Rezeptfreie Hilfe

Die Organisationen Women on Waves und Women on Web bieten auch Frauen in Ländern mit restriktiven Abtreibungsgesetzen Zugang zu sicheren Abtreibungen.

 LEONIE KAPFER hat die Gründerin REBECCA GOMPERTS befragt.

 

an.schläge: Wie arbeiten Women on Web? 

Rebecca Gomperts: Die Women on Web verstehen sich als eine Vernetzungs- und Informationsplattform. Wir bringen die hilfesuchenden Frauen mit ÄrztInnen und lokalen Frauenorganisationen in Kontakt und geben den Frauen die notwendigen Informationen weiter. Sie erhalten so Zugang zu den Abtreibungspillen Mifepristone oder Misoprostol. Vor allem das Medikament Misoprostol, das auch bei Magen-Darmerkrankungen eingesetzt werden kann, ist in einigen Ländern, wie zum Beispiel Marokko, rezeptfrei in den Apotheken verfügbar. Die Frauen können die Tabletten kaufen und durch die Einnahme einen Abgang einleiten. Sie brauchen dazu keine medizinische Hilfe, nur Informationen über die Einnahmedosen, Nebenwirkungen und das richtige Verhalten bei Komplikationen.
Auf unsere Homepage findet sich hierzu ein Fragebogen, den die Frauen zu Beginn ausfüllen sollen. Wir müssen vor allem über das Stadium der Schwangerschaft Bescheid wissen, denn medikamentöse Abbrüche sind nur bis zur neunten Schwangerschaftswoche sicher. Die Frauen werden dabei von unseren MitarbeiterInnen betreut. Natürlich sowohl vor als auch nach dem Abbruch. 

Neben den Women on Web haben Sie auch die Women on Waves gegründet. Was unterscheidet denn die beiden Organisationen und was hat Sie dazu bewogen, sich für reproduktive Rechte einzusetzen?

Die Women-on-Waves-Kampagne habe ich 1999 gegründet, wir wollten uns den Umstand zunutze machen, dass auf Schiffen in internationalen Gewässern die Rechte des Herkunftslandes gelten, in unserem Fall die der Niederlande. So konnten wir in Länder reisen, in denen Abtreibungen illegal sind, dort Frauen vom Hafen abholen und die Abtreibung mittels Abtreibungspille durchführen. Mit dem positiven Nebeneffekt, dass durch die mediale Kontroverse, die diese Aktionen ausgelöst haben, das bislang totgeschwiegene Problem sichtbar gemacht wurde. Denn obwohl Abtreibungen zu den am häufigsten ausgeführten medizinischen Eingriffen gehören, sind sie extrem tabuisiert. Für die betroffenen Frauen ist das fatal. Etwa die Hälfte aller Abtreibungen werden illegal durchgeführt, ca. zwanzig Millionen sind es jährlich, und eine von vierhundert endet tödlich. Das ist aber nicht nur ein riesiges Gesundheitsproblem, sondern auch ein soziales. Immerhin sind es vor allem ökonomisch benachteiligte Frauen, die unter den Folgen rigider Gesetzgebungen leiden. Sie können nicht ins Ausland reisen, um dort legale Abtreibungen durchführen zu lassen, oder einen teuren Arzt in der Nähe bezahlen. Sie verfügen auch meist über weniger Informationen über reproduktive Gesundheit. Illegale Abbrüche manifestieren so soziale Ungleichheiten und verstärken die Benachteiligungen noch weiter, mit denen die Frauen leben müssen.

Wie viele Frauen suchen jährlich Kontakt über Ihre Website?

Die Women on Web beantworten jährlich etwa 100.000 E-Mails, allerdings kommen auf eine Frau oft mehrere E-Mails, ich schätze es sind ca. 70.000 Personen. Interessant dabei ist, dass uns die Anfragen wirklich von überall her erreichen, selbst von den kleinsten Inseln, deren Namen ich davor noch nie gehört hatte. 

Das klingt nach viel Arbeit, wie genau organisiert sich eine so internationale Plattform?

Früher nur durch Freiwillige, jetzt können wir allen MitarbeiterInnen zumindest eine Aufwandsentschädigung zukommen lassen. Wichtig bei der Organisation ist natürlich, dass sich Frauen aus vielen verschiedenen Ländern engagieren und wir zumindest die wichtigsten Sprachen abdecken. 

Frauendemonstration 1984 in Wien STICHWORT. Archiv der Frauen- und Lesbenbewegung / Foto: Burgi Hirsch

Frauendemonstration 1984 in Wien
STICHWORT. Archiv der Frauen- und Lesbenbewegung / Foto: Burgi Hirsch

Mit welchen Schwierigkeiten sehen Sie sich in Ihrer täglichen Arbeit konfrontiert?

Ein großes Problem bereitet uns manchmal der Zoll. Es kann schon vorkommen, dass er Pakete stoppt, in denen sich die Abtreibungspillen befinden. Das ist besonders schlimm, denn in manchen Regionen ist der Postweg die einzige Möglichkeit für Frauen, an die Medikamente zu kommen. Ihnen wird so die einzige Möglichkeit einer sicheren Abtreibung genommen. Ein anderes Problem ist natürlich, dass viele Frauen nichts von unserer Plattform wissen. Die Informationsverbreitung ist extrem schwierig, obwohl wir mit lokalen Frauenorganisationen zusammenarbeiten. Die Plattform zu bewerben ist generell schwierig, zumal Google in einigen Ländern Werbung für Abtreibungen sperrt. Wir sind also viel auf Mundpropaganda angewiesen.
Sehr besorgniserregend ist auch die Tatsache, dass es viele Websites mit Falschinformationen gibt. Diese geben vor, den Frauen zu helfen, senden dann aber falsche oder gar keine Medikamente. Die Frauen sind ja oft in sehr verzweifelten Situationen und viele Menschen versuchen, damit Geld zu verdienen. 

Aber auch die medikamentöse Abtreibung ist ein Eingriff, welche Erfahrungen gibt es mit den Abtreibunsgpillen? 

Den medikamentösen Abbruch muss man sich wie eine Fehlgeburt vorstellen, und immerhin enden zwanzig Prozent aller Schwangerschaften in einem spontanen Abort. Die betroffenen Frauen brauchen aus medizinischer Sicht kaum Nachsorge, da der Vorgang meist völlig komplikationsfrei verläuft. Medizinische Betreuung ist also nicht notwendig, was aber gegeben sein muss und worauf die Women on Web auch großen Wert legen ist, dass die Frauen wissen, wo sie im Fall von Komplikationen Hilfe finden können. Denn natürlich stellt jeder Eingriff ein Risiko dar, auch eine Fehlgeburt kann medizinischer Nachsorge bedürfen. Was es jedoch zu bedenken gilt: Eine Geburt stellt für eine Frau statistisch gesehen ein weitaus höheres Gesundheitsrisiko dar als eine Abtreibung. 

Wurden Sie bereits strafrechtlich verfolgt?

Auch die medikamentöse Abtreibung ist schließlich häufig illegal.
In Ländern, in denen Abtreibung verboten ist, brechen die Frauen natürlich ein Gesetz und in vielen Ländern wie Chile, Peru oder Brasilien werden sie für Abbrüche auch tatsächlich verurteilt. Eine Frau, die selbst einen medikamentösen Abbruch eingeleitet hat und danach medizinische Hilfe benötigt, kann aber kaum strafrechtlich verfolgt werden, da sich der eingeleitete Abgang ja nicht von einer Fehlgeburt unterscheidet. Das Medikament ist auch nicht nachweisbar. Das ist auch der große Vorteil dieser Abtreibungsmethode, da es häufig das Krankenhauspersonal ist, das die Frauen anzeigt. Die Frauen können bei Komplikationen ein Krankenhaus aufsuchen, ohne Sanktionen fürchten zu müssen.

Wird sich Ihrer Meinung nach an den strengen Abtreibungsgesetzen demnächst etwas ändern? Braucht es die Women on Web vielleicht bald nicht mehr?  

Ich hoffe es! Aber es ist natürlich nicht sehr wahrscheinlich. Und selbst wenn die Länder ihre Gesetze ändern würden, hieße das noch lange nicht, dass die Frauen dann einen sicheren Zugang zu Abtreibungen hätten. In den USA lässt sich das beobachten, dort ist ein Abbruch zwar legal, aber in manchen Bundesstaaten wie Texas nicht mehr möglich, da dort keine Kliniken und auch keine sonstigen AnbieterInnen existieren. Das Problem kann also nicht allein durch Legalisierung gelöst werden. Abtreibungen sind immer noch ein Tabu und daran wird sich, denke ich, leider so schnell nichts ändern. Deshalb finde ich die Möglichkeit eines medikamentösen Abbruchs auch so wichtig, denn dadurch werden die Frauen unabhängig, sie sind nicht mehr auf Kliniken oder ÄrztInnen angewiesen, sondern können den Eingriff allein durchführen. 

 

Rebecca Gomperts führte als Ärztin nach Abschluss ihres Medizinstudiums Abtreibungen durch und arbeitete einige Jahre als Ärztin und Umweltaktivistin auf dem Greenpeace Schiff Rainbow Warrior. Konfrontiert mit dem Leid zahlloser Frauen, die keinen Zugang zu reproduktiver Gesundheit haben, gründete sie die Women on Waves, später auch die Women on Web.