Das Linksradikale an der Staatsknete

Ist das bedingungslose Grundeinkommen (BGE) ein Konzept, das uns beim Kampf gegen Lohnarbeit und (Selbst-)Ausbeutung weiter bringt? Eine Frage, die wir in der Graswurzelrevolution (GWR) intensiv diskutiert haben. Den Anfang machte im Oktober 2007 in der GWR Nr. 322 die Labournet-Redakteurin Mag Wompel. Auf ihren Diskussionsbeitrag „Realisierbar ist, wofür wir kämpfen. Bedingungsloses Grundeinkommen (BGE) – eine unkapitalistische Forderung gegen den Fetisch Lohnarbeit“1 antwortete Heiner Stuhlfauth in der GWR 324 mit seinem Artikel „Der Traum vom Schlaraffendeutsch­land. Warum die Forderung nach Bedingungslosem Grundeinkommen Blödsinn ist und die Schwäche der Linken zur Schau stellt.“2  Vor allem in den 2008/2009 herausgekommenen Ausgaben der Graswurzelrevolution folgten zahlreiche weitere Diskussionsbeiträge und LeserInnenbriefe zum Thema. Mit dem folgenden Beitrag von Mag Wompel wollen wir die zuletzt etwas eingeschlafene Diskussion wieder in Gang bringen. (GWR-Red.)

 

Realpolitisch, systemkonform und staatshörig – so lauten viele Kritikpunkte an der Forderung nach einem bedingungslosen Grundeinkommen (BGE) aus sich radikal wähnenden linken Kreisen. Für StalinistInnen, die eine komplette Gebrauchsanweisung für die Revolution haben, mag das nachvollziehbar sein: Sie haben zwar nichts gegen den Staat, aber ebenso viel übrig für die Arbeitspflicht. Eine solche Revolution fände ohne mich statt! Meine Zielgruppe sind emanzipatorische und ungehorsame Linksradikale.

Solche sollten m.E. alles gut finden, was den Menschen auch nur ein Stück freier macht und unabhängiger. Im Kampf gegen den Kapitalismus ist nämlich alles besonders wichtig, was die Lohnabhängigkeit hinterfragt und mildert, wenn wir uns von ihr dann auch befreien wollen.

 

Nun, der real existierenden Gewerkschaftsbewegung hat es wohl niemand gesagt, sie ging daher voll darin auf, die Lohnarbeit erst als alternativlos zu akzeptieren, um sie dann nur noch auf möglichst viele zu verteilen und höchstens humaner zu gestalten. Dies natürlich nur soweit es die Gnade des Lohn­arbeitsplatzes nicht gefährdet, es also den Kapitalisten nicht zu weh tat.

Wer sich auf Schaffung und Rettung von Lohnarbeitsplät­zen konzentriert, für den ist Erwerbslosigkeit höchstens ein vorübergehender Unfall.

Deshalb haben sich die Ge­werkschaftsapparate in Deutschland nicht erst bei den Hartz-Gesetzen zu wenig um die Lebensbedingungen erwerbsloser Menschen gekümmert.

Für emanzipatorische Linke hingegen waren Arbeitslosengeld bzw. Arbeitslosenhilfe schon immer ein wichtiges Standbein (und sei es nur op­tional) zur Sicherung der finanziellen und persönlichen Unabhängigkeit – neben der Minimierung der Lebenshaltungskosten – , denn es galt, den Job bei unzumutbaren Bedingungen jeder Zeit schmeißen zu können, sich also möglichst un­abhängig und nicht erpressbar zu machen.

Ja, es gibt – neben den unzähligen Spaltungen auf dem sog. Arbeitsmarkt – auch eine Spaltung in der Aufmerksamkeit der DGB-Gewerkschaft. Doch es geht nicht nur um (männliche) Kernbelegschaften auf der einen Sei­te und Prekäre (aus­nahmsweise ohne Ansehen des Geschlechts) auf der anderen, es geht auch um unterschiedliche Lebensentwürfe.

Es sei mir eine sicher unzulässige Verallgemeinerung erlaubt: Das ideale DGB-Gewerk­schaftsmitglied ist ein männlicher Facharbeiter, verheiratet und je mehr Kinder umso untertäniger. Für den Traum, das Eigenheim, nimmt er viele Entbehrungen und Entwürdigun­gen auf sich. Schon Leo Kofler hat die „Eigentumsbildung in Arbeitnehmerhand“ als eine Karotte vor dem Esel bezeichnet.

Die einzige moralisch zulässige Ausstiegsoption aus Disziplin und Demütigung ist hier eine Erbschaft (unwahrscheinlich) oder ein Lottogewinn (noch un­wahrscheinlicher, aber oft erträumt).

 

Das „Gegenmodell“?

Es kann natürlich ebenfalls Ge­werkschaftsmitglied sein, aller­dings nicht die Zielgruppe traditioneller Gewerkschaftsbemü­hungen. Hohe Qualifikation und Karriere sind selbstverständlich nicht ausgeschlossen, aber, und das ist der Unterschied, nicht um jeden Preis. Ungewollte Prekarität der sozialen Absicherung war und ist viel mehr oft der Preis für persönliche Unabhängigkeit, ge­zielte Selbstbestimmung und Disziplinlosigkeit sowie moralisch-solidarische Integrität.

In dieser Welt der angeblich „goldenen 1970er Jahre“ (die bis ungefähr 1990 anhielten), wie sie jetzt nachträglich von vielen GewerkschaftlerInnen verklärt werden, war die Erwerbslosigkeit für das Kernbe­legschaftsmitglied ein (noch re­lativ leicht) zu vermeidendes Übel, für die/den emanzipatorischen Linken die Rettung aus unzumutbaren, fremdbestimm­ten beruflichen Situationen.

Warum ich das so ausführlich schildere? Weil sich die Bedingungen drastisch verändert ha­ben – und zwar für beide Gruppen.

„Hartz IV hat den Belegschaften das Genick gebrochen“, ge­ben nun die Gewerkschaftsap­parate zu, allerdings ohne deshalb die Mitarbeit an den Hartz-Gesetzen zu bereuen. Wie auch bei der Lohnarbeit (oder ehrlicher: dem Sklavenhandel) wird die Zielsetzung der Schaffung bzw. Sicherung von Arbeitsplätzen und hierfür der (betrieblichen, regionalen oder nationalen) Wettbewerbsfähigkeit verteidigt und lediglich ungewollte „neoliberale“ Auswüchse angeprangert sowie über Regu­lierungsbestrebungen zu mildern versucht.

 

Was heißt nun konkret „Hartz IV hat den Belegschaften das Genick gebrochen“?

Es ist das Eingeständnis der absehbaren Folge der massiven Verschlechterung der Lebensbedingungen im Falle der Erwerbslosigkeit: Dass die Angst vor ihr wächst. Und Angst diszipliniert und macht genügsam. Fast alles erscheint nun besser, als erwerbslos zu werden, selbst wenn der Lohn kaum höher ist als Hartz IV, dafür haben die begleitenden Schikanen und Demütigungen für die gesamte Familie bzw. Wohngemeinschaft gesorgt.

Mit Hartz IV muss ohnehin jeder Job angenommen werden – viele lassen es sich auch vorbeugend gefallen, denn Hartz IV heißt nicht nur Geldmangel.

Die KapitalistInnen wissen es und zeigen sich überhaupt nicht mehr verhandlungs- oder gar tarifwillig, egal wie sehr der Sozialpartner Gewerkschaft bettelt. Darauf und nur darauf ist die Zunahme von Streikmaßnahmen in der letzten Zeit zurückzuführen – in Deutschland.

Doch Hartz IV (und alle übrigen Einschnitte der Agenda 2010) treffen natürlich auch die andere genannte Gruppe der Lohnabhängigen, die viel stärker auf ihre Unabhängigkeit be­dacht ist und sich (kollektiv) nicht alles gefallen lässt. Viele haben sich in die Selbständigkeit oder in die alternative/solidarische Ökonomie geflüchtet und fehlen nun allen Lohnabhängigen. Sie fehlen mit ihrer Funktion als diejenigen, die die Standards hoch halten.

Das haben sie übrigens mit Belegschaften gemeinsam, die lei­der selbst von großen Teilen der Gewerkschaftsbewegung als „Privilegierte“ bezeichnet und in ihren Kämpfen gegen den Verlust dieser – meist schwer erkämpften! – Standards so lange im Stich gelassen wurden, bis von ihnen kaum etwas übrig blieb.

Diese „Privilegien“ aber waren nichts als die Speerspitze der Gewerkschaftsbewegung, mit dem Potential, die Löhne und Arbeitsbedingungen aller nach oben zu heben. Denn: Je schlechter die Standards der stärksten Lohnabhängigen, umso höher der Druck auf die Standards aller, auch der Erwerbslosen. Je schlechter die Standards der schwächsten Lohnabhängigen, umso höher der Druck auf die Standards auch der Kernbelegschaften.

Dieser Banalität geschuldet, sind die Gewerkschaften immer weniger in der Lage, die Min­deststandards ihrer Zielgruppe, der Kernbelegschaften, zu halten. Sie verteidigen diese zu Lasten der „indirekten Bereiche“ im Betrieb. Die Folge sind neue bzw. verschärfte Spaltungen im Betrieb und – diesmal gewerkschaftlicherseits! – weitere Verschlechterungen und Flexibilisierungen der Arbeitsbedingungen vieler Beleg­schaftsgruppen zugunsten einer Kerngruppe, die zwangsläufig schrumpft.

 

Die „neoliberalen“ Einschläge kommen immer näher

„Die Standards hoch halten“ war so nicht gedacht! Es galt, sie gegen die Angriffe des Kapitals zu verteidigen und dann für alle anderen zu erkämpfen. Wenn aber Betriebsräte und ih­re Gewerkschaftsapparate die Sachzwänge des Kapitals (Wettbewerb!) akzeptieren, akzeptieren sie auch die Sparzwänge und können das Leid nur noch (möglichst gerecht) verteilen.

„Share the Pain“ ist auch das Handlungsmotto der IG Metall in der Automobilindustrie, wo der Wettbewerb zwischen Herstellern, aber auch den einzelnen Standorten und bis hin auf die Ebene der Cost Center oder Arbeitsgruppen besonders ruinös ausgeprägt ist.

Aus den Augen verloren wird dabei, dass die vermeintlichen Sparzwänge (für die lohnab­hängigen) im verschärften Wettbewerb (egal ob Unternehmen oder Staaten) sehr wohl dazu dienen, die Standards zu verteidigen – die der Profite.

Leider glauben viele Menschen an dieses vermeintliche Null-Summen-Spiel der finanziellen Kapazitäten.

So kommt es, dass ÄrztInnen, ZugführerInnen oder PilotIn­nen als „Privilegierte“ unter den Lohnabhängigen betrachtet werden, deren Arbeitskämpfe keine Solidarität verdienten.

 

Natürlich sollten diese Kämpfe nach dem in Frankreich geläufigen Motto „Was wir wollen, wollen wir für alle!“ geführt wer­den. Unterstützung gebührt ihnen allemal und nur rein zufällig sind als Beispiele Berufsgruppen genannt, denen wir ohnehin beste Arbeitsbeding­ungen wünschen müssten, da wir von diesen abhängen. Auf jeden Fall gilt, dass sich über Spaltungen unter den Lohnabhängigen langfristig nur die Ka­pitalistInnen freuen.

 

Doch so kommt es aber, dass nicht nur die Bildzeitung, sondern auch viele Lohnabhängige selbst die Höhe von Hartz IV immer noch als luxuriös und die Erwerbslosen als faule Schmarotzer bezeichnen. Obwohl sie die tagtägliche Angst vor dem Verlust des Arbeitsplatzes beklagen. Obwohl sie wegen der unmenschlichen Be­dingungen der Erwerbslosigkeit zu fast jedem Verzicht und Zugeständnis bereit sind. Obwohl sie wissen, dass gerade die zu niedrige Höhe der Grundsicherung für die massive Ausweitung der Niedriglöhne verantwortlich ist. Obwohl es auf der Hand liegt, dass sich über Spaltungen unter den Lohnabhängigen nur die KapitalistIn­nen freuen.

Dabei gilt aber vor allem, dass unsere Löhne ihre Kosten bedeuten, wie die damals noch kämpferische kanadische Auto­mobilarbeitergewerkschaft UAW propagierte. Sie tat es ge­gen die leider heute immer noch weit verbreitete Ideologie eines „Win-Win“ oder wie es altmodischer heißt: „Geht es meinem Arbeitgeber gut, geht es auch mir gut“. Mitnichten. Heute ist offensichtlich, dass es nur ein wirkliches Null-Summen-Spiel gibt: Das aus unseren Lebensbedingungen und ihren Profiten.

 

Warum also sollten wir Lohnanhängige uns spalten lassen für – im Gegensatz zu unserer Lebensqualität nie zur Disposition stehenden – Kapitalpro­fite, warum für diese sparen an dem, was wir zum Leben brauchen und es daher für uns echte „Systemrelevanz“ besitzt: Bildung für alle, qualitative Lebensmittel, Wohnen und Gesundheit, Kommunikation und Mobilität …?

 

Ein Gewerkschaftsfunktionär würde sagen: Wegen der Marktlage und der Konkurrenz, wegen der Überkapazitäten oder um die Wettbewerbsfähig­keit nicht zu gefährden. Ein linker Gewerkschaftsfunktionär würde wohl (auch) auf die Machtverhältnisse verweisen.

 

Warum sind die Machtverhältnisse so?

Wir sind Millionen, sie maximal 10%. Aber wir sind abhängig. Wir sind abhängig von dem knappen Gut „Arbeitsplatz“ und noch abhängiger von dem immer knapper werdenden Gut „existenzsichernder Arbeitsplatz“. Und das Bekloppte ist, das wir mit jeder Verschlechterung der Lohnersatzleistungen für Erwerbslose noch abhängiger geworden sind und die Ar­beitsbedingungen seitdem und dadurch immer schlechter.

Dies können auch die smartesten Gewerkschaftsfunktionä­rInnen nicht leugnen, verweisen dann an dieser Stelle auf die Bremskraft der Belegschaften, die unter dem erpresserischen Druck von Standortver­lagerungen und/oder Entlassungen zu allen Zugeständnissen und Tarifabweichungen bereit sind. Oder auf die schwindende Kraft der Gewerkschaften durch schrumpfenden Or­ganisierungsgrad auch in Deutschland. Doch wie heißt es so schön? „Zum Verzichten brauche ich keine Gewerkschaft“ – ein wahrer Teufelskreis also.

Ich bitte um Verzeihung, wenn jemand diese Schilderung zu banal und daher beleidigend findet. Diese beruht jedoch auf meinen Erfahrungen – mit Ge­werkschaftsapparaten, aber auch mit vielen Gewerkschaftslinken. Denn so klar und einleuchtend es erscheint, dass unsere Lohnabhängigkeit uns in eine immer schlechtere Machtposition bringt, so unverständlich ist die Weigerung sowohl der Gewerkschaftsap­parate als auch großer Teile der Gewerkschaftslinken, über die Wege zur Minderung dieser Abhängigkeit nachzudenken!

Deren sehe ich vier, die sich zudem nicht gegenseitig ausschließen:

Anstatt hinzunehmen, dass „jeder Betrieb für sich allein stirbt“: Sofortiger und massiver Kampf gegen die Hartz IV-Bedingungen und für eine menschenwürdige Grundsicherung für Erwerbslose, die zugleich einen menschenwürdigen Mindestlohn markieren und von der „Arbeit um jeden Preis“ befreien würde.

Dies zu verbinden mit der Unterstützung und Propagierung der Forderung nach einem bedingungslosen Grundeinkom­men, das, da nicht nur für Erwerbslose, auch ein bedingungsloses Streikgeld bedeuten und die Lohnabhängigkeit zumindest mildern und hinterfragen würde.

Der Kampf für eine soziale Infrastruktur für alle als Radika­lisierung der bisher meist scheiternden Widerstände gegen Privatisierung und Ökonomisie­rung und zusätzliche Minderung der Lohnabhängigkeit zu­gleich.

Dies alles vor dem Hintergrund der langfristigen Zielsetzung der Überwindung der Lohnab­hängigkeit, nicht zuletzt, um auch die Abhängigkeit in den Köpfen zu beenden.

 

Die größte Hürde gegen einen gewerkschaftlichen Kampf für alle diese Maßnahmen gleicher­maßen ist das überhöhte Ar­beitsethos (bzw. Fetisch Arbeit, siehe Wompel 2007), dessen ideologische Zwillingskinder Leistungsgerechtigkeit und Lohnabstandsgebot heißen.

Dabei gab es mal das schöne Motto der Gewerkschaftsbewegung „Wenn Dein starker Arm es will, stehen alle Räder still“. Auf diesem Machtbewusstsein beruhte der Stolz der Arbeiterklasse, doch im Laufe der Jahrzehnte immer theoretischer.

Denn anstatt diese Macht unter Beweis zu stellen, was heutzutage angesichts der just-in-time-Produktion in kürzester Zeit ganze globale Fertigungsketten lahmlegen würde, hat die Gewerkschaftsbewegung mit der Lohnarbeit lediglich die systemische Bedingung dieser Gegenmacht zum Fetisch erhoben. Oder anders ausgedrückt: Wenn Lohnarbeit die einzige Quelle meines Stolzes ist, bin ich auf Lohnarbeit angewiesen, auch jenseits ihrer Funktion der Existenzsicherung.

Wer entsprechend das Ziel der Überwindung der Lohnabhän­gigkeit aus den Gewerkschaftsprogrammen streicht, muss für die nun alternativlose Lohnarbeit zumindest psychologische Kompensation bieten. Folgerichtig galt der Stolz des typischen Lohnarbeiters seiner Disziplin, Tüchtigkeit, seinem Fleiß – wie der Zufall so will, Eigenschaften, die dem Kapitalisten auch sehr, sehr gefallen (vor allem, wenn es unbezahlte Zusatzleistungen sind). Von diesem erwartet daher der typische Lohnarbeiter im Gegenzug einen „gerechten Lohn“, „gute Arbeit“ und Dankbarkeit sowie Fürsorge, wenn er denn verschlissen und/oder alt sein sollte.

Weil es aber im Kapitalismus Gerechtigkeit selten gibt, wird an die Moral appelliert und gleichzeitig Kompensation im (selten nachhaltig kompensierenden) Konsum gesucht. Zufälligerweise gefällt auch das dem Kapitalisten – selbst wenn die heilige Kuh  „Binnennachfrage“ der Politik und vor allem den Gewerkschaften viel wichtiger als ihm ist, zumindest dem exportorientierten Kapitalisten, doch immerhin macht sie den Lohnarbeiter noch lohnabhän­giger.

Die im Betrieb tagtäglich an den Tag gelegte Unterwürfigkeit und tagtäglich erfahrene Ernie­drigung müssen aber auch psychisch kompensiert werden und zwar auch innerhalb der Klasse. „Vor dem Meister ducken, aber die Bäckereiverkäu­ferin zur Schnecke machen“ ist mein Lieblingsbeispiel. Doch es kommt bisweilen auch zum ge­radezu nackten Hass auf alle, die der harten Fron nicht unterliegen oder sich ihr verweigern. Nein, keinesfalls geht es um die bewunderten „oberen Zehntausend“, die Adeligen, die Tut-und-Tat-nix dieser Gesellschaft. Es geht um die vermeintlich faulen und schmarotzenden Erwerbslosen und Kranken – dies natürlich auch noch schön nach Geschlecht und Rasse un­terteilt. Bisweilen reicht auch der in Hass umkippende Neid auf diejenigen, die sich nicht erniedrigen, nicht erpressen lassen und Widerstand leisten. Auch wenn diese einen oft hohen Preis für ihre Unabhängigkeit bezahlen.

Nebenbei erwähnt, spricht hier die Bildzeitung ausnahmsweise tatsächlich vielen Lohnabhängigen aus dem Herzen – und die Gewerkschaften halten nicht dagegen (im Falle der GriechIn­nen immerhin, wenn auch sehr spät)!

Wie gesagt, diese Spaltungen innerhalb der Klasse erfreuen das Kapital – und die Politik, weil sie uns schwächen. Die wichtigste Grundlage für diese (geschlechtlichen, rassistischen und funktionalen) Spaltungen ist dabei die Konkurrenz um das immer knapper werdende Gut existenzsichernder Arbeitsplatz. Diese Konkurrenz zu minimieren war die ursprüngliche Zielsetzung jeglicher Ge­werkschaftsgründung. Ziel verpasst.

 

Wenn Lohnarbeitsplätze immer knapper werden (was ja mal ein uralter Menschheitstraum war) und nachweislich bei jedweder Arbeitszeitverkürzung niemals alle Menschen „beschäftigt“ werden können, kann die Konkurrenz um diese nur in einem immer verheerenderen Kampf eines Jeden gegen Jeden enden. Oder wir akzeptieren, dass es eine Existenzsicherung auch ohne Lohnarbeit geben kann und muss.

Dabei stellt ein bedingungsloses Grundeinkommen lediglich eine der Arten gesellschaftlicher und solidarischer Umver­teilung dar, wie sie früher über Steuern oder gesetzliche Versicherungen selbstverständlich war, in den Fragen der Gesundheit und Bildung. Die Leis­tungsorientierung in der Renten- oder Arbeitslosenversicherung stellt vor diesem Hintergrund bereits ein Zugeständnis an die – natürlich vor allem von erfolgreichen Menschen eingeklagte – „Leis­tungsgerechtigkeit“ dar.

Dass mittlerweile alle Bereiche der Lebensvorsorge in ihrer Qualität von der individuellen Finanzkraft abhängen, ist also nicht nur den Privatisierungen oder dem Wunsch der Wirtschaft nach der Senkung der „Lohnnebenkosten“ (für die Wirtschaft!) geschuldet, sondern auch der zunehmenden Entsolidarisierung durch eine falsch verstandene Individualisierung.

Aus dieser Ecke kommt die Ab­lehnung des bedingungslosen Grundeinkommens, denn es soll ja bedingungslos sein.

Welch ein Affront gegenüber Menschen, die ihr (Arbeits-)Leben als Leid und Fron empfinden und dafür leistungsgerecht in allen Lebenslagen behandelt werden wollen! Dass Leistung im Kapitalismus durch das Kapital definiert wird, also nach dessen Gewinn aus unserer Ar­beit, wird selbst von den Menschen ausgeblendet, die eigentlich stolz sein könnten, für das Kapital unnütz zu sein.

Es gelte also eher, die an gesellschaftlichen Bedürfnissen desinteressierte „Leistung“ anzuprangern, als aus ihrer Logik heraus den Schritt in eine solidarischere Gesellschaft abzulehnen.

Wenn es uns als ungerecht einleuchtet, wenn reichere Menschen eine bessere Bildung, Ge­sundheitsversorgung oder Ernährung genießen, warum soll es nicht auch ungerecht sein, wenn das Kapital Menschen in Leistungsträger und Überflüssige aufteilt?

Soweit würden mir wohl auch die meisten Gewerkschaftslin­ken folgen, aber sie sehen es als ungerecht an, wenn sich Menschen aus der gesellschaftlichen Produktion von Gütern stehlen und dafür noch belohnt werden. Doch welche Produkte werden mit all dem Ar­beitspathos hergestellt?

Die wenigsten davon sind gesellschaftlich notwendig oder sinnvoll, viele gar schädlich.

Falscher Fleiß am falschen Produkt also. Und gerade die Herstellung der gesellschaftlich notwendigen Güter und Dienstleistungen wird in der Regel am niedrigsten entlohnt und am ge­ringsten geschätzt. Denn auch die Wertschätzung, der Respekt dem Mitmenschen gegenüber richtet sich mittlerweile fast ausschließlich nach kapitalistischen Kriterien der Nützlichkeit für das Kapital.

 

„Arbeitsanreize“

Anstatt dies aufzubrechen, ma­chen sich auch linke Ökonomen Sorgen um die „Arbeitsanreize“ im Falle eines bedingungslosen Grundeinkom­mens. Ich finde, dass wir uns hingegen darüber Sorgen machen müssen, dass es über­haupt keiner Arbeitsanreize mehr bedarf!

Die Presse ist aktuell voll mit sich überschlagenden Statistiken: Dass Millionen von Menschen auf Hartz IV verzichten, obwohl sie Anspruch darauf hätten – soweit wirkt die gewollte Abschreckung. Und dass Millionen Arbeitsplätze mit Steuermitteln subventioniert werden, entweder direkt an die KapitalistInnen oder indirekt über die sog. Aufstoc­kung von Hartz IV. Es gibt also Millionen von Arbeitsplätzen, die angeblich nicht über Nie­driglöhne hinaus entlohnt werden können. Was sind das für Arbeitsplätze, die offensichtlich nicht auf dem heiligen Markt bestehen können?

Gesellschaftlich notwendige gehören in einen gesellschaftlich kontrollierten, gut ausgestatteten Öffentlichen Dienst überführt, keine Frage. Und die übrigen? Ist Arbeit an sinnlosen oder überflüssigen Produkten nicht auch überflüssig?

 

Haben wir nichts Besseres mit unserer Lebenszeit anzufangen?

Spätestens mit den Hartz-Gesetzen ist Lohnarbeit offenbar so alternativlos geworden, dass sie selbst ihre ureigene Funktion der Existenzsicherung nicht mehr erfüllen muss. Nur die Profite des Kapitals sind bedingungslos und werden mit Steuermitteln (der Lohnabhängigen!) aufgestockt.

Womit wir beim Geld wären. Geld, das wir (noch) zum Leben brauchen. Geld, das auch für ein bedingungsloses Grundeinkommen benötigt wird. Etliche Studien haben bewiesen, dass auch das anspruchsvollste, das emanzipatorische Konzept eines BGE problemlos finanzierbar wäre. Eigentlich reicht ein Blick auf die Arbeitsagenturen, Jobcenter, Sozialschnüffler und last but not least die Erwerbs­losenindustrie, die Placebo-Arbeitsplätze produziert – nur mit dem Ziel, der Entwöhnung von der Arbeitswilligkeit vorzubeugen.

Ich halte die Finanzierungsstu­dien für nachrangig, denn realistisch ist, wofür wir kämpfen. Aber diese Studien haben den Vorteil aufzuzeigen, dass es eigentlich nur ein Argument gegen ein BGE gibt: Die Lohnabhängigkeit. Ein komfortables BGE (kein Bürgergeld!) stellt de facto die Aufhebung der Lohnabhängigkeit dar und diese braucht das Kapital, weil es den Wettbewerb der Lohnabhängigen braucht, den Kampf um jeden Arbeitsplatz.

Natürlich wird auch ein Staat, der die Kapitalinteressen verwaltet, nicht freiwillig ein BGE einführen, sich aber mit der Wei­gerung ebenso entlarven wie das Kapital. Und damit viel­leicht dafür sorgen, dass wir für das kämpfen, was realisierbar erscheint.

Aber es bleibt das Problem, dass viele Linke, wie eingangs erwähnt, keine Forderungen an den Staat erheben und von diesem auch kein Geld wollen. Klar, dieser Staat ist nicht die Gesellschaft, in der wir leben wollen. Wir wollen eigentlich auch kein Geld, sondern soziale Infrastruktur gratis und für alle.

Wenn wir aber davon ausgehen, dass die Steuermittel die der fluchtunfähigen Lohnabhängigen sind, was spricht dagegen, wenn dieses Geld statt für die Rettung der Banken oder Rüstung und Verfassungsschutz, statt für Wirtschaftssubventionen und Lohnsub­ventionen viel sinnvoller für ein BGE ausgegeben wird, das uns (zumindest ein Stück) befreit und die Machtverhältnisse verschiebt?

Realistischer weise sind wir noch ein ganzes Stück von der Revolution entfernt. Dem stehen schon allein all die Abhängigkeiten und Hörigkeit in den Köpfen entgegen. Ich halte es (ausnahmsweise) für ein gutes Stück Realpolitik, wenn wir uns alle bisweilen endlich mehr darum kümmern, ob die von uns (zwangsweise) finanzierten Mittel gegen oder für unsere Interessen verwendet werden. Übung in kollektiver Einmischung werden wir auch in einer post-kapitalistischen Gesellschaft brauchen…

 

Der Weg soll das Ziel sein und sich zugleich nach dem Ziel ausrichten. Der Weg der Forderung nach einem BGE kann zwar m.E. im Kapitalismus nicht von Erfolg gekrönt sein – eben weil es die Lohnabhängigkeit abschafft. Aber selbst der Weg der Forderung nach einem BGE allein birgt zweifelsfrei viele emanzipatorische Gewinne.

Es sind in erster Linie individuelle Gewinne der Befreiung ob der Einsicht, dass das Arbeitsleben auch anders aussehen könnte. Beginnend nach der Ausbildung, die sich nach em­anzipatorischen und kulturellen Aspekten und nicht nach kapitalistischer Verwertbarkeit richtet. Folgend mit einer (nicht un­bedingt lebenslangen) Berufswahl nach Neigung und Talent, nicht nach verfügbaren Ausbildungs- oder Studienplätzen.

Die Jobauswahl – sofern erwünscht – könnte endlich die Frage der Arbeitsanreize auf den Kopf stellen: Wer bietet einen interessanten Arbeitsplatz zu den erwünschten Bedingungen am sinnvollen Produkt?

Dieses Selbstbewusstsein zöge sich so lange durch, wie die Arbeitslust anhält. Und diese Befreiung würde endlich die Ansprüche aus den ach so realistischen Untiefen heben!

Natürlich hätte diese Befreiung auch kollektive Folgen. Mit der erdrückenden Lohnabhängig­keit verschwindet auch der Zwang zur Konkurrenz und zum unsolidarischen Verhalten, der heute so viele krank macht. Und mit dem Wettbewerb um die Ar­beitsplätze entfällt auch die wichtigste Grundlage sowohl für Lohndumping als auch für Spaltungen, auch der sexistischen und rassistischen.

Schließlich: Wer nicht kämpfen muss, wer selbst entscheidet was sie oder er will, kann auch kaum noch einen Grund finden, z.B. „Faulenzer“ zu hassen.

Damit swingen wir direkt in den gesellschaftlichen Bereich. Die Debatte um die Forderung nach einem BGE stellt eine hervorragende Spielwiese für gesellschaftliche Debatten, für die wir in einer postkapitalistischen Gesellschaft vorbereitet sein müssen: Welche Produkte und Dienstleistungen brauchen und wollen wir? Von wem und unter welchen Arbeitsbeding­ungen sollen sie erbracht werden? Und, am Beispiel der heutigen Steuergelder, wie verteilen wir die gesellschaftlichen Kapazitäten? Wie wollen wir le­ben?! Tun wir so, als ob wir heute im kapitalistischen Staat die Gesellschaft – kollektiv und solidarisch – einüben, die wir haben wollen. Es ist ein Spiel mit systemsprengendem Charakter.

 

Mag Wompel 

 

Anmerkungen:

 1 Mag Wompel: Realisierbar ist, wofür wir kämpfen. Bedingungsloses Grundeinkommen (BGE) – eine unkapitalistische Forderung gegen den Fetisch Lohnarbeit. In: Graswurzelrevolution Nr. 322, Oktober 2007, www.graswurzel.net/322/bge.shtml

 2 www.graswurzel.net/324/bge.shtml

 

Artikel aus: Graswurzelrevolution Nr. 390, Sommer 2014, www.graswurzel.net