Wunschverhandlungen

Gayatri Chakravorty Spivak und Seyla Benhabib befassen sich mit Menschenrechten. Mit sehr unterschiedlichem Ergebnis.

„Righting Wrongs - Unrecht richten" heißt das neue Buch von Gayatri Chakravorty Spivak, „Die Rechte der Anderen" jenes von Seyla Benhabib. Und der antagonistische Fokus der beiden Titel - Unrecht und Recht - schlägt sich auch inhaltlich deutlich nieder. Denn obwohl sich beide Autorinnen mit der Geschichte und Zukunft von Menschenrechten auseinandersetzen, unterscheiden sich die beiden Publikationen sehr.

Die Politologin und Philosophin Benhabib hat eine systematische rechtsphilosophische Studie geschrieben, um darin ein weltbürgerliches Recht auf politische Partizipation zu begründen. Die Literaturwissenschaftlerin und postcolonial-Theoretikerin Spivak hingegen hat eine essayistisch-anekdotische Abhandlung verfasst, in der sie für eine neue Form der Bildung plädiert, die es sich zum Ziel setzt, „demokratische Gewohnheiten in frühere kulturelle Formationen" einzuschreiben. Und während es Spivak dabei um eine spezifische Form der Bildungsarbeit mit Kindern der subalternen Landbevölkerung des globalen Südens geht, konzentriert sich Benhabib vor allem auf die Nationen des globalen Nordens. Sie widmet sich dabei insbesondere der Frage, wie sich die Pflicht dieser Staaten argumentieren lässt, MigrantInnen nicht nur Asyl, sondern auch dauerhafte Mitbestimmung zu gewähren.

Die allgemeine Erklärung der Menschenrechte nennt zwar bekanntermaßen das Recht auf Emigration, „allerdings gibt es kein Recht zu immigrieren, also in ein Land einzuwandern", so Benhabib. Konkret heißt das: Es gibt zwar das allgemeine Recht auf Asyl, aber keinerlei bindende Pflicht, Asyl auch zu gewähren. Den Kern des Problems ortet sie also im fundamentalen Widerspruch zwischen der Idee universeller, grenzüberschreitender Menschenrechte einerseits und dem Ideal territorialer Souveränität und Selbstbestimmung andererseits. Weltweit stetig steigende Migrationsströme hätten das westfälische Modell staatlicher Souveränität aber ohnehin längst in die Krise geführt, eine Theorie globaler Gerechtigkeit müsse diesem Umstand also unbedingt auch Rechnung tragen.

Beim Entwurf solch einer Theorie stützt sich Benhabib nun sowohl auf Kants Weltbürgerrecht (demzufolge „niemand an einem Orte der Erde zu sein mehr Recht hat, als der andere") als auch auf das von Hannah Arendt proklamierte „Recht, Rechte zu haben".

Wie fragil bereits diesesallererste Menschenrecht ist, wusste allerdings schon seine Begründerin. Für seinen immer möglichen Verlust macht Arendt in erster Linie Staatenlosigkeit verantwortlich. Eine Diagnose, die für Benhabib auch heute noch zutrifft. Deshalb will sie über Kants Vorschlag eines weltweit uneingeschränkten Besuchsrechts hinausgehen und fordert im Unterschied zu ihm auch ein Menschenrecht auf dauerhafte Gastfreundschaft inklusive des Rechts auf Zugehörigkeit.

Leider verliert sich dieser Anspruch im Laufe der Kapitel zusehends und kollidiert zudem mehrfach mit Aussagen, wonach die Autorin bspw. Kriterien, die den Verleih der StaatsbürgerInnenschaft - nahezu überall die Bedingung für politische Partizipation - an bestimmte Qualifikationen knüpfen, grundsätzlich für nicht problematisch hält: „Solche Variationen sind Sache derjeweiligen Nation." 

Und obgleich sie zumindest in einer Fußnote auf europäische Entwicklungen wie die Planung exterritorialer Flüchtlingslager eingeht, glaubt sie insgesamt eine „Entkriminalisierung von Migrationsbewegungen" ausmachen zu können. Auch der gesamte Diskurs, der sich an Giorgio Agambens „Homini sacri" anschließt und genau jene im Blick hat, denen selbst das „Recht, Rechte zuhaben" entzogen ist, findet bei Benhabib keinerlei Erwähnung. „Demokratische Iterationen" schlägt sie schließlich vor, Dialoge über moralische und politische Fragen, um die Kluft zwischen universellen Menschenrechten und partikularen Bürgerrechten zu überbrücken.

Ähnlich unentschlossen muten zunächst auch Spivaks Ideen für eine bessere Welt an - es gelte, „Wünsche unerzwungen neu anzuordnen" und „ein dauerhaftes Betreiben einer veränderten Normalität" zu vollziehen -, sie sind zugleich aber ungewöhnlich praxisorientiert. Eine stabile Menschenrechtskultur entstehe nicht durch Menschenrechtstourismus, dessen AktivistInnen Slogans exportieren und den Kindern zum Auswendiglernen vorlegen. Bildung dürfe sich nicht in Alphabetisierung erschöpfen, sondern soll eine „supplementierende Pädagogik" sein, in der die Unterrichtenden auch von den Subalternen lernen. Kritisiert wird von Spivak auch der Einsatz pseudo-historischer Narrative, mit dem MenschenrechtsaktivistInnen der jeweiligen Community Stolz auf die eigene „Kultur" beizubringen suchen.

In dieser Ablehnung jedweder ethnokulturell fundierten Identitätspolitik trifft sie sich mit Benhabib. Und dieser Aspekt ist schlussendlich auch einer der vielversprechendsten beider Theorien. Ethnos und demos sind in diesen höchst unterschiedlichen Entwürfen künftiger demokratischer Gemeinschaften nicht deckungsgleich.