Diskurse der Mittelschicht

Migrantische SexarbeiterInnen werden von Politik, Medien und Hilfs­ein­richtungen oft als Opfer von Menschen­handel diskutiert.

Mit Sex at the Margins kritisiert die Soziologin Laura María Agustín rechte wie linke Medien für ihre sensationslüsterne Bearbeitung des Themas Prostitution und Frauenhandel. Sie beanstandet, dass die rescue industry - das Konglomerat aus NGOs, Hilfsinstitutionen und Regierungseinrichtungen mit Fokus auf Migration und Sexarbeit - keine eigenständigen Diskurse produziere, sondern den herrschenden Prosti­tutionsdiskurs übernehme. Dort fungiert die Prostituierte bloß als Opfer von sozialen und ökonomischen Verhältnissen.

Prostitution wird auf Gewalt und Ausbeutung reduziert. Dies erwirkt abolitionistische Politiken - mit fatalen Folgen für tausende illegalisierte MigrantInnen, die ihr Geld in der Sexindustrie verdienen. Agustín zählt sich zu den postkolonialen KritikerInnen, die eine paternalistische Einmischung von EuropäerInnen in die Lebensrealitäten von Nicht-EuropäerInnen strikt ablehnen, selbst wenn diese feministisch motiviert ist. Sie wirft Medien, Wissenschaft, Regierungen und NGOs vor, MigrantInnen zu infantilisieren, und verweist auf Erfahrungsberichte von aus Europa zurückkehrenden lateinamerikanischen MigrantInnen, die sich nicht in den gegenwärtigen Opferdiskurs einfügen. Sexarbeit ist für die mobilen SexarbeiterInnen eine temporäre Beschäftigung, die sie als Mittel zum Zweck ausüben und unter den verfügbaren Optionen des Einkommenserwerbs bevorzugen. Die von ihr als bene­volent helper oder ‚Gut­menschenÂ’ bezeichneten Un­ter­stützerIn­nen verneinen die Handlungs­fähigkeit von Mi­grantIn­nen in der Sex­in­dustrie und stellen sie als passive Subjekte dar, während die HelferInnen selbst als wichtige EntscheidungsträgerInnen auftreten.

Agustín kritisiert die professionellen AktivistInnen aus der Mittelschicht scharf. Sie reduziert deren selbst gewählte Mission auf ein pseudo-altruistisches Rettungsprojekt, welchem das Motiv der Kontrolle seiner Hilfssubjekte aus der Arbeiterschicht zu Grunde liegt. Dabei übersieht sie aber, dass es innerhalb der rescue industry ernst gemeintes soziales und politisch motiviertes Engagement gibt, welches politische Veränderungen bewirken kann - sofern es an der sozialen Basis ausgerichtet ist. Agustíns Buch ist ein kritischer Appell an AktivistInnen im Migrationsbereich, die eigenen Agenden und Diskurse an den Erfahrungen von SexarbeiterInnen auszurichten.

Laura María Agustín:
Sex at the Margins: Migration, Labour Markets and the Rescue Industry.
Zed Books, 2007. 224 S., 22,95 EUR