"Unschuldig ihrer Freiheit beraubt"

Interview mit dem Hilfsverein zum Abschiebeknast Büren

iz3w: Der Abschiebeknast in Büren (Westfalen), auf Behördendeutsch »Unterbringungseinrichtung für Ausreisepflichtige«, war bis 2015 zugleich eine JVA. Was hat sich seitdem geändert?

Verein Hilfe für Menschen in Abschiebehaft Büren: 2014 hat der Europäische Gerichtshof beschlossen, dass Strafgefangene und Abschiebegefangene nicht zusammen untergebracht werden dürfen. Daraufhin musste das Abschiebegefängnis in Büren geschlossen werden. Nordrhein-Westfalen hatte für einige Monate keine eigene Abschiebehaft mehr, die Gefangenen wurden nach Berlin gebracht. Weil die Fahrtzeiten so lang waren, wurde Abschiebehaft nur als Ultima Ratio angewendet, also so, wie es im Gesetz vorgeschrieben ist. Damals waren weniger als zwölf Menschen aus NRW in Abschiebehaft. Die rot-grüne Landesregierung hat sich jedoch sehr dafür eingesetzt, dass der Knast in Büren wieder öffnet. Seitdem steigt die Zahl der Inhaftierten, aktuell auf 140 Menschen.

Nach der Wiedereröffnung waren die Haftbedingungen zunächst gut: tagsüber freier Hofgang, Abschließen der Zelltüren nur nachts. Die Anstaltsleitung bemühte sich, eine angenehmere Atmosphäre zu schaffen. Mittlerweile wurden die Haftbedingungen verschärft. Hofgang und Zellenaufschluss wurden wegen Personalmangel stark eingeschränkt. Immer mehr Menschen werden in extrem belastende Isolierhaft gesperrt. Derzeit wird ein Gesetzentwurf der schwarz-gelben Landesregierung diskutiert, der den Vollzug verschärft. Er bleibt teilweise sogar hinter den Standards des Strafvollzugs zurück. Die Unterbringungseinrichtung selbst soll große, eigene Handlungsspielräume bekommen, ohne eine wirksame Kontrollinstanz.

 

Was wird den Menschen vorgeworfen, die in Büren einsitzen?

Abschiebehaft erleichtert Abschiebungen für die Ausländerbehörde. Diese kann jemanden präventiv in Haft nehmen lassen, wenn der »begründete Verdacht« besteht, dass die Person untertauchen könnte. Wenn ich sage, dass ich morgen einen Diebstahl begehe, darf ich heute nicht inhaftiert werden. Im Ausländerrecht ist aber eine verdachtsabhängige Inhaftierung durchaus möglich. Anders als in einer JVA sitzt in Büren niemand wegen einer Straftat ein. Es handelt sich um reine Zivilhaft, ähnlich der Zwangsunterbringung in einer Psychiatrie.

 

Was unterscheidet den Abschiebeknast von einer JVA?

Die Menschen in Strafhaft haben oft eine Zukunft, etwa wenn sie in bestehende Strukturen entlassen werden. Die Abschiebehäftlinge stehen vor dem Nichts, im schlimmsten Fall vor dem Tod. Gemeinsam ist dem Abschiebeknast und einer JVA, dass Menschen ihrer Freiheit beraubt werden.

 

Wie lange sitzen die Menschen im Durchschnitt in Büren ein?

Dazu gibt es keine zuverlässige Statistik. Die Einrichtung veröffentlicht nur auf direkte Nachfrage Zahlen, für die wir als Hilfsorganisation bis zu 250 Euro zahlen müssen. Sie sind außerdem unstimmig. So erhalten Gefangene, die länger in Büren sind, mit der Zeit eine neue Buchnummer. Damit zählen sie doppelt, sodass die Anzahl der Gefangenen steigt, die durchschnittliche Belegungsdauer jedoch sinkt. Nach den jüngsten Zahlen liegt die Haftdauer im Mittel bei 33 Tagen. In der Realität ist sie wesentlich höher. In der Beratung sprechen wir oft mit Menschen, die zwei bis drei Monate ihrer Freiheit beraubt sind, in Einzelfällen über sechs Monate.

 

Gibt es in Büren Maßnahmen zur Resozialisierung?

Sinn und Zweck der Haft ist die Abschiebung. Die Menschen sollen so lange verwahrt sein, bis die Ausländerbehörde einen Pass besorgt und den Flug organisiert hat. Da die Betroffenen keine Straftat begangen haben, ist eine Resozialisierung nicht vorgesehen und macht auch keinen Sinn. Aber unserer Ansicht nach dürfen Menschen nicht unschuldig ihrer Freiheit beraubt werden. Zwar gibt es Freizeitangebote, diese können dem Tag jedoch keine Struktur geben. Viele Inhaftierte haben Angst vor dem, was sie im Herkunftsland erwartet. Langeweile und Frustration bestimmen die Tagesordnung. Zudem werden die Einschlusszeiten in den Zellen durch den Personalmangel immer länger – die Betroffenen stecken bis zum Abschiebetermin hinter Gittern. Abschiebehaft ist ein unmenschlicher Aspekt einer rassistischen Asyl- und Einwanderungspolitik und muss abgeschafft werden!

 

Welche Perspektiven haben die Einsitzenden?

Die einzige »Perspektive« durch die Ausländerbehörden ist die Abschiebung. Der Umgang der Einzelnen damit ist jedoch sehr unterschiedlich. Einige wenige freuen sich, in ihre Herkunftsländer zu kommen, andere haben begründete Todesangst. Zwischen diesen beiden Polen gibt es alles. Hinzu kommt die Ungewissheit, wann genau die Abschiebung vollzogen wird. Das zermürbt, oft liegen die Nerven blank. Manche hoffen, mittels rechtlicher Schritte doch noch in Deutschland bleiben zu können. Leider oft vergeblich.

 

In jüngerer Zeit häufen sich Vorwürfe in Büren werde gegen die Rechte der Gefangenen verstoßen. Sogar von Folter wird gesprochen.

Kürzlich hat die Nationale Stelle zur Verhütung von Folter ihren Bericht über Büren veröffentlicht. Sie hat in wesentlichen Punkten unsere Aussagen bestätigt. So werden zum Beispiel Menschen ohne gesetzliche Grundlage in Isolierhaft eingesperrt, nach unserer Beobachtung über Wochen und Monate hin. Fixierungen sind in der Isolierhaft zum Teil auch bei nicht vorliegender Selbstgefährdung angewendet worden. Es ist fast Routine, dass sich neue Inhaftierte nach dem Betreten der Einrichtung komplett entkleiden müssen und der Schambereich in Augenschein genommen wird. Es gibt eine Abteilung, in der einige Inhaftierte grundsätzlich bei Toilettengängen gefilmt wurden und sie lediglich eine Papierunterhose tragen dürfen. Unser Verein sucht Unterstützung dafür, solche Vorfälle öffentlich zu machen. Wir besuchen die Menschen in Abschiebehaft, um uns so weit wie möglich für sie einzusetzen.

 

 

Der Verein Hilfe für Menschen in Abschiebehaft Büren setzt sich seit 1994 für Abschiebhäftlinge ein. Das Interview führte Kathi King.