Ich liebe euch doch alle

Polydingsbums und das Schweigen vom Geschlechterverhältnis

Kritische Theorie, Feminismus, Maoismus, Polyamorie … Nein, kein Test. Sie sind keine ProbandIn, die in einer Aufzählung den unpassenden Begriff finden soll. Es handelt sich hier um die Titel einer Publikationsreihe eines linken Verlags. Der Anspruch: Vermittlung „theoretischer Grundlagen linker Politik“ und die „Reflexion politischer Praxis“.

Polyamorie bezeichnet gleichzeitige Liebesbeziehungen zwischen mehreren PartnerInnen, die gegenüber allen Beteiligten transparent sind und neben affektiver Nähe auch Sexualität beinhalten können. Der Begriff Polyamorie ist vor einem Jahrzehnt in Deutschland angekommen. Mittlerweile haben auch Zeit, Stern und Focus den Schlafzimmerblick aufgesetzt und mit dem Erschauern des Voyeurs mal nachgefragt, wie Menschen sich zu dritt lieben. Mittlerweile schreiben auch linke Periodika zum Thema, eine ehemalige Grünenpolitikerin „outete“ sich in der taz als polyamor und so manche Gruppe, die sonst nur ein Verhältnis, nämlich das Kapitalverhältnis kennt, erklärt auf Veranstaltungen, warum Poly-Verhältnisse die falsche Lösung im falschen Ganzen seien.

Die Kritik der bürgerlichen Ehe, als dem Prototyp der monogamen Zweierbeziehung, haben bürgerliche und sozialistische FeministInnen schon vor mehr als hundert Jahren geleistet. Mittlerweile ist die serielle Monogamie, die Abfolge monogamer Zweierbeziehungen die neue Norm. Die Kritik bleibt dennoch auch dort meist zutreffend. Die Kopplung von Ökonomie mit affektiver Nähe und Sexualität bleibt schließlich bestehen. In nichtheterosexuellen Szenen gibt es eine lange Tradition konsensueller nichtmonogamer Sexual- und Liebesbeziehungen. Allerdings ohne, dass es dafür eines theoretischen Überbaues bedurft hätte. An der  „Entdeckung“ von Polyamorie in linken, heterosexuellen Kreisen klebt allerdings zuweilen ein zäher Batzen Moral und eine hässliche Schleimspur Esoterik. Dies äußert sich, so sie zur Sprache kommen, in der Analyse von Herrschaftsverhältnissen und in einigen Postulaten, die auf Polywebseiten zirkulieren.

Thomas Schroedter und Christine Vetter, die den eingangs erwähnten Polyamorie-Text geschrieben haben, referieren in weiten Teilen marxistische und feministische Kritiken am Modell der Ehe. Sie listen verschiedene Dimensionen von Herrschaftsverhältnissen von Heteronormativität bis Rassismus auf, um ihnen dann eine weitere — Mononormativität — hinzuzufügen. Allein bei der Beschreibung, was dieses Herrschaftsverhältnis ausmacht, bleiben sie recht wortkarg. Sie beklagen, dass es die Bahncard nur für einen Lebenspartner vergünstigt gibt, dass man beim Elternabend schief angeschaut werde, wenn man in wechselnden Kombinationen auftaucht und, dass sich die Wohnungssuche schwieriger gestaltet, wenn man dem Vermieter erzählt, dass man eine Liebesbeziehung mit den zwei oder mehr Mitwohnenden führt. Abgesehen davon, dass den Vermieter Liebes- und Sexdinge eigentlich Schnurz zu sein hätten und viel schlimmer als schiefe Blicke ist, dass gelegentlich das Jugendamt recht fix dabei ist, wenn verschiedene Leute die Kinder abholen — ganz unabhängig vom Beziehungsstatus, führt diese Art der Analyse von Herrschaftsverhältnissen leicht in eine Sackgasse. Zweierlei bleibt unterbelichtet. Zum einen suggeriert die Auflistung von Herrschaftsverhältnissen, dass diese unabhängig voneinander existierten. Das ist nicht der Fall, denn für heterosexuelle Männer ist es durchaus gesellschaftlich akzeptiert, mehrere Liebesbeziehungen parallel zu führen. Den abwertenden Begriff „Schlampe“ gibt es nun einmal nur als Femininum.

Die zweite Blindstelle entsteht, weil scheinbar nur ein Machtverhältnis  — Mononormativität — von außen auf die herrschaftsfreie polyamore Beziehungen einwirkt und Binnenverhältnisse zumeist unthematisiert bleiben. Da die meisten Ratgeber, Webseiten und Foren zum Thema Polyamorie von Heterobeziehungen handeln, ist einigermaßen grotesk, dass Geschlechterverhältnisse innerhalb von Polybeziehungen derart selten thematisiert werden. Wie wird Sorge- und Reproduktionsarbeit verteilt? Ist dies geschlechtsspezifisch verschieden? Wem stehen welche Ressourcen zur Verfügung? Welche Barrieren gibt es, aus unbefriedigenden Polybeziehungen auszusteigen? Stattdessen finden sich normative Postulate, in denen mantrahaft betont wird, dass der Anspruch von Polyamorie ist, Beziehungen offen, ehrlich und konsensual zu führen. Dieser Anspruch unterscheidet sich kaum von hegemonialen Beziehungsidealen. Nur wird dieser Anspruch selten eingelöst. Statt dieses Auseinanderklaffen in sozialen Strukturen, geschlechtsspezifischer Arbeitsteilung und ökonomischen Arrangements zu suchen, wie es FeministInnen und GendertheoretikerInnen tun, entstehen stattdessen Normenkataloge mit Anforderungen an die Einzelnen.

Ein weit verbreiteter Text von Brian Frederick „Poly for Dummies“, den es in verschiedenen Übersetzungen auch in deutschen Polyforen gibt, ist nur ein krasses Beispiel. Der elitäre Gestus, jene, die das „Wesen“ polyamorer Beziehungen noch nicht verstanden hätten, als „Dummies“ – als  „Dummköpfe“ zu bezeichnen, überdeckt eine Reihe von Widersprüchen. Neben Imperativen wie: „Lern dich selbst kennen“, „arbeite an Dir“ und „Lerne aus Fehlern“, die so ähnlich auch als Beziehungsratgeber in der Brigitte oder in Managerselbsthilfeliteratur stehen könnten, findet sich kaum mehr als esoterische Pathos- und Leerformeln. Das nicht aufzulösende Dilemma, dass Beziehungen auf gegenseitige Anerkennung und Wertschätzung angewiesen sind, diese aber in der Realität, diese Ansprüche oft nur unzureichend einlösen können, wird mit dem Rückgriff auf ein autonomes Subjekt beantwortet. Dieses soll aus sich selbst heraus so souverän sein, dass es Beziehungen eigentlich nicht „braucht“, sondern voluntaristisch und frei von allen Notwendigkeiten eingeht. In der Sprache von Frederick: „Lass Deinen eigenen Garten in deiner Seele wachsen, warte nicht darauf, dass dir jemand anders Blumen bringt.“ Konflikte gibt es nicht, stattdessen müssen „Dinge […] geduldig und liebevoll durchgearbeitet werden“. Die Voraussetzung des Beziehungsideals einer „gesunden und stabilen Beziehung“ ist ganz zirkelschlüssig die Gesundheit und Stabilität aller Beteiligten. Frederick formuliert es so: „Sei gesund und stabil, bevor Du anderen nahekommst, und ermutige andere, dies auch so zu halten.“ Dieses autonome Subjekt ist schon einmal gescheitert. Als männlicher Ernährer in der Zweierehe. Das uneingelöste Versprechen romantischer Zweierbeziehungen, mit Sexualität und sozialer Nähe auch Solidarität zu verbinden wird damit abgeschrieben, in dem eine Beziehung aufzugeben ist, wenn einer der Beteiligten nicht mehr „gesund“ und „stabil“ ist. Was hier aufscheint ist das Bestehende mit mehr Beteiligten und mit dem Abzug des Solidaritätsversprechens. Das ist schade, denn tatsächlich lohnt es sich darüber nachzudenken, wie gesellschaftliche Normen produziert werden und sich diese eben auch in sozialen Nahbeziehungen umsetzen. Die Antwort kann nicht sein in ein „Lob der monogamen Beziehung“ zu flüchten und mit Adornozitaten gespickte Lobeshymnen auf das Refugium der monogamen Zweisamkeit abzusingen.

 

Die Alternative zur romantischen Zweierbeziehung ist allerdings auch nicht die romantische Dreier- oder Viererbeziehung. Statt für die Ausdehnung der Eheprivilegien auf eine Beziehung mit drei, vier oder mehr Beteiligten zu kämpfen, würde es sich lohnen, die Relevanz gewählter Beziehungsform zurückzudrängen. Für die Frage, ob eineR Sozialhilfe bekommt, ob eineR Kinder adoptieren oder wie viel Steuern eineR zu zahlen hat, sollte es egal sein, ob Menschen mit ein, zwei, vielen befreundet, verheiratet oder verwandt sind. Ob sie sich lieben, begehren oder ausschließlich vögeln, sollte dafür nicht ausschlaggebend sein. Das Label „polyamor“ mag für manche eine hilfreiche Selbstbezeichnung sein, als „theoretisches Konzept“ oder gar als „politische Praxis“ ist es unzureichend, auch wenn einige AutorInnen in diesem Feld gelegentlich die richtigen Fragen aufwerfen. Und dennoch: statt eine neue Poly-Identität mit mitgelieferten Anforderungskatalogen für die Beteiligten zu entwerfen, sollte man den Staat von der Bettkante schubsen, aber ihm nicht durchgehen lassen, wenn er die Alimente verweigert. Vielleicht kommt dann die Liebe von alleine. Und wenn nicht, ist es auch nicht so schlimm.

 

Thomas Schroedter/Christine Vetter: Polyamory. Eine Erinnerung, Stuttgart 2010.

poly for dummies, u. A.: http://www.polyamory.ch/doc/texte:poly_for_dummies.