Das Unsichtbare sichtbar machen

Ein Interview zur Aktionskonferenz Care Revolution

Vom 14. bis 16. März 2014 fand in Berlin die Aktionskonferenz Care Revolution unter dem Motto „Her mit dem guten Leben – für alle weltweit!“ statt. Veranstalterin war die Rosa-Luxemburg-Stiftung, KooperationspartnerInnen der Konferenz waren etliche in den Feldern sozialer Reproduktion gesellschaftspolitisch, zum Teil bundesweit aktive Initiativen, Gruppen und Bündnisse. Themen der Vorträge und Workshops waren die unterschiedlichen Aspekte der Care-Arbeit, ihre gesellschaftlichen und ökonomischen Rahmenbedingungen sowie Möglichkeiten der Veränderung hin zu einer bedürfnisorientierten Care-Ökonomie, über die sich die rund 500 TeilnehmerInnen der Konferenz ausgetauscht haben und welche in einer öffentlichkeitswirksamen Aktion auch auf die Straße getragen wurden. Mit Stefan Paulus, der die Care Revolution mitorganisiert hat, sprach die DA über die Intention, den Verlauf und die Ergebnisse der Konferenz, welche als Care Resolution vollständig auf dem Blog care-revolution.site36.net nachzulesen sind.

Du hast die Konferenz mit vorbereitet. Wie verlief sie? Es war zu lesen, dass sie komplett ausgebucht war. Ein voller Erfolg also?

Ja durchaus! 500 Menschen aus verschiedenen Feldern sozialer Reproduktion – Gesundheit, Pflege, Assistenz, Erziehung, Bildung, Wohnen, Haushalts- und Sexarbeit – haben sich drei Tage über persönliche und politische Erfahrungen ausgetauscht. Zum Abschluss der Konferenz konnten wir uns noch auf gemeinsame Forderungen verständigen die in einer Resolution festgehalten wurden. Ich denke schon, dass hierbei von einem vollen Erfolg gesprochen werden kann.

Was war die Intention genau jetzt eine solche Konferenz zu veranstalten?

Die Intention eine solche Konferenz zu organisieren lag darin, dass wir keine Lust mehr haben in einem System leben zu müssen, bei dem menschliche Bedürfnisse nur noch eine Rolle spielen, wenn sie für die Herstellung einer flexiblen, leistungsstarken, gut einsetzbaren Arbeitskraft von Bedeutung sind. Care Work, also sich um andere oder sich selbst kümmern, Beziehungen aufrecht erhalten, sich mit FreundInnen treffen oder einfach nur zu faulenzen, wird in dem aktuellen Gesellschaftsentwurf – wenn überhaupt – nur gering geschätzt. Deshalb wollten wir den Widerspruch zwischen Profitmaximierung und der Reproduktion der Arbeitskraft sichtbar machen.

Die Konferenz fand in Kooperation und unter Beteiligung von Initiativen unterschiedlichster politischer Ausrichtung – von ver.di- über Antifa-Gruppen bis zum Arbeitskreis mit_ohne Behinderung – statt. Diese Vielfalt war also durchaus erwünscht. War sie eine Bereicherung oder barg sie letztendlich eher Konfliktpotenzial?

Sicherlich sind unterschiedliche Sichtweisen zu einem bestimmten Thema eine Bereicherung. Daraus ergeben sich Denkalternativen und Möglichkeiten aus dem je eigenen Biotop herauszukommen. Wir haben den Ablauf so geplant, dass in Workshops zu einem bestimmten Thema Lohnabhängige, Betroffene und Angehörige ihre je eigenen Erfahrungen darstellen konnten. Damit wurde zumindest eine Plattform geschaffen, dass – zum Beispiel – für den Bereich der persönlichen Assistenz und Pflege die Perspektiven, Probleme und Interessenskonflikte beruflicher Care WorkerInnen mit den Erfahrungen von AssistenznehmerInnen und von Menschen mit hohen familiären Sorgeverpflichtungen zusammengebracht wurden. Zum Beispiel sind die von der Pflege Abhängigen in ihrer Autonomie wesentlich beeinträchtigt, wenn Care WorkerInnen streiken. Für diesen Bereich konnte zumindest geklärt werden, dass eine gewerkschaftliche Organisierung nicht damit verbunden ist Personen zu bestreiken, sondern darin liegt, gemeinsame Lösungen mit AssistenznehmerInnen und Angehörigen auszuhandeln; denn gute Pflege und Assistenz beinhaltet für alle Beteiligten sichere und humane Arbeitsbedingungen.

Wie steht es deiner Meinung nach – nach den Erkenntnissen aus der Konferenz – um die Organisierung von unten zur Forderung und Durchsetzung besserer Löhne, Arbeitsbedingungen und Anerkennung in der Care-Arbeit?

Wie schon gesagt: Die Konferenz hatte zum Ziel Menschen aus unterschiedlichen sozialen Auseinandersetzungen um die Daseinsvorsorge miteinander ins Gespräch zu bringen. Ob sich nun eine neue Stärke von unten für die weiteren politischen Auseinandersetzungen um die Bedingungen in KiTas, Schulen, Krankenhäusern, Altenheimen sowie um eine bessere Entlohnung und humane Arbeitsbedingungen für die dort Beschäftigten herstellt, lässt sich jetzt noch nicht feststellen. Ich denke, dass die Aktionskonferenz ein deutliches Signal gesetzt hat, dass Niedriglöhne, rechtlose Arbeitsbedingungen, Rationalisierungsdruck, Überforderung und Erschöpfung sowie die Verbetriebswirtschaftlichung von PatientInnen nicht mehr hingenommen werden. Sicherlich müssen neue Organisationsformen und -ansätze gefunden werden, welche die jeweiligen Perspektiven miteinander verbinden können – dabei ist auch die FAU gefragt.

Wurde der Auseinandersetzung mit der Situation der – auch in der Resolution nochmals erwähnten – migrantischen Care-ArbeiterInnen, die oftmals unter noch miserableren Bedingungen arbeiten, während der Konferenz viel Raum eingeräumt?

Ich denke ja. Es gab unterschiedliche internationale Beiträge zum Thema. Zum Beispiel gab es den Workshop „Care über Grenzen hinweg“, indem die Filmemacherin Anne Frisius von Kiezfilme und Mónica Orjeda von Verikom aus Hamburg einen Film zu Arbeitsausbeutung und Menschenhandel mit dem Zweck der Arbeitsausbeutung zeigten. In diesem Film kommen VertreterInnen der Gruppe der Hausangestellten von der Gewerkschaft FNV Bondgenoten (Niederländischer Gewerkschaftsbund) und „illegalisierte“ AktivistInnen aus den Philippinen, aus Afrika und Lateinamerika zu Wort. Die Hausangestellten ohne Papiere organisieren sich über die Gewerkschaft und kämpfen gemeinsam für die Anerkennung ihrer Rechte als Domestic Workers. Sie verlangen u.a. die Ratifizierung der ILO-Konvention 189 und damit die Anerkennung als LohnarbeiterInnen. Auch eine wesentliche Forderung „illegalisierter“ Care WorkerInnen wurde in die Resolution aufgenommen: Das Recht auf Rechte!

Gibt es aussichtsreiche Ansätze, Care-Arbeit verschiedener Ausrichtung selbst-organisiert, bspw. in Kollektiven zu organisieren?

Ja, durchaus. Die KollegInnen der Tagespflege Lossetal, ein Kollektiv der Kommune Niederkaufungen, sind ein solches Beispiel. Das Kollektiv ist eine Tagespflege-Einrichtung für demenziell erkrankte Menschen. Im Team gibt es unterschiedliche Fachbereiche wie Pflege, psycho-soziale Betreuung, Verwaltung und Hauswirtschaft. Ihr Ziel ist es, wie sie sagen, „Menschen in Gesellschaft bringen“ und selbstverwaltete Betriebe und hierarchiefreie Strukturen aufzubauen, um selbstbestimmt leben zu können. Und soweit ich weiß, werden noch examinierte Pflegekräfte gesucht, die Interesse am Kommuneleben haben und im Tagespflegekollektiv arbeiten möchten.

Der letzte Tag stand unter dem Motto: „Care Revolution – wie weiter?“. Kannst du etwas zu auf der Konferenz eventuell entstandenen Zusammenschlüssen sagen, bzw. gibt es in Zukunft eine (stärkere) Zusammenarbeit der verschiedenen Gruppen? Wie wird/soll/kann es weitergehen?

Ich hoffe doch. Auf der gesamten Konferenz war eine deutliche Aufbruchsstimmung zu spüren. Jetzt geht es darum, den Schwung mit in neue Aktivitäten zu nehmen. Die am Sonntag verabschiedete Care Resolution beschreibt die weitere Zusammenarbeit, in der u.a. die Gründung des Netzwerk Care Revolution festgehalten wurde. Als nächste konkrete Schritte sind die Aktivitäten zum 1. Mai unter dem Motto „Tag der unsichtbaren Arbeit“ geplant sowie die Mobilisierung zu den europaweiten Blockupy-Aktionstagen im Mai. Letztlich geht es darum, die „Politik der ersten Person“ weiter zu forcieren. Hierzu laden wir Euch und Eure LeserInnen herzlich ein.

Vielen Dank für das Interview!

Anmerkung: „Das Unsichtbare sichtbar machen – Care auf die Straße tragen“ war der Titel der Aktion am 15.03.2014.

Dieser Artikel erschien zuerst in der Direkten Aktion #223 - Mai / Juni 2014