„Nur selten wird konstruktiv über die Alternativen diskutiert“

Gesellschaftlicher Diskurs zu PND nötig

Die Angebote der pränatalen Diagnostik bringen werdende Eltern oft unerwartet in schwierige Entscheidungssituationen. Ein neues Buch will das ändern.

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Sie haben im März zusammen mit Carolin Erhardt-Seidl das Buch „Weitertragen“ als „Begleitbuch für Eltern, Angehörige und Fachpersonal“ nach pränataler Diagnose veröffentlicht. Das ist bereits Ihr drittes Buch, das sich mit pränataler Diagnostik und Behinderung beschäftigt. Warum ist das Thema so wichtig für Sie?

Ich kam zunächst als Privatperson mit dem Thema in Berührung, das mich dann aber als Journalistin nicht mehr losgelassen hat. Ich und meine Co-Autorin Carolin Erhardt-Seidl, wir haben in den letzten zehn Jahren unserer Arbeit und während der Begleitung von Eltern festgestellt, dass im Bereich der Pränataldiagnostik (PND) bei der Aufklärung noch viel verbessert werden kann. Ein Schwangerschaftsabbruch ist die normale Reaktion auf einen auffälligen Befund. Nur selten wird konstruktiv über die Alternativen diskutiert: Austragen und leben mit einem behinderten Kind, palliative Entbindung, Möglichkeit zur Adoptionsfreigabe. Wir möchten diese Informationslücken schließen. Nicht als Abtreibungsgegnerinnen - ganz im Gegenteil vertreten wir die Meinung, dass diese Entscheidung nur jede Familie für sich selbst treffen kann, von außen unbeeinflusst und dabei möglichst wertfrei begleitet. Diese lebensverändernden Entscheidungen können von werdenden Eltern aber nur durch profunde Aufklärung und intensive Betreuung kompetent getroffen werden. Unsere Arbeit ist damit also ein Plädoyer für eine solche Aufklärung, die alle Alternativen mit einschließt - auch den Abbruch. Eine wirklich selbstbestimmte Entscheidung,  die viele und auch wir zu Recht immer fordern, findet nach PND derzeit nur selten statt. Eine Verbesserung der Beratung, Begleitung und Aufklärung bereits vor Inanspruchnahme von PND halten wir für unerlässlich. Werdende Eltern sind hierauf dringend angewiesen und brauchen diese Unterstützung. Wir hoffen, dass unser neues Buch einen Beitrag dazu leisten kann, einen offenen und in diesen Zeiten so wichtig gewordenen gesellschaftlichen Diskurs zur Pränataldiagnostik zu unterstützen.

Was sind die größten Probleme für Schwangere, die Sie beobachtet haben?

Das größte Problem ist die mangelnde und meist zu spät kommende Aufklärung zur Pränataldiagnostik. Normale Vorsorge und Pränataldiagnostik sind für eine Schwangere immer schwerer auseinanderzuhalten. Sie weiß oft nicht, was all die Begriffe und Untersuchungen bedeuten und sagt aus diesem Grund vielleicht Untersuchungen zu, die wieder andere Untersuchungen nach sich ziehen. Viele Schwangere wissen außerdem nicht, dass sie Untersuchungen auch ablehnen können, Stichwort: Recht auf Nichtwissen. Unvermittelt befinden sie sich dann in einer Spirale von Tests und stehen im schlimmsten Fall vor der Entscheidung, ob sie das Leben ihres Ungeborenen (1) aufgrund einer pränatalen Diagnose beenden möchten oder nicht. Meist beginnt erst im Augenblick der Verdachts- beziehungsweise Diagnoseeröffnung die Aufklärung über die medizinischen Hintergründe und mögliche Konsequenzen. Diese ist leider häufig fehler- und lückenhaft. Hierzu ist wichtig zu verstehen: Die Schwangere befindet sich nach der Diagnose in einem Schockzustand. Dazu kommt oft noch Zeitdruck von außen. Die medizinische Situation ist teilweise recht komplex. Wie soll die Schwangere in dieser Situation eine kompetente Entscheidung für sich treffen, mit der sie den Rest ihres Lebens leben kann? Die Aufklärung sollte also schon vor der ersten Untersuchung beginnen, noch besser vor einer möglichen Schwangerschaft, wenn noch keine emotionale Bindung zu dem Ungeborenen besteht und mit klarem Kopf Informationen aufgenommen und analysiert werden können. Wir finden sogar, die Aufklä­rung sollte schon in der Schule beginnen.

In allen Studien, die sich mit den Folgen pränataler Diagnostik beschäftigen, werden Widersprüche und Ambivalenzen sichtbar: einerseits wissen zu wollen aber andererseits mit den generierten Informationen eigentlich nicht umgehen zu können. Was sind da Ihre Erfahrungen?

Meine Co-Autorin Carolin Erhardt-Seidl hat diesen Aspekt einmal gut formuliert: In unseren Augen gibt es ein grundlegendes Missverständnis zwischen Mediziner_innen und Patient_innen über die Vorstellungen und Beweggründe für die Anwendung von Pränataldiagnostik und auch darüber, was sie eigentlich leisten kann. Während die Medizin nach Auffälligkeiten oder Abweichungen am Ungeborenen sucht, nehmen viele werdende Eltern zunächst recht unbedarft PND in Anspruch. Sie glauben dies für ihr Ungeborenes zu tun, sie möchten nichts versäumen und ihm die bestmögliche Behandlung zukommen lassen. Tatsächlich können sie von wenigen Ausnahmen abgesehen, medizinisch pränatal fast nichts für ihr Ungeborenes tun, dafür aber in Entscheidungsnöte und Situationen kommen, deren Reichweite sie im Moment nicht annähernd überblicken können. Es wäre wichtig, deutlich zu machen, welche pränatalen  Untersuchungen dazu führen können, dass dem Ungeborenen oder der Schwangeren adäquat und rechtzeitig vor, bei und nach der Geburt geholfen werden kann.

Sie bezeichnen die Entscheidung nach PND zwischen Abbruch oder Weiterführen der Schwangerschaft als „systemische Entscheidung“. Was meinen Sie damit und was macht diese Entscheidungssituation so schwer?

Die Entscheidung nach PND betrifft ja nicht nur das Leben des Ungeborenen. Sie betrifft auch das Leben der werdenden Eltern, möglicher Geschwisterkinder, Großeltern und andere. Hier sind so viele Faktoren gleichzeitig zu beachten. Dass diese Entscheidung also Zeit braucht, erklärt sich daran eigentlich schon von selbst. Die Frage nach dem Leid spielt hierbei eine zentrale Rolle: Wer könnte leiden und warum? Das Schwierige daran ist, dass eine PND ja keine Glaskugel mitliefert, die in die Zukunft sehen kann. Man kann also versuchen, alle bekannten Faktoren zu berücksichtigen und alle Wege gedanklich durchzuspielen und trotzdem wird niemand einem mit absoluter Sicherheit voraussagen können: Wie wird sich das Ungeborene am Ende tatsächlich entwickeln, inwieweit werden wir als werdende Eltern mit der einen oder anderen Situation zurechtkommen, wie werden Geschwisterkinder mit Entscheidung A, B oder C umgehen? Und die für mich schwierigste aber wichtigste Frage: Wäre das spätere Kind unglücklich mit diesem Leben und: Hätte es dieses Leben dennoch gewählt? Wer soll das beantworten?

Gerade bei dieser Überlegung, die viele Schwangere und werdende Eltern in dieser Situation anstellen, zeigt sich ja aber auch, dass das vorherrschende negative Bild von Behinderung und die gedankliche Verknüpfung von Behinderung mit Leiden und Schmerzen weiterhin omnipräsent sind.
 
Absolut. Behinderung, Krankheit und Tod sind in unserer Gesellschaft Themen, die immer noch mit großer Angst besetzt sind und tabuisiert werden. Bis es einen selbst betrifft, was früher oder später bei jedem von uns der Fall sein wird. Daher ist es erstaunlich, dass dennoch davon ausgegangen wird, dass es für einen behinderten oder kranken Menschen doch von vornherein besser sei, gar nicht erst zu leben. Menschen neigen dazu, Situationen aus ihrer eigenen Perspektive zu beurteilen und verlieren dabei häufig aus den Augen, dass ihnen möglicherweise grundlegende Informationen zur Beurteilung fehlen, ihre Ansichten nicht allgemeingültig sind und niemals auf das Leben oder Sterben anderer übertragen werden können.

Sie haben das Projekt „Aufklärung Pränataldiagnostik“ initiiert, können Sie kurz beschreiben, worum es dabei geht?

Das Schulprojekt „Aufklärung Pränataldiagnostik“ ist ein Pilotprojekt,  das im September 2017 an drei Schulen in Deutschland startete. Es wird organisiert von Gesundheit aktiv e.V., der Stiftung Bewusstseinswissenschaften, Dr. Ulla Franken Projekt, Regenbogen e.V., weitertragen.info und dahinter Carolin Erhardt-Seidl und mir als Journalis­tin. Hier begeben sich die Schüler_innen selbstständig auf eine Lernreise, interviewen Betroffene und Fachpersonal, besuchen Einrichtungen und recherchieren. Sie werden dabei von der Filmemacherin Dörte Grimm dokumentarisch begleitet. Die Idee dahinter ist, Aufklärung schon in der Schule beginnen zu lassen, damit die möglichen späteren werdenden Eltern wissen, was Pränataldiagnostik ist und was sie dann davon in Anspruch nehmen möchten. Das Projekt soll also die Entwicklung von Kompetenz für selbstbestimmte Entscheidungen fördern.

Welche Aspekte der Debatte (Behinderung, Schwangerschaft oder Abtreibung) interessieren die Schüler_innen besonders und warum?

Die Schüler_innen interessiert alles. Das ist ja der Zauber. Sie wollen alles wissen, lesen, stellen kritische Fragen. Warum? Weil sie vernunftbegabte Wesen mit eigenen Meinungen sind, denen man eigenes Denken und Hinterfragen zutrauen darf.

Wie sind die bisherigen Reaktionen? Haben Sie weitere Pläne?

Die Berliner Schule hat das Projekt für das kommende Jahr schon wieder für die 12. Klasse eingeplant. Anfragen neuer Schulen an uns laufen. Wir, die Organisatoren des Projektes sind selbst begeistert von der Disziplin, den Ideen und der Umsetzung der Schüler_innen. Der Austausch mit ihnen war für uns bislang sehr bereichernd, obgleich sie tatsächlich weitestgehend selbstständig arbeiten. Wir wünschen uns, dass dieses Projekt im wahrs­ten Sinne „Schule“ macht und von weiteren Einrichtungen aufgegriffen wird. Wir stehen auch in Zukunft als Organisatoren zur Verfügung. 2018/19 wird es auf alle Fälle noch eine Abschlussveranstaltung des Pilotprojektes geben, bei der der Dokumentarfilm von Dörte Grimm gezeigt wird.

Frau Fezer Schadt, vielen Dank für dieses Gespräch!

 

Fußnote:

  • (1)    Kathrin Fezer Schadt benutzt den Begriff „Ungeborenes”, weil die werdenden Eltern und betroffenen Familien den Bezugspunkt ihrer Arbeit bilden und sie deren Sprachgebrauch widerspiegeln will. Im GID verwenden wir diesen Begriff ungerne, weil er impliziert, dass das Kind schon da ist und nur noch geboren werden muss, während der von uns präferierte Begriff des „werdenden Kindes” die Prozesshaftigkeit einer Schwangerschaft ausdrückt.

 

 

 

Rund um schwanger

Psychohygiene:
Weitertragen heißt Weiterwarten

 

Auszug aus dem Buch von Kathrin Fezer Schadt und Carolin Erhardt-Seidl: Weitertragen - Wege nach pränataler Diagnose. Begleitbuch für Eltern, Angehörige und Fachpersonal, 336 Seiten, 27,90 Euro, Edition Riedenburg 2018, ISBN 978-3-902943-13-2, S. 123-124.


Ildikó (Mutter von *Béla 10, Trisomie 21; †Valentina, Anenzephalie): Das Wichtigste, was ich durch Béla gelernt habe, ist im Augenblick zu leben. Und die Gratwanderung zu suchen zwischen dem, was ich in meinem Leben selbst in die Hand nehmen kann, und dem, was ich annehme, wie es kommt. Auch in Bezug auf das Austragen - hier geht es nicht darum, sofort etwas leisten zu müssen, sondern tatsächlich etwas auszuhalten und zu schauen, was passiert. Oft wird das Gewicht dann kleiner. Dieses Annehmen ist immer auch ein Prozess. Ich habe mit beiden Kindern die Erfahrung gemacht, dass ich, wenn alles schwierig und hoffnungslos erscheint und ich dann loslasse, getragen werde. Dass ich nicht abstürze. Manche sagen, das ist die Natur der Dinge, andere nennen es Gott, andere Schicksal.

Schwangerschaft bedeutet immer „Warten“: „Ein Kind erwarten“, „Mutter werden“, „guter Hoffnung sein“ - all diese Beschreibungen drücken eine Wartehaltung, vielmehr auch eine Erwartungshaltung werdender Eltern und ihres Umfeldes aus. Letztere antiquierte Redewendung „guter Hoffnung sein“ beschreibt sehr gut, dass zumindest in der Vergangenheit nicht automatisch angenommen wurde, dass alle Schwangerschaften reibungslos verlaufen müssen und ein Kind grundsätzlich problemlos geboren wird. In dieser Hoffnung steckt das Wissen, dass ein gesundes Kind nicht selbstverständlich ist. Dieses Wissen scheint sich auf eigentümliche Art und Weise in unserer Zeit gewandelt zu haben: Es scheint zu dem Bedürfnis geführt zu haben, alle Schwangerschaften per se als potenzielles Problem einzustufen, woraus sich ein medizinisch technisierter Überwachungsapparat entwickelt hat, der diesem alten Wissen um die Imperfektion der Natur das Vermeiden dieser Imperfektion entgegensetzen möchte.

Es gibt im Leben aber keine absoluten Sicherheiten, auch mit der ausgeklügeltsten Technik nicht. Das heißt, wir können nur versuchen, diesen immerwährenden Rest Ungewissheit auszuhalten. Vielleicht kann an dieser Stelle der Gedanke trösten, dass diese Ungewissheit tatsächlich alle ungeborenen Kinder betrifft, auch die gesunden. Niemand weiß, wie die Schwangerschaft, die Geburt und das weitere Leben eines Kindes verlaufen werden. Ob ein gesund geborenes Kind eines Tages krank oder einem Unfall haben oder vielleicht andere Probleme entwickeln wird. Warten ist also grundsätzlich für alle Eltern ein normaler (schwieriger) Zustand.

www.weitertragen-buch.de •  www.schulprojekt-aufklärung-pnd.de  •  www.weitertragen.info