Politischer Erdrutsch in Hessen

Die Ergebnisse der Landtagswahl

Die CDU kassiert in Hessen die erwartete politische Abfuhr: Sie sackt von 38,3% auf 27,0% ab - sie bleibt nach diesem Absturz weiter stärkste Kraft und wird auf Basis des schlechtesten Ergebnisses seit 1966 weiterregieren. Auch für die anderen Parteien sind die Wahlergebnisse überraschend.

Die politischen Verhältnisse wurden kräftig durchgerüttelt und dies bei einem leichten Rückgang der Wahlbeteiligung um 5,9 Prozentpunkte auf 67,3%, 2013 lag sie – bei gleichzeitiger Bundestagswahl – noch bei 73,2%.

Jubel bei den Grünen, die sich mit einem hauchdünnen Stimmenplus (insgesamt 94 Stimmen laut dem vorläufigen Endergebnis) als zweitstärkste Kraft durchsetzen konnten:  »So grün war Hessen noch nie«, feiern die Spitzenkandidaten Priska Hinz und Tarek Al-Wazir das Ergebnis. Keine Frage Bündnis90/Die Grüne ist der eindeutige Wahlsieger. Sie kommen mit 19,8% auf fast doppelt so viele Stimmen wie vor fünf Jahren.

Die SPD stürzt von 30,7% im Jahr 2013 auf nur noch 19,8% ab. Auch das ist ein historischer Tiefstand und das schlechteste Ergebnis seit 1946 für die Sozialdemokraten im einst »roten Hessen«. SPD-Spitzenkandidat Thorsten Schäfer-Gümbel sieht Erklärungsbedarf: Seine Partei habe sich konsequent auf die Themen konzentriert, die die Bürger in allen Umfragen für wichtig gehalten hätten, wie bezahlbares Wohnen, moderne Schulen oder die bessere Verbindung von Stand und Land, und dafür die Kompetenzzuschreibung erhalten. Er habe es jedoch noch nie erlebt, dass eine Opposition, die die Themen in der Landespolitik setze und dafür die Kompetenz bekomme, dennoch das Rennen so deutlich verliere.

Die rechtspopulistische AfD zieht erstmals in den hessischen Landtag ein und erreicht 13,1%. Sie sitzt nun in allen deutschen Landtagen. Auch dieses Ergebnis der Rechtspopulisten ist ein klares Indiz für die massive Veränderung in den politischen Mentalitäten

DIE LINKE gewinnt hinzu (von 5,2 auf 6,3%) und erreicht damit ihr bestes Landtagswahlergebnis in Hessen. Sie konnte jedoch keine nennenswerte Zahl von Wähler*innen aus den Verlusten der SPD hinzugewinnen und kann damit keine Transformation der politischen Verhältnisse auf den Weg bringen.

Die FDP gewinnt ebenfalls (von 5 auf 7,5%) und hofft auf eine Rolle am Katzentisch der schwarz-grünen Regierungskoalition.


Gründe für die grünen Wahlerfolge

Die Grünen sind die Nutznießer der Krise der Volksparteien. Sie decken mittlerweile ein weites Spektrum ab. Als Ökopartei aus der linken Protestszene und der Anti-Atombewegung hervorgegangen, nehmen sie die Werte und die Themen auf, die die vormals großen Parteien vernachlässigen: da, »wo früher einzelne Lücken auftraten, hinterlassen die kriselnden Volksparteien heute eine gähnende Leere. Wenn wir diese Leere füllen wollen, müssen wir eine Politik für die Breite der Gesellschaft bieten« erklären Annalena Baerbock und Robert Habeck, die Parteivorsitzenden (DIE WELT vom 2. März 2018).

Für die Grünen verlaufen die Konfliktlinien der politischen Debatte nicht mehr allein entlang des alten Rechts-Links-Schemas, zwischen Kapitalismus versus sozialer Einhegung der Marktwirtschaft. Neu dazugekommen sei die Auseinandersetzung »zwischen Liberalität und Illiberalität. Die einen leben eine kulturelle Öffnung der Lebensformen, in denen jede und jeder nach seiner Fasson glücklich wird (…) Die anderen wollen eine kulturelle Schließung, neue identitäre Einheiten, einen Neo-Nationalismus, einen religiösen Fundamentalismus« (ebenda). Entsprechend steht für sie an, die unterschiedlichen, teils auch widersprüchlichen Aufgaben mit dem Sozialen zu verbinden.

Zunächst die Ökologie mit dem Sozialen: »Die ökologischen Fragen – Klimakrise, Zugang zu Wasser, Nahrung und Ressourcen, Erhalt von Lebensgrundlagen – sind soziale Fragen. Sie entscheiden darüber, wie – und ob – Menschen leben können (…) Doch wenn die Transformation dieser Industriezweige nicht klar strukturiert, staatlich flankiert und gemeinsam mit den Beschäftigten angegangen wird, wird der plötzliche Bruch kommen. Und er trifft nicht den Vorstandschef, sondern die am wenigsten Qualifizierten am stärksten. So, wie die Sozialdemokratie einst die industrielle Revolution gebändigt hat, müssen wir nun die digitale, postmoderne Welt zivilisieren» (ebenda).

Der grün-ökologisch agierende Politiker Daniel Cohn-Bendit hat eine griffige Erklärung für den Wahlerfolg der hessischen Grünen: »Eine klassisch linke Partei sind die Grünen nicht mehr, wie man sie früher definiert hat. Ich würde nicht sagen, dass sie in der Mitte stehen… Sie sind linksliberal, ökologisch und europäisch. Auf der linken Flanke wollen manche Wähler eine radikalere Opposition. Das sind die Grünen erst mal nicht mehr.« (Interview mit der Süddeutschen Zeitung vom 26.10.2018)

In der Tat: Die Grünen agieren nicht mehr vorrangig ideologisch in den politischen Auseinandersetzungen und sie sind bereit, Verantwortung zu übernehmen. Sie zeigen seit geraumer Zeit auch eine Umsetzung von ökologischen und klimapolitischen Reformen auf dem Boden von realisierbaren Bedingungen und gesellschaftlichen Kräfteverhältnissen. In der Flüchtlings-, Europa- und Klimapolitik bestehen derzeit zwar wenig Gemeinsamkeiten mit der Union. Gleichwohl wollen die Grünen nicht als Blockierer dastehen. Fragen nach einer Kenia-Koalition mit CDU und SPD weichen sie zwar aus, aber grundsätzlich betonen alle in der Parteispitze Gesprächsbereitschaft: »Wenn es darum geht, einen Neuanfang zu starten mit einer humanitären und ordentlichen Asylpolitik, mit einer anderen Ökologie-Politik, dann können wir reden, aber so erst mal nicht.«

Nach den gescheiterten Jamaika-Verhandlungen und dem wenig überzeugenden Agieren einer erneuerten FDP haben die Grünen einen deutlichen Einbruch in die humanistisch-liberalen Wertorientierungen erkämpft. Aktuell treffen die Gesetzesprojekte in etlichen Bundesländern (Bayern, Baden-Württemberg, Niedersachsen, Brandenburg, Nordrhein-Westfahlen) zur Ausweitung einer Vielzahl polizeilicher Befugnisse auf den breiten Widerstand aus der Zivilgesellschaft. Nahezu alle Bundesländer passen ihre sogenannten Polizeiaufgabengesetze an, mit denen grundsätzlich die Aufgaben und Befugnisse der Beamten geregelt werden. Vor allem die Grünen sind Träger des Kampfes gegen die häufig damit verbundene Beschränkung von Liberalität und Rechtsstaatlichkeit im politischen Raum. Gerade in Großstädten und urbanen Räumen sind vor allem vielen jungen Menschen Datenschutz- und Sicherheitsthemen sehr wichtig, was die Demonstrationen und Proteste aus der Zivilgesellschaft unterstreichen.

Auch in der Asyl-und Flüchtlingspolitik konnten die Grünen Terrain gut machen. Schon während der letztendlich gescheiterten Jamaika-Sondierungen im Herbst 2018 hat Angela Merkel erkennen lassen, dass grundlegende Asylrechte eingeengt werden müssten, etwa bei der Diskussion um Aufnahmelager außerhalb der EU oder der Frage, wer überhaupt noch in die Europäische Union kommen darf. Die grüne Parteispitze argumentiert dazu: »Es ist eindeutig so, dass die Geste von Frau Merkel 2015 eine unglaublich große Geste war. Aber seitdem hat auch die CDU die humane Flüchtlingspolitik nach und nach entsorgt.« Das hat dazu geführt, dass sich die Partei als Europa-, Flüchtlings- und Umweltpartei profiliert hat, was ihr einen Aufwind an gesellschaftlicher Anerkennung bescherte.

Die niedersächsische Grünen-Politikerin und Abgeordnete im Europäischen Parlament Rebecca Harms betont mit Blick auf die Europawahlen 2019: »Der Vertrauensvorschuss, den die Grünen im Moment bekommen, verpflichtet uns gerade im Zusammenhang mit der Europawahl zu einer Positionierung bei den großen Themen - die Flüchtlingspolitik gehört dazu.« Eine angemessene Antwort könne aber auf gar keinen Fall über die Polarisierung, sondern nur im Konsens geschehen. Dabei müssten von den Grünen konkrete Antworten gegeben werden, nicht nur Positionen: »Ich habe … Wochenende gehört, dass einige Grüne meinen, es reiche aus, der Gegenpol zu den nationalistischen Bewegungen und Parteien zu sein.« Das würden nicht reichen, die Grünen müssten das Thema Migration aktiv gestalten, um einen gesellschaftlich tragfähigen Konsens zu erzielen. Das würde auch für andere Politikfelder gelten, etwa die Mobilitätswende: »Wir müssen besser zeigen können, wie die Welt der Arbeit in Zukunft gestaltet wird.«

Es ist unverkennbar, dass die politische Mitte –nicht nur in Deutschland, sondern in vielen entwickelten kapitalistischen Ländern – weiter erodiert. Die mittleren Einkommenslagen sind verunsichert, verärgert und ziemlich orientierungslos, während die neue Rechte triumphiert. Im Osten ist die AfD schon Volkspartei, gegen die kaum noch regiert werden kann. In dieser Umbruchsituation können sich die Grünen als politische Alternative präsentieren, sie haben politische Angebote für Wähler aus den wohlsituiert-pluralistischen Milieus der linken, ökologisch bewussten Mitte.


Einerseits gehört Hessen zu den reicheren Bundesländern ...

Das Wahlergebnis ist auch vor folgendem Hintergrund zu bewerten: Hessen geht es wirtschaftlich besser als anderen westdeutschen Bundesländern. Davon sind 68% der Hessen überzeugt, wie eine repräsentative Umfrage der Forschungsgruppe Wahlen ergeben hat (vgl. FAZ vom 4.10.2018). Schaut man auf das Wachstum des Bruttoinlandsprodukts (BIP) seit 2014, so lag Hessen 2016 im Wachstum über dem Bundesdurchschnitt und 2017 gleichauf. Das gleiche gilt für die im Durchschnitt verfügbaren Einkommen. Deutlich positiv ist auch die Beschäftigungssituation. Die sozialversicherungspflichtige Beschäftigung stieg 2017 um 2,5% – und damit etwas kräftiger als im Bundesdurchschnitt – auf 2,57 Millionen. Für 2018 geht das Forschungsinstitut der Bundesagentur, das IAB Hessen, von einem Wachstum um 2,0% aus. Die Zahl der Arbeitslosen soll in diesem Jahr um 3,4% auf 160.200 sinken, nachdem das Minus schon 2017 bei 4,1% zu liegen kam.

Allerdings bildet Hessen bei der Investitionsquote (Bruttoanlageinvestitionen) mit NRW das Schlusslicht. Und der Anteil des Produzierenden Gewerbes an der Bruttowertschöpfung liegt mit 26% im Verhältnis zum Dienstleistungssektor mit 74% deutlich unter dem Bundesdurchschnitt von 31 zu 69%. Beides deutliche Zeichen für eine Schattenseite, die im Wahlkampf keine Rolle spielte, die aber davon zeugt, dass die hessische Landesregierung keine ausreichende Industrie- und Strukturpolitik betrieben und nicht mit eigenen Investitionsprogrammen gegengesteuert hat.

Die Wirtschaftsentwicklung wird zum einen durch die Finanzdienstleistungen geprägt: ca. 200 Banken aus dem In- und Ausland haben den Hauptsitz in Frankfurt am Main, das sind über 40% aller in Deutschland überregional tätigen Kreditinstitute (d.h. ohne Sparkassen und Kreditgenossenschaften). Zum anderen ist der Frankfurter Flughafen ein zentraler Standortfaktor, der von 28% der Passagiere und 45% des Frachtaufkommens im deutschen Luftverkehr genutzt wird. Er ist zudem das zweitgrößte kontinentaleuropäische Logistikdrehkreuz für Waren sowie das drittgrößte für Passagiere nach Paris und Amsterdam. Fast ein Drittel der hessischen Bruttowertschöpfung entsteht im Wirtschaftsbereich »Finanzierung, Vermietung, Unternehmensdienstleister«. Weitere 23% steuert der Sektor »Handel, Verkehr, Gastgewerbe, Information/Kommunikation« bei.


… andererseits gibt es reichlich Unsicherheit und Sorgen um die Zukunft

Die Problem-Agenda in der Analyse von Infratest dimap (durchgeführt im Auftrag des Hessischen Rundfunks im September) zeigten sich vor dem Wahlen erkennbare Verschiebungen: Themen wie Schule und Bildung (40%, +5), die Verkehrs-Infrastruktur (22%, +4), vor allem aber die angespannte Lage auf dem hessischen Wohnungsmarkt (21%, +9) wurden von den Hessen häufiger problematisiert als noch im Frühsommer. Die Lage auf dem Wohnungsmarkt ist landesweit das viertwichtigste Thema.

In den hessischen Metropolen mit mehr als 100.000 Einwohnern wurden Miet- und Wohnfragen (34%) gemeinsam mit Aspekten der Bildungs- und Schulpolitik (35%) sogar am häufigsten als Problem genannt. In Frankfurt sind die vier Themen, die die Menschen am meisten umtreibt, Wohnen, die Verkehrssituation, öffentliche Sicherheit und öffentliche Verkehrsmittel (siehe die untenstehende Grafik). Der Wohnungsmarkt wird von vielen Frankfurter*innen als mit Abstand größte Sorge bezeichnet.

Vor allem bei den sozialen Schichten der mittleren Einkommenslagen gibt es spürbare Zukunftsängste. Gesellschaftliche Veränderungen wie die Asymmetrie in Einkommens-und Vermögensverhältnissen, die zunehmende Modernisierung der Arbeitswelt und die Individualisierung der Lebensverhältnisse sowie Globalisierung und Digitalisierung – all dies löst Zukunftsängste aus. Es profitieren längst nicht alle von der wirtschaftlichen Prosperität. In den meisten Industrienationen sind die Einkommen der unteren Hälfte der Bevölkerung in den vergangenen Jahren kaum gestiegen, jedenfalls deutlich weniger als die Einkommen der oberen 10%. Das gilt auch für Hessen.

Die Zukunftsängste machen sich zum einen in rechtspopulistischen Ausbrüchen Luft. Die Alternative wäre eine grundlegende Reform des Sozialstaates. Der Staat muss mehr Geld in die Hand nehmen – für Bildung, für die ökologische Gestaltung der Umwelt, des Klimas und des Verkehrs, aber auch um die Sozialsysteme demografiefest zum machen (Wohnen, Pflege, Gesundheit). Dazu werden höhere Steuern auf Erbschaften benötigt, um der zunehmenden Konzentration der Vermögen etwas entgegenzusetzen. Wenn sehr wenige sehr viel haben, dann ist das eine Gefahr für die Demokratie. Wenn es nicht gelingt, einen neuen Sozialvertrag umzusetzen, werden die, die verunsichert und verletzt worden sind, rebellieren.

Man versteht daher besser, warum die SPD ihren Gerechtigkeitswahlkampf schon bei der Bundestagswahl in den Sand gesetzt hat, auch bei den nachfolgenden Landtagswahlen das Ruder nicht herumreißen und auf absehbare Zeit das Jahrhundertthema Ungleichheit nicht für sich nutzen kann. Die Wirtschaft blüht (noch) – aber schon die mittleren Einkommensschichten sehen vom Aufschwung nichts. Die Verunsicherung und die Ohnmachtsgefühle der Mittelschicht und die wachsende Ungleichheit lösen einen Teufelskreis aus, der nicht nur die Demokratie, sondern auch das gesellschaftliche Zusammenleben gefährdet.

Es ist unverkennbar, dass die politische Mitte –nicht nur in Deutschland, sondern in vielen entwickelten kapitalistischen Ländern – weiter erodiert. Die mittleren Einkommenslagen sind verunsichert, verärgert und ziemlich orientierungslos, während die neue Rechte triumphiert. Im Osten ist die AfD schon Volkspartei, gegen die kaum noch regiert werden kann. In dieser Umbruchsituation können sich die Grünen als politische Alternative präsentieren, sie haben politische Angebote für Wähler aus den wohlsituiert-pluralistischen Milieus der linken, ökologisch bewussten Mitte.

Wer allerdings den Erfolg der Grünen nur als »Anpassungsprozess« an die gesellschaftliche Mitte oder gar als Rechtswende schlechtredet, hat die aktuelle Auseinandersetzung nicht verstanden. Für die Grünen hat sich seit den gescheiterten Jamaika-Verhandlungen viel verändert. »Wir haben die Aufgabe, ins Zentrum der Demokratie zu rücken und es ist ohne Frage eine neue Rolle für uns. Aber eine, die wir suchen und die wir haben wollen«, sagt etwa der Parteichef Robert Habeck, seit Januar 2018 neben Annalena Baerbock Bundesvorsitzender der Grünen und maßgeblich mitbeteiligt an diese neue Rolle der Grünen. Infratest dimap charakterisiert diese so: Erstens geben die derzeit ein sehr geschlossenes Bild ab, was die Führung angehe. »Wenig Streit, überzeugende Köpfe, die sich zudem markant positiv vom Spitzenpersonal in der deutschen Sozialdemokratie und in der Union abheben. Und zweitens: Die Grünen besetzen zentrale Zukunftsthemen wie Umwelt, Energie und Verkehr so kompetent wie keine andere Partei.«

In Hessen liegen die Grünen in der Kompetenzzuschreibung bei Wohnen, Bildung und der Gewährleistung der inneren Sicherheit hinter anderen Parteien. Wenn jedoch nach der Verkehrspolitik gefragt, konnten sie im Verlauf des Wahlkampfes ihren Vorsprung noch ausbauen: 26% finden die Konzepte der Grünen am besten (Juni: 24%), gefolgt von CDU mit unverändert 21% und SPD mit 13% (nach 16%). Zudem werden sie nicht mehr nur als Öko-Partei wahrgenommen, sondern auch ihre Schulpolitik findet bei Wähler*innen Anklang, was zur Ausweitung ihrer Akzeptanz beiträgt.


Investitionsstau in fast allen wichtigen Bereichen

Wohnen, Bildung, Verkehr und Migration sind die bei weitem wichtigsten Themen, die die Menschen auch in Hessen bewegen. In keinem anderen Flächenland sind der Wohnungs- und Bildungsnotstand so dominant wie in Hessen. Laut Pestel-Institut fehlten Ende 2017 dort gut 80.000 Wohnungen bzw. 12,8 je 1.000 Einwohner -–ausschließlich günstige bis mittelpreisige. Im Bundesschnitt liegt das Wohnungsdefizit bei 8,8 je 1.000 Einwohner.

Steigende Mieten und Wohnungsmangel machen Arme noch ärmer. Die Miete drückt mehr als eine Million Haushalte in Deutschland unter Hartz-IV-Niveau (aktuelle Untersuchung im Auftrag des Sozialverbands Deutschland). Besonders hohe Mietbelastungen haben der Studie zufolge nicht nur Arme, sondern auch Alleinerziehende, Rentner, Menschen mit Migrationshintergrund, mit geringem Bildungsgrad und auch Singles.

In der Bildung prägen fehlende oder marode Schulen, sowie fehlende Lehrer das Bild. In den Frankfurter Gesamtschulen wurde bereits der Notstand ausgerufen. Viele Lehrer fühlen sich überfordert. Sie sehen sich nicht mehr in der Lage, die wachsenden Aufgaben, insbesondere von Inklusion und Integration, zu meistern, da zugleich Personal- und Sachmittel gekürzt würden.

Das gleiche Bild zeigt sich in den Universitäten und Hochschulen. Professoren und andere Angestellte werden zu großen Teilen lediglich befristet aus dem hessischen Hochschulpakt 2020, den Bund und Länder angesichts der immer voller werdenden Hörsäle geschlossen hatten, vergütet. Die Betreuungsrelation hat sich trotz gestiegener Zuschüsse verschlechtert. Mit Fortsetzung der Schwarze-Null-Politik verschwinden die Aussichten auf eine grundlegende Änderung.

Staus, Lärm und Abgase machen auch den Hessen zu schaffen. Die finanziellen Mittel reichen bei weitem nicht aus, um die Herausforderungen insbesondere des Öffentlichen Personennahverkehrs zu bewältigen und einen Umstieg vom Individualverkehr dorthin attraktiv zu gestalten.

Zwar ist die Zahl der Geflüchteten zurückgegangen ist, viele von ihnen haben Arbeit, es leben aber noch viele Flüchtlinge, die in Hessen bleiben dürfen, aufgrund der angespannten Wohnungssituation weiter in den Gemeinschaftsunterkünften. Eine gelungene Integration sieht anders aus. Mit Blick auf diese Aufgaben haben die Grünen einen Vertrauensvorschuss erhalten. Sie werden daran gemessen werden, ob sie dem künftigen Regierungspartner deutlichere Fortschritte abringen können als in der zurückliegenden Legislaturperiode.

Ein Politikwechsel, der Hessen stärker voranbringen könnte, hat diesmal keine Zustimmung erhalten. Man darf gespannt sein, wie die neue Regierungskoalition mit den massiven Problemen umgehen wird und welche Rolle die erstarkten Grünen dabei spielen werden. Nach ihrem neu gewonnenes Selbstverständnis als »linksliberale, soziale und ökologische Kraft, progressiv und europäisch« verstehen sie sich als «Vorhut für die Breite der Gesellschaft. Darin steckt ein Widerspruch, ja. Aber ihn aufzulösen, das ist unser Arbeitsauftrag.« (DIE WELT vom 2. März 2018).