Nicht einvernehmlich

in (11.11.2015)

Vergewaltigung ist in Österreich und Deutschland verboten. Wo sie beginnt, ist Auslegungssache. Ein Nein der Frau ist gegenwärtig in beiden Staaten nicht ausreichend. 

Eine Frau liegt abends auf der Couch. Im Zimmer nebenan schlafen die Kinder.
Ihr Mann, der bereits öfters gewalttätig wurde, wünscht sich Analverkehr. Sie lehnt ab, er zwingt sie dazu, drückt sie gegen die Wand. Sie weint und windet sich. Der deutsche Bundesgerichtshof hat im März 2012 die Verurteilung des Mannes wegen eines sexuellen Über­griffs aufgehoben. Das Landgericht hätte untersuchen müssen, ob die Frau Fluchtmöglichkeiten hatte oder durch Schreie die NachbarInnen alarmieren hätte können.

Ein Nein reicht nicht. Wegen solcher Entscheidungen wird der Paragraf 117 in Deutschland seit Jahren heftig kritisiert. Justizminister Heiko Maas (SPD) soll laut „Spiegel“­Informationen in einem vertraulichen Gespräch zwischen den JustizministerInnen von Bund und Ländern seinen KollegInnen vorgewor­fenen haben, sie sähen das Thema Ver­gewaltigung „zu weiblich“ (1). Nun plant er eine Reformierung des Paragrafen. Allerdings forderte er zuerst die Länder auf, ihm über die Probleme mit dem Gesetz zu berichten. Der Tenor ist klar: Der Paragraf muss geändert werden. Bisher legt er fest, dass eine Vergewal­tigung nur dann vorliegt, wenn jemand eine andere Person mit Gewalt, durch bestimmte Drohungen oder durch Ausnutzen einer schutzlosen Lage zu sexuellen Handlungen nötigt. Es reicht folglich nicht aus, wenn eine Frau ein­deutig Nein sagt. KritikerInnen merken an, dass Vergewaltigungsopfer, die sich aus Angst, beispielsweise vor Verlust ih­res Jobs oder ihrer Aufenthaltsbewilli­gung, nicht wehren, den Tatbestand der Vergewaltigung nicht geltend machen können.

Gefahr für Leib und Leben. Ein Nein muss reichen – das verlangt Artikel 36 der Istanbul­-Konvention, die auch Deutschland unterzeichnet hat. Die Konvention, die vom Europarat im Jahr 2011 initiiert wurde, hat die Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen zum Ziel. Artikel 36 des Über­einkommens verpflichtet die Vertrags­staaten, alle nicht einvernehmlich statt­findenden sexuellen Handlungen unter Strafe zu stellen. Die Rechtsnorm trat am 1. August 2014 in Kraft. Ratifiziert hat die Konvention auch Österreich.

Derzeit ist es für einen Schuld­spruch im Sinne des Paragraf 201 in Österreich nötig, dass der Täter Gewalt ausübt, dem Opfer die persönliche Frei­heit entzieht oder dieses mit Gefahr für Leib und Leben bedroht. Auch in Österreich reicht ein Nein (noch) nicht aus. Darin sieht auch der österreichische Justizminister ein Problem. Gegen­über der Tageszeitung „Der Standard“ sagt Wolfgang Brandstetter, Österreich habe ein grundsätzlich sehr gutes und funktionierendes Sexualstrafrecht. Es gebe aber „einen kleinen Graubereich, in dem wir etwas nachschärfen beziehungsweise präzisieren können“, so der Justizminister. Die für 2015 geplante Strafrechtsreform möchte er nutzen, um den Tatbestand der „Verletzung der sexuellen Selbstbestimmung“ einzu­führen. Damit wären zukünftig auch Fälle strafbar, in denen sich Opfer von sexualisierter Gewalt aus Angst nicht körperlich zur Wehr setzen und auch keinen verbalen Widerstand wagen, aber in für den Täter erkennbarer Weise mit dessen Vorgehen nicht einverstan­den sind.

Sowohl in Österreich als auch in Deutschland wird der Ruf nach einer Anpassung des Strafrechts an die Istan­bul­-Konvention lauter. Die Kampagne und Petition „Ein Nein muss genügen“ des Österreichischen Städtebunds, federführend vom Frauenbüro der Stadt Salzburg geleitet, zielt darauf ab, dass jede sexualisierte Handlung gegen den erkennbaren Willen der betrof­fenen Personen strafbar ist. Auch in Deutschland wird dasselbe gefordert: Die Organisation Terre des Femmes hat Anfang Mai 2014 Justizstaatssekretär Christian Lange eine Petition mit knapp 30.000 Unterschriften überreicht. Auch sie fordert eine Reform des Vergewaltigungsparagrafen und bezieht sich dabei auf die Istanbul­Konvention. „Kaum ein Verbrechen in Deutschland wird so selten bestraft wie eine Vergewalti­gung – obwohl es eine der häufigsten Formen von Gewalt an Frauen ist: Alle drei Minuten wird in Deutschland eine Frau vergewaltigt!“ führt Terre des Femmes an.

 

lu_wu/flickr

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Ohne Spur kein Beweis? Ein im Zuge der Novellierungsdiskussion häufig genannter Kritikpunkt ist die schwierige Beweisbarkeit von Sexualdelikten ohne Gewaltanwendung. Meist steht Aussage gegen Aussage. Doch auch der Tatbestand einer Drohung hinterlässt keine ärztlich attestierbaren Spuren. Sollen strafwürdige Handlungen straffrei bleiben, wenn es Probleme bei deren Beweisbarkeit aufgrund fehlender Gewalteinwirkung geben könnte? Für Tatjana Härle, Professorin für Strafrecht an der Humboldt-­Universtität zu Ber­lin, ist klar: „An der Strafwürdigkeit von Tätern, die bei Wissen um das fehlende Einverständnis solche Situationen für sexuelle Übergriffe ausnutzen, kann es eigentlich keine ernsthaften Zweifel geben.“

Eine Anpassung der Vergewal­tigungsparagrafen würde aber zur allgemeinen Verständlichkeit der Straftat „Vergewaltigung“ entscheidend beitragen. In ihrer Stellungnahme auf verfassungblog.at schreibt Härle: „Die Botschaft ‚sexuelle Handlungen ohne Einverständnis der anderen Person sind von Rechts wegen verboten‘ dürfte für Bürger und Bürgerinnen sehr viel einfacher und klarer zu verstehen sein als der Inhalt von vielen anderen straf­rechtlichen Normen.“

Einige BefürworterInnen der No­vellierung halten es auch für wahrscheinlich, dass eine klarere Definition dazu beitragen könnte, Opfer sexuali­sierter Gewalt zu ermutigen, Anzeige zu erstatten. Die 2011 veröffentliche „Österreichische Prävalenzstudie zur Gewalt an Frauen und Männern“ geht von einer Dunkelziffer bei Vergewal­tigungen von eins zu elf aus, nur 8,8 Prozent der Vergewaltigungsopfer er­statten demnach Anzeige. Im Jahr 2013 wurden 920 Anzeigen nach Paragraf 201 des Strafgesetzbuches in Österreich getätigt, allerdings wurden nur 104 Verurteilungen ausgesprochen. Auch in Deutschland führten am Ende nicht einmal zehn Prozent der Anzeigen zu einer Verurteilung.

Keine Auslegungssache. Historisch gesehen ist das heutige Strafrecht das Produkt patriarchaler Machtverhältnisse. Wurde Vergewaltigung früher als Eigentums­- und Ehrdelikt gehandhabt – als Angriff auf Ehemann und Familie, später als Angriff auf die Nation – fand seit den 1970er­Jahren die Idee der sexuellen Selbstbestimmung der Frau Eingang in die Gesetzestexte. Die Angst der Männer, eine Frau könne sich mit Hilfe einer vorgetäuschten Vergewalti­gung an ihnen rächen, wiegt allerdings immer noch schwer. Solche Vergewalti­gungsmythen werden gerne wieder aus der Mottenkiste geholt, wenn über eine Reformierung des Sexualstrafrechts diskutiert wird. Die derzeit in Öster­reich laufende Strafrechtsreform bietet ebenso wie die Diskussion in Deutsch­land die Möglichkeit, den jeweiligen Vergewaltigungsparagrafen unter Be­rücksichtigung der Istanbul­-Konvention zu novellieren. Der Konvention folgend wäre damit Sexualkontakt ohne beider­seitiges Einverständnis strafbar.

Die Vergewaltigungsparagrafen in beiden Ländern würden zwar schon heute den Gerichten die Möglichkeit bieten, für das Opfer Recht zu spre­chen. Doch die Gesetze werden von RichterInnen unterschiedlich ausgelegt und somit ist die „schutzlose Lage“ Definitionssache. Der deutsche Bundesgerichtshof gilt dabei als richtungs­weisend. Obwohl die Frau an die Wand gedrückt wurde, kam der Mann frei. Denn wo Gewalt beginnt, ist ebenfalls Auslegungssache. 

 

(1) Sexualisierte Gewalt, zu der auch Vergewaltigung zählt, richtet sich haupt­sächlich gegen Mädchen* und Frauen*. Sie ist ein Ausdruck geschlechtsspe­zifischer Diskriminierung. Sexualität wird dabei instrumentalisiert, um Machtbeziehungen zu de­finieren bzw. zu festigen. Auch Männer können Op­fer sexualisierter Gewalt werden. Gegenwärtig ist der überwiegende Anteil der Opfer weiblich. In die­sem Artikel wird explizit auf die Lage von Frauen* eingegangen.

 

Dieser Artikel erschien in: an.schläge, das feministische Magazin, www.anschlaege.at