Day finished

Steffi Holz hat ein höchst eindringliches Plädoyer gegen Abschiebehaft geschrieben.

Das Foto zeigt einen einfachen Stuhl, der vor einem Radio steht. Das Radio hängt an Gitterstäbe gebunden in der Luft. Der Stuhl steht in der Ecke einer vergitterten Zelle. Der auf dem Bildausschnitt sichtbare Raum ist sonst vollkommen leer, der Boden grau. "Freizeitraum" steht unter dem Bild. Es gehört zu einer Serie, die von der Fotografin und Dokumentarfilmerin Leona Goldstein für Steffi HolzÂ’ Buch über Frauen in Abschiebehaft gemacht wurde. Auch die anderen Fotos bilden eindringlich ab, wovon Holz auf den restlichen Seiten schreibt: niederschmetternde Trostlosigkeit. Kahle Räume, Fenster mit Stäben davor, trocknende Wäsche, die vor einem Innengitter hängt, über das mit einem Stift "Freiheit" auf die nackte Wand geschrieben wurde.
"Alltägliche Ungewissheit" hat die Autorin ihr Buch genannt und auch ihr ist es gelungen, eindrücklich zu vermitteln, was das im Haftalltag asylsuchender Frauen bedeutet. Eine von ständiger Angst vor der Abschiebung begleitete Monotonie, die in der Hauptsache aus Essen, Duschen, Schlafen und Warten besteht. Mit "Day finished" beendet eine der Insassinnen ihre Schilderung eines solch durchschnittlichen Tagesablaufs im "Abschiebegewahrsam Berlin-Köpenick", dem ehemaligen Frauengefängnis der DDR.
In Deutschland gab es 2006 über 13.000 Abschiebungen. Allein aus Berlin wurden 1.155 Menschen abgeschoben, 883 von ihnen waren vorher inhaftiert. Rechtlich gesehen ist Abschiebehaft kein Strafverfahren, sondern eine Verwaltungsmaßnahme. Was nichts daran ändert, dass sich die Frauen in Haft befinden, im schlimmsten Fall 18 Monate. "Sie sind festgenommen worden, weil Sie sich unerlaubt in der Bundesrepublik Deutschland aufhalten und abgeschoben werden sollen," steht auf dem Informationsblatt "zur Abschiebungshaft", das die Frauen unmittelbar nach ihrer Inhaftnahme erhalten sollten. Nicht alle bekommen es tatsächlich, genauso wenig wie die eigentlich ebenfalls vorgeschriebene mündliche Erklärung, was mit ihnen geschieht. Vor allem diese Verweigerung von Informationen ist es, die zu dem kafkaesken Bedrohungsszenario führt, das Holz in seinem detailreichen Schrecken sichtbar macht. Die inhaftierten Frauen erleben das gesamte Personal von Polizei über Gefangenenwachdienst bis zu den SozialarbeiterInnen als Teil einer undurchschaubaren und machtvollen Maschinerie.

Auch die Autorin selbst, die sich in der Berliner "Initiative gegen Abschiebehaft" engagiert, musste erst das Vertrauen ihrer Interviewpartnerinnen gewinnen. Und sich in der Folge bei ihren Besuchen an der zermürbenden Analyse der wenigen Zeichen und Hinweise beteiligen, mit deren Hilfe die Frauen etwas über ihr weiteres Schicksal in Erfahrung bringen wollen. Für die Übersetzung von Schriftstücken sowie für einen Widerspruch gegen die Haftanordnung brauchen sie Hilfe. Das Beschwerdeverfahren dauert jedoch in aller Regel so lange, dass es vor einer Entscheidung zu einer Haftverlängerung kommt - der dann mit einem neuen Ansuchen begegnet werden muss. In der Zwischenzeit werden die Häftlinge nicht über den aktuellen Stand informiert und sind auf die Deutung kleinster Unregelmäßigkeiten angewiesen. Die Nichtausbezahlung von Taschengeld beispielsweise kann auf eine bevorstehende Haftentlassung hindeuten, seine Kürzung hingegen die baldige Abschiebung ankündigen.
Den furchtbaren, kafkawürdigen Höhepunkt bilden dabei die Vorladungen der Ausländerbehörde: ein gesichtsloses Bürokratiemonstrum, dessen BeamtInnen aufgrund ihrer genau reglementierten und arbeitsteiligen Aufgaben nicht die geringste Verantwortung für ihre "Fälle" fühlen.
Willkür und Gleichgültigkeit erleben die als Nummern bezeichneten Frauen ("We call it Köpenick number") aber auch tagtäglich im Gefängnis. Um Kleinigkeiten wie Hygieneartikel muss immer erst gebeten werden, ob sie ausgehändigt werden, hängt von Laune und Charakter der Diensthabenden ab. Ebenso wie die Entscheidung, ob es beim Essen zwei oder vier Würste und beim Frühstück diesmal auch Obst gibt. Oder ob die von BesucherInnen mitgebrachten Geschenke nun ein Sicherheitsrisiko darstellen oder nicht.
Die Autorin wirft einen "Blick hinter die Kulissen eines Staates, der Menschen wegsperrt, anstatt sie zu begrüßen." Ihr Blick auf dieses System ist entlarvend und erschütternd, ihr Blick auf die Frauen hingegen immer respektvoll und in höchstem Maße solidarisch.

Steffi Holz: Alltägliche Ungewissheit. Erfahrungen von Frauen in Abschiebehaft
Unrast Verlag 2007, 12,80 Euro

Dieser Artikel erschien in: an.schläge, das feministische Magazin,
www.anschlaege.at