufzustellen – von sonstiger „einfacher“ Kriminalität unterscheiden. Der Begriff des Sozialbanditentums hat vor allem die Funktion, eine bestimmte Form der Devianz differenzierter zu betrachten, da sie sich weder den traditionellen Formen politischer Handlungsweisen zuordnen lässt, noch unter das Bild einer unmoralischen, gesellschaftlich absolut inakzeptablen Kriminalität fällt.

In den 1970er Jahren wurde das Sozialbanditentum als Instrument des Überlebens und/oder des Widerstands ein zentrales Element der radikalen Kriminologie, so zum Beispiel bei Edward P. Thompson, Douglas Hay, John Rule oder Peter Linebaugh. Später legte die radikale Kriminologie das Hauptaugenmerk stärker auf das Leiden der Opfer und die Problematiken von Kriminalität.[4] Dies geschah etwa unter dem Einfluss feministischer Strömungen, die vermehrt Formen von sozial jedenfalls inakzeptabler Kriminalität wie häusliche Gewalt, Misshandlung von Kindern, Vergewaltigung und sexuelle Übergriffe thematisierten. So rutschte die Beschäftigung mit sozialen Straftaten in den Hintergrund.

Für Hobsbawms Theorie des Sozialbanditentums war die Annahme zentral, dass der Inhalt solcher Straftaten im Mittelalter mitunter deswegen politisch war, weil es damals keine institutionalisierte Form für politisches Handeln gab. Demnach könnten heute, wo es möglich ist, sich in Parteien und Gewerkschaften zu organisieren, Straftaten niemals politisch sein. Da diese politischen Möglichkeiten vielleicht theoretisch, aber praktisch nicht für alle bestehen und besonders marginalisierten Gruppen verwehrt bleiben – etwa Menschen mit illegalem Aufenthaltsstatus oder solchen, die aufgrund ihrer sozialen Herkunft und Bildung von politischen Prozessen ausgeschlossen werden – möchte Lea der in diesen Bereich fallenden Kriminalität nicht von vornherein absprechen, quasi-politischen Widerstand darzustellen. In diesem Licht sind zum Beispiel auch die Unruhen in London im August 2011 zu betrachten, wo arbeitslose Jugendliche Geschäfte plünderten und in einigen Fällen auch in Brand steckten. Zwar werden diese Vorkommnisse schon mangels großer Unterstützung der Gesellschaft nicht unter das Sozialbanditentum Hobsbawms fallen, doch es erscheint ebenso verkürzt, diese Jugendlichen als Verbrecher_innen zu verurteilen, ohne auch nur einen zweiten Blick auf die sozialen und politischen Umstände ihres Lebens zu werfen.

Da ein wichtiges Element des Sozialbanditentums nach Hobsbawm die Unterstützung bzw. Akzeptanz durch die Gemeinschaft ist, liegt der politische Gehalt nicht allein in den Handlungen selbst: Sie sind von ihrem eigenen Mythos nicht zu trennen. Für die gesellschaftliche Akzeptanz ist Robin Hoods Legende exemplarisch, wurde er doch geradezu zu einem Volkshelden gemacht. Es liegt also an den – zu einem nicht geringen Teil von Boulevardblättern und Unterhaltungsmedien geprägten – Ansichten der Bevölkerung, wie viel politische Bedeutung illegalen Handlungsweisen gegeben wird. Wenn es heute so etwas wie Sozialbanditentum geben kann, wäre es also wohl auch ein Verdienst der Mainstreamkultur, die unter anderem durch die wiederkehrende Darstellung des Sozialbanditen Robin Hood diesen Archetypus aufrechterhält und auch in einer kapitalistisch geprägten Gesellschaft nicht in Vergessenheit geraten lässt.

Robin Hood als politisches Symbol

Robin Hood wurde und wird vielfach als politisches Symbol von ganz unterschiedlichen politischen Gruppen verwendet. 1954 begann in der Universität von Indiana die „Green Feather“ Bewegung; Auslöser waren Bestrebungen unter Senator McCarthy die Lektüre von Robin Hood wegen „kommunistischer“ Tendenzen an den Universitäten zu verbieten. Die Gruppe von protestierenden Student_innen nannte sich die „Merry Men“, angelehnt an Robin Hoods Gefährten. Die Bewegung hielt zwei Semester an und verbreitete sich über weite Teile der USA.

Robin Hood ist ein klassisches Symbol für die Umverteilung von Reichtum. So gibt es zur Zeit eine britische Kampagne, die eine „Robin Hood Steuer“ fordert. Diese beinhaltet verschiedene Finanztransaktionsabgaben und eine generelle Besteuerung der Banken. Robin Hood als Namensgeber für eine Steuer heranzuziehen scheint in Anbetracht seiner Geschichte ein wenig ironisch, ist doch ein durchgehendes Element seiner Legende der Kampf gegen Steuern und ihre brutale Eintreibung, während Steuern gerade als Ursache für die Armut der Bevölkerung dargestellt werden. So argumentieren auch Neoliberale, die Robin Hood für sich beanspruchen, weil er von der Regierung gestohlen und den Armen gegeben habe, während eine zusätzliche Steuer grundsätzlich Diebstahl an der Bevölkerung durch die Regierung darstelle. Im Sinne der Umverteilung nutzt auch die Occupy-Bewegung Robin Hood als Symbol. So gab es am 29. Oktober 2011 „#RobinHood“-Protestmärsche. Zuletzt verkündeten Ende 2011 Mitglieder von Anonymous, sie planten einen Hack-Angriff auf Kreditkarten. Das gewonnene Geld sollte an Wohltätigkeitsorganisationen zugunsten der „99 %“ gehen. Diese Aktion tauften sie „Operation Robin Hood“, offenbar um ihre Straftaten zu legitimieren und auf ihre „guten Intentionen“ hinzuweisen.

Doch Robin Hood ist genauso eine Identifikationsfigur von Konservativen. Für diese steht er für Patriotismus, liberale Eigentumsfreiheit und die „Herrschaft der Gerechten“.

Unbestreitbar ist es für soziale Bewegungen und politische Kampagnen wichtig, Identifikationsfiguren anbieten zu können und allgemein verständliche Symbole zu benutzen, um ihre Anliegen zu kommunizieren. Offensichtlich dient Robin Hood auch heute als ein solches Symbol, was nur durch seine Präsenz im kulturellen Mainstream möglich ist. Damit gewinnt Robin Hood als Symbol an politischer Bedeutung.Hobsbawm spricht sogar davon, dass es Banditen gegeben hat, die bewusst versucht haben, Robin Hood nachzuahmen, etwa den argentinischen David Segundo Peralta alias Maté Cosido, der große Unternehmen bestahl, während er gegenüber der normalen Bevölkerung sehr großzügig war,[5] oder einen Aktivisten der Kommunistischen Partei im indischen Bihar, der sich nicht davon abbringen ließ, das Geld der Partei an die Armen zu verteilen.[6] So kann der kulturelle Mainstream zur politischen Inspiration werden.

Récupération und Détournement

Meistens aber wird die Legende von Robin Hood ihres subversiven Gehalts beraubt. Mit diesem Vorgang, gesellschaftskritische Inhalte in einem politischen Sinn unschädlich zu machen, beschäftigte sich die Situationistische Internationale, eine Künstler_innengruppe um Guy Debord. Sie nannte diesen Vorgang Récupération und machte ihn in umgekehrter Form zur Kunst. Diese Umdrehung, „die Ausdrücke des Kapitalismus gegen ihn selbst zu wenden“, nannten sie Détournement. Beispielsweise füllten sie die Sprechblasen von populären Comics mit den Inhalten ihrer Theorien über Gesellschaft und Konsum. „Um zu überleben, muss das Spektakel sozial kontrolliert werden. Es kann eine potentiell bedrohliche Situation rekuperieren, indem es ihr den Boden unter den Füßen wegzieht, blendende Alternativen anbietet, oder indem es sich die Bedrohung zu eigen macht, sie sicher macht und uns zurück verkauft.“[7] Das Konzept der Récupération ist hilfreich, möchte man subversive Inhalte der Mainstreamkultur näher betrachten. Sie ist überall gegenwärtig, etwa in Form der Kommerzialisierung von rebellischen Figuren wie Che Guevara.

Ähnliches geschah mit der Geschichte Robin Hoods wohl des Öfteren. Schon im 16. Jahrhundert wurde die Geschichte verändert, um ihre politische Schlagkraft zu schwächen. Während Robin Hood in den ersten Überlieferungen ein einfacher Mann mit kleinem Landbesitz ist, wird er später zu einem Adeligen gemacht. Der historische Kontext wird in die Zeit von König Richards Abwesenheit gesetzt und es wird eine Liebesgeschichte hinzugefügt. Von dieser Zeit an konnte die Legende benutzt werden, um für die Macht der herrschenden Klasse, für Romantik und sogar für religiöse Frömmigkeit zu werben. Nicht unerwähnt soll auch die Anpassung des Inhalts an aktuelle neoliberale Gegebenheiten in der Version von Ridley Scott bleiben. Von den verglichenen Versionen ist sie mit Sicherheit die reaktionärste. Die New York Times sagt dazu treffend: „Dieser Robin ist [...] ein ‚männlicher‘, libertärer Rebell, der gegen hohe Steuern und ein großes Regierungsprogramm kämpft, das versucht, die hergebrachten Freiheiten von Grundbesitzern und Provinzadligen zu mindern.“[8] Der Film von 2010 ist auch der einzige, in dem Robin Hoods fröhlicher Lebensstil, quasi als Aussteiger in den Wäldern in der Mitte seiner „Merry Men“, nicht gezeigt wird. Inwiefern diese Strategie des Unschädlichmachens tatsächlich funktioniert, bleibt offen. Robin Hood ist ein krimineller Held und er wird als schiere Möglichkeit einer moralisch nicht verwerflichen Kriminalität in unseren Köpfen bestehen bleiben.

Angelika Adensamer studiert Rechtswissenschaften in Wien.

[1] John Lea, Social Crime Revisited, Theoretical Criminology 1999, 307.
[2] Eric Hobsbawm, Sozialrebellen, 1959, 42 ff.; ders., Banditen, 1972, 22.
[3] Eric Hobsbawm, Social Criminality, 1972, revised 2001, zitiert nach John Lea, Social Crime Revisited, Theoretical Criminology 1999, 307.
[4] John Lea, Social Crime Revisited, Theoretical Criminology 1999, 307 (316).
[5] http://es.wikipedia.org/wiki/Mate_Cosido (Stand aller Links: 05.03.2012).
[6] Eric Hobsbawm, Social Bandits: Reply, Comparative Studies in Society and History 1972, 503 (504).
[7] Larry Law, The Spectacle. A Skeleton Key, Spectacular Times 2001, 16.
[8] http://movies.nytimes.com/2010/05/14/movies/14robin.html.