Zwielicht

Zwei neue Bücher beleuchten Prostitution ganz unterschiedlich.

Die Frage der Prostitution ist eine Gretchenfrage des Feminismus. Während sie für die einen Kulminationspunkt patriarchaler Gewalt und deshalb grundsätzlich abzulehnen ist, sprechen die anderen von Sexarbeit, die rechtlich geregelt und geschützt werden muss. Ingrid Strobl gehört eindeutig zur ersten Gruppe, sie findet "den Begriff Sexarbeit verharmlosend".
Das lässt sich ihr nicht verdenken, sind die von ihr in "Es macht die Seele kaputt. Junkiefrauen auf dem Strich" porträtierten Frauen doch allesamt sehr weit davon entfernt, einer frei gewählten Arbeit nachzugehen. Beschaffungsprostitution ist in den allermeisten Fällen alternativenlos, das benötigte Geld für den täglichen Drogenbedarf lässt sich auf andere Weise kaum verdienen.
Strobl hat Interviews mit heroinabhängigen Frauen geführt, einige von ihnen über einen längeren Zeitpunkt begleitet und drei ihrer Geschichten erzählt. Keine handelt von durchschnittlich erfreulichen und unerfreulichen Alltagserfahrungen. Regine, mit der Strobl während ihrer Recherchen Freundschaft schloss, ist bei Drucklegung des Buches tot. Auch die in Kapiteln ("Kindheit", "erster Schuss", "erster Freier" etc.) gebündelten Berichte der anderen Interviewpartnerinnen ähneln sich vor allem in ihren schrecklichen Momenten. Missbrauch in der Kindheit, der sich später häufig in Gewaltbeziehungen fortsetzt. Ekel vor dem ersten Mal und Überwindung vor jedem weiteren. Marilyn ist eine der wenigen, die von einem neuen Selbstbewusstsein durch diesen Job und von einem gewissen Stolz darüber berichtet, ihre Arbeit gut zu machen. Strobl begegnet diesen Aussagen mit zynischer Skepsis und zweifelnden Nachfragen, räumt aber bereits im nächsten Moment ein, dass sie vielleicht besser daran täte, einfach nur zuzuhören. Auch die Präsentation verschiedener Hilfseinrichtungen im Schlussteil des Buches zeigt, dass es die Autorin keinesfalls bei einer alle Unterschiede nivellierenden Ablehnung von Sexarbeit belässt. Anhand von Projekten wie der Geestemündener Straße in Köln zeigt sie, dass etwa geschützte Arbeitsbereiche deutlich mehr Sicherheit und entscheidende Verbesserung der Arbeitsbedingungen bewirken.
Strobl wollte keinen wissenschaftlichen Text schreiben, kein Buch über die Frauen, sie schreibt in ihrem Auftrag, sagt sie.

Dem Vorwurf, einmal mehr über SexarbeiterInnen zu sprechen und sie nicht selbst zu Wort kommen zu lassen, begegnen die AutorInnen von "Verhandlungen im Zwielicht. Momente der Prostitution in Geschichte und Gegenwart" vorauseilend bereits im Vorwort. Ein wichtiges Thema des Aufsatzbandes seien gerade jene Mechanismen, die Prostituierte verstummen ließen. Beleuchtet werden sollen außerdem die blinden Flecken feministischer wissenschaftlicher Theoriebildung zur Prostitution: Homosexuelle Sexarbeit oder das Phänomen von Frauen als Freierinnen und Zuhälterinnen. Auch wenn diese Ankündigung nur in Ansätzen eingelöst wird, dem Anspruch, differenzierte Blicke auf die unterschiedlichen Formen von Prostitution zu werfen, wird das Buch durchaus gerecht.
Wie auch Strobl immer wieder betont, rangieren Beschaffungsprostituierte in der Hierarchie der SexarbeiterInnen ganz unten. Kathrin Schrader zeigt in ihrem Text "Beschaffungsprostitution im Kontext ethnischer Konstruktionen", wie sich das Stigma der Sucht mit dem der Herkunft verschränkt und wie bestehende Gesetzeslagen daran beteiligt sind, diese Ungleichheiten zu erzeugen. Der Aufsatz von Christina von Braun, der veranschaulicht, dass der Abs- traktionsvorgang des Geldes seine Gegenbewegung in der Materialisierung des käuflichen Frauenkörpers fand, verweist nebenbei darauf, dass Tempelprostitution mit hohem sozialem Ansehen verbunden war. Elke Hartmann wiederum beschreibt die Sonderstellung der Hetären im klassischen Athen.
Welche Interessen dahinter stehen können, wenn diese historischen wie gegenwärtigen Ungleichheiten von Arbeits- und Abhängigkeitsverhältnissen ignoriert werden und etwa generalisierend von "Zwangsprostitution" gesprochen wird, analysiert Loretta Ihme am Beispiel der Fußball-WM in Deutschland. Einerseits nämlich der legitime Wunsch von Frauenorganisationen, das nie da gewesene Medienecho für Sensibilisierung und Öffentlichkeitsarbeit in eigener Sache zu nutzen. Andererseits aber auch das Interesse, Maskulinitäts- und Nationalitätskonstrukte mithilfe der propagierten Bedrohung durch abertausende "Sexsklavinnen" und enthemmte, ausländische Fanfreier zu stabilisieren.

Dieser Artikel erschien in: an.schläge, das feministische Magazin,
www.anschlaege.at