Kapitalismus und Moderne

Für einige Jahre war das „K“-Wort im politischen wie auch im wissenschaftlichen Jargon ziemlich verpönt. Zumal die aktuellen Krisen der Weltwirtschaft haben Fragestellungen erneut auf die Tagesordnung gesetzt, die Kapitalismus beim Namen nennen und eine Wiederaufnahme kritischer Analyse aktuell erscheinen lassen. Eine Neubefassung steht in gewisser Weise vor einem Dilemma: zum einen sich zu hüten, das Rad neu zu erfinden, sondern sich jener Riesen zu vergewissern, auf deren Schultern wir stehen; zum andern aber jene Umbrüche zu berücksichtigen, die im Lauf der letzten zweieinhalb Jahrzehnte weltweit dem Gesellschaftssystem des Kapitalismus einmal mehr ein anderes Gepräge verliehen haben.

Keywords: Critique of political economy, capitalism, modernity, world society, late development, international division of labour, uneven development, wage labour, slavery, subsistence production

Schlagwörter: Kritik der politischen Ökonomie, Kapitalismus, Moderne, Weltgesellschaft, nachholende Entwicklung, internationale Arbeitsteilung, uneinheitliche Entwicklung, Lohnarbeit, Sklaverei, Subsistenzproduktion*

Für einige Jahre war das „K“-Wort im politischen wie auch im wissenschaftlichen Jargon ziemlich verpönt. Zumal die aktuellen Krisen der Weltwirtschaft haben Fragestellungen erneut auf die Tagesordnung gesetzt, die Kapitalismus beim Namen nennen und eine Wiederaufnahme kritischer Analyse aktuell erscheinen lassen. Eine Neubefassung steht in gewisser Weise vor einem Dilemma: zum einen sich zu hüten, das Rad neu zu erfinden, sondern sich jener Riesen zu vergewissern, auf deren Schultern wir stehen; zum andern aber jene Umbrüche zu berücksichtigen, die im Lauf der letzten zweieinhalb Jahrzehnte weltweit dem Gesellschaftssystem des Kapitalismus einmal mehr ein anderes Gepräge verliehen haben.

Vielfalt und Einheit

Mit kapitalistischen Entwicklungsschüben in wichtigen Teilen des Globalen Südens stellt sich in neuer Form die Frage nach unterschiedlichen Formen kapitalistisch geprägter Gesellschaften, die bereits in den 1980er Jahren Gegenstand weit ausgreifender „entwicklungsgeschichtlicher“ Forschungen waren (vgl. Senghaas 1982; Menzel 1985; 1988; Menzel & Senghaas 1986). Freilich bleibt zugleich das theoretische Problem, dass nicht alle moderne Gesellschaften einheitlich und in erster Linie durch den Kapitalismus geprägt sind oder waren – wie also mit einer gesellschaftlichen Vielfalt umzugehen sei, die zum einen in einem offenkundigen globalen Zusammenhang steht, aber letztlich den Versuch prekär erscheinen lässt, sie unter einen einzigen Begriff zu subsumieren.

Demnach ist eine kurze, zumindest skizzenhafte Klärung des Begriffs des „Kapitalismus“ erforderlich, um zu verstehen, was denn die Vielfalt zusammenhält, wo aber auch Grenzen eines solchen Begriffs liegen. Es geht dabei gleichsam darum, über der Betrachtung der Bäume nicht den Wald aus dem Gesichtsfeld zu verlieren, ohne doch Einsichten aufs Spiel zu setzen, die sich aus dem besseren Verständnis einzelner Bäume ergeben. Beim Blick auf unterschiedliche Ausprägungen von Kapitalismus geht es daher weniger um deren Vielfalt, sondern um ihre Einheit, die allein der Rede vom Kapitalismus Sinn verleihen kann. Dabei beziehe ich mich in erster Linie auf klassische Ansätze der Gesellschaftstheorie, vor allem auf die Marx’sche Kritik der politischen Ökonomie sowie auf Max Webers wegweisende Überlegungen zur begrifflichen Abgrenzung des modernen Kapitalismus.

Zwei Grundannahmen können hier nicht ausführlich begründet werden; ihren Sinn und Ertrag hoffe ich jedoch im Folgenden zu verdeutlichen. Zum einen bezieht sich die Kritik der politischen Ökonomie in erster Linie nicht auf unmittelbare Erscheinungsformen des Kapitalismus, sondern erschließt diesen Erscheinungen zugrunde liegende Tiefenstrukturen (vgl. Schiel 1983). Ein einfaches und relativ banales Beispiel kann dies verdeutlichen: Das viel diskutierte Gesetz vom tendenziellen Fall der Profitrate besagt keineswegs, die empirisch vorfindlich und berechenbare Profitrate – also grob das Verhältnis des Profits zum eingesetzten Kapital – sei in einer gegebenen, kapitalistisch bestimmten Grundgesamtheit immer rückläufig. Eine solche Aussage wäre empirisch unhaltbar. Sehr wohl aber kommt die mit diesem Gesetz bezeichnete Tendenz in dem Zwang zum Ausdruck, ihr beständig entgegenzuwirken, durch Prozess‑ und Produkt-Innovation, die Neuorganisation von Arbeitsvorgängen, die Erschließung neuer Rohstoffquellen sowie von Absatzmärkten, aber auch in Krisen, wenn diese Gegenstrategien in relevantem Ausmaß scheitern (vgl. Kößler & Wienold 2013: 54-60). Aussagen über phänomenologische Merkmale, damit in aller Regel auch Typologien, die meinen, sich ohne weiteres Kategorien der Kritik der politischen Ökonomie nutzbar machen zu können, verfehlen aus dieser Perspektive den logischen Status dieser Kategorien.[1] Im zweiten Teil dieses Beitrages wird es um einige grundlegende Tiefenstrukturen des Kapitalismus gehen, die sich deutlich jenseits der Frage nach regionalen oder epochengebundenen Formen seiner Ausprägung bewegen. Insofern stehen diese Überlegungen logisch vor der Erarbeitung von Typologien, wie sie für die Debatte über „Spielarten des Kapitalismus“ zentral geworden sind. Hier wie auch in anderen Zusammenhängen wird anscheinend vielfach unterstellt, was „Kapitalismus“ sei, bedürfe keiner weiteren Debatte. Vielmehr gehe es um Ausdifferenzierung, einzelne Dynamiken oder spezifische Diskussionszusammenhänge, kurz um Bäume oder den einen oder anderen Hain, während der Wald weitgehend als unproblematisch unterstellt wird.[2] Dadurch schleichen sich Schein-Evidenzen ein, die nicht zuletzt den Weg zu fruchtbaren Kontroversen verstellen.

Zugleich wird sich aus dieser begrifflichen Perspektive eine Schwierigkeit zumindest deutlich erkennen lassen, die durch typologische Argumentation verdrängt wird. Kapitalismus war in den 250 Jahren seiner Existenz nie auf Nationalstaaten einzuschränken; seine Dynamik wies immer über diesen Rahmen hinaus.[3] Dabei waren – wie auch unten deutlich wird – staatliche Strategien und Setzungen immer bedeutsam oder entscheidend für regionale Entwicklungen. Der methodologische Nationalismus lässt sich daher nicht abstrakt negieren. Auf Nationalstaaten bezogene Typenbildung verliert jedoch allzu leicht den globalen Konstitutionszusammenhang des Kapitalismus aus den Augen.

Da nun zweitens Kapitalismus im hier gemeinten Verständnis immer schon national und global zugleich bestimmt war, kam es auch immer schon zu unterschiedlichen regionalen Ausformungen kapitalistischer Wirtschaft und Gesellschaft. Dies verknüpft sich mit der expansiven Tendenz des Kapitals: Die industrielle Revolution bedeutete ab dem letzten Drittel des 18. Jahrhunderts ausgehend von einer kleinen Region im Nordwesten Englands eine grundlegende Umwälzung der internationalen Arbeitsteilung. Zugleich kam es zur regionalen Expansion des industriellen Kapitalismus.[4] Dies wird im dritten Teil auch unter Bezug auf wesentliche, teils wenig beachtete historische Zusammenhänge erläutert.

Im vierten Teil wird gefragt, wie begrifflich mit dem Umstand umzugehen ist, dass der Kapitalismus von Beginn an systematisch heterogene soziale Zusammenhänge verknüpft. Seine Expansion akzentuiert diesen häufig missverstandenen Sachverhalt. Anders als zumal im Anschluss an die Dependenz-Debatte (vgl. Senghaas 1977) unterstellt, ist „strukturelle Heterogenität“ daher nicht eine Folge von Abhängigkeit oder Merkmal eines „peripheren Kapitalismus“, sondern kennzeichnet und prägt systematisch alle kapitalistischen Gesellschaftsformen. Dies wird im Folgenden unter Bezug auf die vor allem als Hausarbeit geleistete Subsistenzproduktion sowie auf die moderne Sklaverei verdeutlicht. Auch die Verweisung des „informellen Sektors“ in den Bereich der „Peripherie“ gehört zu diesen Fehlleistungen (vgl. hierzu Peripherie, Nr. 62, 1996).

Die theoretische Herausforderung besteht insbesondere darin, die Subsumtion nichtkapitalistischer Verhältnisse unter das Kapital konzeptionell einzuholen. Ich glaube, dieser Herausforderung ehestens durch das Konzept einer gesellschaftlichen Moderne gerecht zu werden, die zwar insgesamt durch den Kapitalismus hegemonial bestimmt ist, aber gesellschaftliche Verhältnisse sowie regionale gesellschaftliche Zusammenhänge einbezieht bzw. historisch einbezogen hat, die selbst nicht als „kapitalistisch“ anzusprechen sind. Ich setze mich mit dieser hier nur grob zu skizzierenden Konzeption auch von dem Ansatz einer „globalen Arbeiterklasse“ im Sinne eines vielgestaltigen „proletarischen Multiversums“ kritisch ab, der m.E. jedoch Probleme, mit gesellschaftlicher Heterogenität begrifflich umzugehen, in besonderem Maß deutlich macht.

Kapitalismus als Produktionsweise

Zunächst erscheint die Sache einfach genug. Kapitalisten[5] waren schon seit Jahrtausenden darauf aus, ihr eingesetztes (investiertes) Kapital zu vermehren, aus Geld mehr Geld zu machen. Wem das zu platt erscheint, kann denselben Sachverhalt in der allgemeinen Formel des Kapitals (G-G') wiederfinden, wobei „G“ das nach dem Alltagsverständnis für das Kapital Entscheidende bezeichnet, „Geld“. Das kann auf unterschiedlichste Weise geschehen, wenn auch in vielen, wenn nicht den meisten Fällen etwas – eine Ware – mit dem eingesetzten Kapital zuerst gekauft und später im Erfolgsfall teurer verkauft wird: G-W-G'.

Schwierig wird es, wenn es um gesellschaftliche Grundstrukturen geht, die entscheidend vom Kapital bestimmt sind, also nicht um Kapital ganz allgemein und unbestimmt, sondern um Kapitalismus im strengen Sinn. Hier kommt es entscheidend darauf an, was sich hinter dem „W“ verbirgt: Kauft der Kapitalist einfach billig ein, um – eventuell nach einer langen See‑ oder Karawanenreise – teuer zu verkaufen, oder organisiert er selbst den Produktionsprozess? Letzteres ist der springende Punkt (vgl. auch Wolf 1982 [1986]: 117-120), und das ist keineswegs banal: Anderwärts wird alles Mögliche, von funktionaler Differenzierung über Unternehmen bis hin zur Generalisierung des Geldes, als Merkmale „kapitalistischer Gesellschaft“ genannt (vgl. Schimank 2012). Es geht aber um die bezeichneten Tiefenstrukturen. Aus diesem Grund orientieren sich die nachfolgenden Überlegungen in Übereinstimmung mit der Kritik an der „antiproduktivistischen Wende“ (Dörre u.a. 2012b: 13) in weiten Teilen der Sozialwissenschaften auch an entscheidenden Punkten an den Arbeitsverhältnissen.

Wie Max Weber überzeugend argumentiert hat, lässt sich in historischer Perspektive ohne weiteres von Handels‑, Wucher‑ und auch Abenteurerkapitalismus reden, und diese Formen sind auch jeweils durch die Rationalität kapitalistischer Kalkulation geprägt, die sie vom bloßen „Erwerbstrieb“ und der Raffgier unterscheidet (1920: 4-7). Doch war damit keine gesamtgesellschaftliche Transformation verbunden. Wie Karl Marx (1872 [1968]: 178; 1893 [1964]: 607) sagt, trugen die „antediluvianischen“ Formen des Kapitals zwar zur Auflösung alter Verhältnisse bei, nicht aber zur Herausbildung neuer Gesellschaftsstrukturen.

Wiederum Weber sieht dies erst an dem Punkt geschehen, an dem der „bürgerliche Betriebskapitalismus mit seiner rationalen Organisation der freien Arbeit“ einsetzt (Weber 1920: 10), wo also das kapitalistische Wirtschaften sich nicht mehr im Handel mit Waren oder Geld („Wucher“) erschöpft, sondern auf die Herstellung der Waren ausgreift und diese Form der Beschaffung von Waren schließlich gesellschaftlich dominant wird. Auch für Marx setzt Kapitalismus im Sinne eines vom Kapital beherrschten und geprägten und nicht etwa punktuell genutzten Gesellschaftssystems da ein, wo der Kapitalist (die Kapitalinstanz) die Produktion organisiert. Für ihn ist daher „Kapital“ auch keineswegs ein Haufen Geld, den er eher als Schatzbildung bezeichnet und der im Sparstrumpf oder Erdversteck keine großen gesellschaftlichen Folgen zeitigt. Kapital in diesem strengen Sinn ist vielmehr zuerst ein gesellschaftliches Verhältnis, in dem mit dem Ziel der Kapitalvermehrung Lohnarbeit angewandt wird. Allein unter diesen Bedingungen entfaltet aufgeschatztes Geldkapital die dem Kapitalismus als Wirtschaftssystem gemeinhin zugeschriebene Dynamik und begründet zugleich gesellschaftliche Herrschaft. Die Rede von einem „kapitalistischen Weltsystem“ vor der Entstehung dieser Bedingungen (Wallerstein 1980; Frank 1998) ist unter diesen begrifflichen Voraussetzungen sinnlos.

Die Folgen des Ausgreifens des Kapitals auf die Produktion lassen sich im Wesentlichen auf die Motive der Kontrolle von Risiken sowie der Konkurrenz, endlich aber wiederum auf die oben angeführte allgemeine Formel zurückführen. Um einen möglichst großen Profit zu erzielen, also die Differenz zwischen G und G' möglichst zu steigern, strebt das Kapital danach, die Produktion so effektiv wie möglich zu gestalten, mithin in seinem Sinne[6] zu rationalisieren. Dadurch, dass seine Konkurrenten am Markt das gleiche Ziel verfolgen, sieht sich der einzelne Kapitalist gezwungen, den Prozess der Rationalisierung endlos weiterzuverfolgen, den Produktionsprozess beständig durch Innovationen zu effektivieren.[7] Zugleich aber lassen sich diese Rationalitätsgewinne nicht unter beliebigen Umständen erzielen. Wie Max Weber darlegt, entspricht der kapitalistischen Rationalität die Lohnarbeit (s. 1922 [1985]: bes. 78). Das bedeutet, dass nicht Sklaven oder Leibeigene im kapitalistischen Betrieb arbeiten, sondern Lohnabhängige. Sie verfügen zum einen anders als persönlich Abhängige frei über ihre eigene Person, haben andererseits jedoch keinen Zugang zu den sachlichen Voraussetzungen der Arbeit. Erst durch das Lohnverhältnis und im Rahmen des kapitalistischen Unternehmens wird diese Verbindung hergestellt. Dies bedeutet im Prinzip zugleich, dass es sich in jedem einzelnen Fall nicht um eine Verbindung auf Dauer handelt. Gibt es weniger zu tun, bricht die Konjunktur ein oder ruiniert der Unternehmer seinen Betrieb durch Fehler (Weber 1908/09 [1924]: 155), so wird sich der Lohnnexus für einzelne oder auch die gesamte Betriebsbelegschaft auflösen. Gleiches gilt für den Fall mangelnder Effizienz einzelner: Die „Peitsche der Arbeitslosigkeit“ (ebd.: 127) garantiert ganz wesentlich die Rationalität dieser Betriebsform. Ähnlich lassen sich Innovationsprozesse dadurch effektiv gestalten, dass Arbeitskräfte ausgetauscht werden, wenn ihr Arbeitsvermögen, ihre Qualifikation, obsolet geworden ist. Es gibt daher gute Gründe, von einer engen strukturellen Verknüpfung zwischen dem betriebsmäßig organisierten und rationalisierten Kapitalismus und der freien Lohnarbeit zu sprechen.

Allein aus diesem Grund sollte die Rede von Betrieb und auch von Produktionsweise nicht zu dem Fehlschluss verführen, die Konsequenzen aus dieser historisch ebenso außergewöhnlichen wie folgenreichen Form des Kapitalismus seien je auf Betrieb und „Produktion“, die unmittelbare Sphäre des Kapitals, beschränkt gewesen. Es geht dabei um die Art und Weise, wie die Menschen „ihr Leben gew(i)nnen“ (Marx 1872 [1968]: 96), d.h. es interessieren nicht Ausbeutung oder Unterdrückung als solche. Worauf es ankommt, ist die Formbestimmtheit gesellschaftlicher Verhältnisse.[8]

Dies verweist auf einen sinnvollen Begriff der „Produktionsweise“. In orthodox-marxistischer[9] Fassung bezeichnet diese die Einheit von Produktionsmitteln und Produktionsverhältnissen – hier Lohnarbeit – als Form der Vermittlung zwischen der Arbeitskraft und den Arbeitsgegenständen. Die Perspektive der Gewinnung des Lebens kann jedoch weit umfassender verstanden werden. Sie schließt insbesondere die Reproduktionsverhältnisse ein, also regenerative Reproduktion in der Wiederherstellung der Arbeitskraft, aber auch generative und sozialisierende Reproduktion, die Schaffung und Zurichtung der nächsten Generation.[10] Alle diese Tätigkeiten können die Form der Lohnarbeit annehmen, doch handelt es sich hier eher um kontingente Situationen. Daher sind diese notwendigen, in Form der nicht unmittelbar marktorientierten Subsistenzproduktion geleisteten Arbeiten im unterstellten Regelfall nicht „produktiv“ für das Kapital (vgl. Kößler & Wienold 2013: 191-196) und fallen aus der Formbestimmtheit der Lohnarbeit heraus. Daraus folgt die grundsätzliche soziale Heterogenität kapitalistischer Verhältnisse, weil sie mindestens Beziehungen der Lohnarbeit und der Subsistenzproduktion miteinander verknüpfen müssen, um den gesellschaftlichen Reproduktionszyklus in Gang zu halten. Einige der aufzuführenden Kennzeichen charakterisieren daher auch eine im Folgenden aufzugreifende, über den Kapitalismus hinausgehende, von ihm aber mit determinierte gesellschaftliche Moderne.

Im Kernbereich des Kapitalismus werden sämtliche Dimensionen des Arbeitslebens wie des außerbetrieblichen Alltags durch das Lohnverhältnis bestimmt (s. Kößler 1990: 60-87). Schauen wir uns die Anfänge an, so entstand der Kapitalismus auf der Grundlage der „ursprünglichen Expropriation“ (Marx 1865 [1968]: 131) der Arbeitenden, ihrer Freisetzung nicht nur von alten Bindungen, sondern auch vom Zugang zu häufig gemeinschaftlich genutzten Ressourcen, insbesondere Weide und Wald. Die dadurch bedingte Notlage machte die Menschen mobil, und es kam zu dramatischen Migrationsprozessen, die ein zentrales Signum von Kapitalismus und Moderne darstellen und keineswegs auf Urbanisierung beschränkt sind. Iren stellten einen Großteil der Arbeitskraft für die nordenglische Industrie, Europäer wanderten in einem gewaltigen Migrationsstrom nach Nordamerika, in geringerem Maß in den Süden des Kontinents, nach Australien und ins Südliche Afrika. Nach der Beendigung des massiven Transfers von Arbeitskraft durch den transatlantischen Sklavenhandel wurden massenhaft chinesische und indische Kontraktarbeiter („Kuli“) in die ganze Welt verschifft, und die formale Kolonisierung großer Landmassen war regelmäßig mit der Etablierung von Wanderarbeitssystemen verbunden.[11]

Ferner zentralisiert zumindest die klassische Form des kapitalistischen Betriebs die Produktion in der Fabrik. Damit einher geht die klare und eindeutige Trennung der Sphären von Heim und Betrieb mit äußerst weitreichenden Folgen, etwa für die Sozialisation (vgl. Horkheimer 1936 [1968]: 329-360).

Vor allem aber bedeutet die Scheidung dieser beiden Sphären die weitgehende Trennung von Erwerbsarbeit und physischer Reproduktion, d.h. der Wiederherstellung der im Betrieb vernutzten Arbeitskraft. Damit einher geht die Zuweisung der Sphären von Heim und Betrieb an Frauen einerseits und Männer andererseits. Diese Zuweisung bedeutet empirisch zu keinem Zeitpunkt den durchgängigen Ausschluss von Frauen von der Lohnarbeit, sehr wohl aber die verbreitete, oft regelmäßige geringere Bewertung weiblicher Lohnarbeit, verbunden mit der Zuweisung des Großteils der nicht auf Markterwerb orientierten und daher unbezahlten Hausarbeit an Frauen. Diese für die modernen Geschlechterverhältnisse entscheidende Differenzierung der beiden Sphären, in deren Wechselbeziehung sich der Alltag für die große Mehrheit weitgehend vollzieht, hat als weitere wesentliche Konsequenz, die sich auch aus der Enteignung von Produktionsmitteln ergibt, die Entleerung des Heims von produktiven Tätigkeiten. Daraus folgt die umfassende Abhängigkeit des Haushalts von externen, in aller Regel über den Markt vermittelten materiellen Ressourcen sowie wiederum der Zwang zur am Markt orientierten Erwerbsarbeit.[12] Die kapitalistische Gesellschaft ist nicht als „Arbeitsgesellschaft“ zu bezeichnen, weil dies für jede menschliche Gesellschaft zutrifft und daher sinnlos ist,[13] sehr wohl aber als „Erwerbsgesellschaft“.

Die Produktion ist ökonomisch durch das Unternehmen zentralisiert, räumlich im Betrieb. Beides geht nicht notwendig miteinander einher – das klassische Verlagssystem oder auch neuere Produktionsnetzwerke sind Beispiele für räumliche Streuung bei ökonomischer Zentralisierung. Damit wurde in historischen Fällen wie dem Aufschwung der Baumwoll-Handweberei während der ersten Phase der industriellen Revolution in England oder aktuell der freilich eher überschätzten Computer-Heimarbeit die Trennung von Heim und Betrieb unterlaufen.

Entscheidend dabei ist die beständige Umformung und Neuorganisation der Produktions‑ und damit auch der Arbeitsprozesse. Marx (1933 [1969]: 45-64) fasst diesen Sachverhalt begrifflich in die Unterscheidung zwischen formeller und reeller Subsumtion der Arbeit unter das Kapital: Letztere erst konstituiert die „kapitalistische Produktionsweise ... als Produktionsweise sui generis“ (ebd.: 61). Während die formelle Subsumtion das eigentliche Lohnarbeitsverhältnis einschließlich seiner Dimensionen des Zwangs, der Disziplinierung und des Zeitregimes umfasst, betrifft die reelle Subsumtion die Veränderung der Arbeitsprozesse selbst, vor allem durch „Mechanisierung“, also den Einsatz (neuer) Maschinen anstelle der Handarbeit, sowie durch „Rationalisierung“, emblematisch in Form der wissenschaftlichen Betriebsorganisation (Taylorismus), deren Stoßkraft nicht zuletzt auf der Enteignung des Arbeitswissens der Lohnabhängigen und seiner Konzentration im Planungsbüro beruhte. Beides traf in der Fließbandproduktion und deutlich modifiziert später in computergestützten Produktionsformen zusammen.

Angetrieben werden die beständigen Schübe zur Prozess‑, aber auch zur Produkt-Innovation durch die Konkurrenz der Einzelkapitale untereinander sowie durch den damit verknüpften Zwang zur Akkumulation, dem sie durchweg unterliegen. Dies übersetzt sich in den Imperativ des volkswirtschaftlichen Wachstums, der nach 250 Jahren kapitalistischer Produktion und Akkumulation zum Bestandteil der Alltagsorthodoxie geworden ist. Überrascht wird diese Orthodoxie immer wieder, wenn die Extrapolationen solchen Wachstums durch die Krisen zunichte gemacht werden, die den Kapitalismus von Beginn an wesentlich gekennzeichnet haben. Krisen bedeuten vor allem die Vernichtung von Kapital und Produktionspotentialen. In gesteigerter Form tritt dies ein, wenn die Krise die Form des Krieges annimmt. Diese Zerstörungen schaffen Voraussetzungen für die ökonomisch effektiven Innovationen des nächsten Produktionszyklus.

Alle diese Prozesse sind begleitet und bedingt von zwei zentralen Formen der Entbettung, d.h. der Herauslösung entscheidender Bereiche aus gesellschaftlichen Bindungen und Kontrollen. Klassisch hat dies Karl Polanyi (1977) für die Wirtschaft und dabei nicht zuletzt für die Mobilisierung der Arbeitskraft dargestellt: Zum einen fielen vor allem in England die Beschränkungen durch die Regeln und Restriktionen des zünftigen Handwerks, zum andern aber soziale Sicherungssysteme, die durch das Ansteigen der Zahl der Bedürftigen infolge der gesellschaftlichen Verwerfungen auf dem Land schweren Belastungen ausgesetzt waren und nun abgeschafft und durch das auf Arbeitszwang orientierte New Poor Law ersetzt wurden. Die weitere, weniger beachtete Form der Entbettung betrifft den Staat, der aufgrund der Verschuldung durch Kriege und Hofhaltung zum „depossedierten Steuerstaat“ (Goldscheid 1917 [1976]) wird. Der Staat ist nun gezwungen, Ressourcen in erster Linie durch Steuern zu mobilisieren. Dies kann zur Abhängigkeit von Kapitaleignern führen, hat sich – etwa in der Amerikanischen und Französischen Revolution – aber auch als Einfallstor für Ansprüche der Volkssouveränität und Parlamentskontrolle erwiesen. Zugleich wurde die Bourgeoisie ungeachtet ihrer beherrschenden Stellung nicht im strengen Sinn zur regierenden Klasse, sondern es entstand eine von ihr unterschiedene Bürokratie, mit sehr unterschiedlichen Folgen. Sie reichten von der Fortdauer einer politischen Adelsherrschaft über diktatorische Regime wie vor allem Bonapartismus und Faschismus bis hin zur fordistisch geprägten Massendemokratie nach dem Zweiten Weltkrieg (vgl. Schiel 1992: 82-89; Kößler & Wienold 2013: 286-293).

Kapitalismus bezeichnet damit grundlegende Verhältnisse und Merkmale, die immer wieder aus unterschiedlichen Perspektiven mit „Moderne“ in Verbindung gebracht werden: Differenzierung unterschiedlicher gesellschaftlicher Sphären, systematische Innovation in steigendem Tempo auf der Grundlage spezifischer gesellschaftlicher Verhältnisse, massive Produktivitäts‑ und Produktionssteigerungen sowie Krisenhaftigkeit. Beides beruht auf den der kapitalistischen Wirtschaftsweise im Kern innewohnenden Triebkräften: auf dem Lohnarbeitsverhältnis als dem System adäquatester sozialer Grundlage der Arbeitsorganisation sowie auf dem von der Konkurrenz und der Kapitalverwertung angetriebenen Zwang zu fortwährender Innovation. Damit verknüpft ist einerseits die Krisenhaftigkeit des Kapitalismus, zum andern seine systematische Indienstnahme wissenschaftlicher Erkenntnisse und Methoden. Noch nicht berücksichtigt ist dabei der globale und zugleich expansive Charakter des Kapitalismus, auf den ich nun kurz eingehen möchte. Seine Konsequenzen lassen das Bild weitaus komplexer erscheinen. Um dies zu verdeutlichen, müssen wir die Ebene der Betrachtung des Kapitals im Allgemeinen verlassen (vgl. Harvey 1975 [2001]: 249-266). Freilich begeben wir uns damit keineswegs auf die Ebene einer historischen Erzählung.[14] Es geht vielmehr darum, unter Bezug auf einige Ausformungen und Konsequenzen der Expansion des Kapitalismus zum einen die Komplexität des dadurch konstituierten Weltzusammenhangs zu erfassen, zum andern aber auch wenigstens ansatzweise die Handlungsebene in den Blick zu bekommen, die diese Konstitution mit bestimmt. Diese Überlegungen führen schließlich zu einer Begriffsbestimmung, die Kapitalismus und Moderne voneinander unterscheidet, ohne doch ihre (bisher) unlösliche Verknüpfung zu verkennen.

Global, expansiv und komplex: Uneinheitlichkeit, nicht Ungleichzeitigkeit

Seit seinen Anfängen als gesellschaftliches Strukturprinzip war der Kapitalismus wesensmäßig global. Zugleich ist unverkennbar, dass der industrielle Kapitalismus seinen Ausgang in einer recht eng umgrenzten Region im nordwestlichen England nahm – im südlichen Lancashire und nördlichen Cheshire. Diese auf den ersten Blick konträren Aussagen verweisen auf weitere systematisch begründete Eigenschaften: die dem Kapitalismus eingeschriebene regionale Asymmetrie sowie die gleichfalls systematische Verknüpfung räumlich voneinander getrennter, ihrer gesellschaftlichen Formbestimmung nach häufig unterschiedlicher gesellschaftlicher Zusammenhänge von Produktion, aber auch von Konsumtion. Diese Perspektive steht im Widerspruch zur oft behaupteten „Ungleichzeitigkeit“ kapitalistischer Entwicklung.[15] Vielmehr werden in immer neuen Kombinationen qualitativ unterschiedliche Verhältnisse zusammengeführt und zueinander in Beziehung gesetzt, ohne dass diese Unterschiede die Annahme begründen, diese Verhältnisse ließen sich an unterschiedlichen Positionen auf einer Zeitachse oder auch einer Evolutionslinie verorten. Ich werde im Folgenden noch etwas genauer auf die Beziehungen zwischen kapitalistischen und nicht-kapitalistischen Produktionsverhältnissen eingehen. Doch ist festzuhalten, dass gerade auch Zustände, die „Traditionen“ zugeschrieben werden und zuweilen mit dem Anspruch der Altehrwürdigkeit daher kommen, häufig in Wahrheit recht rezenten Ursprungs sind,[16] gerade weil sie mit dem Eintritt ihrer Trägerinnen und Träger in den Wirkungskreis des Kapitalismus gründlich umgestaltet wurden oder sogar ganz neu entstanden sind.

Globales Ausgreifen

Zum einen verknüpfte demnach der industrielle Kapitalismus von Beginn an nicht einfach nur weit auseinander liegende Regionen: In England bezog die ab dem letzten Drittel des 18. Jahrhunderts mechanisierte Baumwollspinnerei ihren Rohstoff vorzugsweise aus der Karibik und den südlichen USA (Sea Island Cotton), wo er von schwarzen Sklaven hergestellt wurde, die damals noch aus verschiedenen Teilen Afrikas über den Atlantik verschleppt wurden. Jahrzehntelang wurde das Baumwollgarn von Handwebern weiterverarbeitet. Diese „ersten Kinder der industriellen Revolution“ arbeiteten im eigenen Heim im Verlagssystem. Ihr langer Niedergang nach kurzer Blütezeit bezeugt zugleich den ebenso hartnäckigen wie historisch aussichtslosen Widerstand der Arbeitenden gegen das Fabriksystem (s. Kößler 1990: 124-134). Weiter ruinierte der Import des massenhaft erzeugten Baumwolltuchs (Kattun) in kurzer Zeit die handwerkliche Baumwollerzeugung in Indien. Auf diese Weise wurden sehr unterschiedliche gesellschaftliche Verhältnisse miteinander in Beziehung gesetzt. Allein mittels Lohnarbeit hätte die industrielle Revolution nicht funktioniert. So bemerkte Marx an prominenter Stelle, dass „die verhüllte Sklaverei der Lohnarbeiter in Europa zum Piedestal die Sklaverei sans phrase in der neuen Welt“ bedurfte (1872 [1968]: 787).

Es ging also nicht allein um eine grundlegend neue Form der internationalen Arbeitsteilung, die etwa 200 Jahre in ihren Grundstrukturen Bestand haben sollte und bestimmte Regionen als industrielle Zentren, andere als Rohstofflieferanten und wieder andere als Absatzmärkte definierte, nicht zu vergessen die Ursprungsregionen für die gewaltigen Prozesse großenteils unfreier Arbeitsmigration. Zugleich bestand von Beginn an eine enge Verflechtung zwischen unterschiedlichen Formen abhängiger Arbeit, insbesondere zwischen freier Lohnarbeit und Sklaverei. Gewiss traten an die Stelle afrikanischer Sklaven nach einigen Jahrzehnten chinesische und indische Kuli, noch später Wanderarbeiterinnen und ‑arbeiter unter diversen Regimen. Das ändert aber nichts an dem hier entscheidenden Sachverhalt: Neben der veränderlichen regionalen Konfiguration das Kapitalismus bestanden von vorneherein durch Handel vermittelte Verknüpfungen zwischen unterschiedlichen Produktionsverhältnissen. Kapitalismus benötigt zwar freie Lohnarbeit, geht in ihr aber nicht auf. Vielmehr hat er sich offensichtlich immer wieder andere Produktionsverhältnisse subsumiert.

Mit der Uneinheitlichkeit der gesellschaftlichen Verhältnisse in den Regionen, die der aufstrebende Kapitalismus miteinander verkoppelte, geht seine expansive Tendenz einher. Spätestens die Napoleonischen Kriege hatten in Europa die materielle, auch militärische Überlegenheit der neuen Wirtschaftsform drastisch deutlich gemacht, und die Einführung der Maschinerie wurde zur Überlebensfrage. Schnell entstanden Wachstumspole, von Lyon und Nordfrankreich sowie Belgien über das Ruhrgebiet und Sachsen bis nach Oberschlesien. Die USA folgten nach der militärischen Konsolidierung im Krieg von 1812 einer vergleichbaren Entwicklungsbahn. Allein Zar Nikolaus I suchte sein Reich aus Furcht vor den bereits erkennbaren sozialen und politischen Folgen einer schnellen Industrialisierung und Urbanisierung von der übermächtigen Tendenz zur Industrialisierung und der damit einhergehenden Herausbildung „gefährlicher Klassen“ abzuschirmen. Durch den Krimkrieg (1853-56) erwies sich dieses Unterfangen als aussichtslos. Nikolaus I beging symbolträchtig Selbstmord, und sein Nachfolger Alexander II leitete eine Ära begrenzter Reformen ein, die nachholende Industrialisierung unter Vermeidung der Herausbildung eines städtischen Proletariats zum Ziel hatten.

Bereits die Ausbreitung des industriellen Kapitalismus in Westeuropa und Nordamerika war demnach gleichbedeutend mit ersten Formen einer nachholenden industriellen Entwicklung. Die damit verbundenen gesellschaftlichen Umbrüche führten nicht nur zu scharfen sozialen Konflikten und zum Aufkommen der Arbeiterbewegung, sondern wurden zugleich in der Perspektive der Vereinheitlichung der Welt wahrgenommen. So sahen Marx und Engels 1848 sich berechtigt zu der Erwartung: „Die Bourgeoisie … schafft sich eine Welt nach ihrem eignen Bilde“ (1848 [1969]: 466). Zwei Jahre später schien ihnen die zahlenmäßig größte Bauernbewegung der Geschichte, der Taiping-Aufstand in Süd‑ und Zentral-China (1850-64), Anlass zu der Hoffnung zu geben, an der chinesischen Mauer, über „den Pforten, die zu dem Hort der Urreaktion … führen“ werde bald die Inschrift zu lesen sein: „République chinoise. Liberté, Egalité, Fraternité“ (Marx & Engel 1850 [1969]: 222). Sie hofften demnach, China werde Gang und Zielsetzung der Französischen Revolution wiederholen. Insgesamt galt denn auch für Karl Marx die aus heutiger Sicht emphatisch modernisierungstheoretische Annahme: „Das industriell entwickeltere Land zeigt dem minder entwickelten nur das Bild der eignen Zukunft.“ (Marx 1872 [1968]: 12). Aus anderer, ausdrücklich auf nachholende Modernisierung orientierter Perspektive erschienen die Dinge ein wenig differenzierter: Friedrich List hielt Kolonien für eine lebensfähige Volkswirtschaft für unverzichtbar (vgl. 1841 [1950]: 270f). Darüber hinaus war Lists Programm der Mobilisierung produktiver Kräfte und der Erziehungszölle unvermeidlich mit einer aktiven Rolle des Staates verknüpft.[17]

Berücksichtigt man den real eingetretenen Verlauf kapitalistischer Expansion in den letzten beiden Jahrhunderten, so muss man den Satz aus dem Kommunistischen Manifest wesentlich umformulieren: Die Bourgeoisie schafft sich eine Welt nach ihren Bedürfnissen, doch bedeutet dies gerade, dass diese Welt durchaus uneinheitlich aussieht, ohne freilich „ungleichzeitig“ zu sein. Mit der Vielfalt der mit dem Kapital verknüpften, unter das Kapital subsumierten Verhältnisse wurde auch eine weitere Erwartung enttäuscht: die Annahme einer mit gesellschaftlicher Polarisierung einhergehenden Vereinfachung der Klassenverhältnisse, so dass am Ende nur noch Bourgeoisie und Proletariat einander gegenüber stünden. Davon ist gegenwärtig auch bei zunehmender gesellschaftlicher Ungleichheit wenig zu beobachten. Gerade aus dieser Sicht erweist sich der Kapitalismus nicht nur als weit zählebiger, sondern vor allem auch als ungleich komplexer, als dies die Klassiker erwartet hatten.

Nachholende Entwicklung und Schrankenlosigkeit des Kapitals

Mit der Expansion des Kapitalismus sind zwei zu unterscheidende Aspekte verbunden: die Expansion kapitalistischer Wirtschaftsformen durch nachholende Entwicklung unter staatlicher Regie und die prinzipielle Schrankenlosigkeit des Kapitals. Zum einen sind dies die staatlich initiierten, oft aus Erfahrungen militärischer Unterlegenheit resultierenden Strategien des Nachholens und der Selbststärkung, fast regelmäßig verbunden mit Vorkehrungen, die mit Industrialisierung verbundene Herausbildung eines städtischen Proletariats zu vermeiden. Diese staatliche Politik firmierte als Reform, Restauration oder Selbststärkung. Solche Unternehmen und Initiativen führten zu sehr unterschiedlichen Resultaten, und es lohnt, einige Revue passieren zu lassen.

So markiert die Herrschaft des aus Albanien stammenden Mohammed Ali in Ägypten (1805-49) eine Zeit energischer Reformen. Die auf die Niederlage im Krimkrieg folgenden Reformen in Russland unter Alexander II brachten nach 1860 die Bauernbefreiung und begrenzte Selbstverwaltung (zemstva); sie begünstigten ab etwa 1860 eine begrenzte Industrialisierung, die in den 1890er Jahren durch eine rücksichtslose Politik der Agrarexporte mit der Folge ernster Hungersnot forciert wurde. In Japan leitet die Meiji-Restauration (1868) wenige Jahre nach der gewaltsamen „Öffnung“ des Landes durch das Kanonenboot des US-Kommandanten Perry ein umfassendes Reformprogramm ein, das neben der unmittelbaren Machtausübung des Kaisers und der Eliminierung feudaler Herrschaftsformen die Schaffung einer eigenständigen Industrie und die Übernahme einer Vielzahl an westlichen Vorbildern orientierter Institutionen umfasste. Es folgten die koloniale Expansion nach Taiwan und Korea und im Russisch-Japanischen Krieg 1905 der erste militärische Sieg einer nichtwestlichen Macht über einen europäischen Staat in der Moderne. In China scheiterten verschiedene Anläufe zur „Selbststärkung“ wie die Tongchi-Restauration unmittelbar nach der Niederwerfung der Taiping (1862-74) und drei Jahrzehnte später die Hundert-Tage-Reform. König Chulalongkorn (Rama V) gelang es in Thailand (Siam), durch institutionelle Reformen nicht zuletzt beim Militär und Infrastrukturmaßnahmen, die Kolonisierung zu vermeiden, die im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts sämtliche Nachbarländer traf. Ähnliche Anstrengungen zur Verwaltungs‑ und Militärreform mit begrenzten Industrialisierungsinitiativen bezeichnen im Osmanischen Reich zunächst die Tanzimat-Reformen Mitte des 19. Jahrhunderts sowie später die jungtürkische Revolution (1908) und schließlich den mit einem nationaltürkischen Aufbruch nach dem Ersten Weltkrieg und dem Untergang der Osmanischen Herrschaft verbundenen Kemalismus in der Türkei.[18] Zu denken ist auch an die erfolgreiche Abwehr des Kolonisierungsversuchs Italiens durch die Politik Kaiser Meneliks II. in Äthiopien 1896. In den 1920er Jahren scheiterte die mit dem Namen des Königs Amanullah verbundene Anstrengung zur Modernisierung in Afghanistan. Unter den besonderen Bedingungen extremen Ressourcenreichtums beobachten wir gegenwärtig in der Golfregion Versuche, die Verfügung über – in diesem Fall meist importierte – avancierte Rüstungsgüter mit der Festschreibung bestehender Herrschaftsverhältnisse zu verbinden.

Alle diese Fälle belegen den verstärkten Modernisierungsdruck, der durch die unmittelbare, meist aufgrund militärischer Unterlegenheit erfahrbar gewordene Gefahr der Marginalisierung oder auch durch die Beobachtung kolonialer Unterwerfung in regionaler Nachbarschaft wahrnehmbar wurde. Regelmäßig spielen dabei staatliche Initiativen und militärische Zielsetzungen eine wesentliche Rolle. Hinzu kommt in den meisten Fällen das Bestreben, die soziale Destabilisierung, die von schneller Industrialisierung und Urbanisierung befürchtet wurde, zu vermeiden. Wesentlich ist auch, dass diesen Anstrengungen niemals punktuell oder definitiv Erfolg oder auch Misserfolg zugesprochen werden konnte. Man denke an das Ende der auf Muhammad Ali folgenden, zunächst recht erfolgreichen Khediven-Herrschaft in Ägypten durch eine schon klassisch zu nennende internationale Verschuldungskrise (vgl. Luxemburg 1913: Kap. 30), oder aber an den Verlauf des ab 1850 zu datierenden Jahrhunderts der Chinesischen Revolution, die schließlich vor unseren Augen in einen geradezu sensationellen kapitalistischen Aufschwung unter strikter Regie und Kontrolle der Kommunistischen Partei mündete.

All dies war und ist zugleich Ausdruck der übergreifenden Dynamik des Kapitalismus und überkreuzt sich mit ihr. Die prinzipielle Schrankenlosigkeit des Drangs und Zwangs zur Akkumulation verquickt sich mit der unablässigen Jagd nach Rohstoffen, die auf jeweils neuen Stufen der technologischen Entwicklung benötigt oder auch überflüssig werden. Dem entsprechen die Phasen direkter Kolonisierung, unterschiedliche Intensitäten postkolonialer Abhängigkeit, aber auch die Marginalisierung ganzer Regionen. Diese kann sich wiederum als dauerhaft erweisen oder aber aufgrund von konjunkturellen Umschwüngen durch neuerliche Schübe der Rohstoffbeschaffung abgelöst werden, wie dies seit einigen Jahren in großen Teilen Afrikas zu beobachten, aber keineswegs auf diesen Kontinent beschränkt ist (vgl. Southall & Melber 2009). Die für Menschen in Chile, Peru, Zambia oder Papua-Neuguinea existentiellen Auswirkungen der drastischen Schwankungen des Kupferpreises während der letzten 60 Jahre können eine Vorstellung von den Konsequenzen geben. Folker Fröbel (1980) hat dies eindrücklich in Analogie mit der shifting cultivation gesetzt, in der Bodenstücke genutzt werden, bis sie ausgelaugt sind, um dann brach zu liegen. Dabei dürften freilich die Folgen kapitalistischer Inwertsetzung (Altvater 1987: Kap. 5) nachhaltiger sein, weil die Analogie zur Erholung während der Ruhephase, die beim Wanderfeldbau in der Regel eintritt, schwerlich zutrifft. Jedenfalls lässt sich hier von zeitlich diskontinuierlicher, intermittierender Inwertsetzung sprechen. Allerdings geht es bei dieser Expansion, die vor allem während der zweiten Hälfte des 19. und der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts mit einem letzten Schub vorwiegend westeuropäischer Kolonisierung und der flächendeckenden territorialstaatlichen Reorganisation der bewohnten Erdoberfläche einherging, um deutlich mehr als um die Beschaffung dringend benötigter Rohstoffe.

Fortgesetzte Expropriation, Gewaltförmigkeit und Mobilisierung der Arbeitskraft

Die Expansion des Kapitals war und ist regelmäßig begleitet von zwei ineinander greifenden Prozessen: Die Fortsetzung der ursprünglichen Expropriation, der Enteignung vor allem des Landes, seiner Umwandlung aus Gemeinde‑ in Privateigentum bedeutete nicht selten die physische Vernichtung der Bewohnerinnen und Bewohner, letzteres vor allem in den europäischen Siedlerkolonien in Amerika, Australien und im südlichen Afrika (vgl. Moses 2008). Dies findet aktuell seine Fortsetzung in den als „landgrabbing“ bezeichneten Enteignungsprozessen. Die fortgesetzte Enteignung unterstreicht besonders deutlich die anhaltende Gewaltförmigkeit kapitalistischer Verhältnisse, im Gegensatz zu Annahmen über den „stummen Zwang der ökonomischen Verhältnisse“, der nach der Etablierung des Kapitalismus an die Stelle systematischer blutiger Gewalt getreten sei (Marx 1872 [1968]: 765) oder auch vom „demokratischen Frieden“ (s. dazu Geis 2011).

Neben der fortgesetzten Gewaltförmigkeit des Kapitalismus und verbunden mit ihr (vgl. Kößler i.E.) ist über die letzten beiden Jahrhunderte hinweg in verschiedenen Formen eine massive Mobilisierung von Arbeitskraft zu beobachten. Sie erfolgt sowohl kleinräumig im nationalstaatlichen Rahmen vor allem als Urbanisierung, mehr aber transnational in den großen Migrationsbewegungen, sei es die transatlantische Migration des 19. und frühen 20. Jahrhunderts oder die gegenwärtige Süd-Nord-Migration, die infolge der aktuellen Austeritätspolitik auch den Binnenbereich der EU erfasst hat. Dies alles lässt sich schwerlich mit Typologien und Kategorien verstehen, die sich – auch aus den oben angesprochenen methodologischen Gründen – innerhalb nationalstaatlichen Rahmens bewegen,

Dabei handelt es sich häufig um die andere Seite des soeben angesprochenen Aufbrechens autonomer Wirtschafts‑ und Lebensformen. Dies betraf keineswegs allein marktunabhängige, rein an Eigenbedürfnissen orientierte Zusammenhänge, sondern etwa auch die kommerziell sehr erfolgreichen Bauern im südafrikanischen Ostkap, die sich aufgrund ihres Erfolgs am Markt einige Zeit der Wanderarbeit in die Bergbauregion am Witwatersrand entziehen konnten und zugleich zu lästigen, da häufig überlegenen Konkurrenten afrikaanssprachiger Siedler geworden waren (vgl. Bundy 1979; 1987; Kößler 1988: 17-19). In Südrhodesien, dem heutigen Zimbabwe, sorgte die Siedler-Regierung in den 1930er Jahren durch den Maize Control Act und den Maize Control Board dafür, die Konkurrenz effektiverer afrikanischer Bauern gegenüber der Siedlerlandwirtschaft durch staatlichen Zwang einzudämmen und schließlich auszuschalten (vgl. Phimister 1988: 173-176, 183-188; Döpcke 1992: 265-276).

Die im Zuge dieser Prozesse in vielen Teilen der Welt entstandenen Systeme der Wanderarbeit stehen geradezu modellhaft für eine Verflechtung ganz unterschiedlicher gesellschaftlicher Verhältnisse oder anders gesagt, verschiedener Produktionsweisen (vgl. Rey 1973). Diese Verflechtung ist aus der Sicht des Kapitals höchst rational. Sie bewirkt einen Zuschuss aus der nicht marktorientierten, meist bäuerlichen Subsistenzproduktion in den Herkunftsregionen der meist männlichen Wanderarbeiter. Dadurch kann deren Lohnhöhe deutlich niedriger ausfallen, als wenn dadurch ihre Reproduktionskosten vollständig abgedeckt werden müssten – also die Kosten für die Aufzucht der Kinder, für Versorgung im Alter oder auch in der arbeitsfreien Zeit. Diese Subsistenzarbeit wird zumeist von Frauen, aber auch Alten und Jungen geleistet. Im Fall der Wanderarbeit gehen damit einschneidende Veränderungen der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung einher. Die Problematik und die an sie anschließende Debatte haben sich jedoch nicht auf postkoloniale Verhältnisse beschränkt. Vielmehr war dieses theoretische und empirische Paradigma auch Ausgangspunkt einer ausgedehnten Debatte über nichtbezahlte Arbeit, insbesondere Hausarbeit und sonstige Reproduktionsarbeit im metropolitanen Kapitalismus. Dabei zeigte sich vor allem, dass die nach klassischer Auffassung gegen Lohnzahlung eingetauschte Arbeitskraft nicht reproduzierbar ist ohne Subsistenzproduktion,[19] d.h. ohne vielfältige Arbeiten, die nicht unmittelbar auf den Markt orientiert sind, deshalb dort auch nicht erscheinen und unter Verhältnissen, die auf den Markt als zentrale Instanz des Austauschs und der gesellschaftlichen Synthesis (vgl. Sohn-Rethel 1972) ausgerichtet sind, unsichtbar bleiben. Es gehört zu den Alltagsparadoxien des Zaubergartens, in den eine verallgemeinerte Warenlogik die Welt der von ihr beherrschten Menschen verwandelt hat, dass all die Verrichtungen, die mit Zuwendung, Fürsorge und Liebe verbunden sind und gemeinhin auch mit diesen Affekten assoziiert werden, andererseits auch in entlohnte Arbeit im Rahmen profitorientierter Geschäftsmodelle verwandelt werden können (vgl. Kößler & Wienold 2013: 191-196).

Moderne als komplexe Gesellschaftsformation:
Regulations‑, Produktions‑ und Entwicklungsweisen

Die hier in einigen Punkten exemplarisch vergegenwärtigte Komplexität der „Welt des Kapitals“ belegt eindrücklich, dass klassische Erwartungen an eine Homogenisierung der Verhältnisse und eine Vereinfachung zugespitzter gesellschaftlicher Widersprüche verfehlt waren. Auch der Versuch einer Typenbildung unterschiedlicher, womöglich noch im Plural daherkommender und nationalstaatlich bzw. territorial abgegrenzter „Kapitalismen“ (etwa Gough 2013: 242, 245, 254) verfehlt diese Problematik. Damit wird nicht nur ein belastbarer, für Vergleiche überhaupt erst sinnvoller Begriff des Kapitalismus verfehlt, auch die Beziehungen zwischen Vergesellschaftungsformen unterschiedlicher Reichweite, etwa auf mikroregionaler, nationalstaatlicher und globaler Ebene, lassen sich bestenfalls unter Schwierigkeiten integrieren. Ähnlich steht es mit dem Arbeitsprozess, der gerade für sinnvolle diachrone wie synchrone Vergleiche entscheidende Bedeutung hat (vgl. Burawoy 1985), sowie wie gesehen für nicht-marktförmige, nicht entlohnte Arbeits‑ und Produktionsprozesse.

Abgrenzung und Kontextualisierung

Die konzeptionelle Herausforderung besteht darin, ein globales, prozessierendes System begrifflich so zu erfassen, dass seine Vielgestaltigkeit und Widersprüchlichkeit nicht eingeebnet, zugleich aber die übergreifende und letztlich bestimmende Einheit im Blick gehalten wird. Das Problem stellt sich sowohl in diachroner als auch in synchroner Perspektive, und ferner stellt sich die Frage, wie die Auswirkungen staatlicher Politik und anderer Faktoren zu berücksichtigen sind, die sich in territorial abgrenzbaren Unterschieden niederschlagen, ohne in die Falle des methodologischen Nationalismus zu tappen.

Hierfür bietet sich ein Konzept der Moderne als komplexer Gesellschaftsformation an. Dies kann hier aus Platzgründen nur in Umrissen dargestellt werden.[20] Kurz hinzuweisen ist jedoch auf die Unterschiede dieses Konzepts sowohl gegenüber der Rede vom „Projekt der Moderne“ als auch gegenüber den Ansätzen der „multiplen Modernen“ (multiple modernities). Von ersterem unterscheidet sich mein Ansatz durch den Verzicht auf programmatische, in der Nachfolge der Aufklärung positionierte normative Vorgaben; von letzterem durch den Versuch zur Überwindung der Orientierung an Nationalstaaten ebenso wie einer letztlich fortgeführten handlungstheoretisch fixierten Modernisierungsperspektive. Die Forschungsrichtung der „verwobenen Moderne“ überschneidet sich in einigen wichtigen Punkten mit der hier eingenommenen Perspektive und betont insbesondere häufig übersehene und verdrängte Wechselbeziehungen zwischen unterschiedlichen Regionen, zumal zwischen Kolonialländern und Metropolen, interessiert sich aber in geringerem Maß für den systemischen Gesamtzusammenhang und die materiellen Grundlagen gesellschaftlicher Prozesse und Erscheinungsformen. Endlich erlaubt das hier zu skizzierende Konzept die Verknüpfung diachroner und synchroner Zugänge.

Diachron wurde – immer in erster Linie bezogen auf die kapitalistischen Metropolen – eine Abfolge von „Regulationsweisen“ oder „Akkumulationsregimen“ entworfen, die es erlauben, die Strategien zu berücksichtigen, mittels derer einschneidende Krisen überwunden wurden, die aber auch gesellschaftliche Kräfteverhältnisse zum Ausdruck bringen.[21] Die intensivste Debatte wurde dabei um den Fordismus und den hier identifizierten Funktionszusammenhang aus Massenproduktion, Massenkonsum und Massendemokratie geführt (vgl. bes. Aglietta 1979), ferner über eine sich abzeichnende „post-fordistische“ oder auch „neoliberale“ Regulationsweise. Das Ende des Fordismus markiert zugleich einen weiteren, oft mit „informationeller Revolution“ bezeichneten Bruch: Die Mikroelektronik führte zur Umwälzung fast aller Arbeitsprozesse – zumindest da, wo sie zur Verfügung steht. In anderem Ausmaß als frühere technologische Umbrüche im Lauf der Entwicklung des Kapitalismus erfasst die Mikroelektronik auch die Konsumsphäre, ja das gesamte Alltagsleben. Auch wenn industrielle Produktion damit keineswegs obsolet geworden ist, kann es sinnvoll sein, vom Aufkommen einer neuen, von der industriellen unterschiedenen „Entwicklungsweise“ zu sprechen, die jedoch keineswegs die kapitalistischen Grundverhältnisse in Frage stellt und industrielle Produktionsformen nicht ablöst, sondern verändert und ergänzt. Manuel Castells (2000; 2001: 13-18) versteht die um 1980 einsetzende mikroelektronische Revolution in diesem Sinne als „Informationalismus“ im Unterschied zum „Industrialismus“. „Entwicklungsweisen“ können demnach nebeneinander bestehen und überwölben die stark an Periodisierungen gebundenen Regulationsweisen, deren Wechsel zumeist auf die langen, auch als Kondratieff-Wellen bezeichneten Konjunkturzyklen zurückgeführt wird.

Wir haben demnach zunächst eine widersprüchliche Einheit zu konstatieren zwischen übergreifenden, auf der Ebene des immer schon globalen Gesamtsystems wirkenden Dynamiken einerseits und andererseits einer nach wie vor relevanten territorialstaatlichen und regionalen Gliederung, die neben Prozessen der Marginalisierung und intermittierenden Inwertsetzung zu Ausprägungen kapitalistischer Verhältnisse beiträgt, wie sie derzeit in der Vergleichenden Kapitalismusforschung diskutiert werden. Hier sind auch die säkularen Veränderungen in der internationalen Arbeitsteilung von Belang, da sie konzentriert die gegenseitigen Beziehungen unterschiedlicher regionaler Zusammenhänge ebenso konstituiert wie zum Ausdruck bringt.

Der etwa ab 1980 einsetzende Übergang wäre somit sowohl auf der Ebene der Regulationsweise mit dem Ende des Fordismus als auch auf jener der Entwicklungsweise mit dem Hinzutreten des Informationalismus anzusetzen. Anders als frühere, gleichfalls mit schweren Krisen verbundene Übergänge zwischen Regulationsweisen war dieser mit einer grundlegenden geographischen Neu-Konfiguration des weltweiten Kapitalismus verbunden. Konnte Mitte der 1970er Jahre die einsetzende „Neue Internationale Arbeitsteilung“ (Fröbel u.a. 1977) noch als wesentliche Veränderung wahrgenommen werden, die trotz aller Bedeutung jedoch nichts am geographischen Ort der globalen kapitalistischen Machtzentren in Nordamerika, Westeuropa und Nordost-Asien (Japan) änderte, so hat sich das Bild gründlich gewandelt. Schon 20 Jahre später konstatierten manche Beobachter die Verlagerung des Zentrums der Weltwirtschaft und selbst der Weltgeschichte nach China (Frank 1998; Arrighi 2005), und die Aussagen anderthalb Jahrzehnte später sind nicht minder dramatisch. Das Auftreten neuer regionaler Zentren kapitalistischer Akkumulation vor allem in Ostasien, aber auch in Lateinamerika legt nun nicht allein die Frage nahe, wie diese sich untereinander und von den alten Zentren unterscheiden. Zugleich verändert sich die Gesamtkonfiguration des Weltmarkts. Anzeichen für das Entstehen einer polyzentrischen Welt im Zeichen kapitalistischen Wirtschaftens sind schwerlich zu übersehen. Diese Tendenzen überschneiden sich mit anderen, die auf eine Entterritorialisierung sozioökonomischer Zusammenhänge hindeuten.

Diese Verhältnisse sind ihrerseits keineswegs uniform. In ihrem Kontext werden etwa im Rahmen globaler Produktionsketten die Arbeiten und Produkte von Menschen, die in informellen Sektoren aktiv sind, mit denen anderer, in Hightech-Firmen Beschäftigter oder aber auch mit solchen in Beziehung gesetzt, die unter Kriegsbedingungen auf eigene Rechnung oder in persönlicher Abhängigkeit, also in unfreier Arbeit, Mineralien zutage fördern, die für die Kommunikation im World Wide Web und mit der Cloud unerlässlich geworden sind. Hinzu kommen die Konsequenzen aus Schüben der Flexibilisierung und Prekarisierung, die auch in den alten kapitalistischen Zentren die einst normalisierten Beschäftigungsverhältnisse zurückgedrängt und die Ausbreitung von Gelegenheitsarbeit, informellem Erwerb und von Formen scheinbarer Selbständigkeit forciert haben. Es handelt sich um ganz unterschiedliche gesellschaftliche Formbestimmtheiten, die in einer bewusst unorthodoxen Wendung Marx’scher Terminologie als unterschiedliche Produktionsverhältnisse bezeichnet werden können. Diese Produktionsverhältnisse konstituieren dann freilich keine eigenständigen Zusammenhänge, also „Produktionsweisen“. Sie sind vielmehr, wie schon in der Periode des aufkommenden Kapitalismus die oben angesprochene Sklaverei in USA, dem Kapital subsumiert.

Was bedeutet das nun für eine begriffliche Vorstellung von Kapitalismus? Zunächst unterstreichen unsere kurzen und summarischen Überlegungen die Vielgestaltigkeit der Arbeitsverhältnisse und damit der Produktionsformen, in der Diktion der marxistischen Orthodoxie der Produktionsweisen, die in der einen oder anderen Form unter dem Kommando des Kapitals stehen. Dazu gehören klassische kapitalistische Großbetriebe mit Lohnarbeit, eventuell auch verbunden mit sozialen Sicherungssystemen ebenso wie Verhältnisse der Sklaverei oder der Schuldknechtschaft, offenbar in einigen der Sweat Shops, die in Ost‑ und Südasien für die billigeren Bekleidungsgeschäfte in aller Welt produzieren,[22] aber auch in zahlreichen Bergbaubetrieben in vielen Regionen, nicht zu vergessen landwirtschaftliche Produktion (vgl. etwa Wienold 2007: Kap. 9). Zu dieser Vielfalt direkt unter das Kapital subsumierter Arbeits‑ und Lebenszusammenhänge kommen die ebenfalls sehr vielgestaltigen Verhältnisse, die hier als Subsistenzproduktion angesprochen wurden und als indirekt dem Kapital subsumiert gelten können, im Fall der Hausarbeit etwa durch die Reproduktion der Arbeitskraft und damit vermittelt auch durch hierarchische Geschlechterverhältnisse. Dies kann hier ebenso wenig ausgeführt werden, wie die gleichfalls sehr vielgestaltigen Ausformungen des informellen Sektors.

Umrisse der Gesellschaftsformation Moderne

Die Arbeitsbeziehungen führen als Grundstrukturen zurück auf die umfassenderen gesellschaftlichen Verhältnisse. Bezogen auf Kapitalismus handelten die konventionellen Vorstellungen vom Proletariat von einer mehr oder weniger homogenen Klasse von Lohnabhängigen, die zumindest der Tendenz nach zu kollektiver Handlung fähig sei. Das wird auch in den Schriften von Karl Marx sehr deutlich (s. Kößler & Wienold 2013: 252-278). Eine solche Sicht erweist sich gegenüber den hier lediglich schlaglichtartig angesprochenen vielfältigen Verhältnissen als unzureichend. Sie ent-thematisiert die Mehrheit der Arbeitsleistungen und deren Subjekte und läuft daher zugleich Gefahr, Herrschaftsverhältnisse unversehens noch da zu reproduzieren, wo deren radikale Negation intendiert ist.

Allerdings erscheint der unterschiedslose, begrifflich nicht weiter differenzierende Einschluss aller dieser gesellschaftlichen Formen in ein dem Kapital unterworfenes „Multiversum der Arbeiterinnen und Arbeiter“ oder ein „proletarisches Multiversum“ (van der Linden & Roth 2009b: 561, 563) als immer noch unbefriedigend. Hierbei besteht die Gefahr, die Differenzen zwischen doch sehr unterschiedlichen Verhältnissen allzu stark einzuebnen. Zumal im Kontext der Marx’schen Theorie geht damit die zentrale theoretische Errungenschaft der gesellschaftlichen Formbestimmtheit einmal mehr verloren. Die Frage nach der Formbestimmtheit leitet jedoch zur Unterscheidung und damit zu der Frage an, wie genau die aus dieser Sicht ungeachtet ihres letztendlichen Zusammenhangs stark differenzierten Verhältnisse miteinander in Beziehung stehen.

Aus der Perspektive einer übergreifenden Gesellschaftsformation der durch den Kapitalismus bestimmten, aber nicht mit ihm in eins fallenden Moderne[23] lässt sich auch dieses Problem bearbeiten. Moderne als Gesellschaftsformation bezeichnet einen strukturierten, übergreifenden gesellschaftlichen Zusammenhang, der über die bereits angeführten Differenzierungen auf der Ebene von Regulationsweisen hinaus unterschiedliche Ausformungen umfasst, von denen nicht von ungefähr hier die Arbeitsverhältnisse besonders betont wurden. Diese Unterschiede lassen sich ihrer gesellschaftlichen Formbestimmtheit nach ebenso untersuchen wie nach ihrer regionalen Konzentration.

Anhand der bisherigen, grob 250 Jahre umfassenden Geschichte des Kapitalismus und der mit ihm einhergehenden globalen Transformationsprozesse lassen sich neben der hegemonialen kapitalistischen „Produktionsweise“ weitere gesellschaftliche Ausformungen oder auch „Produktionsweisen“ unterscheiden, die nicht oder allenfalls in stark modifizierter Form als „kapitalistisch“ bezeichnet werden können, aber eindeutig der gesellschaftlichen Moderne zuzuordnen und nicht ohne den Kapitalismus zu denken sind. Diese Produktionsweisen waren oder sind demnach vorab synchron zu verstehen und liegen insofern quer zu dem diachron, vor allem unter den Verhältnissen des metropolitanen Kapitalismus zu beobachtenden Wechsel der Regulationsweisen. Auch wo diese – wie etwa der Fordismus – deutlich durch staatliche Politik und institutionelle Strategien geprägt sind, lassen sie sich daher nicht im Rahmen einer staatlich umrissenen Volkswirtschaft adäquat verstehen.[24] Die Bezeichnung der zu betrachtenden Verhältnisse als „Produktionsweise“ verweist auf die Ebene gesellschaftlicher Tiefenstrukturen und damit auf grundlegende Unterschiede zum Kapitalismus im strengen Sinne.[25]

Bisher lassen sich diese unterschiedlichen Ausformungen der Moderne ungeachtet zahlreicher Überschneidungen auch regional voneinander abgrenzen. Damit bestehen Ansatzpunkte für typologische Analysen, doch sollte klar zwischen derartigen Unternehmen und Überlegungen zu gesellschaftlichen Tiefenstrukturen unterschieden werden. Eine weitere temporale Dimension besteht, soweit die informationelle „Entwicklungsweise“ mit dem Einsetzen der mikroelektronischen Revolution verknüpft wird. Diese Differenzierung, die auch die industrielle Entwicklungsweise berücksichtigt, erlaubt es zugleich, die historisch wichtige Anwendung industrieller Produktionsformen in unterschiedlichen Gesellschaftsformen, dem Kapitalismus und Gesellschaften sowjetischen Typs ebenso wie postkolonialen Gesellschaften, begrifflich aufzunehmen.

Damit sind bereits die Ausformungen angesprochen, die sich aufgrund der bisherigen Geschichte von gesellschaftlicher Moderne und Kapitalismus unterscheiden lassen. Unverkennbar sind für diese Formen bisher noch keine befriedigenden Bezeichnungen gefunden und die folgende Terminologie trägt den Charakter des Provisorischen. Neben dem Kapitalismus als der „hegemonialen“ schlage ich vor, als „konkurrierende“ Produktionsweise den „Etatismus“ sowie als „komplementär subordinierte“ Produktionsweise „postkoloniale Gesellschaften“ zu unterscheiden. Dies soll abschließend umrisshaft erläutert werden.

Kapitalismus ist nicht ohne eine von metropolitanen Verhältnissen deutlich unterschiedene Außensphäre empirisch anzutreffen oder außerhalb abstraktester Modellbildung auch denkbar. Koloniales Ausgreifen ist eines seiner systematischen Kennzeichen, und es bedeutet ein bleibendes Verdienst der Dependencia-Debatte, nachdrücklich auf den damit gegebenen ko-evolutionären Zusammenhang unterschiedlicher Entwicklungslinien hingewiesen zu haben, die ferner in einem asymmetrischen, hierarchischen Verhältnis zueinander stehen. Dies rechtfertigt die Bezeichnung kolonialer wie postkolonialer Gesellschaften nicht nur als dem metropolitanen Kapitalismus subordiniert, sondern zugleich auch ihm komplementär. Positionsverschiebungen innerhalb der Weltmarkthierarchie einschließlich von Wechseln zwischen beiden Sphären tun der Gültigkeit des strukturellen Prinzips keinen Abbruch. Festzuhalten bleibt für die Gegenwart jedoch eine verstärkte Volatilität der Beziehungen zwischen metropolitanem Kapitalismus und postkolonialen Gesellschaften. Insbesondere Afrika unterlag in den 1990er Jahren großteils einer als Zwangsabkoppelung vom Weltmarkt und Exklusion interpretierten Tendenz zur Marginalisierung, während nicht zuletzt die rasante Entwicklung industriell-kapitalistischer Verhältnisse in China und anderen Schwellenländern, aber auch neue technologische Entwicklungen im darauf folgenden Jahrzehnt zumindest in wichtigen Regionen des Kontinents zu scharfer Konkurrenz bei der Sicherung von Bodenschätzen und anderen Naturressourcen führten. Demnach hätte intermittierende Inwertsetzung gegenüber kontinuierlicher subordinierter Integration an Bedeutung gewonnen. Die Komplementarität dieser Verhältnisse einer „postkolonialen Produktionsweise“ zum Kapitalismus ergibt sich nicht zuletzt aus den Prozessen der Inwertsetzung.

Die Entwicklung des Kapitalismus im 20. wie auch im beginnenden 21. Jahrhundert lässt sich ferner nicht adäquat verstehen ohne die – freilich nicht dauerhafte – Präsenz eines konkurrierenden Gesellschaftsmodells in Gestalt des bolschewistischen Experiments. Eric Hobsbawm (1994: x) unterstrich die Bedeutung dieses Sachverhalts mit der oft zitierten Periodisierung des „kurzen 20. Jahrhunderts“. Wesentliche Aspekte wie die Entstehung und Ausbreitung des Fordismus oder auch korporatistischer Formen, z.B. der „Institutionalisierung des Klassenantagonismus“ (Geiger 1949: 182), sind eng mit diesem für das 20. Jahrhundert zentralen Sachverhalt verknüpft. Gleiches gilt für die aktuellen Krisenerscheinungen, denen diese Arrangements unterliegen. Die inneren Widersprüche der Gesellschaften sowjetischen Typs können hier nicht ausgebreitet werden (vgl. etwa Conert 1990), doch die besondere, unmittelbar ökonomische Rolle des Staats‑ sowie des Parteiapparats (vgl. auch Kößler 1993: Kap. 7, 8) legen die Bezeichnung „Etatismus“ im Sinne einer abgrenzbaren Produktionsweise nahe. Entscheidend ist der konstante Bezug auf den metropolitanen Kapitalismus, nicht nur als Konkurrenten, den es durch Produktivitätsfortschritte und gesellschaftliche Errungenschaften auszustechen gelte („Einholen und Überholen“), sondern auch im Rahmen entscheidender Technologietransfers und einer großenteils militärisch definierten Systemkonkurrenz. Gerade die Parameter letzterer unterstreichen die gemeinsame Verankerung in der Moderne. Und dies trug entscheidend zur Implosion des Sowjetsystems bei, weil die Schwerpunktsetzung auf unproduktiven Aufwendungen wie Rüstung und Weltraumfahrt das bereits eingeschriebene Übergewicht des Produktionsgütersektors verschärfte. Durchaus in modernistischer Perspektive lag der gesamten sowjetischen Entwicklungstrategie eine systematische Unterschätzung der gesellschaftlichen Bestimmtheit kapitalistischer Technologien und ihrer Herrschaftsförmigkeit zugrunde. Sie wurden in strategischen Teilen in ihren avanciertesten Formen übernommen; nicht zufällig durchzog die Debatte über Effizienz wie ein roter Faden die letzten Jahrzehnte der Sowjetunion. Es geht daher nicht allein um systematische Vollständigkeit, wenn diese Ausformung der Moderne in die im Schaubild auf Seite 174 versuchte Übersicht eingetragen wird.

Schaubild: Ausformungen einer gegliederten gesellschaftlichen Moderne

PW                         EW

Industrialismus

Informationalismus

Kapitalismus

industrieller Kapitalismus:
hegemonial

informationeller Kapitalismus

(Post‑)Kolonialismus

(post‑)koloniale Integration:
komplementär subordiniert

Intermittierende Inwertsetzung bei fortdauernder komplementärer Subordination

Etatismus

Gesellschaften sowjetischen Typs: konkurrierend

(Implosion)

Adaptiert aus Kößler 2005: 80

Derartige Schemata können niemals der Komplexität gerecht werden, durch die sie Schneisen schlagen. Auch können nicht alle Dimensionen an dieser Stelle expliziert werden. Es geht hier lediglich um einen Vorschlag, wie es gelingen kann, innerhalb der entscheidend durch den Kapitalismus im hier umrissenen Sinn geprägten gesellschaftlichen Moderne unterschiedliche Formen gesellschaftlicher Beziehungen nicht nur zu unterscheiden, sondern zugleich ihre Verweisungs‑ und Wirkungszusammenhänge im Auge zu behalten. Wesentlich ist dabei, die aufgeführten Kategorien nicht als diachrone Abfolge zu verstehen, sondern als begriffliche Instrumente, ein Geflecht qualitativ unterschiedlicher gesellschaftlicher Formen zu verstehen.

Der oben konstatierten funktionalen Beziehung zwischen dem kapitalistischen Betrieb, der Lohnarbeit und der mit Kapitalakkumulation bezeichneten Dynamik ebenso wie Krisenhaftigkeit kommt dabei eine besondere, andere gesellschaftliche Formen prägende Bedeutung zu. Sklaverei ist nicht einfach Sklaverei, wenn sie zum „Piedestal“ des Kapitalismus wird, Kleinbetriebe werden durch ihre Einbindung in den kapitalistischen Weltmarkt anders bestimmt als in rein lokalen Marktzusammenhängen. Die immer notwendige historische Konkretion ergibt sich aus dem Kontext des durch die Dynamik des Kapitals konstituierten und geprägten Weltzusammenhangs. Er lässt sich heute durchaus als weltgesellschaftliche Verflechtung verstehen. Es gilt jedoch zu berücksichtigen, dass dieser Nexus keineswegs zu der zu Beginn der Moderne, aber etwa auch in der Euphorie nach dem Umbruch 1989/91 vielfach erwarteten Uniformität geführt hat. Bisher ergibt sich vielmehr ein verwirrendes Bild einander häufig überkreuzender, überschneidender Entwicklungslinien, die doch den hierarchischen Aufbau der unterschiedlichen Produktionsverhältnisse nicht in Frage stellen.

Die aktuelle Dynamik des Gesamtsystems verleiht Prognosen über die Perspektiven einzelner Länder und Regionen etwas Spekulatives. Überlegungen zu gesellschaftlichen Tiefenstrukturen machen jedoch zugleich eine prinzipielle Schwierigkeit deutlich: Nehmen wir den hier in den Mittelpunkt gestellten Blick auf den durch das Kapitalverhältnis sowie durch die aus der Kapitalverwertung entstehenden Dynamiken und Zwänge konstituierten, in sich höchst differenzierten Weltzusammenhang ernst, so verweigert sich diese Perspektive vor aller Kritik an einem methodologischen Nationalismus der regionalen Einengung. Damit soll keineswegs die Notwendigkeit und Berechtigung solcher Analysen in Abrede gestellt werden. Es gilt aber, die Unterschiede zwischen den so bezeichneten Ebenen und den damit gegebenen unterschiedlichen logischen Status der jeweils auf sie bezogenen Aussagen im Auge zu behalten. Die knappen Hinweise auf die Grenzen von Ansätzen Vergleichender Kapitalismusforschung oder auch der Ansätze zu multiple modernities sollten deutlich machen, dass diese ungeachtet sonstiger, hier nicht in Frage gestellter Verdienste gerade hierzu wenig geeignet sind, ja noch nicht einmal die dann entscheidenden Fragen stellen. Der skizzierte Lösungsversuch soll einen Beitrag auf dem Weg zumindest zu diesen Fragen leisten.

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Anschrift des Autors:
Reinhart Kößler
reinhart.koessler@abi.uni-freiburg.de

 

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*      Der folgende Text nimmt ältere Überlegungen wieder auf (s. Kößler 1990; 1993; 1994; Kößler & Schiel 1997); zu danken habe ich für Anregungen und Kritik aus der Redaktion, insbesondere Ingrid Wehr, Gerhard Hauck und Matthias Ebenau, sowie zwei anonymen Gutachten, vor allem aber für einen erinnernden Einwurf von Tilman Schiel.

[1]      Grundlegend hierzu Rosdolsky 1968 [1969].

[2]      Vgl. den Großteil der Beiträge in Bruff u.a. 2013; auch Dörre u.a. 2012a; über anderweitige Verdienste einzelner Beiträge oder solcher Sammelbände insgesamt ist damit noch nichts gesagt.

[3]      Die Gleichsetzung von „Volkswirtschaft“ mit „politischer Ökonomie“ (s. auch Nölke 2013) ist daher aus systematischen Gründen höchst problematisch sowie aus theoriegeschichtlichen Gründen irritierend.

[4]      Die hier implizierten Probleme der Periodisierung können aus Platzgründen nicht erörtert werden.

[5]      Im Folgenden stehen „Kapitalist“ und „Unternehmer“ für die in den klassischen Texten auftretenden Charaktermasken (Marx), die nicht zufällig allermeist männlich waren.

[6]      Max Weber 1920 führt auch einen Katalog ganz anderer Bereiche auf (s. Hauck u.a. 2013).

[7]      Marx führt für diesen Mechanismus vor allem den tendenziellen Ausgleich der Profitrate an (1893 [1964]: III. Abschnitt).

[8]      Vgl. zur Formbestimmtheit Kößler & Wienold 2013: 48-54; auf die Mechanismen der Ausbeutung, insbesondere der Lohnarbeit, kann hier nicht eingegangen werden, s. dazu ebd.: 143-152.

[9]      Wenn im Folgenden von „Orthodoxie“ die Rede ist, wird damit keineswegs unterstellt, diese entspreche den Absichten des Autors; s. auch Lukács 1923: Kap. 1 („Was ist orthodoxer Marxismus?“).

[10]    S. auch das Resümee der diesbezüglichen feministischen Diskussion bei Aulenbacher 2012: 114-119.

[11]    Vgl. etwa Christopher u.a. 2007; Meagher 2008; Wolpe 1972 [1995]; grundlegend zu dieser Problematik Lewis 1954; s. auch Fn. 12.

[12]    Tilman Schiel (1988: bes. 58f) hat dies als Ausweitung des effektiven bei Einengung des beherrschten Lebensraums gefasst.

[13]    Wie damit auch das Reden vom „Ende“ oder einer „Krise der Arbeitsgesellschaft“, s. bes. Matthes 1983; Offe 1984.

[14]    Vgl. hierzu die aufklärende Abgrenzung zwischen Geschichte und genetischer – nicht „logischer!“ – Darstellung der Begriffe bei Marx: Haug 2012: 374ff, 378ff.

[15]    Die englische Fassung „uneven development“ verweist ohne zeitliche Konnotation eher auf Uneinheitlichkeit; vgl. auch Harvey 2005 [2006]: bes. 77; ferner eine Reihe von Beiträgen in Bruff u.a. 2013, freilich mit der m.E. ebenfalls unglücklichen Übersetzung von „uneven“ als „ungleich“.

[16]    Klassisch hierzu, wenn auch in der Folge oft missverstanden und kontrovers diskutiert: Hobsbawm & Ranger 1983.

[17]    Auf staatliche Impulse zur Einleitung der revolutionären Veränderungen in England seit dem späten 17. Jahrhundert kann hier nicht eingegangen werden.

[18]    S. auch Babacan & Gehring 2013.

[19]    Der Rückgriff auf diese aktuell nur noch ausschnitthaft erinnerte Debatte (s. Mies 2009) ist noch immer lohnend: s. bes. Meillassoux 1975; Arbeitsgruppe Bielefelder Entwicklungssoziologen 1979; Elwert & Fett 1982; Lenz & Rott 1984; Werlhof u.a. 1983 sowie Peripherie, Nr. 3, 1980; vgl. Fn. 10.

[20]    S. auch zu den formationstheoretischen Aspekten Kößler & Schiel 1997: Kap. 1 & 2; Kößler 1993; 2005.

[21]    Einen exzellenten kritischen Überblick gibt Görg 2003: Teil II.

[22]    Im Frühjahr 2013 ziehen diese Formen der Über-Ausbeutung durch eine Serie schwerer Unglücksfälle in der Bekleidungsindustrie in Bangladesh ungewöhnliche Aufmerksamkeit auf sich.

[23]    Das Folgende nimmt im Wesentlichen Überlegungen aus Kößler 2005: bes. 78-81 auf.

[24]    Vgl. zu dieser Problematik Becker 2002; es wäre eine eigene Aufgabe, die Konsequenzen dieser Wechsel für nicht-metropolitane Gesellschaften zu untersuchen.

[25]    Darin liegt eine klare Abgrenzung zum Fünf-Stadien-Schema, das noch die „Produktionsweisendebatte“ der 1970er Jahre wesentlich bestimmte.