Die Waffenindustrie "tötet und schafft Flüchtlinge"!

in (23.07.2017)

In den beiden letzten Jahren gab es in Europa und den Vereinigten Staaten heftige Debatten über die Kosten der Aufnahme von syrischen und anderen Flüchtlingen. Über einen anderen Aspekt ihrer Verwicklung in den Konflikt herrschte dagegen völliges Schweigen: den Umfang der Waffenverkäufe in den Nahen Osten.

Zwischen 2011 und 2014 hat Europa, vorsichtig geschätzt, 21 Mrd. Euro aus dem Waffenhandel mit dem Nahen Osten eingenommen, während es für die Aufnahme von ungefähr einer Million Flüchtlingen 19 Mrd. Euro ausgab. Im gleichen Zeitraum haben die USA mindestens 18 Mrd. Euro an Waffenverkäufen verdient, während sie etwa 11.000 Flüchtlinge akzeptierten. Obwohl sie sich über die Folgen der Weitergabe von Waffen im Klaren waren, haben die Europäer wohl einen Ausgleich gewählt, indem sie ihren Steuerzahlern die kurzfristigen Kosten für die Aufnahme von Flüchtlingen im Austausch gegen Profite der Waffenindustrie aufgebürdet haben.

Im Verlauf des Krieges in Syrien sind im Westen hergestellte Waffen an verschiedene Gruppen der syrischen Opposition geliefert worden, die das syrische Regime und sich untereinander bekämpfen. 2012 kamen Berichte an die Öffentlichkeit, dass syrische Rebellengruppen in der Schweiz hergestellte Handgranaten verwendeten, die ursprünglich an die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) verkauft worden waren. In Folge davon fuhr Bern seine Waffenexporte in die VAE von 132 Mio. Euro im Jahr 2012 auf zehn Mio. Euro im Jahr 2013 zurück, steigerte sie jedoch wieder auf 14 Mio. Euro im Jahr 2014. Auch in Belgien hergestellte Waffen gelangten in die Hände der verschiedenen kriegführenden Parteien.

Zwischen 2011 und 2014 hat die Schweiz, die sich als Vorboten des Friedens rühmt, 1,5-mal mehr aus Waffenverkäufen in die Nahostregion verdient, als sie für die Aufnahme von 13.000 syrischen Flüchtlingen ausgab. Ähnlich verhielt es sich in Belgien, dessen Einkünfte aus Waffenverkäufen sich nach denen Saudi-Arabiens und der VAE auf 1,18 Mrd. Euro beliefen, denen 0,71 Mrd. für die Aufnahme von 16.000 syrischen Flüchtlingen gegenüber standen. Bei anderen Waffen produzierenden Ländern ist dieses Verhältnis erstaunlich ungünstiger, wie unten gezeigt werden soll.

In dieser kurzen Studie wollen wir den Umfang offizieller Waffenverkäufe rüstungsproduzierender Länder in den Nahen Osten zwischen 2011 und 2014 bewerten. Dabei wird das Gewicht auf dem Handel mit Jordanien, den VAE, Qatar, Kuwait, dem Königreich Saudi-Arabien und der Türkei (JUQKKT) liegen – Ländern, die enge Beziehungen mit der bewaffneten Opposition in Syrien unterhalten. Wir vergleichen dann Einkünfte aus dem Verkauf von Rüstungsgütern mit den Kosten der Aufnahme syrischer Flüchtlinge, die in Waffen exportierenden Ländern Schutz suchen1, wobei wir uns dessen bewusst sind, dass der Vergleich von Einnahmen aus dem Rüstungshandel mit der Aufnahme von Flüchtlingen die Immoralität von Waffenverkäufen weder thematisiert noch ausblendet. Wir haben Waffenproduzenten und Waffenhandel treibende Länder unter "Freunde von Syrien" zusammengefasst – bezogen auf die 2012 von dem damaligen französischen Präsidenten Nicolas Sarkozy gebildete Gruppe, die sich aus Frankreich, dem Vereinigten Königreich, den Vereinigten Staaten, Deutschland, Italien, der Türkei, den VAE, Qatar, Saudi-Arabien, Ägypten – und diversen Ländern "Osteuropas" zusammensetzte.2 Der Schwerpunkt auf westlichen Ländern bedeutet nicht, dass ihnen allein die Schuld am Waffenhandel anzulasten wäre. Verlässliche Daten über Waffenexporte aus China, Russland und dem Iran sind jedoch nicht leicht zugänglich. Dennoch versuchen wir, plausible Schätzungen anhand zugänglicher Daten vorzulegen. Dies hindert uns zwar daran, diese Daten in unsere Berechnungen einzubeziehen, berührt jedoch nicht unsere Prämisse einer indirekten aber vorhersehbaren Verbindung zwischen westlichen Waffenlieferungen in den Nahen Osten und der Flüchtlingswelle.

Wir haben uns auf offizielle nationale Berichte gestützt, die eher bestätigte Waffenexportlizenzen als tatsächlich produzierte und in die Importländer verschiffte Waffen erfassen. Der Unterschied liegt darin, dass Exportlizenzen in einem bestimmten Jahr erteilt werden, aber die Lieferung aufgrund längerer Produktionskreisläufe für militärisches Gerät erst einige Jahre später erfolgt. Darüber hinaus berücksichtigen wir, dass offizielle Zahlen über Waffenverkäufe vorsichtige Schätzungen sind im Wissen darum, dass mindestens zwei Prozent des Waffenhandels nirgendwo erfasst, sondern durch Geschäfte an der Hintertür abgewickelt werden. Wie wir ebenfalls zeigen werden, gibt es starke Indizien dafür, dass so manches Land nach JUQKKT exportiert, ohne dass sich dies in den nationalen Berichten niederschlägt.

Bei der Berechnung der Kosten für die Aufnahme von Flüchtlingen im April 2011 gingen wir davon aus, dass die Regierungen Flüchtlinge vom Zeitpunkt ihres Asylantrags bis zum Ende des untersuchten Zeitraumes (Juli 2016) durchgehend unterstützten.3 Desweiteren verwendeten wir für Länder, in denen spezifische Daten für die Unterhaltskosten von Flüchtlingen nicht zugänglich sind, stellvertretend die spanischen Pro-Kopf-Kosten in Anbetracht der im Vergleich mit den osteuropäischen Ländern näher beieinander liegenden Lebenshaltungskosten in Südeuropa.4

UNHCR-Flüchtlingszahlen zufolge hat Serbien zwischen 2011 und 2016 überdurchschnittlich viele (300.000) Visaanträge registriert. Doch scheint die Belgrader Haltung einen Sonderfall darzustellen. Denn nachdem Nachbarn wie Ungarn und Kroatien, an der Flüchtlingsroute nach Westeuropa gelegen, ihre Grenzen geschlossen hatten, blieb Serbien kaum eine andere Wahl, als die Flüchtlinge aufzunehmen, die sich schon, in der Hoffnung, über die Grenze zu kommen, auf seinem Territorium befanden. Im Vergleich dazu haben nach Aussage des Innenministers Stefanovi "nur 500 Flüchtlinge Asyl in Serbien beantragt, von denen 250 Flüchtlinge geblieben sind". Amnesty International berichtet dagegen, dass die Zahl derer, die beim Überschreiten der serbisch-ungarischen Grenze aufgegriffen wurden, zwischen 2010 und 2015 um mehr als 2.500 Prozent (von 2.370 auf 60.602) gestiegen war, was die Zahl der Asylsuchenden in Serbien sprunghaft in die Höhe trieb. Angesichts solcher Zahlen hat die europäische Union angekündigt, sie werde Serbien 3,8 Mio. Euro für den Ausbau von Notunterkünften und für Abfallentsorgung, sanitäre Maßnahmen und andere Zwecke zur Verfügung stellen. Inzwischen sagte der serbische Präsident Tomislav Nicolic, Serbien plane 5.000 bis 6.000 Migranten (jedweder Nationalität) aufzunehmen, und bemerkte, dass die EU, wenn sie sich nicht "über Ungarn wegen der Art, wie dieses Land Migranten behandelt hat, ärgere, auch über Serbien nicht ärgern werde".

Für Kanada weisen offizielle Daten den Wert tatsächlich exportierter im Unterschied zu dem für den Export freigegebener Güter aus. Die Zahlen erscheinen im Vergleich zu anderen Ländern niedrig. In Wirklichkeit wurde Kanada – nach den Vereinigten Staaten – zum zweitgrößten Exporteur in den Nahen Osten.

Unseren Berechnungen zufolge haben Europa, die Vereinigten Staaten und Kanada seit 2011 rund 20,1 Mrd. Euro für die Unterbringung von annähernd einer Million syrischer Flüchtlinge ausgegeben. In der gleichen Zeit waren westliche Waffenhersteller voll damit beschäftigt, militärisches Material für den Nahen Osten zu beschaffen, das in beträchtlichem Umfang im Krieg in Syrien zum Einsatz kam. Europa tut sich jedoch schwer, über die Konsequenzen seiner Gewinne nachzudenken. Äußerungen des UNHCR-Regionaldirektors für Europa treffen den Nagel auf den Kopf: die Waffenindustrie "tötet und schafft Flüchtlinge".

 

"Freunde Syriens" oder die traditionellen Befürworter der Waffenindustrie

Die weitaus wichtigste Quelle für Waffen im Nahen Osten bleiben die Vereinigten Staaten, die sich selbst am wenigsten von den Katastrophen betroffen sehen, an deren Ausbreitung in der Region sie mitwirken. Die Flüchtlingswellen aus den Konfliktgebieten scheinen sie ebenfalls nicht auf dem Schirm zu haben. Führende europäische Demokratien stehen im Waffenhandel mit der Region (bis 2014) an zweiter Stelle nach den Vereinigten Staaten und beeilen sich, den größten nahöstlichen Waffenkäufern gefällig zu sein. Wenn es um Geld aus dem Waffenhandel geht, scheinen internationales Recht und nationale Regelungen dehnbar zu werden.

Bei Ausbruch des "Arabischen Frühlings" waren westliche Regierungen öffentlich begeistert von der vorgeblichen Demokratisierung des Nahen Ostens. Ein Jahr nach dem "Arabischen Frühling" stiegen jedoch die von der EU und den USA genehmigten Waffenverkäufe in die Region um 22 bzw. 300 Prozent. Einige der Golfregime starteten, von den über die Region hinwegfegenden Ereignissen alarmiert, eine konterrevolutionäre Kampagne. Der Westen spielte bei dieser Kampagne u. a. dadurch kräftig mit, dass er, von der stets auf militärische Gewalt setzenden Waffenindustrie angetrieben, Militärgerät zur Verfügung stellte. Der Krieg in Syrien ist keine Ausnahme.

Das Engagement der Regierung Obamas in dem laufenden syrischen Krieg wurde von vielen Gruppen als ein "Hände-weg-davon!" angegriffen. Dagegen hieß es auch, dass sich das offizielle Engagement auf die Lieferung nichttödlicher Waffen an Rebellengruppen konzentriere. Die US-Regierung verzichtet zwar auf die Übergabe tödlicher Ausrüstung an seine arabischen Partner, lässt jedoch Syrien als endgültigen Bestimmungsort zu. Dementsprechend erscheinen in den USA hergestellte TOW-(Panzerabwehr-)Raketen, die zuvor an Saudi-Arabien und die Türkei verkauft worden sind, häufig in Videoaufnahmen syrischer Rebellen.

Geht man von den Zahlen aus, so verdienten die "Freunde Syriens" 31,88 Mrd. Euro aus Waffenverkäufen nach JUQKKT und wandten 10,45 Mrd. für die Unterbringung syrischer Flüchtlinge auf. Nimmt man die Zahlen für Deutschland heraus, so brachten die Verkäufe den Vereinigten Staaten, Frankreich, dem Vereinigten Königreich und Italien 27,92 Mrd. Euro gegenüber 1,18 Mrd. Euro, die für Flüchtlinge ausgegeben wurden (d. h. sie verdienten 23-mal so viel an Waffenverkäufen, wie sie für Flüchtlinge ausgaben).

Vertreter der westeuropäischen Länder und der USA verteidigen Waffenverkäufe unter diversen Vorwänden. Für die deutsche Kanzlerin ist der Markt strategisch: die Merkel-Doktrin verteidigt den Export von Waffen als wesentliches Instrument der Friedenssicherung in Ländern, in denen Deutschland nicht aktiv ist, aber Kapitalinteressen hat. Demgemäß plädiert die Kanzlerin für anhaltende Waffenlieferungen, um zusammen mit Partnern gemeinsame Ziele zu verfolgen. Dies schloss 2011 einen – unter vorausgegangenen Regierungen undenkbaren – Handel ein, 270 moderne Tanks mit stillschweigender israelischer Zustimmung an Saudi-Arabien zu verkaufen. Zudem sind Kommentatoren besorgt, falls Deutschland auf Waffenexporte verzichte, würden andere Länder das Geschäft machen. Doch behauptet der deutsche Journalist Jürgen Grässlin, das Gegenteil davon sei wahr: als das niederländische Parlament sich weigerte, gebrauchte Leopard-Panzer nach Indonesien zu exportieren, sprang Deutschland ein und stimmte eben diesem Handel zu. In der Zwischenzeit haben deutsche Oppositionsgruppen zu einem allgemeinen Verbot von Waffenverkäufen an Saudi-Arabien wegen seiner Menschenrechtsverletzungen aufgerufen.

Dies veranlasste den Vizekanzler und Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel dazu, Waffenverkäufe an Riad "kritisch zu überprüfen" und 2015 Exporte nach Saudi-Arabien auf "defensive" militärische Ausrüstung zu konzentrieren, unter Einschluss von geländetauglichen bewaffneten Fahrzeugen, Systemen zum Auftanken in der Luft, Teilen von Kampfjets, Patrouillenbooten und Drohnen. Dennoch stiegen die deutschen Exporte nach Saudi-Arabien von 179 Mio. auf 484 Mio. Euro in der ersten Jahreshälfte 2016. Dass Deutschland für die Übernahme der meisten der rund 400.000 syrischen Flüchtlinge in Europa gelobt wurde, entlastet nicht von dem Vorwurf, aus den durch Waffenimporte in die Länge gezogenen Konflikten im Nahen Osten Profit zu ziehen. Dies außer Acht zu lassen, wäre gleichbedeutend damit, Heroin an Schulen in der Nähe zu verkaufen und sich gleichzeitig damit zu brüsten, man erlaube ein paar Kindern eine Entziehungskur und zahle sogar dafür.

Andere Argumente für Militärexporte machen geltend, dass Beschränkungen der Waffenindustrie den einheimischen Arbeitsmarkt bedrohten. Von daher bejahen nicht nur industrienahe Thinktanks, sondern auch Mainstream-Medien ausdrücklich den Verkauf von Waffen: der langjährige CNN-Nachrichten-Moderator Wolf Blitzer war höchst beunruhigt angesichts einer möglichen Einstellung von Waffenverkäufen nach Saudi-Arabien. Seiner Meinung nach wiegt das daraus resultierende Risiko des Verlustes von Arbeitsplätzen in der US-Rüstungsindustrie bei weitem das moralische Argument der Unterstützung von Kriegsverbrechen im Jemen auf. Jenseits des moralischen Aspekts verschätzt sich Wolf Blitzer bei der Beurteilung des Potentials der Industrie, Jobs zu schaffen. Tatsächlich ist in vielen Ländern die Waffenindustrie ein auf Regierungszuschüsse angewiesener sterbender Sektor: in Deutschland beschäftigt die Industrie 100.000 Menschen, während der Bereich der erneuerbaren Energie, auf den technische Fertigkeiten leicht übertragen werden könnten, derzeit 300.000 Jobs jährlich schafft. Im Falle der Vereinigten Staaten würde die Bereitstellung öffentlicher Mittel in den Sparten saubere Energie, Gesundheit oder Bildung 50 bis 140 Prozent mehr Jobs schaffen, als wenn sie für das Militär ausgegeben werden.

Andere Regierungsvertreter setzen sich überraschenderweise aus humanitären Gründen für westliche Waffenverkäufe ein. Der englische Außenminister Boris Johnson sagte, falls das Vereinigte Königreich seine Waffenlieferungen an Saudi-Arabien einstelle, würden "andere westliche Länder […] mit Freude Waffen liefern ohne Bedenken oder Kriterien oder Respekt für Menschrechte [die denen des Vereinigten Königreich gleich kämen]". Weitere Minister haben ebenso "reißerisch behauptet, dass Saudi-Arabien am besten in der Lage ist, seine eigenen angeblichen Gräueltaten zu untersuchen". Des weiteren hat der ehemalige Minister für Unternehmen, Innovation und Qualifikationen Vince Cable kürzlich gesagt, dass er vom Verteidigungsministerium irregeführt wurde, als er den Verkauf von lasergesteuerten Paveway-IV-Raketen absegnete, die bei den Bombenangriffen Saudi-Arabiens im Jemen zum Einsatz kommen sollten. Cable blockierte zunächst die Exportgenehmigung aus Sorge um zivile Tote; ihm wurde jedoch "eine Aufsicht über potentielle Ziele" versprochen, was das Verteidigungsministerium jetzt leugnet.

Schließlich plädieren einige europäische Politiker für Waffenexporte auf einer rein monetären Basis. Der ehemalige britische Premierminister David Cameron rühmte sich seiner Bemühungen, beim Verkauf von "brillanten Dingen" wie Eurofighter Typhoons nach Saudi-Arabien zu helfen. Am gleichen Tag stimmte das europäische Parlament für ein Waffenembargo gegen das Königreich wegen seines Bombenangriffs auf den Jemen. Camerons Nachfolgerin Theresa May führte die Tradition in der Verteidigung von Waffenexporten fort und sagte, Londons enge Beziehungen zu Riad spielten eine vitale Rolle im Kampf gegen den Terrorismus; die Mitwirkung des saudischen Regimes helfe, "die Menschen auf britischen Straßen zu schützen". Komischerweise sind Politiker, die mit der von Flüchtlingen drohenden Gefahr offen Panikmache betreiben, auch die glühendsten Verteidiger der Waffenindustrie: Nigel Farage von der UKIP fällt einem dabei ein.

Im Falle von Frankreich scheinen sich die Verbindungen zu Saudi-Arabien auf einem Allzeithoch zu befinden, wie die Verleihung des Ordens der Ehrenlegion an den Kronprinzen Mohammed bin Nayef für die Anstrengungen Riads im Kampf gegen "Terrorismus und Extremismus" zeigte. Mit mehr als drei Mrd. Euro aus Verkäufen an Saudi-Arabien, die VAE, Qatar, Kuwait, Jordanien, und die Türkei hat Frankreich5 zehnmal weniger (0,31 Mrd. Euro) ausgegeben, um etwa 12.000 syrische Flüchtlinge aufzunehmen.

Für Italien schlägt Premierminister Matteo Renzi vor, Hersteller von Rüstungsgütern von der Mehrwertsteuer freizustellen und der Industrie die Beantragung von EU-Fördermitteln zu erlauben. Italien verblüffte mit 24-mal höheren Einnahmen aus Waffenverkäufen im Vergleich zu seinen Ausgaben für 2.200 syrische Flüchtlinge.


 

The New Kids on the Block oder die Wiederbelebung der osteuropäischen Waffenindustrie

Osteuropäische Länder haben die Türen der Waffenlager des ehemaligen Jugoslawien geöffnet und sind dabei, ihre heimische Rüstungsindustrie durch den jüngsten Aufschwung im Handel mit Rüstungsgütern in den Nahen Osten wiederzubeleben. Sie scheinen jedoch ein Höchstmaß an Rassismus gegenüber Flüchtlingen aus Konfliktgebieten zu zeigen.

Eine im Juli 2016 durchgeführte und von dem Balkan Investigative Reporting Network (BIRN) und dem Organized Crime and Corruption Reporting Project (OCCRP) veröffentlichte Untersuchung zeigt, dass acht osteuropäische Länder (Bosnien, Bulgarien, Kroatien, die Tschechische Republik, Montenegro, die Slovakei, Serbien und Rumänien) seit 2012 Waffen- und Munitionsexporte im Wert von knapp 1,2 Mrd. Euro nach Saudi-Arabien (806 Mio. Euro), Jordanien (155 Mio.), in die VAE (135 Mio.) und die Türkei (87 Mio.) genehmigt haben. Die Untersuchung deutet an, dass Saudi-Arabien die Exporte dieser Länder an seine regionalen Partner Jordanien und die Türkei verteilt, die ihrerseits zwei Kommandozentren zur Beförderung der Waffen nach Syrien auf dem Landweg oder durch Abwurf aus der Luft unterhalten. Tatsächlich sind mit der Zeit in Ex-Jugoslawien gefertigte Waffen in den Händen einer Fülle bewaffneter Gruppen auf den Schlachtfeldern Syriens aufgetaucht. Dies ist durch Eliot Higgins (unter dem Namen Brown Moses) dokumentiert worden, der die Verbreitung von Waffen während des ganzen Konflikts kartiert hat.

Somit sind Belgrad, Zagreb, Bratislava, und Sofia zu den wichtigsten Zentren des Exports in den Nahen Osten geworden. Insbesondere stimmte Serbien 2015 Lizenzen für den Export von Rüstungsgütern im Wert von 135 Mill. Euro nach Saudi-Arabien zu. Noch 2013 hatte es ähnliche Anfragen aus Furcht, die Waffen könnten nach Syrien weitergeleitet werden, abgewiesen. Auf einer Pressekonferenz im August 2016, nach Veröffentlichung der BIRN-Untersuchung, sagte der serbische Ministerpräsident Aleksandar Vucic, er habe in seiner Zeit als Verteidigungsminister 2013 "möglicherweise" Geheimdienstinformationen "erhalten", dass Waffen letztlich in Syrien landen könnten. "Fragen Sie mich nicht, was sich verändert hat. 2015 war ich nicht Verteidigungsminister, und ich kann nicht wissen [was passiert ist]. Ich werde mir die Sache ansehen." Nach den nationalen Berichten Serbiens hatten die 2013 abgelehnten Exportlizenzen nach Saudi Arabien einen Wert von 22 Mill. US-Dollar.6 Ebenfalls 2013 lehnte die serbische Regierung vier Importanträge des Vereinigten Königreiches, Bulgariens, Weißrusslands und der Tschechischen Republik für Waffen und Militärausrüstung ab. Diese Importe im Wert von 9,9 Mill. USD waren für den Weiterverkauf (in Form von Exporten) nach Saudi-Arabien bestimmt.7 Vucic sprach offen über den Nutzen des Waffenhandels und sagte auf der Pressekonferenz 2016: "Ich finde es toll, wenn wir Waffen exportieren, denn es ist ein reiner Zufluss fremder Währung."

In Bratislava hat das öffentliche slowakische Radio und Fernsehen berichtet, 2015 habe "die Slowakei 40.000 Sturmgewehre, über 1.000 Mörser, vierzehn Raketenabschussgeräte, fast 500 schwere Maschinengewehre und mehr als 1.500 Panzerbüchsen (RPGs) nach Saudi-Arabien exportiert". Der Ministerpräsident verteidigte den Waffenhandel mit der Bemerkung: "Wenn wir keine Waffen verkaufen, wird es ein anderer tun, aber kommt dann nicht heulend zu mir, wenn ein Rückgang von Waffendeals zum Verlust von Arbeitsplätzen für unser Volk geführt hat." Die Slowakei hat den Vogel abgeschossen: Sie hat die umwerfende Zahl von 64 syrischen Flüchtlingen willkommen geheißen, die Bratislava 400.000 Euro kosten, zur gleichen Zeit aber das 284-Fache aus Waffenverkäufen eingenommen.

Für Kroatien, den Nachbarn der Slowakei, zeigen die Zahlen, dass Zagreb 2013 und 2014 Munition und kleine Waffen im Wert von über 155 Mill. USD u. a. an Saudi-Arabien verkaufte. Außerdem wurden 36 Rundflüge zwischen Amman und Kroatien von Dezember 2012 bis Februar 2013 durchgeführt: Jordanische Frachtflugzeuge brachten eine große Ladung von Infanteriewaffen für Saudi-Arabien aus einem von Kroatien kontrollierten Lagerbestand von Zagreb nach Amman. Allein im Dezember 2012 beliefen sich die Exporte nach Jordanien auf über 6,5 Mio. USD; diese Lieferungen folgen nicht regulären Geschäftsmustern, und Kroatiens frühere Waffenexporte zu diesem Land bestanden 2001 aus fünfzehn Pistolen im Wert von 1.053 USD. Kroatiens offizielle nationale Berichte zeigen zwischen 2013 und 2014 tatsächlich Exporte in Höhe von 115 Mio. Euro nach Jordanien und keine Exporte 2012. Wir können so sicher vermuten, dass Geschäfte unter dem Tisch abgewickelt wurden, über die nicht berichtet wird.

Es liegt auf der gleichen Linie und ist im Blick auf die indirekten Kräfte, die auf dem syrischen Kampfplatz eine Rolle spielen, von zusätzlichem Interesse, dass ein Konsortium aus der in serbischem Besitz befindlichen CPR Impex, einem der wichtigsten Waffenmakler der Region8, und Israels ATL Atlantic Technology im Februar 2015 die Montenegro Defense Industry (MDI) kaufte. Seit August 2015 arrangierte MDI Exportgeschäfte über 250 Tonnen Munition und 10.000 Panzerabwehrsysteme an Saudi-Arabien im Wert von über 2,7 Mio. Euro. Dabei ist zu beachten, dass Montenegro vor 2015 und seit 2006 (den zugänglichen Berichten zufolge) keinen bedeutsamen Waffenhandel mit dem Nahen Osten betrieb – außer mit Israel, wobei als endgültiger Abnehmer Afghanistan, der Iraq oder die Vereinigten Staaten angegeben wurden, sowie dem Jemen im Jahr 2010.

Was Bulgarien angeht, so hat der größte staatliche Waffenproduzent VMZ Sopot ebenfalls das große Los gezogen: Nachdem sie 2008 insolvent war, hat die Anlage seit 2015 mit voller Kapazität gearbeitet. Sie zahlte rund elf Mio. Euro Schulden zurück und hat 1.200 neu Arbeitsplätze geschaffen. Darüber hinaus stiegen die Verkäufe von rund 19 Mill. Euro in der ersten Hälfte 2015 auf rund 86 Mio. Euro in der ersten Hälfte 2016. Im gleichen Zeitraum ging der Nettoprofit von VMZ Sopot nach einem Nettoverlust von 35 Mio. Euro steil in die Höhe auf rund 600.000 Euro. Zwar nahm Bulgarien 18.000 syrische Flüchtlinge auf, doch enthielt ein Bericht der deutschen Pro-Asyl-Stiftung vom April 2015 unter dem Titel "Flüchtlinge in Bulgarien: Misshandelt, erniedrigt, schutzlos" schockierende Schilderungen von Asylsuchenden in Bulgarien. Flüchtlinge sind unmenschlicher und herabsetzender Behandlung durch Polizei und Gefängnispersonal ausgesetzt, darunter Erpressung, Missbrauch und Folter.

Im Falle von Russland, einem größeren Waffenlieferanten für das syrische Regime, wissen wir trotz begrenzter Zugänglichkeit von Daten, dass zumindest zehn Prozent seiner Waffenexporte nach Syrien gingen. "Russland hat laufende Waffenverträge mit Syrien im Umfang von 1,5 Mrd. USD für verschiedene Raketensysteme und Nachrüstung für Panzer und Flugzeuge, mit denen es angeblich das Investment in kleinen Waffenverkäufen seit Beginn des syrischen Bürgerkrieges verdoppelt." Darüber hinaus hätte die militärische Ausbildung, die Russland seit Beginn des Konfliktes bereitstellt, ebenfalls quantifiziert werden müssen. Trotz der sehr direkten Rolle, die Russland im syrischen Krieg gespielt hat, hat das Land derzeit nur 1.395 syrischen Flüchtlingen temporäres Asyl gewährt und sogar einen syrischen Flüchtling abgeschoben.

Durch indirekte Weitergabe großer Mengen an Waffen an Rebellengruppen haben die osteuropäischen Länder eine unerwartete, aber wichtige Rolle im Krieg in Syrien übernommen. Dennoch sind sie schnell dabei, Flüchtlinge zu ermutigen und in Richtung Kontinentaleuropa zu drängen, während sie eine lächerliche Handvoll von Asylsuchenden ins Land lassen.


 

Eine unehrliche Debatte – größtenteils

Waffenindustrien werden im Großen und Ganzen dafür gelobt, dass sie die Räder der heimischen Industrie am Laufen halten. Wenig wird dagegen überprüft, welches Chaos sie anderwärts in der Welt anrichten. In unserer Zeit, mit nie dagewesenen Mengen an Waffen, die in den Nahen Osten verkauft bzw. nach Syrien weitergereicht werden, schlägt die Wirklichkeit näher vor unserer Haustür ein. Es müsste eine andere Debatte stattfinden.

In einem anderen Geist betrachten Länder wie Portugal den Zustrom an Flüchtlingen als eine Chance, einige Regionen des Landes wiederzubeleben. So bietet Lissabon an, zusätzlich zu den 4.500 Flüchtlingen, die es schon im Rahmen des europäischen Quotensystems bereit war zu übernehmen, bis zu 5.800 weitere Flüchtlinge willkommen zu heißen. Portugal hat "nur" für 500.000 Euro Waffen in den Nahen Osten verkauft.

Nach Auffassung von Philippe Legrain, des früheren wirtschaftlichen Beraters des Präsidenten der europäischen Kommission, wird es durch Flüchtlinge in Wirklichkeit kaum zu einer Minderung der Löhne und einem Anstieg der Arbeitslosigkeit für einheimische Arbeitskräfte kommen. Vielmehr deuten Berechnungen darauf hin, dass zwar die Absorbierung so vieler Flüchtlinge die Aufnahme öffentlicher Schulden für die europäische Kommission zwischen 2025 und 2020 um nahezu 69 Mrd. Euro erhöhen würde, in derselben Zeit aber Flüchtlinge zum Wachstum des GDP um 126,6 Mrd. Euro beitragen würden. Faktisch kann also die Investition von einem Euro zur Aufnahme von Flüchtlingen innerhalb von fünf Jahren nahezu zwei Euro an wirtschaftlichem Nutzen bringen. Legrain stellt ebenfalls heraus, wie Flüchtlinge eine auf Europa zukommende demographische Herausforderung lösen könnten.

Die Debatte über Flüchtlingsströme und die schwere Last für die Gesellschaft geht also an der Sache vorbei. Flüchtlingen vorzuwerfen, dass sie den Krieg fliehen und Stabilität suchen, ist nicht nur ungerecht, es ignoriert auch die Komplizenschaft westlicher Länder, die sich an den Kriegen bereichern, denen die Flüchtlinge zu entkommen versuchen. Umso mehr bleibt die Frage, wie sich die Profite aus dem globalen Waffenhandel verteilen zwischen nationalen Regierungen, die die Geschäfte aushandeln, und Waffenherstellern – wenn man weiß, dass es die Regierungen sind, die die Kosten für die Wiederansiedlung von Flüchtlingen tragen. Ärger und Protest sollte sich deshalb gegen die Waffenindustrien und die Drehtüren, die ihnen Zugang zu den politischen Entscheidungsträgern verschaffen, wenden. Und Letztere sollten mehr Widerstand gegen die vom Krieg profitierende Politik erfahren, für die sie eintreten.

Während wir unsere Diskussion auf den Fall der syrischen Flüchtlinge und der Waffen, die den Krieg im Syrien Krieg nähren, konzentrieren, gibt es andere Konflikte im Nahen Osten, die eine ebenso gründliche Untersuchung verdienen. Waffenverkäufe durch die USA, Kanada, Deutschland, das Vereinigte Königreich und Frankreich, die Konflikte im Irak, Jemen und Libyen nähren, sollten ebenfalls in die Berechnung der Schulden eingehen, die der Westen gegenüber dem irakischen, libyschen und jemenitischen Volk hat. Der einzige Grund, der Jemeniten davon abhält, sich den syrischen Flüchtlingen in Europa und darüber hinaus anzuschließen, ist die Tatsache, dass sie von Land her durch Saudi-Arabien und vom Meer her durch eine Seeblockade eingeschlossen sind. Über drei Mio. Jemeniten sind derzeit im eigenen Land auf der Flucht und 14 Mio. haben keine sichere Versorgung mit Nahrungsmitteln.

Diana Bashur, Erstveröffentlichung in Jadaliyya am 21.12.2016. Aus dem Englischen von Manfried Wüst.

1 Unsere Analyse beruht auf frei zugänglichen Daten aus Artikeln, offiziellen Angaben und Analysen der EU und OECD wie auch auf Forschungsergebnissen von Denkfabriken und NGOs zum Thema des Waffenhandels. Wir begrüßen jede weitere, nicht der Öffentlichkeit zugängliche Information von Lesern.

2 Ägypten ist nach unseren Befunden die Ausnahme in der Gruppe und hat sich nicht am Verkauf oder der Weiterleitung von Waffen nach Syrien beteiligt.

3 Beginn der Zugänglichkeit von UNHCR-Angaben über syrische Asylsuchende in Europa.

4 Spaniens Kosten von 3.329 Euro für die Unterhaltung eines Flüchtlings für ein Jahr wurde so auf Bosnien, Bulgarien, Kroatien, die Tschechische Republik, Zypern, Griechenland, Malta, Montenegro, Rumänien, Serbien, die Slowakei und Slowenien angewandt. Von den ausgewählten Ländern hat Spanien die niedrigsten Kosten pro Flüchtling (obgleich es sich um eine Kostenschätzung für 2009 handelt) und hat ein höheres GDP pro Kopf (30.000 Euro) als das der osteuropäischen Länder (annähernd 8.000 Euro). Höchstwahrscheinlich liegen daher die Kosten pro Flüchtling dort sogar niedriger als in Spanien.

5 Wir nehmen den Hinweis einer französischen Regierungsquelle zur Kenntnis, dass sich allein 2014 Frankreichs Waffengeschäfte mit Saudi-Arabien auf 3,6 Mrd. Euro beliefen, während die Angaben von CAAT weit darunter liegen. Obwohl sie zum Zwecke der Vergleichbarkeit und Datenverarbeitung vorsichtiger sind, werden wir uns auf die von CAAT vorgelegten Statistiken für EU-Länder konzentrieren.

6 "2013 Report On Performed Activities of Exports and Imports of Arms, Military Equipment, Dual Use Goods, Arms Brokering and Technical Assistance", Serbian Ministry of Trade, Tourism and Telecommunications, Stockholm International Peace Research Institute, Annex 10, S. 76

7 Ibid., Section 11, S.27 and Annex 11, S.77

8 Der Eigentümer von CPR Impex, Crnogorac, wurde im Juli 2014 von der serbischen Polizei festgenommen unter dem Vorwurf des Amtsmissbrauchs in einer Reihe von militärischen Ausschreibungen für überschüssige Militärausstattung, an denen sich seine Firma zwischen 2011 und 2013 beteiligte. Die Vorwürfe wurden später fallen gelassen, aber seither haben die UN wegen angeblicher Verletzung von Waffensanktionen im Handel mit Libyen gegen ihn ermittelt. http://www.balkaninsight.com/en/article/montenegro-opens-weapons-supply-line-to-saudi-arabia-08-02-2016