Senioren-Jabos, menschlicher Faktor & Atombomben

Beim Anflug auf den Bundesluftwaffen-Fliegerhorst Büchel in der Eifel stürzte am 9. Januar ein Kampfbomber der Bundesluftwaffe vom Typ Tornado wenige Kilometer vor dem Ziel ab. Die Maschine gehörte zum Taktischen Luftwaffengeschwader 33, das in Büchel stationiert ist und das insgesamt 27 Maschinen umfasst – pardon: jetzt nur noch 26. Beide Piloten konnten sich mit dem Schleudersitz retten. Ein Sprecher des zuständigen Ministeriums erklärte: Munition habe sich nicht an Bord befunden.
Das beruhigt schon mal, denn beim Luftwaffengeschwader 33 handelt es sich um jene bundesdeutschen Tornados, die gegebenenfalls mit den auch auf dem Fliegerhorst gelagerten letzten US-Atombomben auf deutschem Boden eingesetzt werden sollen. „Tornadoabsturz in Atomwaffennähe“ – verkürzte der Bundesverband Bürgerinitiativen Umweltschutz (BBU) in seinem üblichen kurzatmigen Alarmismus denn auch sofort das Geschehen.
Offiziell verlautbarte nach dem Unglück, dass für technisches Versagen der Maschine keine Indizien vorlägen. „Unabhängig vom Baujahr sind unsere Flugzeuge in einem […] einwandfreiem Zustand und werden regelmäßig gewartet“, beeilte sich Luftwaffen-Oberstleutnant Jörg Langer von der zentralen Ansprechstelle des Presse- und Informationszentrums der Luftwaffe zu erklären. (Was solche flotten Erklärungen am Ende oder auch schon nach kurzer Zeit unter Umständen noch wert sind, konnte an den Mogeleien des ADAC erst jüngst wieder eindrücklich besichtigt werden, und bevor jetzt wer Luft holt, um zu meinen, die Bundeswehr sei schließlich kein beliebiger Verein, der soll nur an die Kommunikationskapriolen nach Kunduz erinnert werden.)
Zur Absturzursache berichtete die Rhein-Zeitung, es habe in Büchel eine Nachtübung stattgefunden, an der auch der verunglückte Tornado teilnahm: Das Kampfflugzeug soll etwas zu tief geflogen sein und habe nahe der Autobahn A 48 etwas gestreift, möglicherweise einen Erdwall.
Der Hinweis auf „kein technisches Versagen“ erfolgte nicht von ungefähr sehr rasch – praktisch bevor die Untersuchungen vor Ort überhaupt richtig angelaufen waren. Kritiker verweisen nämlich seit langem darauf, dass die Tornados nicht nur veraltet sind, sondern inzwischen auch dienstdauermäßig am Limit fliegen. Eine Überschrift im Handelsblatt zum jetzigen Absturz brachte es auf den Punkt: „Der Jagdbomber im Rentenalter“.
Die Entwicklung des Kampfjets hatte bereits Ende der 1960er Jahre begonnen. Was ursprünglich ein Gemeinschaftsprojekt zwischen den Niederlanden, Belgien, Kanada, Italien und der Bundesrepublik werden sollte, wurde schließlich eines zwischen Deutschland, Italien und Großbritannien. Letzteres setzte sich mit dem Konzept eines zweisitzigen zweistrahligen Flugzeugs durch. Der Erstflug fand am 14. August 1974 in Manching bei München statt. Die Endmontage erfolgte später parallel in allen drei beteiligten Ländern. 1976 erhielt das bis dahin als Multi-Role Combat Aircraft (MRCA) bezeichnete Flugzeug den Namen Tornado. Hergestellt wurden insgesamt 977 Maschinen, davon 357 für die Bundesrepublik, von denen noch rund 180 im Dienst sind. (Außerhalb der NATO erhielt Saudi-Arabien 120 Maschinen.) Eingestellt wurde die Produktion 1999. – Abgestürzt sind seit Einführung mehr als 40 der Bundeswehr-Maschinen. Davon mit der jetzigen allein zwölf seit Mitte der 90er Jahre, wobei immerhin dreimal gleich je zwei Tornados final crashten.
Am Laufbahnbeginn des Jagdbombers war eine seiner Kampfwert steigernden Innovationen ein Geländeverfolgungsradar, das vergleichsweise extreme Tiefflüge ermöglichen sollte – zum Schutz vor gegnerischer Radarerfassung vom Boden aus und damit für größere Sicherheit gegenüber Luftabwehrsystemen. Unentdecktes tiefes Eindringen in feindliche Räume war das Ziel. Dieses Bordradar des Tornado sollte natürlich zuvorderst auch dafür sorgen, dass der Vogel Bäume, Bauwerke oder andere bodenständige Hindernisse wie etwa Erdwälle an Autobahnen nicht touchiert. Wenn dieses Radar den jetzigen Absturz nicht verursacht hat, wie die bisherigen offiziellen Verlautbarungen quasi implizit mitgeteilt haben, dann kann eigentlich nur ein Pilotenfehler („menschliches Versagen“) im Spiel gewesen sein.
Die psychischen und physischen Anforderungen an Kampfpiloten sind hoch. Seit langem aber gibt es Klagen wegen zunehmend eingeschränkter Flugpraxis. Nach NATO-Standards gelten 180 Flugstunden per anno als erforderlich, um „combat ready“ zu bleiben. Bundeswehr-Piloten aber müssen lediglich 70 Flugstunden jährlich nachweisen, um ihres Fliegerscheins nicht verlustig zu gehen. Da sind dann aber auch 30 Stunden nur im Simulator bereits mitgezählt. Von Routine im Cockpit kann da schwerlich die Rede sein. Ursächlich für diese Flugpraxis auf Sparflamme sind nicht zuletzt die Kosten: Eine Flugstunde des Tornados läppert sich auf rund 45.000 Euro.

Exkurs: Nicht zuletzt gibt es allerdings auch Formen menschlichen Versagens, die mit zu geringer Flugpraxis eher weniger zu tun haben. Dem Autor wurde vor einigen Jahren von einem Tornado-Piloten berichtet, der mit erkennbarem Stolz von einer Degradierung sprach, die ihm in seiner Dienstzeit widerfahren war: Bei einem Aufklärungsflug hatte er unter anderem Luftaufnahmen von einer Brücke über eine Wasserstraße zu machen. Die Fotoauswerter standen ob der ungewöhnlichen Optik der Aufnahmen zunächst vor einem Rätsel. Das klärte sich dahingehend auf, dass die Brücke von unten fotografiert worden war – der Pilot hatte sie demzufolge in Rückenlage unterquert. Nicht, dass den Piloten aus Büchel hier Ähnliches unterstellt werden soll. Dann hätten sie sich ja auch kaum mittels Schleudersitz retten können.

Veraltet sind nach Auffassung ihrer amerikanischen Eigentümer auch die atomaren B61-Bomben von Büchel. Das müsste an sich kein Problem sein, denn dass es für diese Waffen seit dem Zerfall des Warschauer Paktes und der Sowjetunion gar keine plausiblen militärischen Szenarien mehr gibt und dass potenzielle Ziele, wenn überhaupt, dann allenfalls in Russland und damit praktisch außerhalb der regulären Reichweite der Atomvögel, die je nach Zuladung bis zu 1.400 Kilometer beträgt, auszumachen wären, ist unter Experten praktisch unbestritten und auch im Blättchen schon wiederholt thematisiert worden. Trotzdem ist längst ein Milliarden-Programm angelaufen, um aus den jetzigen B61-Modellen ein völlig neues Waffensystem zu machen und dieses dann bis wenigstens 2050 einsatzbereit zu halten. Aus der heutigen Bombe soll dabei eine zielgenaue Lenkwaffe mit der Bezeichnung B61-12 werden, deren Stationierung in wenigen Jahren auch in Büchel anstände. Aus einer bisher taktischen Kernwaffe könnte im Zuge dieser Entwicklung nach Auffassung nicht weniger Experten zugleich eine künftig strategische werden.
Zu den heutigen Problemen der Tornados in Büchel käme dann aber ein gravierendes weiteres hinzu. Zwar könnten sie laut Bundesluftwaffe in ihrem derzeitigen Zustand mindestens bis 2025 eingesetzt werden, und dass eine Einsatzdauer auch darüber hinaus ins Auge gefasst ist, hat das Bundesverteidigungsministerium bereits im September 2012 auf eine Anfrage der Linken im Bundestag eingeräumt. Über das Equipment für den Einsatz einer nuklearen Lenkwaffe verfügen die Tornados jedoch nicht. Letztlich ist dies aber kein Handicap, das sich nicht mittels ein paar Millionen Euro für eine entsprechende Modernisierung lösen ließe.
Und darauf wird es wohl hinauslaufen. Denn während die abgewählte schwarz-gelbe Bundesregierung sich auf Betreiben der FDP noch in ihre Koalitionsvereinbarung geschrieben hatte, auf einen Abzug der restlichen US-Kernwaffen hinwirken zu wollen und diese Frage von Außenminister Guido Westerwelle im Rahmen der NATO wiederholt thematisiert worden ist, wenn auch mit eher kontraproduktivem Ergebnis, so heißt es im jetzigen Koalitionsvertrag lediglich: „Solange Kernwaffen als Instrument der Abschreckung im strategischen Konzept der NATO eine Rolle spielen, hat Deutschland ein Interesse daran, an den strategischen Diskussionen und Planungsprozessen teilzuhaben“. Das lässt wirklich alles offen. Auch das Gegenteil.