Einmal Verräter ...

Die SPD. Manche von denen, die immer noch an ihr hängen, und andere, die mit der Partei in deren besseren Jahren verbunden waren, nennen sie gern die alte Tante. Linken allerdings geht dieser diminutive Euphemismus in der Regel nicht über die Lippen. Denn deren Erfahrungshintergrund besagt, spätestens seit Friedrich Ebert nach dem November 1918 seinen Bluthund Noske von der Kette gelassen hatte, auf dass der die Revolution niederkartätsche – den Mord an Luxemburg und Liebknecht inklusive –, aber eigentlich schon seit der Bewilligung der Kriegskredite 1914 durch die komplette Reichstagsfraktion der SPD (einzige Ausnahme: Karl Liebknecht): „Wer hat uns verraten? Sozialdemokraten!“
Schnee von gestern? Schön wär’s. Der Comedian Marc Uwe Kling hat in den frühen Hartz-IV-Jahren die Aktualität dieses bitteren Aperçus bedichtet. Sein keckes Lied ist auf YouTube leicht zu finden. Und unbedingt dazu gehört die Geschichte, wie es zu dem Song kam. Der seinerzeit noch sehr junge Künstler hatte beim Hautarzt 55 Euro dafür gelöhnt, dass ihm drei Leberflecken entfernt worden waren, und gedacht: „Boa, ist das teuer. Hoffentlich hat sich’s auch gelohnt … Und dann ist mir klargeworden, dass ich mir damit quasi selber Krebs gewünscht hab’ … Und das war der Moment, in dem ich mich entschlossen hab’, mal ein Lied über die SPD zu schreiben.“
Gerade hat Gabor Steingart, Ex-Herausgeber des Handelsblattes und, wenn man so will, auch ein SPD-Geschädigter – er wurde von Verleger Dieter von Holtzbrinck vor die Tür gesetzt, nachdem er einem SPD-Vorsitzenden nachgesagt hatte, was seinerzeit die Spatzen von allen Dächern pfiffen, dass der nämlich den „beliebtesten SPD-Politiker, Außenminister Sigmar Gabriel, zur Strecke bringen und an dessen Stelle im Ministerium Quartier beziehen“ wolle – nach 15 Jahren Hartz IV Bilanz gezogen: „1. Ein prekärer Niedriglohnsektor entstand. Armut durch Arbeit ist kein bloßer Slogan der Linken, sondern für Millionen Menschen eine Realität. […] 2. Das Programm Fördern und Fordern funktioniert nicht. […] die Wahrheit für viele lautet: einmal Hartz IV immer Hartz IV. Es entstand keine ‚neue Mitte‘, sondern ein gesellschaftlicher Hohlraum, den Populisten für sich zu nutzen wissen. […] 3. Die Jobcenter schufen Jobs vor allem für Bürokraten, die das untere Drittel der Gesellschaft mit ihrer Wissbegier quälen. Ihre kleinste Recheneinheit ist die Korinthe. Die Antragsteller zahlen mit ihrer Würde oder dem, was davon blieb. […] weshalb die SPD trotz enormer Ausweitung des deutschen Sozialbudgets […] bei ihrer Stammklientel durchgefallen ist.“
Steingarts Fazit: Mit Hartz IV habe die SPD „ihre Kernwählerschaft einmal zu viel verraten“.
Das war der überfällige Anfang vom Ende der SPD als Volkspartei, was selbst in deren Führungsetage offenbar nicht länger verdrängt werden kann. Parteichefin Andrea Nahles will Hartz IV hinter sich lassen, ohne bisher so recht zu erkennen zu geben, was uns dann vielleicht als nächstes droht. Anstelle des kalten Bürokratensprechs Hartz IV aber probiert sie schon mal eine Kuschelalternative – Bürgergeld.
Allerdings ist der Drive zum Verrat von Klientelinteressen höherem SPD-Führungspersonal offenbar so nachhaltig in die DNA gestanzt, dass – noch während Pirouetten wegen Hartz IV gedreht werden – mit maßgeblicher SPD-Beteiligung längst die nächsten asozialen Sauereien angeschoben werden – etwa im Bundeshaushalt für das nächste Jahr.
Zwar hat der Deutsche Städtetag berechnet, dass allein in den Kommunen ein Investitionsstau von 126 Milliarden Euro herrscht, weil dringend Schulen, Kindergärten, Krankenhäuser, Straßen und Brücken saniert oder neu gebaut werden müssten. Doch SPD-Finanzminister Olaf Scholz will 2019 etwa 1,9 Milliarden Euro weniger für zivile Investitionen ausgeben als noch 2018 und danach die Investitionen einfrieren. Aber nur zivil! Fürs Militär sind in der Bereinigungssitzung des Haushaltsausschusses kürzlich noch einmal 323 Millionen zusätzliche Euro beschlossen. Dafür kann die Bundeswehr jetzt unter anderem ein Mehrzweckkampfschiff für 147 Millionen beschaffen. Hinzu kommen Zusagen von weiteren zusätzlichen 5,66 Milliarden für die nächsten Jahre. Geld für Ganztagsschulen wird es hingegen keines geben. Zwar waren über zwei Milliarden Euro im Haushaltsplan für 2019 eingestellt, doch die wieder gestrichen worden.
Da steht die SPD-Spitze also für „Kriegsschiffe statt Schulen“ (quasi eine zeitgemäße Adaption des klassischen „Kanonen statt Butter“). Die Kernwählerschaft der Partei wird dies hoffentlich entsprechend zu goutieren wissen …