Innovatives im russisch-japanischen Verhältnis


Beobachter sind sich weitgehend einig: Der Japan-Besuch des russischen Präsidenten Wladimir Putin Mitte Dezember vergangenen Jahres, seine intensiven Gespräche mit Premier Shinzō Abe in Nagato und Tokio, hätten zu keinem Durchbruch in den bilateralen Beziehungen geführt.
Das zentrale Problem, der leidige Streit um eine Reihe von Inseln des sich zwischen der russischen Halbinsel Kamtschatka und der japanischen Insel Hokkaidō erstreckenden Kurilenbogens (japanisch Chishima-rettō – Archipel der tausend Inseln) – Iturup (Etorofu), Kunashir (Kunashiri) sowie Shikotan und die Habomai-Gruppe – sei ungelöst geblieben; Verlautbarungen über deren eventuelle gemeinsame Nutzung entbehrten jeglicher rechtlicher Grundlage; von der Unterzeichnung eines seit Jahrzehnten überfälligen Friedensvertrages sei man nach wie vor weit entfernt; kurzum, das Verhältnis bleibe prekär...
Aber vielleicht ging es Moskau und Tokio ja gar nicht um einen „Durchbruch“, sondern angesichts der wirklich schwierigen bilateralen Gemengelage „lediglich“ um gute alte Vertrauensbildung. Aus dieser „weichen“ Perspektive betrachtet, war Putins Visite nämlich alles andere als ein Flop (siehe WeltTrends, 1/2017).
Dies umso mehr, als diese Visite auch eine Reihe sehr konkreter, „harter“ Ergebnisse produzierte: Gut 60 Vereinbarungen im Gesamtwert von rund 2,5 Milliarden USD. Darunter natürlich auch Energieprojekte, so auf der nordwestsibirischen Halbinsel Jamal (Stichwort: Yamal-LNG).
Aber nicht sie bestimmten die russisch-japanischen Gipfelgespräche, sondern Abkommen jenseits von Öl & Gas: zur Modernisierung staatlicher russischer Technologie-Infrastruktur, vor allem jedoch zur Förderung innovativer Firmengründungen im Hochtechnologie-Bereich.
Ende 2014 hatte Putin eine Nationale Technologie-Initiative angekündigt. Gemeint war ein langfristiges Komplexprogramm zur Förderung global konkurrenzfähiger Hochtechnologie-Unternehmen. Mit seiner Dezember-Visite signalisierte Russlands Präsident einmal mehr, dass er Japan diesbezüglich als einen Schlüsselpartner ausgemacht hat.
Das in diesem Zusammenhang in Nagato & Tokio zur Sprache Gekommene kann sich durchaus sehen lassen. So verständigten sich die Moskauer Technische Universität für Telekommunikation und Informatik (MTUSI) und das japanische Nationale Institut für Informations- und Kommunikationstechnologie auf die gemeinsame Erforschung WLAN-fähiger Breitbandnetze der jüngsten Generation (5G+), notwendig zur Lösung vielfältiger Aufgaben im Rahmen des „Internets der Dinge“ (Gesundheitsvorsorge, Energie-Management, „intelligente Städte“, Umweltschutz ...).
Gleich mehrere Abkommen zielen auf die Verbesserung des russischen Postdienstes. Etwa zwischen Russlands Ministerium für Tele- und Massenkommunikation und Japans Ministerium für Innere Angelegenheiten und Kommunikation über IT-gestützte Postdienstleistungen, dem staatlichen russische Postunternehmen Potschta Rossii und Japans privatem Postdienstleister Nihon yūbin über netzbasierte Kundenbetreuung, oder zwischen Potschta Rossii und Toshiba über die Automatisierung russischer Post- und Logistiksysteme in Moskau und Nowosibirsk.
Besonders bemerkenswert an der sich abzeichnenden russisch-japanischen Innovationspartnerschaft: die massive Einbeziehung der 2011 gegründeten Technopolis Skolkowo. Gelegen vor den Toren Moskaus, beherbergt das rund 500 Hektar große Areal Forschungscluster für fünf strategische Industrien (IT, Biomedizin, Energetik, Nukleartechnik, Weltraum & Telekommunikation), 50 R&D-Zentren, einen Technopark, ein Kulturzentrum, ein Krankenhaus, eine Schule sowie Wohn- und Arbeitsräume für rund 30.000 Menschen. Hauptanliegen des mit gut fünf Milliarden USD staatlich anschubfinanzierten Projekts: die Überwindung der rohstofflastigen russischen Exportstruktur durch gezielte Förderung innovativer Techno-Startups.
Seit 2013 geschieht dies auch mit Hilfe japanischer Firmen. Die Erste war das Traditionsunternehmen Shimadzu, einer der wichtigsten Hersteller von Geräten der instrumentellen Analytik. Im Jahr darauf folgte mit Panasonic eines der weltweit führenden IT-Unternehmen. Am Rande des Dezember-Gipfels konkretisierten Panasonic Russland und die Skolkowo-Stiftung ihr Rahmenkooperationsabkommen für das Jahr 2017. Im Mittelpunkt: Die Förderung innovativer Projekte in den Bereichen Biomedizin, Robotik, IT, Datensicherheit, Urbanistik und Landwirtschaft sowie die Schaffung regionaler Innovationssysteme, insbesondere in Sibirien und Russlands Fernem Osten.
So werden sich die Japaner an der Projektierung des Skolkowo-basierten Moskauer Internationalen Medizinzentrums beteiligen sowie Startup-Firmen unterstützen, die Hochtechnologie für „intelligentes Stadt-Management“ und gewächshausbasierte Pflanzenzüchtung entwickeln und international vermarkten wollen.
Bereits im vergangenen Sommer hatten sich Panasonic und Skolkowo-Resident RAIDIX, ein russischer Spezialist für professionelle Speichersoftware darauf verständigt, gemeinsam ein System hybrider Sicherung „heißer“ und „kalter“ Daten für einen Zeitraum von 100 Jahren zu entwickeln. Vor seiner weltweiten Vermarktung soll es in medizinischen Großeinrichtungen, Museen, Universtäten, staatlichen Archiven und öffentlichen Bibliotheken Russlands zum Einsatz kommen. Ein entsprechendes Abkommen wurde im Dezember „aus gegebenem Anlass“ unterzeichnet.
Derweil drängen weitere japanische Spitzenfirmen in Russlands Hightech-Paradies. Etwa Fujitsu, das ebenfalls am Rande des Dezember-Gipfels ein Kooperationsabkommen mit Skolkovo-Resident ABBYY, einem bekannten russischen Entwickler & Vermarkter von Anwendungen maschinellen Sehens und der Computerlinguistik, unterzeichnete.
Das Interesse der Japaner an Orten wie Skolkowo kommt nicht von ungefähr. Zu ihrer eigenen Technopolis Tsukuba, konzipiert in den 1960ern und aufgebaut in den 1970ern gut 60 km nordöstlich von Tokio, hatte sie die ab 1957 nahe Nowosibirsk errichtete sowjetische Wissenschaftsstadt Akademgorodok inspiriert.
Daran hatte auch Hideki Iwabuchi, Spitzenbeamter im japanischen Ministerium für Bildung, Kultur, Sport, Wissenschaft und Technologie die Teilnehmerinnen und Teilnehmer des im vergangenen Oktober in Moskau stattgefunden 6. Russisch-Japanischen Rektorenforums erinnert, als er anmerkte, Tsukubas Wurzeln lägen auch in Russland.
Überhaupt war dieses Forum in vielerlei Hinsicht bemerkenswert. Nicht nur, dass es mehr als 60 Vertreter japanischer und gut 40 Vertreter russischer Hochschulen versammelte. Erstmals seit seiner Etablierung im Jahre 2009 stellten sich die teilnehmenden akademischen Einrichtungen nicht nur gegenseitig vor, sondern präsentierten auf japanischen Wunsch wissenschaftliche Fragestellungen und Projekte. Einhellig begrüßt wurde die Absicht Tokios, die Zahl der Austauschstudenten von gegenwärtig rund 500 in den kommenden drei Jahren auf 2000 zu erhöhen.
Ebenfalls neu: der systematische Ausbau regionaler universitärer Netzwerke. Etwa zwischen der Hokkaidō-Universität Sapporo und fünf russischen Universitäten: in Wladiwostok, Jakutsk, Chabarowsk, Juschno-Sachalinsk und Irkutsk.
Der Abstand zwischen unseren Ländern, so Professor Atsushi Sakaniwa von der renommierten Tokioter Waseda-Universität  habe in letzter Zeit abgenommen. Mit diesem Eindruck ist er sicherlich nicht allein.
Nun höre ich schon die Krittler: alles schön und gut, aber wirklich entwickelte Beziehungen sähen anders aus: In der Tat ist der Umfang des bilateralen Handels (2015) mit rund 20 Milliarden USD eher bescheiden. Und man könnte weitere statistische Fakten ins Feld führen, die das Bild noch mehr eintrüben würden. Aber die Dinge sind im Fluss und qualitative Weichenstellungen wurden und werden von beiden Seiten vorgenommen. Die Konzentration auf innovative Bereiche gehört zweifellos dazu.
Die Förderung konkurrenzfähiger technologischer Startup-Firmen sowie das Knüpfen regionaler Hochschulbande sind zwei Tendenzen, die, wenn sie zusammenkommen, synergetische Effekte auslösen werden, deren Wirkung auf die politischen und wirtschaftlichen Verhältnisse nicht nur im nordosteurasischen Raum erheblich sein dürften...