Österreich hat einen europafreundlichen, weltoffenen Bundespräsidenten

Van der Bellen hat die Wahl gewonnen

Laut dem vorläufigen amtlichen Endergebnis hat Alexander Van der Bellen bei der Bundespräsidentenwahl in Österreich 51,68% der Stimmen auf sich vereinigen können und lag damit deutlich vor seinem Konkurrenten, dem Rechtspopulisten Hofer, auf den 48,3% entfielen. Unter Einrechnung der Briefwahlstimmen, die erst später ausgezählt werden, ist der Vorsprung des grünen Präsidentschaftskandidaten mit 53,3% zu 46,7% noch deutlicher ausgefallen.

Damit hat Van der Bellen etwa 300.000 Stimmen mehr gewonnen als sein Konkurrent Hofer. Die Wahlbeteiligung ist laut Hochrechnungen von 72,7% auf 74% gestiegen. Von der etwas größeren Mobilisierung hat ganz offensichtlich Van der Bellen profitiert. Hofer hat es nicht geschafft, seine Wählerschaft an die Urnen zu bringen. Er verliert 70.000 Anhänger in das Lager der Nichtwähler und gewinnt 33.000. Van der Bellen dagegen konnte 169.000 ehemalige Nichtwähler für sich einnehmen und verliert sehr viel weniger.

Van der Bellen überzeugte seine Wähler vor allem damit, dass er Österreich im Ausland gut vertreten könne (für 67% »sehr wichtiges« Motiv) sowie mit seiner pro-europäischen Haltung (65%). Amtsverständnis (59%) und Kompetenz (58%) waren ebenfalls wichtige Entscheidungsmotive. 42% der Van der Bellen-Wähler erklärten allerdings, dass es ihnen eher um die Verhinderung des Gegenkandidaten gegangen sei. 54% sahen auch eine Richtungsentscheidung für Österreich.

Knapp 6,4 Millionen ÖsterreicherInnen waren in der dritten Runde zur der Bestimmung eines neuen Präsidenten wahlberechtigt. Aus dem ersten Wahlgang am 24. April war – bei insgesamt sechs Kandidaten – Norbert Hofer mit 35,05% als Erster vor Alexander Van der Bellen hervorgegangen, der mit 21,34% in die Stichwahl einzog. Schon der Ausgang des ersten Wahlgangs war eine politische Klatsche: Kritik am herrschenden politischen System, am politischen Establishment und an der spezifischen  Parteiendemokratie in Österreich brach sich Bahn. Erstmals stellte nicht eine der ehemaligen Großparteien SPÖ und ÖVP den Bundespräsidenten. Die WählerInnen verwiesen sie auf die Zuschauertribüne. Allerdings ist der Niedergang des Establishments sowie eine selbstkritische Verarbeitung dieser Niederlage bis heute mehr als bescheiden.

Der Bundespräsident ist auch in Österreich faktisch mehr Repräsentant der Republik und politisch-moralischer Mittler zwischen den Gräben ohne besondere Machtbefugnisse. Doch nach dem Wortlaut der Verfassung kann er die Verhältnisse im Land regelrecht auf den Kopf stellen, z.B. durch die Ausrufung von Neuwahlen. Insofern versprach sich die rechtspopulistische FPÖ mehr als weitere Reputation von einem Sieg.


Mehr als nur eine Bundespräsidentenwahl

Es war eine Richtungswahl. Im Wahlkampf erhielt eine Rentnerin zuletzt große Aufmerksamkeit. Mehr als 3,5 Mio. Menschen haben sich bei Facebook und Youtube angehört, was ihnen eine 89 Jahre alte Frau aus eigener, bitterer Erfahrung zum Thema Rechtspopulismus zu sagen hat. Zahlreiche Zeitungen und Sender berichteten darüber. Ihre Botschaft: Was die Populisten zu bieten hätten, wäre vor allem »Falschheit«. Daher ihr Appell: Wählt mit Verstand, denkt die Dinge durch und lasst Euch  nicht belügen. Das Heruntermachen des jeweils anderen, keine Achtung vor dem Gegenüber zu haben, sagt sie, störe sie »am allermeisten«. Das Niedrigste aus dem Volk herauszuholen, »nicht das Anständige«, das habe sie schon einmal erlebt. Und dies habe sie und nicht nur sie nach Auschwitz geführt.

Die Wahl des Bundespräsidenten in Österreich war von Pannen überschattet. Nachdem Hofer im ersten Wahlgang im April auf Platz eins gelandet war, lag Van der Bellen bei der Stichwahl im Mai knapp vorn. Wegen Unregelmäßigkeiten wurde die Stichwahl jedoch annulliert. Wegen der Briefwahlstimmen gewann van der Bellen den Stichentscheid.

Zu den bestimmenden Wahlkampfthemen gehörten Abstiegsängste in der Bevölkerung, die Flüchtlingskrise, die Auswirkungen der EU-Erweiterung und die Sparpolitik. »Wir dürfen uns nicht schämen zu sagen: Wir sind stolz, Österreicher zu sein«, sagte Hofer beim abschließenden Wahlkampfauftritt. Die EU-Außengrenzen sollten geschützt werden, nach Österreich solle nur einwandern, wer dort tatsächlich gebraucht werde.

In Hofers Wahlkampagne finden wir alle Ingredienzen rechtspopulistischer Programmatik. Er punktete vor allem mit der Anti-Establishment-Botschaft. Seine WählerInnen machten ihr Kreuz überwiegend wegen ihm (51%), und nicht um den Gegner zu verhindern (24%). Wichtigste Wahlmotive für Hofer waren, dass er die Sorgen der Menschen verstehe (55% »sehr wichtiges« Motiv), kompetent sei (55%) und gegen das etablierte politische System auftrete (54%). Für 52% war ein sehr wichtiges Wahlmotiv, dass Hofer wichtige Veränderungen im Land anstoßen könne.

Hofer erhielt noch am Wahl-Sonntag Solidaritätsadressen vom niederländischen Rechtspopulisten Geert Wilders und der Chefin des Front National in Frankreich, Marine Le Pen. In Österreich ist der Aufstieg des europäischen Rechtspopulismus bei der Präsidentenwahl gestoppt worden. Dies ist freilich nur eine Zwischenetappe. Auch in Österreich überzeugt die politische Klasse eben nicht durch überzeugende Lösungen von gesellschaftlichen Fragen und eine offensive Kommunikation mit der Bevölkerung.

Durch den Sieg Van der Bellens wurde zwar Zeit gewonnen, um eine Antwort auf die hinter dem Vormarsch der FPÖ wie auch der anderen rechtspopulistischen Parteien liegenden ökonomisch-sozialen Fragen zu finden, aber eine Veränderung der Kräfteverhältnisse für einen Politikwechsel in Richtung einer Rekonstruktion der gesellschaftlichen Wertschöpfung und der Bekämpfung der sozialen Ungleichheit zeichnet sich gegenwärtig nicht ab.

Die österreichische Wirtschaft befindet sich in einem leichten Aufwärtstrend. In den Jahren 2016 und 2017 werden Wachstumsraten von jeweils 1,7% erwartet. Allerdings ist dieses Wachstum bezogen auf die bestehenden gesellschaftlichen Probleme unzureichend. Aufgrund des relativ niedrigen Wirtschaftswachstums sowie des steigenden Arbeitskräfteangebots ist auch die Arbeitslosenquote in den letzten Jahren deutlich gestiegen – und steigt im Unterschied zum EU-Durchschnitt weiterhin. Abgesehen von den Themenfeldern soziale Sicherheit (Rente) und Bildung ist das drückendste Problem die Migration. Die Bewältigung der Flüchtlingskrise und des Migrationsdrucks an den EU-Außengrenzen zählt im Bereich des Auswärtigen Handelns zu den wichtigsten Herausforderungen im Jahr 2016.

Ein zentrales Element ist dabei die Kooperation mit den Herkunfts- und Transitländern, einschließlich der konzertierten Unterstützung von Flüchtlingen in Drittstaaten. Allerdings hat die Blockierung der Balkenroute nur weitere Probleme aufgerissen und von einer zukunftsorientierten Politik kann keine Rede sein. Entscheidend für den weiteren Fortgang der innenpolitischen Konfrontation mit der rechtspopulistischen FPÖ ist daher die Entwicklung eines zukunftsorientierten Politikangebotes mit durchgreifenden gesellschaftlichen Reformen.