Berufsverbote historisch betrachtet

Auszug aus den Marxistischen Blättern 04_2017: "Rechtstrends international"

Zur historischen Ausgangslage nur Stichworte: die Nachwirkungen von Faschismus und Krieg in den Köpfen, vor allem der speziell deutsche »Schuldabwehr-Antikommunismus«, die Rechtfertigung eigener Verstrickungen aus der Fortgeltung des Kreuzzugs-Konzepts. Antifaschismus – wenig attraktiv, noch weniger der ostdeutsche Sozialismusversuch, der die gesamte Reparationslast und westliche Wirtschaftsblockaden ertragen musste; die Kontinuität der wirtschaftlichen und politischen Machteliten, vor allem behördlich, justiziell und publizistisch. Dann die erste Berufsverbotswelle nach dem so genannten Adenauer-Erlass von 1950 gegen Kommunisten und 11 andere linke oder »neutralistische« Verbände. Das »Blitzgesetz«, dessen nazistische Schöpfer mit dem neuartigen Delikt der »Staatsgefährdung« ausdrücklich die »bloße Gesinnung« bestraften. Das KPD-Verbot des Bundesverfassungsgerichtes von 1956: davor etwa 2500, danach knapp 8000 Haftstrafen gegen Kommunisten, parteilose Unterstützer und aktive Aufrüstungsgegner. Oftmals standen sie den gleichen Staatsanwälten und Richtern gegenüber wie in der Nazi-Zeit. In der verfassungs- und strafrechtlichen Lehre dominierten bald die Schüler des Cheftheoretikers des braunen Rechtsnihilismus, Carl Schmitt, der im Rahmen einer »Feindbestimmung« durch den Mächtigsten die »bindungsfreie Gewalt« zur einzigen Norm erklärt hatte – konkret gegen in- und ausländischen Sozialisten, liberalistische Zersetzer und minderwertige Völker.
Globke, Vater der Nürnberger Rassegesetze und dann Herr des Bundesbeamtenapparates, Reinhard Gehlen, Hitlers und Adenauers Geheimdienstchef, und Hubert Schrübbers, NSSonderrichter geköpfter Kommunisten und Wehrkraftzersetzer und Präsident des Bundesverfassungsschutzamtes bis 1975; Walter Roemer, der die Geschwister Scholl zu Guillotine geführt hatte, im Justizministerium für öffentliches Dienstrecht, also uns, zuständig, Wolfgang Immerwahr Fränkel, fanatischster Henker am Reichsgericht und dann als Generalbundesanwalt bis zur Spiegel-Affäre fanatischer politischer Strafverfolger – und und und –: alles Leitbilder staatstreuen Beamtentums.
Aber dieser Ära, in der wir haarscharf am Atomkrieg vorbeigeschrammt sind und F. J. Strauss immer wieder ankündigte: »Der 2. Weltkrieg ist noch nicht zuende… Die bolschewistischen Sittlichkeitsverbrecher werden wir bis zum Ural ausradieren«, folgte nach Mauerbau und Kuba-Krise ein Vierteljahrhundert eines realen und zunehmend gefühlten Koexistenzzwangs, eines hart erkämpften und nachhaltigen Zivilisationsschubs, der modernisierenden Anpassung, der Ent-Taiwanisierung (Brandt), eines neuartigen Verfassungsengagements, ja einer gewissen »Marxismus-Renaissance«. Egon Bahr bezeichnet die Entspannungspolitik als »Schleichweg zum Sieg über die Kommunisten« – aber wahr ist auch, dass sie eben doch einen entfaschisierenden Mentalitätswandel in Kauf nehmen musste, der andererseits große Teile der politischen Klasse, Geheimdienstler, Personalreferenten und Richter zutiefst verstörte: Berufsverbote als Ersatzbefriedigung. Hier konnten die 1950er Jahre weitergehen.
Die Berufsverbote waren eine ausgefeilte Kombination individueller Repression nonkonformistischer Elemente und einer rechtskonservativen Ideologieoffensive in einer Zeit, in der dank eines vorübergehenden linken Autoritätsgewinns so hochrangige Spektakel wie das KPD-Verbot oder die Hallstein- Doktrin peinlich geworden waren. Der Radikalenerlass von 1972 reagierteauf eine neuartige kritische Jugend, die in die sozialrelevanten und infrastrukturell-technischen Berufe vom Lehrer bis zum Lokführer,also den öffentlichen Dienst, drängten. Und es gab wieder eine zunächst Einfluss gewinnende Kommunistische Partei. Da sagte der aus der Opposition gegen die Ostverträge und der Aktion Kanzlersturz bekannte Rainer Barzel: »Der Öffnung nach außen darf keine Öffnung nach innen folgen!« Für Willy Brandt und die Sozialdemokratie waren die von ihnen selbst losgetretenen Berufsverbote auch als eine Art »Bauernopfer« zur Absicherung nach Rechts kalkuliert – und fehlkalkuliert.
Der Radikalenerlaß als solcher hatte keinerlei Rechtsqualität. Er war nur eine Meinungskundgabe der Regierungschefs ans Volk: Mitglieder oder Personen mit sympathisierenden Kontakten zur DKP oder Organisationen, die von den Geheimdiensten als verfassungsfeindlich bezeichnet werden, dürfen nicht in Berufe und Ausbildungen des öffentlichen Dienstes. Mangels Rechtsgrundlage war das der berühmte Stein ins Wasser, um Kreise zu ziehen und im Instanzenwege an die obersten Gerichte, insbesondere das Bundesverwaltungsgericht zu gelangen, wo damals noch »zuverlässige« Leute aus der braunen Zeit saßen. Die Namen der höchstrangigen Urteilsverfasser sind besonders blutbesudelt: Willi Geiger, Weber-Lortsch, Chapeaurouge, Hering. Und manchmal drängte sich der obszöne Eindruck auf, dass sich da Alte Kameraden an jungen Mädchen für Stalingrad rächen wollten. Deren »Grundsatzurteile« sollten dann nach unten als formelle Rechtsquelle dienen, zu dessen Inhalt dann jeder Betroffene Treue zu bekunden hatte. Das verstieß natürlich gegen geltendes Verfassungsrecht, das Gleichheitsgebot nach Art 3 GG, den gleichen Zugang zum öffentlichen Dienst allein »nach Eignung, Befähigung und Leistung« nach Art 33 II GG, internationale Schutzabkommen (Übereinkommen gegen berufliche Diskriminierung Nr. 111 der ILO –Arbeitsorganisation der UNO –, die Verletzung hat 1986 der Untersuchungsausschuß der ILO in einem langen Verfahren rechtsverbindlich festgestellt, was das BVerwG sofort als »bloße diplomatische Empfehlung« ignorierte). Von den Umgehungskonstruktionen haben sich der Eignungsmangel und die Treuepflichtverletzung im Sinne des Art. 33 V GG durchgesetzt: »die hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums«, verstanden als antikommunistisches, quasitotalitäres Denunziationskontinuum, das ja als solches nicht ganz unlogisch ist: alles Kapitalkritische lässt sich formallogisch auf einen realen oder gedachten nicht-kapitalismusimmanenten, also tendenziell revolutionären Einflussfaktor zurückführen. Verloren geht dabei die pluralistische Verfassungskonzeption als beweglicher Aggregatzustand und Kompromiss durchaus gegenläufiger Ordnungskräfte, ein Kräfteparallelogramm mit Zug und Gegenzug, das Erbe der Aufklärung.
Umgekehrt hatten alle Nazibeamten, von denen etwa 200.000 irgendwie am Holocaust beteiligt waren, nach Art 131 GG Anspruch auf vorrangige Einstellung. Sie entsprachen ja auch der »innerstaatlichen Feinderklärung« des Carl Schmitt; soviel zu den »hergebrachten Grundsätzen«.
Zu den Zahlen: Von 1972 bis 1987 wurden 3,5 Millionen Menschen überprüft. Der Verfassungsschutz gab Negativauskünfte über rund 35.000 Personen heraus. Die Behörden versperrten anfänglich 11.000 Bewerbern die Einstellung, von denen sich allerdings viele schon vor höheren Amtsstellen oder Gericht erfolgreich wehrten, sodass am Schluss 2.350 nicht eingestellt wurden. 136 wurden entlassen.
Seit der Wende gibt es auch in Bayern keine Regelanfrage mehr, dafür Fragebogen, denen Denunziationslisten gegen Organisationen und Parteien angefügt sind. Der Bewerber soll diese also seinerseits unbesehen als verfassungsfeindlich denunzieren und damit eine oft widerlegte und weithin als anrüchig geltende Kampfgruppe gegen Links als höchstrangige Verfassungsinstanz anerkennen, bevor Gerichte hierüber geurteilt haben. In und durch diese Nötigungslage soll sich das durchsetzen. Trotzdem ist vieles eingeschlafen, »mangels Masse« würde man im Konkurs sagen, aber auch aus Scheu mancher Instanzen, die die Berufsverbotspolitik und die öffentliche Gegenwehr durchaus nicht als reinen Sieg für sich verbuchen.
Dabei ist es gelungen, die SPD ein wenig zu revolutionieren. Sie hatte die Berufsverbote ja losgetreten, um sie – oft nach der Methode des »kalkulierten Hineinschlitterns« – rechts dominierten Gerichten zu überlassen und die eigenen Hände in Unschuld zu waschen. Dann gerieten die Oberinstanzen außer Rand und Band und kreierten die Theorie vom »unüberprüfbaren Beurteilungsspielraum« der Behörden in Gesinnungsfragen. Da wurden dann auch junge, gewerkschaftlich engagierte Sozialdemokraten in den Strudel gezogen, vor allem im Süden der Republik. SPD-Juristen fragten, worin sich solche unüberprüfbaren Vorgaben eigentlich noch von echter geheimdienstlicher Weisungsgebundenheit angeblich
unabhängiger Richter unterscheiden. Man stellte dann sogar einige rechtskräftig Abgewiesene wieder ein. Zum Pegelstand der Rechtsprechung: bei der Verwaltungsgerichtsbarkeit für Beamte sind wir weitgehend eingemauert, bei der Arbeitsgerichtsbarkeit für Arbeiter und Angestellte gibt es noch Spielräume. (Das ist ein eigenes Referat!)
Wir haben damals einen breit gefächerten Kampf unterhalb der Schwelle des Bundesverfassungsgerichts vorgezogen, da wir über die dortigen Mehrheitsverhältnisse genauestens unterrichtet waren. Seine tragenden Gründe haben Gesetzeskraft; und damit wäre die Solidaritätsbewegung schwer geschädigt worden. Herbert Wehner hoffte öffentlich, dass »dort mit dem Berufsverbotsgeschrei schnell tabula rasa gemacht wird«. In Karlsruhe wartete ein obsessiver Antisozialist, der zuständige Dezernent Hans Hugo Klein, auf uns. Er war und ist u. a. der führende Verfechter des braunen Rechtsterroristen Carl Schmitt. Nein, einem solchen legt die Tochter von Peter und Etty Gingold nicht ihr Haupt vertrauensvoll in den Schoß.
Kommunisten waren die am schwersten Betroffenen, aber nicht die meisten. In Bayern waren es etwa 70 Prozent – Mitglieder von VVN, DFG-VK, DFU, SHB, Asten und Fachschaften, anfangs sogar Freidenker, Naturfreunde und Notstandsgesetzgegner aus längst vergangener Zeit –, denen eine personelle oder ideelle Kontaktschuld mit Kommunisten vorgeworfen wurde. An ihnen wird deutlich, dass die Berufsverbote sich nicht nur gegen Existenz- und Karriereinteressen richteten, sondern gezielt für eine rechtskonservative Ideologiekampagne instrumentalisiert wurden. Natürlich war immer der »Kommunismus« Hauptbezugspunkt des Denunziationskontinuums, der schmierseifigen Gleitschiene. Ihnen wurde übrigens nie eigenes verfassungsfeindliches Handeln oder Äußern vorgeworfen; sondern das wurde gelegentlich von alten marxistisch-leninistischen Zitaten, meist aber von wirklichen oder angeblichen Missständen in der SU und in der DDR hergeleitet, die doch immerhin zu einem Teil (!) auf den Raub- und Vernichtungskrieg zurückzuführen waren, den die gleiche politische Klasse einmal so fanatisch betrieben hatte. Die verantwortlichen Organe fürchteten keinen Umsturz, sondern eine lang andauernde Koexistenz von Kapitalismus und Sozialismus. Letzterer sollte nicht langsam vom feindlichen Störfaktor zum gefühlten Ordnungsfaktor aufsteigen.
Unter dem Dach des Antikommunismus hatte die Ideologiekampagne drei Angriffsrichtungen (für eine vierte, die sozialkritische Hochschulwissenschaft, fehlt hier die Zeit). Erstens: Bei Kommunisten wie linken Sozialdemokraten wurden Gedanken gewerkschaftlichen Kämpfertums oder der Wirtschaftsdemokratie als verfassungsfeindlich angegriffen. Gebündelt aus vielen diffusen Einzelheiten:
– der Positionenkampf gegenläufiger sozialer Interessen, schon mal »Klassenkampf« genannt;
– Zweifel an einem neutralen väterlichen Verteilerstaat; und vor allem die Betonung notwendiger Selbsttätigkeit der Unterlegenen für eigene soziale und demokratische Interessen.
Das sind die drei Säulen, auf denen eigentlich jede wirkliche Gewerkschaftsarbeit beruht.
Da wurden Legitimationsreserven auf Abruf angelegt: für eventuelle soziale Unruhen, Notstandsfälle, z. B. dass gewisse Streiks für einen Exportmeister wie uns als gemeinwohlwidrig/ verfassungsfeindlich gelten müssen. Bezeichnenderweise wurden oft gerade unter der Glocke eines »DKP-Falles« weniger die kapitalkritischen Aussagen diskriminiert, die einen DKP-Vorsitzenden Mies und einen IG Metall-Vorsitzenden Steinkühler trennten, sondern solche, die ihnen gemeinsam waren: zu gleichen Bildungschancen, zum Widerstand gegen Kapitalmacht, zum Gemeineigentum in der Stahl- und Autoindustrie, um Arbeitsplätze zu retten, oder zur Rüstungskonversion.
Den wunden Punkt, aus dem sich der quasitotalitär antikommunistische Denkansatz eigentlich schon verbietet, hat das hochkonservative, aber als rassisch Verfolgter kritisch gebliebene Gründungsmitglied des Bundesverfassungsgerichts Gerhard Leibholz berührt: »Ohne Stalingrad kein Grundgesetz!«. Wenn die Verfassungsschutzberichte und die Veröffentlichungen des Bundesverbandes der Deutschen Industrie alles, was sich je kritisch bewegte, auf die Kommunisten bzw. alles, was von der reinen Profitlogik abweicht, auf eine sozialistische Gegenposition zurückführten, haben sie eigentlich ungewollt diese als zentralen Bezugspunkt und Kraftquell anerkannt, der den Finanzmarktkapitalismus hindert, totalitär zu werden. Diese Ordnungsfunktion bleibt auch und erst recht, nachdem sich die realsozialistische Macht verabschiedet hat.
Zweitens: die Friedensbewegung: Der immerhin von US-Präsident Eisenhower warnend geprägte Begriff des »militärisch – industriellen Komplexes« galt als Verleumdung der verfassungsmäßigen Wirtschaftsordnung. Der Begriff »friedliche Koexistenz«: ein Leninscher Kampfbegriff, um sich für revolutionäre Umtriebe mehr Ruhe zu verschaffen. Die BRD hat völkerrechtliche Verträge unterschrieben, in denen die friedliche Koexistenz als Rechtsbegriff erscheint, aber gleichzeitig wurde im Innern abgeschottet, indem man die Träger dieses Gedankens der Verfassungsfeindlichkeit bezichtigte, so den Grundschullehrer Gerhard Bitterwolf wegen dessen Forderung, das Helsinki-Abschlussdokument von 1975 an den Schulen zu verbreiten, wie es dieses Dokument selbst den Staaten zur Pflicht machte.
Dem Grundschullehrer Manfred Lehner wurde der von DDR-Dissidenten geschenkte Aufstecker »Schwerter zu Pflugscharen« übel vermerkt, da dies auch »der von Kommunisten meist missbrauchte Bibelspruch« sei. Als Anwalt hatte man gleichsam einen an die Armesünderbank gefesselten Bundespräsidenten Heinemann vor dem auftrumpfenden Redaktionskollegium des BAYERNKURIER zu verteidigen. Da wurden Nadelstiche aus der CSU in den weichen Unterleib der damaligen Bonner Entspannungspolitik gestoibert. Und erst als dies mithilfe der damals starken Friedensbewegung skandalisiert wurde, versickerten die Friedens-Berufsverbote (nicht durch rechtsstaatliche Kniffe).
Drittens: der Antifaschismus. Ich wage die Behauptung, in dieser Sickerschicht der subalternen Prozesse, wo kleine Lehramtsanwärter und Friedhofsgärtner um ihre Existenz ringen mussten, wurde die Historikerdebatte ab 1986, Ernst Nolte und der Veldensteiner Kreis schon vorweggenommen: der Faschismus und seine Kriege als legitime Notwehr gegen eine Revolution, die ihrerseits keine Notwehr der Völker gegen kriegerisches und kolonialistisches Gemetzel war, sondern als terroristische Utopie frustrierter Bohemiens vom Himmel geschneit ist.
Antifaschismus war wegen der maßgeblichen Beteiligung prokommunistischer Ideen und Opfergruppen prinzipiell verfassungsfeindlich
– denn der Faschismus war unbestreitbar die konsequenteste Gegenbewegung gegen die marxistische Gefahr.
Kinder von Naziopfern, die im Spanienkrieg gekämpft hatten, wurden genötigt, den Franco- Putsch gegen die »bolschewistische« – gemeint war die verfassungsmäßig gewählte linksbürgerliche – Regierung als Befreiungstat zu loben. Zu dem Großtransparent der von Guido Knopp gezeigten Reichsparteitage: »Macht Deutschland vom Marxismus frei!« sollten sie bekennen: »Insoweit hatten die Nazis ja recht!«
– Hier die Festschrift des Bundesamtes für Verfassungsschutz mit dem Hauptartikel von Eckhard Jesse: »Vergangenheitsbewältigung– eine Delegitimierungsstrategie der Linken«.
– Hier im Verlag des Verfassungsschutzes »Antifaschismus als innen- und außenpolitisches Kampfmittel« von Hans-Helmuth Knütter und anderen rechtsradikalen Autoren.
– Hier die Habilitationsschrift der Verfassungsschutzdirektorin Bettina Blank »Deutschland – einig Antifa?«, die selbst die FAZ als »Blickverzerrung mit Rechtsdrall« verrissen hat.
– Das ist keine »bedauerlicherweise in NSUVerbrechen verwickelte Sicherheitsbehörde«, sondern von vorneherein eine als Behörde getarnte Anti-Antifa-Organisation mit erheblichen Schnittmengen mit Rechtsradikalen.
Damit verlassen wir den historischen Abriss und sind bei der aktuellen Hauptstoßrichtung des Verfassungsschutzes angelangt, dem Anti-Antifaschismus – auch als Hebel gegen die in der Weltwirtschaftskrise virulente Kapitalkritik angelegt –, vor allem in den aktuellen juristischen Feldzügen gegen die VVN. Es geht nicht an, dass nach derzeitiger Rechtsprechung die radikalen Positionen des Verfassungsschutzes »Meinungsfreiheit« wie jede andere Meinung genießen und damit den strengen Maßstäben eines belastenden Verwaltungsaktes entzogen und dann gleichzeitig abgesegnet werden als »Präjudiz«, d. h. letztgültiges und existenzvernichtendes Verdikt im angeblich »unüberprüfbaren Ermessensspielraum« einer angeblichen Fachbehörde für Verfassungsfeindliches, als welche sie gesetzwidrig das Bundesverfassungsgericht abgelöst hat. Die zu Professoren hoch gehieften Autoren von Verfassungsschutz und »Hanns-Seidel-Stiftung« geben offenherzig zu erkennen, dass ihr eklatantes wissenschaftliches Defizit durch repressive »Sicherheitspolitik« ausbalanciert werden soll. Wenn dort der Kapitalismus schlicht in Demokratie umgetauft und jeder Bedingungszusammenhang von Kapitalismus und Faschismus zur staatsfeindlichen Lüge erklärt wird, so würden sich dem 90 Prozent aller potentiellen Sachverständigen aus Gesellschaftswissenschaft und Demokratietheorie widersetzen, seien es sozialliberale Profs. wie W. Wippermann, W. Benz und N. Frei, seien es regierungsnahe Konservative wie H. A. Winkler, ja auch die richterlichen Verfasser des KPD-Verbots Martin Drath und Konrad Zweigert in ihren eigens dazu hinterlassenen Gutachten. Nein, die immer noch etablierte wissenschaftliche Mehrheitsmeinung, die eben nicht als randständige Schutzbehauptung toleranzheischender Opfer gedemütigt und bestraft werden darf, muss endlich sichtbar gegen den schleichenden Siegeszug nach wie vor anrüchiger repressiver Mindermeinungen in Front gebracht werden; denn dort spielt leider die Musik. Unsere Losung sei: Kein Gewaltmonopol für Geschichtsrevisionisten!

Kleiner Exkurs

Meine Erfahrung sagt, dass wir um eine breitere inhaltlich-politische und wissenschaftliche Delegitimierung des Verfassungsschutzes nicht herumkommen – und dies – hier liegt ein Problem! – ohne Belastung des um seine Existenz ringenden Individuums, das dafür billig und gemein abgestraft werden kann. Nur wegen dieser demütigenden Waffenungleichheit konnten die rechten Ideologeme des Verfassungsschutzes in der Rechtsprechung überhaupt so weit vordringen. Vor allem in der wissenschaftlichen Öffentlichkeit sind das aber auch heute noch wenig angesehene Minderheitspositionen und diese Diskrepanz zum nach wie vor herrschenden wissenschaftlichen Mainstream muss aufbereitet und genutzt werden. Gerade in den vordringenden Verfahren, in denen die VVN Bayern als Organisation und der von ihr vertretene Antifaschismus direkt betroffen sind, konkret im laufenden Pilotprozess in München, mit dem ihr – und dann der Gesamtorganisation – die steuerliche Gemeinnützigkeit entzogen werden soll, da sie extremistisch beeinflusst sei. Dem bayerischen Verfassungsschutz folgend, urteilte das Verwaltungsgericht München 2014, dass ihr auch ohne entsprechende Verbandsdokumente allein durch die Überrepräsentation von Linken – und gerade weil sie eben durchaus in der historischen Sache liege! – ein marxistisches Faschismus-Verständnis zuzurechnen ist, das Faschismus und Kapitalismus in einen Bedingungszusammenhang bringt, womit die Verfassungsordnung bereits in Frage gestellt sei. Denn im Schwur der Häftlinge von Buchenwald soll ja der »Faschismus mit seinen Wurzeln« beseitigt werde. Mit »Wurzeln« sei verfassungsfeindlicherweise der Kapitalismus gemeint. Alle Demos gegen Pegida und SSTraditionstreffen, zu denen die VVN mit-aufgerufen habe, seien extremistisch, auch wenn es keine Demonstrationsdelikte gab. Denn die Losung »Faschismus ist keine Meinung, sondern ein Verbrechen« richte sich gegen die Meinungsfreiheit der Verfassung. Die bedauerliche Teilnahme des Bundestagspräsidenten Thierse an Blockaden und Kanzler Schröders Ermutigung zum »Aufstand der Anständigen« sei dieser gefährlichen Sogwirkung des VVNAntifaschismus geschuldet. Die tonangebenden linken Antifaschisten
behaupteten nämlich zweierlei Grundwidersprüche: 1. zwischen Kapital und Arbeit, 2. zwischen Produktivkräften und Produktionsverhältnissen. Das allein genüge, um darin den Marxismus-Leninismus zu erkennen, den das KPD-Verbotsurteil angeblich verboten habe.
Seit der Globalisierung, Entstaatlichung, Finanzmarktkrise, Bankendominanz, Deregulierung, Privatisierung werden wir von hochrangigen Werken überschwemmt, die den Kapitalismus auch als System in Frage stellen und zwar gerade wegen Aushebelung der Demokratie, auch von prominenten Kapital- Insidern wie dem langjährige Chefökonom der Weltbank und Nobelpreistträger Joseph Stiglitz. Dann wären also weit über die Hälfte westlicher Sozialwissenschaftler »Marxisten- Leninisten«. Im Übrigen haben gerade die beiden Verfasser des KPD-Verbots Bundesverfassungsrichter Prof. Martin Drath und Konrad Zweigert gegutachtet, dass ihr Urteil keineswegs die marxistisch-leninistische Lehre und jede Art von Kommunismus aus dem Verfassungsbogen entfernen wollte. Was aber sagen 90 Prozent der Wissenschaft – ob links oder konservativ: Selbstverständlich besteht ein enger Zusammenhang zwischen Kapitalismus und Faschismus! Thomas Mann und Albert Einstein haben ihn leidenschaftlich angeklagt. Es existiert keine sozialdemokratische Faschismusanalyse, die das nicht getan hätte. Wenn die Konservative
Hannah Arendt den Faschismus als »Bündnis von Kapital und Mob« definiert, tut sie immer noch dasselbe. Die Theoriepäpste Adorno und
Horkheimer: »Wer vom Kapitalismus nicht sprechen will, soll vom Faschismus schweigen!«  Wenn dort »Kapitalismus« schlicht in »Demokratie« umgetauft wird, erhebt dagegen die mehrheitliche Sozialwissenschaft und Demokratietheorie die Anerkennung der Spannung zwischen beiden geradezu zur Voraussetzung demokratischer Gesinnung.
Inzwischen handelt es sich nicht mehr um einen Anti-Antifa-Vorstoß aus der »Ordnungszelle Bayern« heraus, sondern um eine bundesweit koordinierte Crash-Offensive gegen den Antifaschismus. Dem VVN-Bundesvorstand wurde jetzt vom Familienministerium eine Inanspruchnahme des Freiwilligendienstgesetzes mit der lapidaren Begründung versagt, »nach Auskunft der Sicherheitsbehörden erkennt die VVN die rechtsstaatliche Ordnung nicht an«. Punkt!
Einbürgerungsbewerbern wird die ihnen bisher unbekannte »Dimitroff-Formel« vorgelegt, wonach »der Faschismus an der Macht die Herrschaft der aggressivsten Kreise des Finanzkapitals« bedeute, die sie dann glaubhaft verabscheuen müssen.
Der Verfassungsschutz und seine Autoren, die Eckhard Jesse, Bettina Blank, Rudolf van Hüllen usw. geraten außer Rand und Band. Gleichzeitig aber sind die Organisationen selbst immer öfter Prozessparteien, nicht kleine existenzbedrohte Individuen. Diese Konstellation birgt aber auch Chancen für einen Paradigmenwechsel: Da steht nicht eine die Mehrheit autoritativ vertretende Fachbehörde für staatspolitisches Selbstverständnis gegen kleine toleranzheischende Außenseiter, sondern umgekehrt die immer noch herrschende Wissenschaft gegen anrüchige, NSUverstrickte Spitzel. Beispiel: Wenn wir in einem VVN- oder sonstigen Antifa-Verfahren hochrangige Politologen und Historiker – mit Antifa-Sympathien wie z. B. die Professoren Wolfgang Wippermann, Wolfgang Benz oder Norbert Frei oder Konservative wie Heinrich August Winkler u. a. – als Sachverständige zur öffentlichen Verhandlung laden und diese das vielleicht publizieren, dann sei das Beweisthema nicht die »Richtigkeit« der kapitalismuskritischen Faschismustheorien, sondern wertungsfrei der Rang und Stellenwert wissenschaftlicher Auffassungen, die den Faschismus maßgeblich von Triebkräften, realen Machtstrukturen, Erscheinungsformen und Konstellationen des Kapitalismus herleiten, in der deutschen und
internationalen scientific community. Das genügt vollkommen.
Das NPD-Urteil des Bundesverfassungsgerichts hat – abgesehen davon, dass es den Geschichtsrevisionisten Eckhard Jesse zum Hauptgutachter emporhiefte, so für die Harmlosigkeit der NPD – uns auch insofern Böses gebracht, als es die Verbotsfrage und die Verfassungswidrigkeitsfrage entkoppelte, also das »Parteienprivileg« beseitigte. Ein Großteil unserer Unterstützer im Berufsverbotskampf sagte ja nur: »Solange die Partei nicht als verfassungswidrig verboten ist, darf die legale Tätigkeit für sie nicht bestraft werden«. Das ist jetzt schwerer geworden. Es bleibt eigentlich nur noch die inhaltliche Entwertung und Skandalisierung der Verfassungsschutzverleumdungen.
Der Anwalt kann nur eine Kraft umsetzen, die außerhalb vorhanden ist oder gerade entsteht; er selbst ist als Scharfmacher ein schlechter Verteidiger. Er muss moderieren und den Instanzen Motive vermitteln, sich erst mal an Gesetze zu halten, was in politischen Verfahren nicht selbstverständlich ist: als »Formelkompromiss« – die eigentliche Kraft kommt aus den Inhalten.

Ende des Exkurses

Ich habe hier den inhaltlichen Instrumentalisierungsaspekt herausgestellt, weil er nämlich auch umgekehrt bewirkt hat, dass wir oft aus den sachlich betroffenen Konfliktfeldern sachbezogene Solidarität mobilisieren konnten – Friedensbewegung, Antifaschismus, engagierte Berufsgruppen in Erziehung, Wissenschaft, Sozialarbeit, Medizin, die mit Recht Gefahr auch für kritische Ansätze in der eigenen Sache sahen – und damit dann auch gegen die Methodik des allbeliebigen Kommunistenschrecks. Darum möchte ich zum Schluss eine herausragende moralische und politische Qualität unseres Berufsverbotskampfes ansprechen. Anders als noch in der finsteren Knastszenerie der politischen Strafjustiz, gab es hier ein breit bekanntes aktives Milieu solidarischer Kollektivität. Trotz nervenzerreißenden Distanzierungsdrucks hat kein Betroffener je andere Personen oder Organisationen der Verfassungsfeindlichkeit geziehen, bei allen klaren Unterschieden: kein Religionslehrer einen Kommunisten. Das hat geholfen. Unbedingt genannt werden muss die hochqualifizierte Solidaritätsleistung der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW).
Um mit Franklin Roosevelt zu sprechen:»Was wir fürchten müssen, das ist die Furcht.«