Klimawandel

Themenschwerpunkteditorial iz3w 372 (Mai/Juni 2019)

An kaum einem anderen technischen Gerät lassen sich die Verrücktheiten des Klimawandels und seiner Bekämpfung so gut aufzeigen wie an Klimaanlagen. Für viele Menschen sind sie unverzichtbar geworden, um mit dem Temperaturanstieg fertig zu werden. Dies gilt gerade für Länder des Südens, wo alle der dreißig Metropolen mit den weltweit höchsten Durchschnittstemperaturen liegen. In den urbanen Hitzeblasen ist das Leben ohne Kühlung die Hölle, Lebensmittel verderben rasant und Krankheiten breiten sich aus. Wer sich keine Air Condition leisten kann, wie fast alle ärmeren Menschen, ist der Hitze in aller Härte ausgesetzt.

Zugleich tragen Klimaanlagen in erheblichem Ausmaß zum Klimawandel bei. Sie sind Stromfresser, und solange Elektrizität nicht klimaneutral produziert wird, verursachen sie klimarelevante Emissionen. Laut einem Forscherteam der Universität Birmingham soll sich bis zum Jahr 2050 die Zahl der Kühlsysteme weltweit auf über 14 Milliarden vervierfachen – mit verheerenden Folgen für die Reduzierung von Klimagasen, aber zur Freude der Elektrokonzerne. In Südostasien werden bereits in zwanzig Jahren 40 Prozent des Stroms für Klimaanlagen gebraucht, so die Prognose.

Das Beispiel der Klimaanlagen veranschaulicht: Die negativen Folgen des Klimawandels treffen nicht alle Menschen gleichermaßen hart. Wohlhabende verfügen über genügend Mittel für wirksame Bewältigungsstrategien, sie können ihren Wohnort verlegen oder sich anderweitig schützen. Reiche Länder sind in der Lage, Schutzmaßnahmen wie etwa Dammbau zu ergreifen oder die Auswirkungen unvermeidlicher Katastrophen effektiv zu lindern. Ein Hurrikan in Florida zeitigt bei vergleichbarer Zerstörungskraft weit weniger drastische Langzeitfolgen als ein Zyklon in Mosambik.

Durch den Klimawandel verstärken sich die seit der Kolonialzeit ohnehin schon bestehenden eklatanten Ungerechtigkeiten im Nord-Süd-Verhältnis noch einmal enorm. Um es aufs Wesentliche herunterzubrechen: Klimarelevante Emissionen wurden und werden vor allem von Reichen verursacht – nicht nur, aber vor allem in Ländern des Nordens. Die negativen Folgen des Klimawandels treffen hingegen arme Menschen mit besonderer Unerbittlichkeit – vor allem, aber nicht nur in Ländern des Südens. Daher nehmen wir in diesem Themenschwerpunkt eine transnationale, antikoloniale Perspektive auf Klimawandel und Klimapolitik ein, bei der Fragen nach sozialer Gerechtigkeit im Vordergrund stehen. Diese kommen in den hegemonialen Debatten ums Klima viel zu kurz.

Ebenfalls unterbelichtet in diesen Debatten sind herrschafts- und kapitalismuskritische Ansätze. Das ist erstaunlich, denn die Verursachung des Klimawandels durch die Ausbeutung fossiler Rohstoffe, durch ressourcenintensive Landwirtschaft und durch Umweltzerstörung ist eng verwoben mit der kapitalistischen Verwertungsmaschinerie. Und auch bei der gängigen Klimapolitik dominieren die Kapitalinteressen einer »Green Economy«, die Fixierung auf High-Tech-Lösungsansätze sowie neokoloniale Instrumente wie zum Beispiel Emissionsschutzzertifikate.

Demgegenüber pochen wir auf eine radikal sozial-ökologische Perspektive, in der die globale soziale Frage nicht gegenüber Umweltgesichtspunkten untergeordnet wird. Diese Sichtweise ist nicht neu, doch muss sie immer wieder neu in die Debatten über Klimawandel eingebracht werden.

Bebildert ist dieser Themenschwerpunkt mit Fotos von den Schulstreiks gegen die unzureichende Klimapolitik. Die weltweite Fridays for Future-Bewegung ist historisch einzigartig: Noch nie haben in über 120 Ländern so viele und so junge Menschen zeitgleich demonstriert – weitgehend spontan und dabei ebenso radikal wie kreativ und witzig. Anders als viele Erwachsene – und erst Recht die »Profis« in der Politik – haben sie die einhelligen Warnungen der KlimaforscherInnen verstanden und ernst genommen.

Die SchülerInnen lassen sich nicht mehr einlullen von Sonntagsreden und Versprechungen, die niemals auch nur annähernd erfüllt werden. Sie wenden sich gegen die Individualisierung von Klimawandelbekämpfung durch ‚grünen‘ Konsum, und sie haben ganz konkrete Forderungen wie den Ausstieg aus der Kohle. Sie sind misstrauisch gegenüber dem aktuellen Medienhype und dem Lob durch PolitikerInnen, die schon tags darauf wieder vor der Autoindustrie kuschen. Und sie spotten über hirnlose KlimawandelleugnerInnen ebenso wie über altgewordene ZynikerInnen, die meinen, eine junge Generation pathologisieren zu müssen, nur weil ihr ihre Zukunft nicht egal ist.

Die Fridays for Future haben binnen weniger Monate einen Klimawandel in der Öffentlichkeit herbeigeführt, der bei der Planung dieses Schwerpunktes nicht absehbar war. Überraschungen dieser Art lieben wir.

die redaktion