Das Weltkapital

Globalisierung und innere Schranken des modernen warenproduzierenden Systems.Von Robert Kurz.Verlag Klaus Bittermann Berlin 2005, 480 S. (18,50 EUR).

Der streitbare wertkritische Publizist Robert Kurz hat mit seinem "Weltkapital" eine umfangreiche politisch-ökonomische Schrift zur Globalisierung vorgelegt. Grundannahme ist dabei - wie auch in den anderen Schriften KurzÂ’, etwa dem Bestseller "Schwarzbuch Kapitalismus" - die aus der marxÂ’schen Krisentheorie abgeleitete absolute innere Schranke des Kapitalismus, die sich letztlich als Krise der abstrakten, d. h. wertbildenden Arbeit darstellt: Diese werde durch Produktivitätsfortschritte der dritten industriellen oder mikroelektronischen Revolution zunehmend obsolet. Durch diese Abschmelzung der Wertsubstanz stehe der Kapitalismus vor seinem Ende. Was als Globalisierung erlebt und beklagt werde, sei das finale Stadium dieses Zusammenbruchs. Freilich lässt sich über diese Auslegung der MarxÂ’schen Krisentheorie trefflich streiten; ein wesentlicher Knackpunkt dabei ist ja die Frage, ob die Produktion des relativen Mehrwerts, also die wertmäßige "Verbilligung" der Reproduktionskosten der Arbeitskraft, den prozentuell steigenden Anteil des fixen zu Lasten des variablen Kapitals (nur dieses ist wertbildend) wettmachen kann. Für Robert Kurz ist klar: "Die Arbeitssubstanz und also die Wertmasse wird absolut so stark vermindert, dass eine Erhöhung des relativen Anteils des Mehrwerts daran nichts mehr nützt" (S. 221). Im "Weltkapital" wird diese Entwicklung zwar vorausgesetzt, aber nicht eigentlich diskutiert; das Ziel dieses Buches ist auch ein anderes, nämlich die theoretische Analyse der Globalisierung, vor allem, was daran neu ist und sich von der bisherigen Internationalisierung der Weltwirtschaft unterscheidet. Es sei vorausgeschickt, dass dies im Wesentlichen gelungen ist; einige interessante Thesen sollen hier stellvertretend kurz angerissen werden. Kurz liefert eine kritische Auseinandersetzung mit der Weltsystemtheorie von Immanuel Wallerstein. Es streicht hervor, dass der Kapitalismus von Anbeginn als Weltmarktsystem fungiert und gerade dadurch die Nationalstaaten hervorgebracht habe: "Es fand also nicht ein allmählicher und geradliniger Aufstieg von lokalen und regionalen Märkten zu nationalökonomischen Binnenmärkten statt, sondern genau umgekehrt brach unmittelbar der Weltmarkt katastrophisch über die agrargesellschaftlichen Strukturen und deren begrenzte Märkte herein, um dann als Folge (statt als Ursache) dieser Entwicklung gewissermaßen von oben die Bildung nationalökonomischer und damit nationalstaatlicher Strukturen zu erzwingen, die überhaupt erst eine weitere, daran anschließende Entwicklung der kapitalistischen Produktionsweise auf ihren eigenen Grundlagen ermöglichten" (S. 52). Der Staat habe sich quasi zwischen Unternehmen und Weltmarkt als Puffer geschoben, das Wirken der Betriebswirtschaften auf dem Weltmarkt sei über den Nationalstaat vermittelt gewesen. Durch Anwachsen der Produktivität sei das Kapital jedoch an die nationalen Grenzen gestoßen, weshalb es sich vermehrt am Weltmarkt orientiert habe. In diesem Zusammenhang lässt sich auch das qualitativ Neue an der Globalisierung beschreiben: seien im Fordismus und davor Auslandsinvestitionen durchweg Erweiterungsinvestitionen im Kontext einer großen globalen Expansionsbewegung des Kapitals gewesen, so habe sich dies ab den 1980er Jahren geändert: "hier findet der Kapitalexport unter den Bedingungen einer Kontraktion des globalen Akkumulationsprozesses statt Â… der Kapitalexport ist wesentlich zu einer Funktion der betriebswirtschaftlichen Rationalisierung geworden. Es handelt sich also nicht mehr um Erweiterungsinvestitionen, sondern um Rationalisierungsinvestitionen." (S. 83 ff.). Das Kapital agiere nunmehr unmittelbar auf dem Weltmarkt, der Staat, bislang figurierend als Nationalökonomie, schrumpfe zu einer politischen Resthülle zusammen. Die Globalisierung zeige sich somit als Transnationalisierung der Betriebswirtschaften, wie am Beginn des kapitalistischen Weltsystems agieren die Unternehmen unmittelbar auf dem Weltmarkt - eine Instanz zur Domestizierung des Kapitals sei nach dem Abschmelzen des nationalökonomischen Gewichtes des Staates allerdings nicht mehr vorhanden. Interessant ist auch KurzÂ’ kritische Würdigung von Rudolf Hilferdings "Finanzkapital". Dabei erläutert Kurz die Bedeutung des Finanzkapitals für die Realakkumulation, wodurch klar wird, dass die Trennung in "schaffendes" und "raffendes" Kapital schon alleine aus diesem Grund völlig unhaltbar ist, ungeachtet der strukturell-antisemitischen Konnotation einer derart verkürzten Kapitalismuskritik. Die spekulativen Auswüchse des Finanzkapitalismus stellen sich nach einer Analyse der Bewegungsgesetze des Kapitals als Krise der Realakkumulation dar, nicht umgekehrt. Die inneren Widersprüchlichkeiten des Kapitalismus bilden sich zwar phänomenologisch in der Zirkulationssphäre ab (Finanzmarkt), wurzeln aber im Kapitalverhältnis als solchem. Kurz bleibt im "Weltkapital" bei der Analyse und gibt keine handlungsleitenden Ratschläge. Als allgemeines Ziel angesichts der Beschränktheit des Kapitalismus fordert er dessen Überwindung, statt - wie der globalisierungskritische Mainstream - lediglich innerhalb des kapitalistischen Formzusammenhanges von Arbeit, Staat und Geld Verbesserungen zu suchen: diese Strategie sei zum Scheitern verurteilt, lasse sich doch das Rad der Produktivkraftentwicklung nicht zurückdrehen. Zu kritisieren an diesem Buch ist dreierlei. Erstens wäre - was den Umfang betrifft - weniger mehr gewesen: mitunter ist die Argumentation redundant, zu ausschweifend und so mancher Exkurs wäre vermeidbar gewesen. Gleiches gilt für die umfangreiche Verwendung wörtlicher Zitate: sie wollen illustrativ wirken, erscheinen aber oft als denunziatorisch. Zweitens ist, wie schon im "Schwarzbuch Kapitalismus", auch hier wieder ein bisweilen über die Stränge schlagender polemischer Tonfall vorherrschend. Warum Robert Kurz damit sein Licht andauernd unter den Scheffel stellen muss, ist unverständlich. Drittens werden zentrale Begriffe der MarxÂ’schen Lehre - abstrakte Arbeit, Fetisch, Wertsubstanz etc. - nur beiläufig im Text erwähnt bzw. erläutert. Mit der Marxschen Theorie unbeschlagene Leser dürften wohl einige Male Schwierigkeiten beim Nachvollzug der Argumentation haben. Dennoch sollte dieses Buch im gut sortierten Bücherregal zur Globalisierung nicht fehlen.
in: UTOPIE kreativ, H. 195 (Januar 2007), S. 31-40

aus dem Inhalt:
VorSatz; Essay ANDREAS HEYER: Die Last der Verschwörung - Gracchus Babeufs Theorie der Freiheit und Gleichheit; Gesellschaft - Analysen & Alternativen Ulrich Busch: Berlin - Weltstadtvisionen und Finanzrestriktionen; ULLA PLENER: Wirtschaftsdemokratie in der Programmdiskussion der neuen Linken; JENS-EBERHARD JAHN: Zur Akzeptanz von Grundsicherung und Grundeinkommen in der Mitgliedschaft der Linkspartei.PDS; Utopie konkret MARTIN MEIER: Zur Bedeutung des Militärs in den politischen Utopien, Staatsromanen und Robinsonaden der Frühen Neuzeit; Zwischen allen Stühlen GÜNTER WIRTH: Walther Harichs "Ostorientierung" Einige Bemerkungen über den Vater von Wolfgang Harich - und ihn; DIETRICH WAHL: Ernst Bloch über Möglichkeit und linke Diskurse; Festplatte WOLFGANG SABATH: Die Wochen im Rückstau; Bücher & Zeitschriften Gunnar Winkler: Die Region der neuen Alten. Fakten und Positionen zur sozialen Situation älterer Bürger in den neuen Bundesländern 1990 bis 2005 (JÖRG ROESLER); Falko Schmieder: Ludwig Feuerbach und der Eingang der klassischen Fotografie. Zum Verhältnis von Anthropologischem und Historischem Materialismus (JENS-F. DWARS); Robert Kurz: Das Weltkapital. Globalisierung und innere Schranken des modernen warenproduzierenden Systems (MICHAEL KATZMAYR); Paul Martin Neurath: Die Gesellschaft des Terrors. Innenansichten der Konzentrationslager Dachau und Buchenwald, hg. von Christian Fleck und Nico Stehr, aus dem Englischen von Hella Beister (ROGER BEHRENS); Siegfried Bock, Ingrid Muth, Hermann Schwiesau: Alternative deutsche Außenpolitik? DDR-Außenpolitik im Rückspiegel (II) (FRANZ-KARL HITZE); Simon Sebag Montefiore: Stalin, Am Hof des roten Zaren (BERT GROSSE); Jahresinhaltsverzeichnis 2005; Summaries